Essstörungen leiden, Tendenz weiter steigend. Dass es sich bei diesen Betroffenen nicht nur um Erwachsene handelt, haben die Ergebnisse von Schleswig-Holstein-Modul, des Kinder- und Jugendgesundheitsberichtes des Robert-Koch-Instituts, deutlich gemacht. Die Grundlagen für Essstörungen werden bereits bei Kindern und Jugendlichen gelegt. Fast jedes fünfte Kind in Schleswig-Holstein weist kein normales Essverhalten auf. Bei den 17-jährigen Mädchen sind es bereits rund 30 %.
Von den Risiken des Übergewichts und der Essstörungen sind vor allem Kinder aus sozial niedrigeren Schichten betroffen. Kinder nehmen Essen oftmals als negativ wahr. Dabei wird gern vergessen, dass Essen nicht nur Nahrungsaufnahme ist, sondern auch Ausdruck ist von Identität und Kreativität, deren psychologischen Aspekt man nicht unterschätzen sollte.
Genau an dieser Stelle lassen sich neben mangelnder Bewegung und falscher Ernährung soziale Fehlentwicklungen als Ursache feststellen. In den Familien werden kaum noch gemeinsame Mahlzeiten eingenommen. Schlimmstenfalls findet Essen in Form von Nahrungsaufnahme vor dem Fernseher statt und Kinder werden nebenbei abgefüttert, anstatt sie in den Einkauf und in die Zubereitung des Essens mit einzubeziehen. Deutlich wird sowohl aus dem Kinder- und Jugendgesundheitsbericht als auch aus dem Bericht der Landesregierung, dass Essstörungen, abhängig vom jeweiligen Geschlecht, unterschiedlich und in unterschiedlicher Intensität auftreten.
Auch wenn wir nicht alle Aspekte des Antrages der Grünen teilen, so gibt uns die aktuelle Studie des Robert-Koch-Instituts für Kinder- und Jugendgesundheit einen klaren Handlungsauftrag. Wenn beispielsweise Kinder im Alter von sechs Jahren zu 11,3 % bei den Mädchen und zu 10,8 % bei den Jungen übergewichtig oder adipös sind, müssen Angebote entwickelt werden, um diese Kinder und deren Eltern bereits vorher zu erreichen. Modellprojekte in einzelnen Regionen mit entsprechenden Zusatzmodulen reichen an dieser Stelle nicht mehr aus, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Vielmehr brauchen wir eine Vernetzung der bestehenden Angebote in Schleswig-Holstein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein landesweites Konzept, das alle Maßnahmen noch mehr bündelt und aufeinander abstimmt, gibt es leider noch nicht.
Dabei ist es wichtig, die verschiedensten Ebenen in die Präventionsarbeit mit einzubeziehen. Gerade Kindertagesstätten und Schulen bieten sich als Orte an, um diese Kinder zielgruppenspezifisch zu erreichen. Das funktioniert aber nur, wenn die Pädagogen mit einbezogen werden.
Wenn die heutige Debatte dazu führt, künftig spezielle Präventionsangebote für bestimmte Zielgruppen zu entwickeln und diese flächendeckend anzubieten, haben wir viel erreicht. Diese Angebote sollten Bestandteil eines Gesamtkonzeptes sein, das alle Erkenntnisse des Kinder- und Jugendgesundheitsberichtes mit einbezieht. Die Landesregierung sollte gemeinsam mit den Kommunen, Verbänden und Eltern dieses Gesamtkonzept abarbeiten. Dafür brauchen wir kein Einzelkonzept, wie es von den Grünen gewollt ist.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hildebrand. Für den SSW im Landtag hat der Herr Abgeordnete Lars Harms das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Saison der Modenschauen in Mailand, Paris und New York läuft gerade. Da sieht man sie wieder: spindeldürre Models, deren Anblick für tausende Jugendliche in Deutschland zum Ideal geworden ist. Demzufolge hungern sie oder leiden unter Brech- und Fressattacken, die ihren Körper, sollten sie es überleben, lebenslang zeichnen werden.
Essstörungen sind ein komplexes Suchtphänomen, auch in unserem Land. Schätzungsweise jeder 20. Magersüchtige verstirbt an der Krankheit. Beratung, Therapie und die Prävention sind in diesem Zusammenhang also durchaus kein Luxusproblem.
Die weit reichenden Konsequenzen dieses Suchtphänomens hat auch die Sozialministerin in ihrem Bericht zum Thema Essstörungen dargelegt. Sie weiß durchaus um die Sorgen und Nöte der Essgestörten und ihrer Familien, denen allerdings in Schleswig-Holstein eine regional unzureichende Beratungsstruktur gegenübersteht. Der Bericht der Ministerin vor dem Sozialausschuss endet mit dem Absatz - ich zitiere -:
Da eine ausreichende Versorgung, beispielsweise bezüglich der Beratungsstellen, die Essgestörte teilweise an andere verweisen müssen, nicht gewährleistet ist, folgt meines Erachtens daraus zwingend, dass in absehbarer Zeit dezentral für mehr Beratung gesorgt werden muss.
