Protokoll der Sitzung vom 27.02.2008

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

- Integration heißt nicht, lieber Kollege Arp, die eine Heimat über die andere zu stellen. Integration heißt, eine Vielfalt zu einer Einheit zu verschmelzen. Die doppelte Staatsanghörigkeit für Jugendliche mit zwei Pässen ist dazu ein guter Beitrag. Wir sollten uns tatsächlich auf diesen Wege begeben.

Herr Kollege Puls, erlauben Sie mir noch eine letzte Anmerkung zur Kampagnenfähigkeit der SPD. Ich habe schon einmal darauf hingewiesen: Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie aus der Koalition ausbrechen und diese aufs Spiel setzen.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Aber nach außen Kampagnen zu fahren und sich im Parlament anders zu verhalten ist schwer vermittelbar.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Das ist nicht nur für die SPD schwer vermittelbar und trägt nicht gerade zur Glaubwürdigkeit bei, sondern ist auch schwer vermittelbar für das politische System insgesamt. Es gäbe auch eine Mehrheit gegen die Oppositionsfraktionen, wenn die Union alleine stimmen würde und die Sozialdemokraten sich enthalten würden. Das könnte man vielleicht auch machen, weil die Erklärung nach draußen, Sie seien eigentlich anderer Auffassung, wollten aber an einer erfolgreichen Koalition festhalten, die nicht Ihrer Auffassung ist, wirklich erklärungsbedürftig ist.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Kubicki. Das Wort für die Landesregierung hat Herr Innenminister Lothar Hay.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde mich in meinem Redebeitrag schwerpunktmäßig mit den beiden Anträgen der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP und der Abgeordneten des SSW zur ärztlichen Begutachtung traumatisierter ausreisepflichtiger

Personen und zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen beschäftigen. Letzteres mache ich dann auch für das zuständige Jugendministerium.

Was den Bereich des Staatsangehörigkeitsrechts betrifft, so ist aus meiner Sicht und was meine persönliche Auffassung betrifft in der Debatte des letzten Jahres vom damaligen Innenminister Dr. Ralf Stegner alles gesagt worden.

Was die Durchführung der Abschiebungshaft betrifft, ist durch den Erlass vom 25. Februar 2008 aus meiner Sicht den Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss Rechnung getragen worden. Dass natürlich nicht alle Punkte des Flüchtlingsbeauftragten aufgenommen worden sind, hat auch etwas damit zu tun, dass man abwägen muss, was mit dem geltenden Recht und Urteilen in Einklang zu bringen ist.

Der Umgang mit traumatisierten Ausländerinnen und Ausländern, die kein Bleiberecht besitzen, beschäftigt seit Jahren die öffentlichen Verwaltungen und die Politik. Um es vorwegzunehmen: Auch uns wird es bei diesem komplexen Thema nicht gelingen, eine Lösung zu finden, die allen Interessen gerecht werden kann.

Bei den zu untersuchenden Personen handelt es sich in fast allen Fällen um ausreisepflichtige Ausländerinnen und Ausländer, bei denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag negativ beschieden und festgestellt hat, dass keine sogenannten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse vorliegen. Damit ist gemeint: Es steht rechtskräftig fest, dass den Betroffenen trotz ihrer Traumatisierung im Fall einer Rückkehr in ihr Heimatland keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Insbesondere hat sich das Bundesamt damit beschäftigt, ob eine eventuell notwendige ärztliche Behandlung im Heimatland fortgeführt werden kann. Die Ausländerbehörden und ich als Innenminister sind gesetzlich an diese Entscheidungen gebunden.

