Protokoll der Sitzung vom 23.04.2008

Wir wissen auch, wie es heute um den Landeshaushalt bestellt ist. Dennoch spricht sich die SPD für einen großen Wurf aus. Wir halten es für unverzichtbar, dass möglichst alle Kinder eine Kindertagesstätte besuchen. Bildung muss möglichst früh allen Kindern zugänglich sein, damit Grundlagen gelegt werden können, die später in der Schule genutzt und verbessert werden können. Dafür brauchen Eltern und Kinder die Unterstützung aller, in diesem Falle eine beitragsfreie Kindertagesbetreuung. Das ist eine wirkliche Hilfe für Eltern und Kinder.

Junge Familien brauchen die ganze Aufmerksamkeit und Hilfe der Gesellschaft. Auf dem Weg zu einer familienfreundlichen Gesellschaft kann für junge Familien noch eine Menge verbessert werden. Dazu gehört natürlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn die meisten Eltern haben heute nicht wirklich die Wahl, ob sie arbeiten gehen wollen oder nicht. Die meisten müssen es tun.

Ein weiterer großer Brocken ist für viele Familien das Mittagessen in der Kita. Wenn zur Mittagszeit die Kinder aus finanziell leistungsfähigeren Familien sich zum Essen an den Tisch setzen, üben Kinder ärmerer Eltern im Nebenraum häufig einen Chor knurrender Mägen ein. Die Recherchen haben es deutlich gemacht: Eltern melden ihre Kinder oft von der gemeinsamen Mittagsmahlzeit ab, weil sie einfach zu teuer ist. Das ist ein wirkliches Problem, eigentlich sogar ein Skandal und muss anders werden.

(Heike Franzen)

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Wir fordern deshalb den Einstieg in ein Stufenprogramm zur Beitragsfreiheit für Eltern. Der Einstieg soll mit dem dritten Kita-Jahr im August 2009, also zum Beginn des dann neuen Kindertagesstättenjahres erfolgen. Wir liegen also wirklich noch gut in der Zeit. Das darf dann aber nicht das Ende vom Einstieg in die kostenfreie Kindertagesbetreuung sein. Wenn wir es wirklich als sinnvoll ansehen, dass die Kindertagesbetreuung beitragsfrei ist, müssen wir die Beitragsfreiheit auch wirklich auf alle Kita-Jahre ausdehnen.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt: Mit Beginn des Kita-Jahres 2011 will die SPD auch das zweite Kita-Jahr beitragsfrei stellen. Mit Beginn des Kita-Jahres 2013 soll dann der Besuch der Kita für alle Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt für täglich fünf Stunden kostenfrei sein. Die Zeit davor - also die Betreuung in Krippen - wollen wir in dieses Programm nicht einbeziehen.

Sollen Kinder gesund aufwachsen, benötigen sie natürlich gesunde, nährstoffreiche Verpflegung, also etwas anderes als Fast Food. Wenn Kinder ausreichend erforderliche Nährstoffe ausgewogen zu sich nehmen, ist auch das Gehirn aufnahmefähig und kann bessere Lernerfolge erzielen. Auch Derartiges können Kinder in der Kita erlernen. Diskussionen über übergewichtige Kinder hatten wir hier bereits in der Vergangenheit.

Durch die beitragsfreie Kita erhalten die Kommunen eine sehr weitgehende Entlastung, weil sie dann nichts mehr in die Sozialstaffeln zuschießen müssen. Die Haushaltsmittel können und müssen für den Gesamtbereich der Kindertagesstätten erhalten bleiben. Wenn es dem Land gelingt, einen solchen Kraftakt zu unternehmen, setzen wir voraus, dass die Gemeinden die Mittel aus den Einsparungen nicht in den allgemeinen Haushalt einfließen lassen, sondern dazu nutzen, den Kindern ein kostenfreies Mittagessen anzubieten oder zu ermöglichen, dass die Kinder wenigstens alle zu einem günstigen Betrag mittags zusammen essen können. Die Aktivitäten der Jugendministerin im Rahmen von „Kein Kind ohne Mahlzeit“ sind hier beispielhaft zu benennen.

Die Wohlfahrtsverbände beteiligen sich, indem sie die Anträge aus den Kitas an die Stiftung weiterleiten. Das Projekt soll Spender, Kommunen und Privatleute anregen, sich zu beteiligen, damit Kinder, die aus Kostengründen nicht am Mittagessen teil

nehmen können, durch einen Zuschuss und einen eigenen kleinen Beitrag ein Mittagessen erhalten können. Diese Aktivitäten müssen unterstützt und ausgeweitet werden, damit die Kinder gesund und fit aufwachsen können. Sie sind schließlich unsere nächste Generation.

