Protokoll der Sitzung vom 22.11.2007

Zusammengefasst kann man sagen: Ohne Religionenfrieden ist kein gesellschaftlicher Frieden denkbar.

All dies sind Punkte, die in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen, auch angesichts der Auswirkungen des demografischen Wandels. In dessen Folge werden noch sehr viel mehr Ausländerinnen und Ausländer nach Deutschland kommen und hier ihren Lebensmittelpunkt haben und sie werden ihre Religion hier leben wollen, noch stärker, als wir es schon heute kennen.

Hierin liegt für einen Religionsunterricht und auch und gerade für einen konfessionsgebundenen Religionsunterricht, der sich zugleich als modern, aufgeklärt und weltoffen versteht, eine zentrale Aufgabe mit größter Verantwortung. Nur wer einen eigenen Standpunkt hat, kann mit anderen Standpunkten vernünftig und gut umgehen. Nur wer einen eigenen Glauben hat, kann mit dem Glauben anderer vernünftig und gut umgehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir diese Aussagen und Bewertungen ernst nehmen, dann sollten wir alle in gemeinsamer Verantwortung für den richtigen Stellenwert dieses Faches Religionsunterricht sorgen.

(Beifall bei der CDU)

- Der Beifall ist zwar ein bisschen zaghaft, aber ich könnte mir vorstellen, dass es eine relativ breite Übereinstimmung in dieser Bewertung gibt.

Jetzt kommen wir aber zur Lebenswirklichkeit des Religionsunterrichts in Schleswig-Holstein. Wie schon im Jahre 2003 so gab es auch jetzt Hinweise, die dazu geführt haben, diese Große Anfrage erneut zu stellen. Es wird zu wenig Religionsunterricht erteilt. Es gibt zu wenig fachlich voll ausgebildete Religionslehrer, vor denen wir, Frau Ministerin, selbstverständlich großen Respekt haben. Das gilt auch für die Leistung, die sie in diesem Fach erbringen. Die Lehrstuhlkapazitäten reichen nicht aus. Man macht sich Sorgen, weil gut ausgebildeter Nachwuchs fehlt, und das angesichts der bekanntlich bevorstehenden Pensionierungswelle.

Was ist dran an gehörten Vorwürfen und Sorgen? Unsere Große Anfrage sollte Aufklärung bringen, Daten und Fakten liefern. Die Antwort liegt vor. Leider sind - Frau Ministerin, ich habe es Ihnen bereits gestern gesagt - zu viele Fragen offen geblieben und neue Fragen stellen sich. Auf wichtige Fragen gibt es, wie schon im Jahre 2003, keine Antwort.

Über unsere Frage 3 wollten wir insbesondere endlich Aufklärung darüber erhalten, wie viele Wochenstunden Religion nach den bisher geltenden Stundentafeln vorgesehen sind und wie viele davon tatsächlich erteilt werden. Dahinter steht natürlich die Frage, ob das Soll erfüllt wird oder ob es Defizite gibt.

Sie haben die Antwort in Ihrer Vorbemerkung bereits gegeben; ich muss es nicht noch einmal sagen. Aber ich muss Ihnen leider sagen, dass ich Ihnen diesen Umgang mit unserer Frage, dieses Umgehen einer klaren Antwort, nicht verstehe und leider auch nicht akzeptieren kann. Der wiederholte Hinweis auf den großen Verwaltungsaufwand ist ein Totschlagargument, mit dem die Erhebung wichtiger Daten verhindert wird, und das in Zeiten von modernen Computerprogrammen auch an den Schulen. Ich finde das einfach bedauerlich. Wenn wir einen Landtagsbeschluss haben, werden wir ihn uns ansehen, und dann werden wir gemeinsam schauen müssen. Wir alle wollen keinen unnötigen statistischen Ballast.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber dort, wo Statistiken wichtig sind, müssen wir sie in Zukunft auch erheben.

Seit Jahren bitten die Nordelbische und auch die katholische Kirche darum, dass Ihr Haus genau dies tut. Sie haben selber an den Staatskirchenvertrag erinnert. Inzwischen hat die Nordelbische Kirche zusammen mit den von Ihnen völlig zu Recht als hervorragend organisiert bezeichneten Religionslehrerverband eigene Untersuchungen zur Situation in Schleswig-Holstein durchgeführt.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Hört, hört!)