In eigener Zuständigkeit haben die kommunalen Behörden lediglich festzustellen, ob inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse vorliegen. Bezogen auf die vorliegende Problematik muss geklärt werden, ob trotz der Traumatisierung eine sogenannte Flugreisetauglichkeit gegeben ist. Die Rechtsprechung hat sich dahin gehend gefestigt, dass die Flugreisetauglichkeit in den meisten Fällen durch begleitende Pfleger beziehungsweise Ärzte sichergestellt werden kann. Ich stimme Ihnen zu, dass ein fachärztliches Gutachten - ich betone ausdrücklich: ein fachärztliches Gutachten! - Grundlage für

(Wolfgang Kubicki)

die Flugreisetauglichkeitsprüfung sein muss. Um mögliche Abschiebungshindernisse bei den Behörden geltend zu machen, lassen sich die Betroffenen von ihren behandelnden Psychiatern oder Psychotherapeuten ein Gutachten erstellen. Damit ist dann die von den Antragstellern geforderte fachärztliche Untersuchung durchgeführt worden. Sofern die Traumatisierung als solche von den Behörden nicht in Zweifel gezogen wird und lediglich die Prüfung der Flugreisetauglichkeit erfolgen soll, ist eine erneute fachärztliche Untersuchung in den meisten Fällen nicht mehr erforderlich. Dies haben verwaltungsrichterliche Entscheidungen aus SchleswigHolstein bestätigt.

Sollte mit dem Antrag gemeint sein, dass die Untersuchung auf Flugreisetauglichkeit erneut durch einen Facharzt erfolgen soll, halte ich dies zwar für wünschenswert, ich sehe aber keine Möglichkeit, dies den Kommunen verbindlich vorzuschreiben. Die Ausländerbehörden prüfen im Rahmen ihres Ermessens selbst, welche Schritte unternommen werden müssen, um zu einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage zu kommen. Die Begründung des Antrags, der heute vorliegt, ist da aus meiner Sicht nicht ausreichend.

Traumatisierung bedeutet nicht automatisch das Vorliegen einer Flugreiseuntauglichkeit. Betroffene, die trotz Traumatisierung ausreisen sollen und humanitäre Bedenken gegen ihre Rückkehr in ihr Heimatland geltend machen, kann ich persönlich verstehen. Dennoch kann ich aus den genannten Gründen die Ausländerbehörden nicht anweisen, bei Vorliegen einer Traumatisierung grundsätzlich auf die Durchsetzung der vollziehbaren Ausreiseverpflichtungen zu verzichten. Hierfür stehen andere humanitäre Instrumente wie zum Beispiel die Härtefallkommission zur Verfügung, die mir in geeigneten Einzellfällen Vorschläge für die Erteilung humanitärer Bleiberechte machen kann. Soll eine Traumatisierung hingegen automatisch zu einem humanitären Bleiberecht führen, bedarf es meines Erachtens hierzu einer Änderung bundesgesetzlicher Vorschriften.

Das Gleiche gilt auch für die Aufforderung, dass die Landesregierung die Ausländerbehörden anweisen soll, Ausreisepflichtigen die Hinzuziehung einer Vertrauensperson zu gestatten, obwohl ich vom Grundsatz her sage, dies müsste möglich sein.

Die Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss hat gezeigt, dass die Anwesenheit bestimmter Personen im Einzelfall sogar kontraproduktiv im Hinblick auf eine Sachverhaltsermittlung sein kann. Im Übrigen handelt es sich bei den in Rede stehenden Un

tersuchungen nicht um Zwangsuntersuchungen. Die ausländischen Bürgerinnen und Bürger wollen die Feststellung, dass sie nicht reisen können. Es gehört zu ihren Mitwirkungspflichten, in ihrem Interesse an einer Untersuchung teilzunehmen. Bleiben sie fern, verweigern sie sich, muss unter Einbeziehung vorliegender Gutachten nach Aktenlage entschieden werden.

Nun zu dem Antrag „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“. Die Antragsteller stellen völlig zu Recht fest, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gemäß § 42 SGB VIII vom Jugendamt in Obhut zu nehmen sind. Das hat der Bundesgesetzgeber so geregelt. Die Inobhutnahme dient der Abklärung, welche weiteren Hilfen und Leistungen im Rahmen der Jungendhilfe im Einzelfall für notwendig und geeignet gehalten werden. Sie gehört zu den Aufgaben der Jugendämter und wird von den dort tätigen Fachkräften nach jugendfachlichen Gesichtspunkten ausgeführt. Das bedeutet aber nicht, dass gleichzeitig die Bestimmungen des Ausländerrechtes, des Strafrechtes oder anderer Rechtsvorschriften nicht gelten. Deshalb erweckt der zweite Satz des Beschlussvorschlages den falschen Eindruck, dass neben den Regeln der Jugendhilfe keine anderen Rechtsvorschriften Anwendung finden.

