Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

Meine Damen und Herren, ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle herzlich.

Erkrankt und für die heutige Sitzung entschuldigt sind die Abgeordneten Monika Schwalm von der CDU-Fraktion, Sandra Redmann von der SPDFraktion und Lars Harms vom SSW sowie Herr Finanzminister Rainer Wiegard. Ihnen allen gute Besserung!

(Beifall)

Auf der Besuchertribüne darf ich Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte der Städtischen Realschule aus Plön und der Beruflichen Schulen am Ravensberg in Kiel begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall)

Auch sehe ich dort den ehemaligen Kollegen Behm. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Wir haben heute auch ein Geburtstagskind unter uns. Niclas Herbst hat Geburtstag. Unsere herzlichen Glückwünsche, alles Gute und auf weiterhin gute Zusammenarbeit!

(Lebhafter Beifall)

Wir haben ein wenig recherchiert und festgestellt, dass wir zum ersten Tagespunkt einen besonderen Gast bei uns haben: die erste und langjährige Frauenministerin des Landes Schleswig-Holstein, unsere ehemalige Kollegin Gisela Böhrk. - Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Lebhafter Beifall)

Damit kann ich zur Tagesordnung übergehen und rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Frauenpolitik in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion der SPD Drucksache 16/1589

Antwort der Landesregierung Drucksache 16/1829 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann übergebe ich das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage an die Frauenministerin, Frau Ute Erdsiek-Rave.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gisela, ich freue mich, dass du heute hier bist.

Meine Damen und Herren, täuschen wir uns nicht: Es gibt sie immer noch, jene, die Frauen- und Familienpolitik am liebsten in einem Wort schreiben möchten. Es gibt auch jene, die Frauenpolitik für eine Art radikal-feministische Kampfformel halten, und es gibt jene, die nach wie vor Gleichstellungspolitik und Gleichstellungsbeauftragte für überflüssig halten, kurz: für die Frauenpolitik eine Art Männernotstand heraufbeschwört.

Es gibt sie noch, aber mindestens in der politischen Debatte - da bin ich mir sicher - sind sie verschwunden. Dass dies so ist, hat zu tun mit jahrzehntelangem Bohren dicker Bretter. Nichts kam von selbst, vieles musste erstritten werden, auch vor Gerichten. Wir können stolz sein auf das, was wir erreicht haben.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Aber anders als noch vor 20 Jahren ist Frauenpolitik heute mehr als der berühmte lila Faden, der sich durch die Politik zieht. Sie ist auch mehr als eine Querschnittsaufgabe, sie ist auch mehr als ein Wächteramt. Sie ist nach wie vor ein politisches Programm, dessen Ziel die Überwindung der männlich-weiblich gespaltenen Gesellschaft ist, der Rollenzuweisungen, der ungleichen Löhne, der ungleichen Chancen. Frauenpolitik ist immer noch ein Gebot der Gerechtigkeit.

Weil dies so ist, spielen heute Aspekte der Gleichstellung auf sämtlichen Politikfeldern eine Rolle. Das betrifft so viele und verschiedene Gebiete wie die Arbeitsmarktpolitik, die Rechtspolitik, etwa mit dem Schutz vor häuslicher Gewalt, oder die Wirtschaftspolitik, zum Beispiel die Unterstützung von Existenzgründerinnen oder die Auszeichnung von frauen- und familienfreundlichen Unternehmen.

20 Jahres also, nachdem hier in Schleswig-Holstein das erste Frauenministerium Deutschlands geschaffen wurde, erleben wir, dass Gleichstellung als demokratisches Prinzip in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Das ist ein großer Erfolg, von dem viele damals kaum zu träumen wagten. Es ist aber alles andere als ein Grund, die Hände in den Schoß zu legen.