Die Ergebnisse liegen vor und werden ausgewertet. Erste Hinweise lassen befürchten, dass der Religionsunterricht an vielen Schulen nicht in dem durch die Stundentafel festgelegtem Umfang erteilt wird.

Aus der Vielzahl kritischer Anmerkungen möchte ich nur noch einige wenige nennen.

Das Ministerium erklärt, dass keine fachbezogene Lehrerbedarfsprognose erstellt wird. In der Antwort

(Herlich Marie Todsen-Reese)

zu Frage 25 wird jedoch erklärt, Bei der Unterrichtsversorgung sei von einer Bedarfsdeckung auszugehen. Wodurch ist diese Aussage begründet, wenn keine Zahlen über tatsächliche Bedarfe vorliegen? Warum wird dem Fach Philosophie in der Antwort auf die Frage 3 ein verfassungsrechtlicher Rang zugeschrieben? Es macht ja gerade die besondere Stellung des Religionsunterrichts aus, dass er als einziges Schulfach nach Artikel 7 Abs. 3 GG Verfassungsrang hat.

Das Katholische Büro meldet völlig andere Zahlen zu den kirchlich bestellten Lehrkräften und zur Pauschale für die Erteilung des katholischen Religionsunterrichtes als das Ministerium. Im Schuljahr 2006/07 standen für das Fach katholischer Religionsunterricht 68 kirchlich gestellte Lehrkräfte zur Verfügung. Zusammen mit den 207 Lehrkräften im Landesdienst waren es insgesamt 275 Lehrkräfte und nicht, wie angegeben, 337 Lehrkräfte. Auch bei der Pauschale für den katholischen Religionsunterricht in Höhe von 1.188.500 € gibt das Ministerium eine andere Zahl an und meldet 1,6 Millionen €.

Die Beantwortung der Fragen in Bezug auf den Religionsunterrichts an Beruflichen Schulen ist ebenfalls nicht befriedigend. Zahlen und Fakten gibt das Ministerium im Themenblock „Berufliche Schulen“ eben nur für berufliche Gymnasien, und dass heißt konkret: nur für circa 10 % aller Schülerinnen und Schüler.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich! - Heiterkeit des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

- Ach, Herr Kubicki, irgendwann werden auch Sie noch an einige Dinge glauben.

(Heiterkeit bei der SPD)

Im Jahre 2003 hat es hierzu noch differenzierte Zahlenangaben gegeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesen und weiteren Beispielen ergibt sich viel Informationsund Aufklärungsbedarf. Dazu gehört schlussendlich auch die Frage, inwieweit die Vereinbarungen zu diesem Themenkomplex im Staatskirchenvertrag erfüllt werden.

Vor diesen Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass interessante Ergebnisse aus einer Umfrage der Nordelbischen Kirche und des Religionslehrerverbands auf dem Tisch liegen werden, beantrage ich nicht nur die Überweisung an den Bildungsausschuss, sondern ich bitte schon heute darum, dass wir Anfang 2008 gemeinsam eine Anhörung zur Großen Anfrage durchführen.

Frau Kollegin, die Zeit.

Ja, ich komme sofort zum Schluss. - Dabei sollten insbesondere die Nordelbische Kirche, die katholische Kirche und der Religionslehrerverband sowie weitere Religionsgemeinschaften angehört werden.

Ich freue mich auf diese weiteren Beratungen und setze auf tatkräftige Unterstützung bei der Stärkung des Religionsunterrichts an unseren Schulen in Schleswig-Holstein.

(Beifall)

Ich danke der Frau Abgeordneten Todsen-Reese. Für die SPD-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Rolf Fischer das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Der Bildungsauftrag der Schule ist ausgerichtet an den im Grundgesetz verankerten Menschenrechten, die sich begründen in christlichen und humanistischen Wertvorstellungen und in den Ideen der demokratischen, sozialen und liberalen Freiheitsbewegungen. - So definiert das Schulgesetz den Auftrag der Schule. Zudem wird der Schule auferlegt, das verfassungsmäßige Recht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder zu achten und die religiösen und weltanschaulichen Grundsätze, nach denen die Eltern ihre Kinder erzogen haben wollen, nicht zu verletzen.

Was sich so leicht liest, kann unter Umständen die Quadratur des Kreises bedeuten, nämlich dann, wenn die Eltern in Wertvorstellungen leben, die mit Christentum, Humanismus, Aufklärung und Demokratie nicht vereinbar sind. Insoweit liegt natürlich die Assoziation mit den Konflikten islamistischer Eltern nahe; aber niemand sollte sich dem Irrglauben hingeben, dass nicht auch ganz andere Wertmodelle religiöser und nicht religiöser Art vorhanden sind, die sich mit einer pluralistischen Ordnung nicht vereinbaren lassen.