Die Jugendämter nehmen die ihnen gemeldeten oder zugeführten minderjährigen Flüchtlinge in ihre Obhut und klären das weitere Verfahren eigenständig. Nur soweit bei jugendlichen Asylbewerbern ab 16 Jahren nach Prüfung durch das Jugendamt keine weitere Betreuung in einer Jugendhilfeeinrichtung erforderlich ist, werden sie der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende zugewiesen.

Zu den übrigen Forderungen wird seitens der Landesregierung erneut darauf hingewiesen, das die Kreise und Städte die Aufgaben der Jugendhilfe als örtliche Träger nach dem SGB VIII und dem Jugendförderungsgesetz des Landes in eigener Verantwortung durchführen. Es gibt hier keine fachliche Aufsicht oder Weisungsbefugnis beim Land. Dies hat der Bundesgesetzgeber ausdrücklich so gewollt. Der Landesgesetzgeber hat es im Jugendförderungsgesetz mehrfach bekräftigt.

Die von den Antragsstellern gewünschte verbindliche Festlegung eines Clearingverfahrens widerspricht ausdrücklich dem erklärten Willen der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften und der kommunaler Landesverbände. Eine Nachfrage hat ergeben, das lediglich in drei Bundesländern ein Clearingverfahren stattfindet. Insofern habe ich andere Zahlen als Sie, Herr Harms.

(Minister Lothar Hay)

1 Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung liegt als Anlage bei

Nach einer Umfrage hat es im Jahr 2007 in Schleswig-Holstein elf Jugendliche unter 16 Jahren und 22 im Alter zwischen 16 und 18 Jahren gegeben. Das bezieht sich auf neun Kreise in Schleswig-Holstein. Unterstellt man ähnliche Zahlen für die übrigen Kreise, gehe ich davon aus, das die Jugendämter den Herausforderungen gewachsen sein müssten.

Das Sozialministerium hat bereits im vergangenen Jahr den Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom Mai 2007 mit den Arbeitsgemeinschaften der Jugendamtsleitungen erörtert, sich für ein einheitliches Verfahren nach § 42 SGB VIII für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einzusetzen. Alle Jugendämter haben unisono dazu erklärt, angesichts der bestehenden geregelten Verfahren zur Inobhutnahme in den Kreisen und kreisfreien Städten gebe es keinen Bedarf für eine einheitliche Handlungsanweisung durch das Land.

Zu der Frage, ob die Jugendämter mit jedem Einzelfall sensibel genug umgehen, lassen Sie mich Folgendes sagen: Es kommt für mich darauf an, die ausgewiesenen Jugendlichen in ihrer Individualität zu berücksichtigen, ihre individuellen Bedürfnisse zu berücksichtigen, sie als eigenständige Persönlichkeit wahrzunehmen und vor allen Dingen darauf zu achten, dass ihre Menschenwürde gewahrt bleibt. Dafür müssen die Jugendämter und die anderen handelnden Behörden sorgen. Das ist selbstverständlich auch im Interesse der Landesregierung.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Herrn Innenminister. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratungen. Wir kommen zur Abstimmung über Teile a) bis d) der gemeinsamen Beratung.

Zu den Punkten a) und b) ist Ausschussüberweisung beantragt worden. Wer die Anträge Drucksachen 16/1878 (neu) und 16/1892 (neu) dem Innenund Rechtsauschuss überweisen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist so beschlossen worden.

Es folgt die Abstimmung zu Teil c), Tagesordnungspunkt 40. Der Ausschuss empfiehlt in der Drucksache 16/1860 die Ablehnung des Antrages Drucksache 16/1419 (neu). Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und SPD gegen die Stim

men der Fraktionen von FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der Abgeordneten der SSW abgelehnt worden.