Wir Frauenpolitikerinnen wissen, dass Gleichstellung eben nicht als ein sich ständig selbst erfüllender Prozess vom Himmel fällt. Trotz guter Bil

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dungsbeteiligung und - man muss wohl sagen - ungeahnter Bildungserfolge von Mädchen und Frauen existieren Geschlechterbarrieren, an denen viele ihr Leben lang nicht vorbeikommen. Deswegen ist der Einsatz für klare gesetzliche Vorgaben so wichtig in unserer Landesverfassung, im Gleichstellungsgesetz, im Kommunalverfassungsrecht, im Hochschulrecht und so weiter. Insbesondere durch die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten ist auf allen Ebenen so viel in Bewegung gekommen, um den Geist der Paragrafen im alltäglichen Leben umzusetzen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ist das alles denn heute immer noch nötig? Diese Frage hören Frauenpolitikerinnen immer wieder. Es reicht im Grunde der Blick auf den „Spiegel“-Titel dieser Woche mit der Frage: Wie viel Mutter braucht das Kind? Wie wäre es denn endlich einmal mit der Frage, wie viel Vater oder wie viel Eltern ein Kind braucht?

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir sehen daran, wie langlebig doch Rollenklischees sind, oder anders gesagt: dass sich Bewusstseinsveränderungen nur sehr langsam vollziehen.

Leider haben wir es auch mit schichtenspezifischen Einstellungen zu tun. Eine breit angelegte Studie des Bundesfamilienministeriums hat uns dies jüngst bestätigt. Gut ausgebildete junge Frauen haben eine klare Vorstellung von Arbeitsteilung in Beruf und Familie. Sie sehen die Gleichstellung der Geschlechter in dieser Gesellschaft als selbstverständlich gegeben an. Aber je niedriger der Bildungsstand ist, umso eingeschränkter sind Rollenvorstellungen, das Selbstbild und auch das Berufswahlspektrum von jungen Frauen. Einzelheiten hierzu lassen sich der Großen Anfrage und der Antwort auf die Große Anfrage entnehmen.

Die Frauenerwerbsquote beispielsweise beträgt in Schleswig-Holstein zwar mittlerweile 44,5 %, aber daran haben Teilzeitstellen - oftmals übrigens ungewollte Teilzeitarbeit - einen hohen Anteil, und die Führungspositionen bleiben meistens Männern vorbehalten. Nach aktuellen Schätzungen ist in Deutschland nur eine von fünf Führungskräften eine Frau. Wir könnten sagen: immerhin. Aber das ist noch längst nicht die Hälfte.

Auf der anderen Seite haben Frauen ein erhöhtes Risiko zu verarmen. Eine aktuelle Erhebung hat ergeben, dass 0 % der westdeutschen Hartz-IV-Emp

fängerinnen im Alter über 50 Jahren mit einer Rente über der Armutsgrenze rechnen können.

Mit der Großen Anfrage liegt nun ein genaueres Bild der beruflichen Perspektiven von Frauen in der Landesverwaltung vor. Wir haben hohe Anteile im Vorbereitungsdienst zu verzeichnen; im höheren Dienst sind es seit 2004 durchgängig über 50 %. Es sind natürlich überwiegend Lehrerinnen, die sich dort auf ihren Beruf vorbereiten. Aber bei den Referats- und Abteilungsleitungen besteht Nachholbedarf. Das sage ich insbesondere meinen Kollegen auf der Regierungsbank. Hier liegen die Anteile jeweils deutlich unter einem Drittel.

Auch in der Politik sehen wir trotz einer Verbesserung in einzelnen Parteien ein Ungleichgewicht, das auch hier in diesem Parlament und auch noch auf der Regierungsbank auffällt. Es ist meine Überzeugung, dass die mangelnde Vertretung von Frauen in der Politik letztlich ein Mangel an Demokratie ist.

