Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

Vor diesem Hintergrund fehlt dem SSW auch eine stärkere Anstrengung der Landesregierung im Rahmen der deutsch-dänischen Zusammenarbeit. Es ist schon traurig, wenn sich der dänische Konzernchef Jørgen Mads Clausen von Danfoss öffentlich darüber beklagt, dass die deutsche Seite auf Vorschläge von dänischen Experten für eine gemeinsame Wirtschaftsstrategie zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen für Sønderjylland und den Landesteil Schleswig nicht reagiert hat. Der nördliche Landesteil hat nur gemeinsam mit seinem nördlichen Nachbarn eine wirtschaftliche Perspektive. Zu dieser wirtschaftlichen Perspektive gehört übrigens auch die weitere Förderung der Windenergie.

(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir werden um jeden Arbeitsplatz im Bereich der Windenergie in Schleswig-Holstein kämpfen. Wir lassen uns gute Projekte in unserer Region nicht kaputtmachen.

(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist verständlich, dass die Landesregierung versucht, den Haushalt in den Griff zu bekommen, indem sie in vielen Bereichen Kürzungen vornimmt. Dennoch kann man die Sinnhaftigkeit einiger dieser Kürzungen aus unserer Sicht durchaus infrage stellen. Der SSW sieht es zum Beispiel kritisch, dass die Landesregierung die Arbeitszeit der Landesbediensteten verlängern und die Heilfürsorge kürzen will, ohne in einen vernünftigen Dialog mit den Betroffenen einzutreten. Wie sollen wir auf diese Weise motivierte Mitarbeiter in den Landesdienst bekommen, die wir ja angesichts des enormen Veränderungsdrucks in der öffentlichen Verwaltung dringend brauchen? Ich sage es noch einmal: Eine gut funktionierende öffentliche Verwaltung ist auch ein Standortfaktor.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Auch einige der Kürzungen im Sozialbereich sind für uns nicht nachvollziehbar, so zum Beispiel die Kürzungen bei den Beratungsstellen „Frau und Beruf“, den Sprachkursen für Ausländer oder den vielen Arbeitslosenberatungsstellen. Wegen geringer Beträge

wird hier eine sehr gute Arbeit infrage gestellt. Wir sehen es weiterhin als bedenklich an, dass im Umweltbereich scheinbar aus ideologischen Gründen viele unverständliche Kürzungen vorgenommen werden.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Besonders schmerzhaft ist dabei, dass die Entschädigung für Nutzungsbeschränkungen in den NATURA2000-Gebieten für Grünland und für Vertragsnaturschutz gekürzt wird. Das ist ein falsches Signal. Dadurch fehlt zum Beispiel Geld für Naturschutzprogramme, die als Ausgleich für Benachteiligungen durch die Ausweisung von Schutzgebieten gedacht waren. Davon sind nicht zuletzt auch Landwirte auf Eiderstedt betroffen. Das wurde auch in der Debatte heute Morgen schon deutlich.

Ich will aber auch lobend erwähnen, dass die Landesregierung für die Arbeitsmarktpolitik 5 Millionen € mehr zur Verfügung stellen will. Auch die Erhöhung der Mittel für die allgemein bildenden Schulen im Haushalt 2006 findet unsere Unterstützung. So sollen die Ausgaben des Landes im Bereich der Unterrichtsversorgung von 2005 auf 2006 von 92 Millionen € auf 106 Millionen € ansteigen. Das ist sicherlich eine richtige Schwerpunktsetzung, um die Qualität des Unterrichts voranzubringen. Das Thema der ungeteilten Schule allerdings können wir, wie ich denke, unter dieser Regierungskoalition zu den Akten legen. Das fällt uns zwar schwer, aber so ist es nun einmal. In der Bildungspolitik ist von dieser Landesregierung kein großer Wurf zu erwarten.

Das Gleiche wird man wohl auch hinsichtlich der Verwaltungsstrukturreform sagen können. Wir werden uns im November noch im Detail mit den Plänen der Landesregierung dazu befassen. Das, was wir bis heute zum Beispiel über die Einrichtung von Dienstleistungszentren und die Zusammenlegung der Verwaltungen vernommen haben, ohne den demokratischen Unterbau mit über 1.100 Kommunen wirklich zu ändern, hat den SSW nicht überzeugt.

Bei der Kommunalreform geht es nicht darum, irgendetwas kaputtzumachen, es geht darum, dass Verwaltungen demokratisch kontrolliert werden müssen. Das ist nur machbar, indem wir Kommunen bekommen, die auf gleicher Augenhöhe mit den neuen Verwaltungsstrukturen agieren können.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Im Haushalt sind jetzt die so genannten „Hochzeitsprämien“ eingestellt, aber diese bescheidenen Sum

(Anke Spoorendonk)

men werden die Kommunen kaum dazu bringen, sich freiwillig zusammenzuschließen.

(Lars Harms [SSW]: Mitnahmeeffekte!)