(Beifall bei der SPD)

Während der Übergangszeit bis zur vollen Beitragsfreiheit der Kinderbetreuung brauchen wir einheitliche Sozialstaffeln in Schleswig-Holstein. Das ist hier schon angeklungen. Es gibt zwar Sozialstaffeln in den Kreisen, diese sind jedoch alle unterschiedlich und nicht immer wirklich günstig. Es wäre gut, wenn das Fachministerium Gespräche mit dem Ziel landesweiter einheitlicher Sozialstaffeln mit den Kommunen initiieren und moderieren würde. Schließlich sind die Kommunen für die Sozialstaffeln zuständig.

Wir wissen, dass wir es hier nicht mit einer Kleinigkeit zu tun haben. Wenn wir ab August 2009 für das letzte Kita-Jahr keine Beiträge erheben, würde das Land für das restliche Jahr 2009 eine Belastung von über 19 Millionen € zu tragen haben, wenn wir unterstellen, dass alle Kinder von diesem Angebot Gebrauch machen. Im Jahr 2010 würden zusätzlich 44 Millionen € benötigt. Zum 1. August 2011, wenn das zweite beitragsfreie Jahr hinzukäme, wären zusätzlich 61 Millionen € erforderlich. Im Jahr 2012 wären zusätzlich 84 Millionen € erforderlich. Im Jahre 2013 - wir stellen uns ja vor, dass dann alle Kita-Jahre beitragsfrei sind - entsteht ein zusätzlicher Bedarf von etwa 100 Millionen €. Die Summe würde real sinken, weil ohne Kindergartenpflicht - eine solche Pflicht ist nicht ohne Weiteres umzusetzen - nicht alle Kinder in eine Kindertageseinrichtung gehen werden.

Von den fünfjährigen Kindern besuchen zur Zeit etwa 95 % eine Kita. Bei den vierjährigen Kindern sind es nur 88 %, bei den dreijährigen Kindern etwa 66 %. Ich denke, jene 5 % der fünfjährigen Kinder, die zur Zeit eine Kita nicht besuchen, werden wahrscheinlich auch nicht erscheinen, wenn die Kita beitragsfrei ist. Dennoch ist der hier genannte Betrag natürlich gewaltig. Wir wissen aber, dass jeder Euro, der in diesem Bereich für die Kinder ausgegeben wird, sich in den späteren Jahren mit mindestens 3 € als Ersparnis rechnen wird.

(Beifall bei der SPD und Beifall der Abge- ordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] (Astrid Höfs)

Manche Experten sprechen sogar von 5 €. In jedem Fall kann man nicht sagen, dass wir die nächste Generation sehr stark belasten würden.

Zwei Finanzierungswege sind aus unserer Sicht völlig ausgeschlossen. Es kann keine ernsthafte Perspektive sein, von der Bildungsministerin zu erwarten, eine Gegenfinanzierung innerhalb des Einzelplanes 07 zu finden, der für das laufende Jahr 1,24 Milliarden € umfasst. Wir wissen, dass der Einzelplan 07 durch die Planstellen für Lehrerinnen und Lehrer weitestgehend festgelegt ist. Es wäre ein Schildbürgerstreich, wollten wir das Bildungsangebot für Vorschulkinder verbessern und gleichzeitig das für die Schülerinnen und Schüler durch Abstriche bei der Unterrichtsversorgung verschlechtern.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir werden uns auch nicht darauf einlassen, die wenigen nicht durch den Personalhaushalt gebundenen Mittel - wie etwa die Mittel für die Sprachförderung - für die Kinderbetreuung zu opfern. Es ist aus unserer Sicht unerlässlich, für diesen Zweck gewissermaßen frisches Geld in die Hand zu nehmen. Natürlich habe ich Verständnis dafür, wenn hier im Hinblick auf den Länderfinanzausgleich auf die Haushaltslage verwiesen wird. Dazu sage ich dies: Kindertageseinrichtungen sind heute eben nicht nur eine Kür für die Länder, sie sind vielmehr deren Pflicht, denn ihre wichtigste Aufgabe ist die Bildung.