Die Erziehung der jungen Menschen zu den genannten Wertvorstellungen ist deshalb nicht die Aufgabe einzelner Schulfächer, sondern sie ist der wichtigste Bildungsauftrag überhaupt, dem die Schulen nachzukommen haben. Die Erziehung zur Pluralität setzt aber in erster Linie voraus, dass je

(Herlich Marie Todsen-Reese)

der Mensch Kenntnisse der eigenen und anderer Kulturen hat. Dazu gehören unverzichtbar auch die religiösen Grundlagen dieser Kulturen.

(Jürgen Weber [SPD]: Das ist der Kern!)

Ein Spannungsverhältnis zwischen der Verfassungsnorm wonach die Schüler beziehungsweise Eltern mit ihrem Bestimmungsrecht zur Teilnahme auch einen Anspruch auf Religionsunterricht haben, und der Realität ist dadurch gegeben, dass die Gesellschaft weltanschaulich immer stärker gemischt ist. Eine Folge dieser Entwicklung besteht darin, dass Religionsunterricht beziehungsweise religiöse Bildung manchmal bloß als ein Instrument oder als eine Form der allgemeinen Werteerziehung angesehen wird. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, greift wesentlich zu kurz. Werte lassen sich natürlich - das weiß jeder - auch ohne Bezug auf Religion begründen.

Ebenso richtig ist aber auch - und so begründen es die Kirchen -, dass der Glaube nicht auf Werten beruht, sondern umgekehrt Werte aus dem Glauben folgen. Es geht also um mehr als eine bloße vergleichende Wertelehre. Der Staat ist dabei zur Neutralität verpflichtet und kann beziehungsweise darf die religiösen Inhalte und Ziele nicht festlegen oder gar vorschreiben; auch deshalb wird der Religionsunterricht nicht staatlich normiert, sondern in Übereinstimmung mit und von den Kirchen und Religionsgemeinschaften erteilt. Natürlich danken wir hier auch den Religionslehrerinnen und Religionslehrern an unseren Schulen, die gerade in dieser Zeit eine herausragende Arbeit leisten.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Aber es gilt natürlich auch hier, dass die formale Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wenn man die Daten in den Antworten liest - weder etwas über den Glauben noch über die Teilnahme am kirchlichen Leben oder die Kenntnisse der Geschichte der eigenen Religionsgemeinschaft aussagt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute von einer Renaissance des Glaubens, von einer Rückkehr der Religion. Viele Menschen suchen Orientierung, wir haben eine breit gestreute Wertedebatte in dieser Gesellschaft. Viele Menschern stellen sich, aber auch uns die sogenannte und berühmte Sinnfrage. Deshalb wächst nicht nur die Bedeutung des Religionsunterrichtes, sondern damit lässt sich seine besondere Stellung unter den Fächern überzeugend begründen.

Die Antwort auf die Große Anfrage enthält eine große Menge an Daten, für deren Erstellung ich dem Bildungsministerium und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgesprochen Dank sage.

(Beifall)

Dass im Rahmen einer Großen Anfrage oder eines Berichts nicht die Situation jeder einzelnen Schule abgefragt werden kann, versteht sich von selbst. Wir sollten - vielleicht darf ich das in Anspielung auf die Sätze von Frau Todsen-Reese kurz hinzufügen - im Übrigen die bürokratische Belastung der Schulen und ihrer Lehrkräfte nicht verschärfen, sondern da, wo es möglich ist, abbauen.

(Beifall bei der SPD)

Wer Daten vermisst, dem möchte ich sagen: Die Beantwortung einer solchen Anfrage ist für uns der Beginn einer politischen Debatte und nicht der Abschluss. Hier wird noch sehr viel zu diskutieren sein und diese Frage wird wohl allgemein so gesehen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Lassen Sie mich einige Punkte erläutern: Gerade für diejenigen Kinder, die nicht einer der beiden großen Konfessionen angehören, gibt es aber nur wenige Möglichkeiten, innerhalb der Schule Religionsunterricht zu erhalten. Das betrifft neben Schülern jüdischen Glaubens auch orthodoxe Schüler ost- und südosteuropäischer Herkunft. Hierüber werden wir in Zukunft reden müssen.

(Zuruf des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])