Für den SSW bleibt der wichtigste Maßstab bei der Verwaltungsstrukturreform Folgendes: Klare Verteilung von Kompetenzen und flache Strukturen und nicht die Schaffung neuer Verwaltungen wie die Dienstleistungszentren.

Das sehen übrigens eine Reihe von Verwaltungschefs, zum Beispiel die der Stadt Flensburg sowie die der Kreise Schleswig-Flensburg und Nordfriesland, ähnlich.

Im Haushaltsstrukturgesetz wird auch eine Änderung des Quotalen Systems vorgeschlagen, die erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Kreise und Kommunen haben wird. Aus Sicht des SSW muss die Landesregierung sicherstellen, dass die kommunalen Gebietskörperschaften durch diese Änderungen keinen finanziellen Nachteil haben. Ob die im Haushalt eingestellten 430 Millionen € dabei ausreichend sind, ist keinesfalls sicher. Hier muss die Landesregierung nachbessern oder die Umsetzung erst zum 1. Januar 2007 erfolgen lassen, wenn verlässliche Daten über die Folgekosten vorliegen.

Auch die Änderung des Kindertagesstättengesetzes und besonders die Aufhebung der Mindestverordnung im Kita-Bereich sieht der SSW sehr kritisch. Es ist zwar positiv, dass die Landesregierung weiterhin 60 Millionen € über den Kommunalen Finanzausgleich für die Kindertagesstätten ausgeben will, aber uns fehlt die Kontrolle darüber, wie die Kommunen mit diesem Geld umgehen werden.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Wir müssen uns also darüber unterhalten, wie das Land die Standards in den Kindertagesstätten in Zukunft sicherstellen will.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Minderheitenpolitik - sagt der Kollege Hay - ist ein Kernbereich des Landes Schleswig-Holstein. Das ist natürlich so. Denn immer wieder profiliert sich das Land im Ostseeraum, in internationalen Zusammenhängen mit der Minderheitenpolitik. Das ist richtig und das ist gut so.

Kollege Hay, Ihr Zusatz war allerdings überflüssig; denn Minderheitenpolitik heißt Gleichstellung von Mehrheit und Minderheit, nicht mehr und nicht weniger.

Ich sagte heute Morgen schon indirekt, dass der Minderheitenbereich bei diesem Haushaltsentwurf glimpflich davongekommen ist. Ich sagte auch, dass

der SSW dies als Signal dafür wertet, dass die Landesregierung die erfolgreiche Minderheitenpolitik des letzten Jahrzehnts fortsetzen will. Darüber freue ich mich, denn Minderheitenpolitik gilt eben nicht nur für Sonntage oder wenn die Sonne scheint.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Dennoch möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass viele Organisationen der dänischen Minderheit und der Friesen seit Jahren keine Erhöhung ihrer Zuschüsse erhalten haben.

(Rolf Fischer [SPD]: Immer überrollt! Bei anderen ist gekürzt worden! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Wir haben für Überrollungen gekämpft. Wir haben uns immer wieder dafür einsetzen und dafür kämpfen müssen. Auch eine Überrollung ist ein Sparbeitrag.

Der SSW wird sich im Rahmen der Haushaltsberatungen mindestens für eine Überrollung der Zuschüsse von SSF, Nordfriisk Instituut und der friesischen Kulturarbeit bemühen.

Gleichzeitig gehen wir weiter davon aus, dass die große Koalition spätestens 2008 wieder die reale Bezuschussung von 100 % pro Schülerin und Schüler der dänischen Minderheit einführen wird, eine Regelung - ich sage das noch einmal, um die CDU lecker zu machen -, die übrigens der CDU-Ministerpräsident Barschel 1985 nach Verhandlungen mit dem SSWAbgeordneten Karl Otto Meyer eingeführt hatte.

Ich möchte heute aber auch auf ein anderes Problem der finanziellen Gleichstellung hinweisen. Wir erleben gerade, dass sich die nördlichen Kreise aus der Finanzierung der Schülerbeförderung herausziehen werden, und zwar mit der Begründung, dass dies eine freiwillige Leistung sei. Dabei gibt es schon seit 1997 Vorschläge, eine gesetzliche Lösung im Sinne der Gleichstellung zu erreichen. Der SSW hat dieses Thema nicht zuletzt auf Drängen der CDU-geführten Kreise in die Tolerierungsverhandlungen eingebracht und sich mit seinen damaligen Tolerierungspartnern auf eine gesetzliche Lösung geeinigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, daher können Sie sicher sein, dass der SSW in dieser Frage weiter am Ball bleiben wird. Denn für uns handelt es sich schlicht und ergreifend um ein entscheidendes Element der Gleichstellung von Mehrheit und Minderheit. Die Kreise zahlen ja auch zwei Drittel der Kosten der Schülerbeförderung der öffentlichen Schulen.

