Protokoll der Sitzung vom 16.06.2005

Ich erteile das Wort dem Fraktionsvorsitzenden der Fraktion der CDU, dem Herrn Abgeordneten Dr. Johann Wadephul.

Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Müller, vielleicht hätten Sie doch lieber Ihren Arbeitsschwerpunkt im Umweltschutzbereich lassen sollen,

(Zurufe von der CDU: Um Gottes willen!)

dann hätte er dort vielleicht im Ausschuss das eine oder andere noch hinzulernen können. Jedenfalls sind die ersten Gehversuche im Bereich Steuer- und Finanzpolitik hier im Landtag kläglich gescheitert. Sie stimmen auch überhaupt nicht mit Ihren Bundesgrünen überein, bei denen Sie ja eigentlich meinten etwas zu sagen zu haben.

Wenn Sie heute die „Süddeutsche Zeitung“ lesen, sehen Sie, dort wird das grüne Wahlprogramm auf Bundesebene verkündet. Man muss morgens zumindest mal die Zeitung lesen, dann weiß man, was die eigene Partei auf Bundesebene macht, Herr Kollege Müller. Neben einigen Beschimpfungen der Sozialdemokraten, die ich mir an der Stelle mal erspare, wird dort ein völlig anders Modell propagiert, im Übrigen ein Modell, nach dem die Einkommensteuer in den Spitzensteuersätzen erhöht werden soll, bei dem Sie dann aber auch Befürchtungen haben, dass Leute mehr besteuert werden, die etwa im Handwerksbereich Arbeitsplätze schaffen. Das wollen selbst die Grünen auf einmal nicht. Dann wollen die Bundesgrünen offenbar eine so genannte duale Einkommensteuer einführen. Wie das gehen soll, wollen wir erst einmal sehen, und wie das abgegrenzt werden soll, wollen wir auch erst einmal sehen. Die Modelle auf Bundesebene führen wieder einmal zu mehr Steuern für Leistungsbereite, zu mehr Komplexität und Klaus Müller hat davon keine Ahnung. Das ist das Ergebnis dieser Diskussion, die wir hier heute Morgen miteinander führen, Herr Kollege Müller.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das müssen Sie schon zur Kenntnis nehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die deutsche Volkswirtschaft befindet sich in ihrer schwersten Krise. Das Potenzialwachstum beträgt nicht einmal mehr 1 % im Jahr. Täglich gehen in Deutschland - das machen sich die Menschen kaum klar - über 1.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren. Deutschland hat kein Konjunkturproblem, Deutschland hat ein strukturelles Problem. Derzeit

(Dr. Johann Wadephul)

finanzieren nämlich lediglich 26,2 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte rund 80 Millionen Bundesbürger. Wir brauchen Wachstum, nicht nur um die öffentlichen Haushalte zu entlasten, vielmehr brauchen wir Wachstum, um unseren Bürgerinnen und Bürgern eine lebenswerte Zukunftsperspektive in unserem Vaterland zu eröffnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sozial ist, was Arbeit schafft. Deshalb ist es notwendig, ein ordnungspolitisch fundiertes Gesamtkonzept zu entwickeln, das endlich die strukturellen Wachstumshemmnisse beseitigt. Zu diesen strukturellen Wachstumshemmnissen gehören die ständig anwachsenden Lohnnebenkosten, die ohne fragwürdige Finanztricks wie das Abschmelzen der Monatsreserve und die fairerweise hinzuzurechnenden Steuerzuschüsse für die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung bereits weit über 20 % lägen.

Auch wenn das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, der Anstieg der Arbeitskosten in den letzten Jahren sei moderater als in anderen Ländern, so sind die absoluten Kosten immer noch sehr hoch. Auch das hat das Statistische Bundesamt übrigens festgestellt.

Inzwischen haben dies auch die Grünen in unserem Landtag erkannt und es mit ihrem Antrag gleich einmal dokumentiert. - Wir gratulieren, Herr Kollege Müller.