(Beifall bei SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich finde aber, dass gesetzliche Vorgaben - diese Diskussion haben wir ja gerade geführt - in Bezug auf den Abbau dieses Mangels eher problematisch sind. Der Wettbewerb der Parteien ist im Grunde wirksamer. Die stärkste Sanktion ist diejenige durch die Wählerinnen, die eben keine reinen Männerparteien mehr wollen. Nach allem, was in den vergangenen 20 Jahren vorangetrieben wurde, wäre es ein politischer Rückschritt oder zumindest eine starke Verengung, wenn man die Belange der Frauen heute ausschließlich unter familienpolitischen Vorzeichen verfolgen würde.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist gewiss nicht das einzige frauenpolitische Ziel. Es ist natürlich ein sehr wichtiges Ziel. Ich muss hier allerdings sagen: Es ist das Ziel einer Politik für Männer und für Frauen, für Mütter und für Väter.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich bin sehr froh darüber, dass sich gerade in diesem Bereich in letzter Zeit sehr viel bewegt hat. Ich nenne hier die flächendeckende Versorgung mit Kindertageseinrichtungen in Schleswig-Holstein. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Kita-Plätze mehr als verdoppelt. Ich erwähne weiterhin die Verlässliche Grundschule, das Ganztagsschulprogramm und das Elterngeld, das es auf Bundesebene seit vergangenem Jahr gibt und das als Förderung während des ersten Jahres nach der Ge

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(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

burt eines Kindes konzipiert ist. Nicht zuletzt erwähne ich den massiven Ausbau der Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Dieses Thema wird uns morgen hier beschäftigen. All dies gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen, damit Mütter und Väter überhaupt einen Beruf ausüben können. Solange diese Maßnahmen nicht wirklich umgesetzt sind, bleibt für viele das Thema der Wahlfreiheit nur eine hohle Phrase.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil die Situation der Frauen im Arbeitsleben immer noch eine Situation ist, die von geringeren Aufstiegschancen, von niedrigeren Löhnen und von eingeschränkter Berufswahl geprägt ist, bedarf es noch besonderer Anstrengungen und Maßnahmen, und zwar durch Frauenförderpläne, durch die Einbeziehung von Gender Mainstreaming als planerisches Instrument, durch die individuelle Beratung, wie sie die Beratungsstellen „Frau & Beruf“ ermöglichen, durch die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten und durch die permanente Sensibilisierung für weiblich und männlich geprägte Berufs- und Interessenfelder schon in den Schulen. Das sind Aufgabenfelder der Politik.

Meine Damen und Herren, wir haben aus der Geschichte der Frauenförderung gelernt. Frauenförderung hat immer dann besondere Konjunktur, wenn die Konjunktur im ökonomischen Sinne es erfordert, nämlich wenn die Frauen auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Ich bin mir sehr sicher, dass Wirtschaft und Unternehmen heute wissen, dass das Bildungspotenzial junger Mädchen und junger Frauen, das in den letzten Jahrzehnten enorm angestiegen ist, gebraucht wird. Sie wissen, dass es volkswirtschaftlich absolut unsinnig ist, Mädchen und Frauen gut auszubilden und sie dann vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, wenn sie etwa Kinder bekommen wollen. Sie wissen, dass es sich lohnt, bei der Personalentwicklung die besonderen Bedürfnisse von Frauen zu berücksichtigen. Sie wissen, dass es wichtig ist, Frauen im Betrieb zu halten, auch wenn sie die Berufstätigkeit zeitweilig unterbrechen. Zum Glück gibt es dafür gute Beispiele auch in Schleswig-Holstein. Diese müssen aber auch weiter Schule machen.

Mich beschäftigen seit langem die Schnittstellen zwischen Bildungs- und Frauenpolitik. Wir sehen an vielen Beispielen, dass Entscheidungen in der Schulzeit für den weiteren Lebensweg durch Rollenvorstellungen beeinflusst werden. Deswegen gehört der vorbeugende Umgang mit diesen Klischees heute zur pädagogischen Arbeit an den Schulen, insbesondere in der Berufs- und Ausbildungsvorbe

reitung. Das Thema der Geschlechtergerechtigkeit in der Schule war aus diesem Grunde ein Schwerpunkt meiner Arbeit in den letzten Jahren. Ich empfinde es auch nicht als Widerspruch zu frauenpolitischen Zielen, für mehr Männer in allen Erziehungsberufen, insbesondere in Kitas und in den Schulen, zu werben. Im Gegenteil, es ist dringend notwendig, dass sich der Anteil der Männer in diesen Bereichen verändert.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)