Der Haushalt 2006 ist aus Sicht des SSW von Licht und Schatten geprägt und wird kaum als großer Wurf in die Geschichte des Landes eingehen. Dennoch ist

(Anke Spoorendonk)

es das Politikverständnis des SSW, dass wir als Opposition nicht für den Papierkorb arbeiten. Unsere Zustimmung zum Haushalt werden wir daher von den kommenden Beratungen und Verhandlungen abhängig machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte über die Zukunft unseres Sozialstaates wird uns - wie gesagt - noch lange begleiten. Wir werden sie auf allen Ebenen unseres gesellschaftlichen Lebens zu führen haben. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch für die Finanzpolitik. Klar ist: Die Landespolitik muss ihre finanzpolitischen Schulaufgaben machen, um das Land finanzpolitisch wieder auf die Beine zu bringen. Dennoch kommen wir nicht umhin festzustellen, dass sich das Land aus eigener Kraft nicht wirklich aus dem Sumpf herausziehen kann. Das wird nur gelingen, wenn sich auch die bundespolitischen Rahmenbedingungen verbessern. Wir brauchen dringend Reformen auf Bundesebene, die es den Ländern ermöglichen, ihre Finanzen wieder in den Griff zu bekommen. Denn die Situation in Schleswig-Holstein ist trotz der angespannten Lage keineswegs einzigartig. Nahezu keines der 16 Bundesländer kann einen verfassungsmäßigen Haushalt aufstellen.

Das heißt, noch nie war die Lage der gesamten Staatsfinanzen - ob Bund, Länder oder Kommunen - so bedrohlich. Wir erleben seit dem Anfang der Stagnationsperiode 2002 einen beispiellosen Niedergang der öffentlichen Haushalte. Natürlich spielen dabei die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die damit verbundenen Folgekosten eine entscheidende Rolle. Allerdings kann ich mir nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass die Steuersenkungen der Jahre 2000 bis 2005 mit über 50 Milliarden € Mindereinnahmen für die öffentliche Hand auch wesentlich zu dieser vertrackten Situation beigetragen haben.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Angesichts der Tatsache, dass die bisherigen Steuersenkungen keinen merkbaren wirtschaftlichen Aufschwung gebracht haben, kann man sich eigentlich nur darüber wundern, dass in der Öffentlichkeit schon wieder über neue Steuersenkungen nachgedacht wird. Nicht nur die Steuersenkungspartei FDP, sondern auch die große Volkspartei CDU propagiert weitere Steuersenkungen zur Lösung der bundesdeutschen Krise.

Der CDU-Schattenfinanzminister auf Bundesebene Kirchhof ist heute ja schon mehrfach angesprochen worden; auch ich will es tun. Denn ich finde es schon bemerkenswert, dass er von einem Einheitssteuersatz von 25 % spricht. Einmal abgesehen davon, dass wir damit überhaupt keinen sozialen Ausgleich mehr in

unserem Steuersystem hätten - ich weiß, dass er Ausgleich schaffen will, aber trotzdem -, gibt es seriöse Berechnungen, zum Beispiel von den Landesfinanzministern, die davon ausgehen, dass ein solches Steuersystem zu Mindereinnahmen von fast 40 Milliarden € führen würde. Man kann nur hoffen, dass Herr Kirchhof nur als Wahlkampflokomotive fungiert, denn eine Umsetzung seiner Vorschläge würde den endgültigen Ruin der öffentlichen Hand bedeuten.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland leidet aber nicht nur unter einer Wirtschafts- und Finanzkrise, wir haben unseres Erachtens auch eine Demokratiekrise. Viel zu viele Menschen sind von den demokratischen Entscheidungsprozessen abgekoppelt und fühlen sich nicht mehr für das Gemeinwohl verantwortlich. Sinnbild dieses Problems ist der komplizierte föderative Aufbau der Bundesrepublik, der dazu führt, dass sich alle politischen Gremien aus der Verantwortung stehlen können mit dem Hinweis, dass sie nicht zuständig sind, sondern immer die anderen.

Es muss uns als verantwortliche Politikerinnen und Politiker bedenklich stimmen, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger diesen Systemfehler mit einer Abkehr von den demokratischen Institutionen bestrafen. Wer immer auch nach dem 18. September die Bundesregierung bildet, sollte deshalb so schnell wie möglich eine Neuordnung des Föderalismus in Angriff nehmen, die zur Stärkung der Länder und Kommunen führt. Geschieht dies nicht, gerät die Eigenständigkeit der Länder, also auch die des Landes Schleswig-Holstein, in große Gefahr.

Wovon wir uns unter allen Umständen verabschieden sollten, ist die Einstellung, dass der Patient Deutschland erst gesund wird, wenn ihm noch mehr von der Medizin verabreicht wird, die bisher auch noch keine Wirkung erzielt hat. Das sage ich auch noch einmal in Richtung FDP, die ja die Partei ist, die am längsten das Geschick der Bundesrepublik mit geprägt hat.

(Beifall beim SSW)

Ich danke der Vorsitzenden des SSW, Frau Abgeordenter Anke Spoorendonk.