Wir kommen zu Teil d), zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 41. Der Ursprungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zu dem eine Beschlussempfehlung vorliegt, liegt nunmehr in modifizierter Form vor. Die FDP-Fraktion und die Abgeordneten des SSW sind dem Antrag beigetreten. Es handelt sich um die Drucksache 16/1485 (neu) , die Ihnen vorliegt.

Über diesen modifizierten Antrag ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Beurlaubt sind neben den erkrankt gemeldeten Kolleginnen und Kollegen der Herr Abgeordneter Fischer aus persönlichen Gründen und durch den Herrn Präsidenten die Abgeordneten, die sich im Moment bei der Besuchergruppe befinden.

Da gemäß § 63 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmungen nur stattfinden, wenn 18 Abgeordnete sie verlangen, wäre es für die Opposition in dieser Legislaturperiode nicht möglich, eine namentliche Abstimmung durchzusetzen. CDU und SPD haben sich aber im Koalitionsvertrag verpflichtet, diese Abstimmung möglich zu machen. Ich lasse also zunächst über die Durchführung einer namentlichen Abstimmung abstimmen. Wer dem Antrag auf namentliche Zustimmung zustimmen will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?- Das ist einstimmig so beschlossen worden.

Wir stimmen nun in namentlicher Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW Drucksache 16/ 1485 (neu) ab. Bei einer Annahme stimmen Sie bitte mit Ja, ansonsten mit Nein.

(Namentliche Abstimmung) 1 Das Ergebnis liegt vor. Der Antrag ist mit 54 Neinstimmen und mit zehn Jastimmen abgelehnt worden. Wir treten in die Mittagspause ein und setzen die Sitzung um 15 Uhr mit Tagesordnungspunkt 9 zur Änderung des Schulgesetzes fort. (Unterbrechung: 12:56 bis 15:02 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung wieder und rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

(Minister Lothar Hay)

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes

Gesetzentwurf der Fraktion der FDP Drucksache 16/1875

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug von der FDP-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion will mit ihrem Gesetzentwurf die Schulsozialarbeit zur gemeinsamen Aufgabe des Landes und der Kommunen machen. Nach derzeitigem Stand bleibt diese Aufgabe allein an den kommunalen Schulträgern hängen. Ohne entsprechendes Engagement des Landes sind aber Sozialpädagogen und andere Fachkräfte aus diesem Bereich selbst in Schulen, die im Bereich sozialer Brennpunkte liegen, nur sehr selten anzutreffen. Wer diese unbefriedende Situation ändern will, der muss dem Vorschlag der FDP folgen und das Land für den Bereich der Schulsozialarbeit mit in die Pflicht nehmen.

(Beifall bei der FDP)

Schulsozialarbeit hat vielfältige Tätigkeitsfelder. Sie hilft Schülern, die in ihrem sozialen Umfeld oder innerhalb der Klassengemeinschaft beziehungsweise mit anderen Schülern Probleme und Konflikte haben. Sie übernimmt dabei wesentliche Beratungsfunktionen für Schüler und Lehrer. Sie dient des Weiteren einer stärkeren Ansprache der Eltern, insbesondere an jenen Schulen, die in ihrem Einzugsbereich in einem höheren Maß mit sozialen Problemen konfrontiert sind. Sie kann wesentliche Aufgaben in der Gewalt- und Suchtprävention wahrnehmen und dem Problem des Absentismus entgegenwirken.

Die Einbeziehung sozialpädagogischer Fachkräfte in Ganztagsangebote und außerunterrichtliche Aktivitäten wäre an vielen Schulstandorten eine enorme Hilfe für viele Schüler und den Erfolg der Schulen insgesamt. Vor allem Schüler, deren Bildungserfolg andernfalls hochgradig gefährdet wäre, können dadurch Bildungs- und Lebenschancen erhalten, die andernfalls nicht gesichert werden könnten So ließe sich verhindern, dass viele Schüler wie bisher in „Warteschleifen“ landen oder ohne Abschluss aus der Schule abgehen und damit von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen bleiben.