Doch wie so oft in der Politik, haben objektive Gefahrenlagen überhaupt nichts mit Problemlösungen zu tun. Der Handlungsdruck wird einerseits anerkannt, aber andererseits fehlt oft die konkrete Umsetzung. Diesbezüglich muss man gerade vor Ort handeln und Beratungsstellen, Ärzte und Informationsangebote von Krankenkassen miteinander verbinden. Dabei hat sich die Große Koalition selbst in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, als sie gelobte ich zitiere wieder -:
„Ziel ist ein landesweites Netz regionenbezogener ambulanter Grundversorgung von suchtgefährdeten und abhängigen Menschen und ihren Bezugspersonen.“
Die Landesregierung muss auch sagen, wie sie die einzelnen Akteure in den Regionen, die durchaus sehr unterschiedlich strukturiert sind, unterstützen will. Ein bisschen schlechtes Gewissen beim Nichtstun oder bei der Missachtung selbst gesteckter Politikziele tritt deshalb ebenfalls zutage. Der Grund liegt auf der Hand: Allen Beteiligten ist klar, dass akuter Handlungsbedarf besteht, doch wie er finanziell zu unterfüttern ist, weiß keiner so recht. Aber das ist die eigentliche Frage, die sich für uns alle stellt.
Dabei ist völlig zweitrangig, ob jetzt ein sogenanntes landesweites „Bündnis gegen Essstörungen“ errichtet wird, ob es irgendwie anders heißt oder anders organisiert wird. Hier sehen wir eher die Chance, regionale Aktivitäten zu unterstützen, anstatt ein landesweites Konzept überzustülpen. Eine kompetente Beratung durch professionelle Berater muss aber überall im Land gewährleistet werden.
Wie steht es beispielsweise um die Suchtberatungsstellen? Mündet die Essstörung in massive gesundheitliche Probleme, so werden Therapie und Behandlung um ein Vielfaches teurer als eine flächendeckende Beratungsstruktur. Das sollte eigent
Darum müssen nun den Analysen Taten folgen und in allen Kreisen kompetente Institutionen unterstützt werden, um ein breites Beratungsangebot zu gewährleisten. Dort, wo es keines gibt, sollten schleunigst Qualifizierungsmaßnahmen eingeleitet werden, um eine wohnortnahe Beratungsstruktur auszubauen. Die Suchtberatungsstellen bieten sich hierfür an. Das ist bereits Standard bei anderen Suchtphänomenen, und sollte es auch bezüglich der Essstörungen sein. Man sollte wirklich in den Suchtberatungsstellen für diese Art der Sucht - es ist wirklich eine Sucht - eine vernünftige und adäquate dezentrale Beratung bekommen,. Das sollte unser aller Bestreben sein, unabhängig davon, wie wir es nennen. Es geht wirklich nur darum, dass wir den Betroffenen helfen.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Für die Landesregierung hat die Sozial- und Gesundheitsministerin, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Inzwischen ist die Einsicht weit verbreitet, dass Essstörungen ein wichtiges gesundheitspolitisches, vor allem auch jugendpolitisches Thema sind. Dies auch, weil Studien deutlich machen, dass wir es mit einer Zunahme von Essstörungen zu tun haben, und zwar in all den Ländern, in denen ausreichende Nahrungsangebote vorhanden sind. Das ist ganz besonders ein Problem in den westlichen Industrieländern, man kann auch sagen: Es ist ein Problem der Wohlfahrtsstaaten.
Wer nach genauen Zahlen über dieses Problem forscht, stellt fest, dass wir in der Literatur auf eine sehr unterschiedliche Datenlage treffen. Deshalb hier in aller Kürze nur einige prägnante Feststellungen aus seriösen Quellen.
Aus den im letzten Jahr vorgelegten Zahlen des bundesweit repräsentativ angelegten Kinder- und Jugendgesundheitsservice ergab sich bei Kindern und Jugendlichen im Alter von elf bis 17 Jahren das ist die zentrale Zielgruppe für diese Thematik bei 22 % ein auffälliges Essverhalten mit einer Häufung bei Mädchen.
Aus unserem Bericht zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein wissen wir, dass mit 23,4 % Mädchen einen deutlich höheren Anteil gegenüber Jungen mit 14,2 % aufweisen. Das wirft geschlechtsspezifische Fragen auf, die in diesem Kontext und auch bei der Therapie zu berücksichtigen sind.