So richtig das Ziel des Antrages ist, die Lohnnebenkosten zu senken, so unzureichend ist das von Ihnen hier präsentierte Konzept.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Steuer- und Sozialversicherungssystem werden einmal mehr nach Ihrem Konzept, Herr Müller, enger miteinander verzahnt, noch enger verzahnt. Eine echte Reform verhindert Umverteilungen im Sozialversicherungssystem und führt den sozialen Ausgleich, der notwendig ist und zu dem wir uns bekennen, über das allgemeine Steuer- und Transfersystem, quasi in einem zweiten Schritt, herbei. Dies brächte und bringt Transparenz ins Sozialversicherungssystem. Die Versicherungsbeiträge der Bürgerinnen und Bürger werden von denen mittlerweile als eine Art Flat-Tax wahrgenommen. Niemand kennt seine individuellen Ansprüche, die eigentlich ein wesentliches Charakteristikum eines Versicherungssystems sind. Gleichzeitig sind diese Ansprüche einer ständigen Manipulation unterworfen. Die Einführung einer Bürgerversicherungssteuer, die Sie gerade erwähnt haben, Herr Müller, die wie eine zweite Einkommensteuer wirkt, verschärft diese Problematik weiter und deshalb lehnen wir sie ab.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Zusammenhanglos isoliert der Antrag der Grünen einen ganz bestimmten Teilaspekt aus der als Gesamtkomplex zu führenden Diskussion um die Reform unseres Steuer-, Sozialversicherungs- und Transfersystems.

Die Diskussion darf sich im Hinblick auf den akuten Handlungsbedarf in unserem Land aber nicht auf Ausschnitte reduzieren; das ist organisierte Unverantwortlichkeit. Derartigen Bestrebungen, die inzwischen nicht nur vonseiten der Grünen zu hören sind, erteilen wir daher eine strikte Absage.

Das deutsche Steuersystem besteht derzeit aus rund 100 Steuerstammgesetzen, 5.000 Interpretationsschreiben des Bundesfinanzministeriums und 96.000 Verwaltungsvorschriften. Die Erhebung der Einkommensteuer kostet jährlich 3,7 Milliarden €. Dieses Dickicht müssen wir lichten und nicht durch weitere komplizierte Vorschläge der Grünen weiter verschlimmern, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.

(Beifall bei der CDU)

Die Eckpunkte einer Steuerstrukturreform, zu der wir uns bekennen, lassen sich wie folgt darstellen: radikale Steuervereinfachung, breitere Bemessungsgrundlage durch Abschaffung von Subventionen und Steuervergünstigungen,

(Lothar Hay [SPD]: Sehr gut!)

niedrigere Steuersätze und eine grundsätzlich rechtsformneutrale Ausgestaltung des Unternehmensteuerrechts.

Die Abschaffung von Subventionen und Steuervergünstigungen hat die Union immer befürwortet - jedoch nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern, sondern zum Absenken der Tarife. Denn eine Absenkung der Vergünstigungen ohne gleichzeitige Tarifsenkung ist de facto eine Steuererhöhung und die lehnen wir ab, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wir wollen erreichen, dass die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ein ausreichend hohes Einkommen haben, um für sich und ihre Familien zu sorgen, ohne dabei staatliche Hilfen in Anspruch nehmen zu müssen; das muss der Regelfall bleiben. Sie sollen in die Lage versetzt werden, für die Risiken des Lebens die notwendige Vorsorge eigenverantwortlich zu treffen. Das hat auch etwas mit Selbstbestimmung zu tun.

Der Teil des Einkommens, der notwendig ist, um den derzeitigen und zukünftigen existenznotwendigen

(Dr. Johann Wadephul)

Bedarf zu sichern, darf nicht der Besteuerung unterliegen. Das ist selbstverständliche soziale Verantwortung staatlichen Handelns.

Ein Eingreifen des Staates darf es nur dann geben, wenn dieser Bedarf nicht gesichert ist. Das ist soziales Handeln gegenüber denjenigen, die ihren Bedarf eigenverantwortlich sichern können, und gegenüber denjenigen, die dazu leider nicht in der Lage sind - sei es aufgrund persönlicher Verhältnisse oder aufgrund der wirtschaftlichen Situation im Land.

Eine echte Strukturreform, die umfassend die Probleme des Steuer- und Sozialversicherungssystems angeht, wird letzteren Aspekt jedoch entschärfen. Denn so werden Wachstum und Arbeitsplätze dauerhaft geschaffen.

Es ist unumstritten - das will ich ausdrücklich sagen, Herr Kollege Müller -, dass der Fokus langfristig auf die indirekten Steuern gerichtet sein muss. Wir werden uns der allgemeinen Entwicklung in Europa an der Stelle überhaupt nicht verschließen können. In den erfolgreichen Volkswirtschaften Europas - die gibt es - haben die indirekten Steuern eine weitaus höhere Bedeutung als hierzulande, die Ertragsteuern eine entsprechend geringere.