Der von der Landesregierung vorgelegte Bericht über das Thema Essstörungen, den ich hier in der Kürze nicht darstellen kann, zeigt sehr differenziert auf, dass wir ein ganzes Bündel an Maßnahmen brauchen und dass es nicht die eine Lösung gibt, nicht die eine Beratungsstelle, nicht das eine Angebot, sondern es im Bewusstsein aller sein muss, dass das Problem der Essstörungen schon bei der Geburt und der Entwicklung von Kindern im Kindergartenalter anfangen kann. Deswegen haben wir eine Reihe von Aktivitäten entwickelt, die darauf zielen, dass sich das Essverhalten und die Versorgungssituation der Kleinsten verändert, damit die Probleme nicht gleich zu Beginn entstehen.
Wir brauchen - das ist hier deutlich geworden - neben den vielfältigen Angeboten, die wir haben, vor allen Dingen eines: dass sich die Angebote zu einer Versorgungskette weiterentwickeln, dass es abgestufte, zwischen niedergelassenen, Beratungs- und stationären Angeboten stimmige Behandlungspläne gibt, die auch mit den Betroffenen selbst intensiv erörtert sein müsse.
Das ist nicht nur ein Problem beim Thema Essstörungen; es ist eine grundsätzliche Herausforderung an unser Gesundheitswesen, dass es integrierte Behandlungspläne gibt.
Natürlich ist klar, dass wir gerade auch bei Essstörungen Maßnahmen der Prävention brauchen. Ich sagte schon, da fangen wir bei den Allerkleinsten an. Wir brauchen Angebote der Selbsthilfe. Gerade im Jugendalter sind Selbsthilfeangebote häufig wirksamer als der pädagogische Zeigefinder von Erwachsenen. Wir brauchen Beratungsstellen, die im Wissen um dieses Problem sehr zielgenaue Hilfestellung geben können. Wir brauchen Psychotherapie und natürlich müssen die stationären, klinischen Angebote, die wir haben, auf diese Herausforderung eingestellt sein.
Wenn das nicht in Schleswig-Holstein gelingt, weiß ich nicht, wo. Denn wir wissen, dass wir in Schleswig-Holstein ein im Vergleich zu anderen Bundes
ländern unglaublich gut entwickeltes stationäres Angebot in diesem Bereich haben. Auch im ambulanten Bereich, insbesondere auch im Bereich der Tageskliniken, sind wir federführend. Wenn nicht hier, wo denn sonst wird diesen Menschen mit Essstörungen geholfen werden können?
Wir wissen, dass wir ein im Prinzip gut ausgebautes Versorgungsnetz haben. Wir wissen aber auch - das zeigt sich an einigen Regionen - ,dass es auf die Vernetzung, auf die Zusammenarbeit, auf die abgestufte Hilfe ankommt. Deswegen ein Kompliment an die Regionen, die dies schon auf den Weg gebracht haben. Dies muss Vorbild, Herausforderung und Mahnung an die anderen Regionen sein, ein solches Netzwerk aufzubauen. Nicht nur die Landesregierung, alle Abgeordneten können mit dazu beitragen, dass in ihren Regionen ein solches Netzwerk entsteht. Dann wird deutlich, welche Lücken es in den jeweiligen Regionen noch gibt, und die sind von Region zu Region - das hat unsere Bestandsaufnahme gezeigt - unterschiedlich. Deswegen muss es regional auch unterschiedliche Bausteine geben.
Es ist im Übrigen nicht ausschließlich Aufgabe der Landesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass es diese Angebote gibt, es ist auch Aufgabe der kommunalen Daseinsvorsorge, es ist Aufgabe der Krankenkassen, im wohlverstandenen Eigeninteressen, hier frühzeitig vernünftige Angebote zu machen. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen.
Ich will hier nicht noch auflisten, wer sich bereits jetzt alles in diesem Bereich engagiert. Sie können das dem Bericht entnehmen. Wir stehen bei Weitem nicht am Punkt null. Die Zurückweisung eines eigenen landesweiten Bündnisses - Frau Birk, da sind Sie ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen - bedeutet nicht, dass wir nicht gerade diesen Zielgruppen eine besondere Hilfe zukommen lassen wollen.
Wir haben deutlich gemacht, dass wir in der Versorgung im ambulanten Psychotherapiebereich Probleme sehen. Wir haben dazu erste Gespräche mit den betroffenen Kammern und Kassen geführt: Es ist deutlich geworden, dass es dort ein Interesse gibt, sich dieser Problematik zu stellen.
Ziel ist, zumindest für ein Erstgespräch eine andere Ausgangssituation zu schaffen. Das schien ein riesi
ges Problem zu sein. Vor diesem Hintergrund muss ein schnellerer Zugang in Zukunft überall sichergestellt werden.