Ertragsteuern sind für Volkswirtschaften, in denen die Infrastrukturausstattung auf einem vergleichbaren Niveau liegt, der entscheidende Standortfaktor; das wir in Deutschland bisher noch verkannt. Wir werden diesen Aspekt bei der Neuorientierung unseres Steuersystems beachten. Auch hier gilt: Dies wird in einen Gesamtzusammenhang gestellt werden.

Wir müssen den Wettbewerb auch in diesem Bereich zulassen und uns nicht von der Entwicklung abschotten. Da die Grünen, wie sie uns gestern versichert haben, Streiter für den Wettbewerb sind, finden wir hier wohl Unterstützung. Eines ist jedoch klar: Alle Änderungen, die auch im Hinblick auf die indirekten Steuern erfolgen werden, müssen den Faktor Arbeit entlasten. Dies kann allerdings nur im Gesamtzusammenhang mit einer umfassenden Reform des deutschen Steuersystems gesehen werden. Voreilige Schnellschüsse, wie sie die Grünen planen, sind wenig hilfreich und verunsichern die Menschen nur noch stärker.

Bevor Steuern erhöht werden, die mit einem vagen Versprechen einhergehen, an anderer Stelle zu entlasten - frei nach dem Motto: rechte Tasche, linke Tasche -, müssen alle staatlichen Leistungen überprüft werden, um möglicherweise auf diesem Wege Potenziale für die Senkung von Lohnnebenkosten zu erschließen. Bei allen Konsolidierungsmaßnahmen

müssen wir auf die soziale Balance achten; das ist für die CDU auch langfristig wichtig.

Eine weitere Absenkung des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte darf es nicht geben. Dies würde die überaus stark verunsicherte Binnennachfrage weiter dämpfen; auch dies gilt es in diesem Zusammenhang zu beachten.

Wir werden im Rahmen des Bundestagswahlkampfes noch viele Konzepte hören. Wir bemühen uns um ein Gesamtkonzept, um die Nachfrage nach Arbeit in Deutschland anzukurbeln.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorschläge, die die Grünen auf Bundesebene unterbreitet haben, sind andere als die, die Herr Müller hier vorgetragen hat. Beide Konzepte sind nicht geeignet, mehr soziale Balance und mehr Binnennachfrage zu schaffen. Vor allen Dingen verkomplizieren sie das Steuersystem weiter, anstatt endlich das Dickicht zu lichten. Deswegen lehnen wir die Vorschläge der Grünen ab.

Wir sind gespannt, Herr Müller, ob Sie, nachdem Sie im Umweltbereich relativ erfolglos geblieben sind, in Ihrem neuen Betätigungsfeld hinzulernen und in Zukunft bessere und gehaltvollere Redebeiträge liefern. Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall bei CDU und SPD)

Für die Fraktion der SPD erteile ich ihrem Fraktionsvorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Lothar Hay, das Wort.

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: So Lothar, jetzt wollen wir etwas hö- ren, etwas Qualitatives!)

Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Ich habe einmal von einem Funktionär des Steuerberaterverbandes gehört, dass sich mehr als 60 % der auf dieser Erde erschienenen Steuerliteratur mit dem deutschen Steuersystem beschäftigen. Insofern gibt es schon einen Grund, die Steuervereinfachung endlich umzusetzen, obwohl ich auch weiß, dass Literatur - gerade in großen Mengen gedruckt - ein Wirtschaftsfaktor sein kann.

Ich freue mich, dass uns unser ehemaliger Koalitionspartner BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit seinem Antrag eine Debatte über die Senkung der Lohnnebenkosten und damit dem Steuerkonzept der SPD Schleswig-Holstein ermöglicht. Diese Debatte wurde

(Lothar Hay)

allerdings bereits am 28. April 2004 geführt und stellt insofern also eine Déjà-vu-Debatte dar. Man könnte allerdings sagen, es sei das alte pädagogische Prinzip der Wiederholung. Dann ist der Lernerfolg vielleicht irgendwann sichergestellt.

(Heiterkeit bei der SPD)

Klar ist mir allerdings, was eine solche Debatte unmittelbar vor dem 18. September dieses Jahres auf sich hat. Darüber sollten wir nicht lange reden. Denn es ist völlig klar.

Genauso klar ist, dass die SPD Schleswig-Holstein seit langem eine deutliche Position vertritt. Wir werden unsere zehn Punkte in die Debatte und auch in das Wahlprogramm auf Bundesebene einbringen; ich hoffe, dies gelingt uns mit Erfolg.

(Beifall bei der SPD)