(Beifall bei SPD und SSW)

Ich verweise auf die großen Anstrengungen, die das von unserem Parteivorsitzenden Kurt Beck regierte Rheinland-Pfalz, sowohl beim kostenlosen Kita-Besuch als auch beim Ausbau der Ganztagsangebote, unternommen hat. Niemand kann ja behaupten, dass Rheinland-Pfalz eines der reichsten Bundesländer ist. Wir sprechen uns daher dafür aus, bei der Vorbereitung des nächsten Doppelhaushaltes nach Finanzierungswegen zu suchen. Das bedeutet auch eine neue Prioritätensetzung und den Verzicht auf bisher lieb gewordene Schwerpunkte. Ich glaube, wir liegen wirklich gut im Zeitplan, wenn wir die Landesregierung ersuchen, uns noch vor der Sommerpause einen Bericht über ihre Haltung und die Möglichkeit zur Umsetzung eines kostenfreien Kita-Besuchs vorzulegen. Wir werden die anderen Anträge an den Bildungsausschuss, den Sozialausschuss und den Finanzausschuss überweisen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Gruppe der Abgeordneten des SSW erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie alle anderen Parteien unterstützt natürlich auch der SSW alle Vorhaben, die dazu dienen, die pädagogische Förderung von Kindern zu verbessern. Wir sind in dieser Hinsicht ganz pragmatisch. Ich möchte das an einem Beispiel illustrieren. Wenn der Schlüssel in einem Kindergarten bisher um zwölf Uhr umgedreht wurde, ist bereits eine Verlängerung der Öffnungszeit bis 13 Uhr und ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, natürlich nur, wenn die Anfangsöffnungszeit bestehen bleibt und sich die Betreuung auf diese Weise verlängert.

Wir sollten uns davor hüten, das Maximale zu fordern. Wer alles will, bekommt nämlich in der Regel gar nichts. Die Richtung, die die Betreuung von Kindern derzeit nimmt, stimmt. Dass man noch mehr aufs Tempo drücken muss, steht außer Frage. Aber wir sollten uns daran halten, was auch wirklich umsetzbar ist. Weder Eltern, Kindern noch den Trägern ist geholfen, wenn wir eine schöne, rosafarbene Bonbonwelt in Broschürenform auflegen, die letztlich überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Die frühkindliche Förderung ist ein Bereich, den wir lange Zeit vernachlässigt haben. Die Standards wurden verschlechtert, die Elternbeteiligungen stiegen, und Ansätze zur akademischen Qualifizierung der Pädagogen sind stecken geblieben.

Dann kam PISA. Auf einmal rückten die Kitas in den Fokus. Doch auch von anderer Seite kommt Druck: Personalengpässe bei den Unternehmen führen dazu, dass die Familienphase der Eltern verkürzt wird. Das Elterngeld tut ein Übriges; es läuft nach 14 Monaten aus. Dann gibt es kein Elterngeld mehr, und die Eltern benötigen vor der Rückkehr auf den Arbeitsplatz qualifizierte Betreuung, was die Nachfrage nach Krippenplätzen steigen lassen wird.

Die Kindergärten wurden als Politikfeld regelrecht entdeckt. In kurzer Zeit haben wir alle hastig Vorschläge entwickelt. Die Kita als Stadtteilzentrum, als niedrigschwelliges Angebot für die ganze Familie und als Integrationsort für Migrationsfami

(Astrid Höfs)

lien sind nur einige Funktionen, die wir allein in dieser Legislaturperiode diskutiert haben.

Kitas sollen Kinder pädagogisch betreuen, sie auf die Schule vorbereiten; ihre Stärken unterstützen und ihre Schwächen ausgleichen. Die Kinder lernen zusammen mit anderen Kindern und entwickeln soziales Verhalten. Kinder, die keinen Kindergarten besuchen, tun sich in der Regel in der Schule schwer mitzuhalten.

Das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr ist eine Möglichkeit, um allen Kindern eine qualifizierte pädagogische Betreuung zu ermöglichen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich die Eltern den Kindergartenbesuch leisten können oder nicht. Der Kindergartenbesuch muss grundsätzlich frei sein. Dies vorweg.

Was kann man nun in absehbarer Zeit umsetzen? Diese Frage müssen wir ehrlich beantworten. Die anstehende Kommunalwahl verleitet dazu, erst einmal Forderungen in den Raum zu stellen. Woher das Geld zur Umsetzung später kommen soll, kann man sich ja noch überlegen. Seriöse Finanzierungsvorschläge sind aber das A und O einer glaubwürdigen Politik.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich warne davor, die Kosten für das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr aus dem Schleswig-Holstein-Fonds zu bestreiten, wie es die Grünen vorgeschlagen haben.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Zunächst müssen wir über den Fonds beziehungsweise über die Gründe diskutieren, wenn es denn Probleme beim Mittelabfluss gibt. Danach können wir uns erst Gedanken darüber machen, was möglicherweise mit überschüssigen Mitteln zu machen ist.

Der SSW hält es nicht für unverantwortlich, dass ein Drittel der Fondsmittel in den Straßenbau geflossen sind, wie dies die Grünen in ihrem Antrag formuliert haben. Wir können gern über einzelne Straßenbauprojekte diskutieren; aber derart pauschale Sätze sind wenig sachdienlich. Vor allem hat aber der Wirtschaftshaushalt recht wenig mit dem Bildungs- beziehungsweise dem Sozialhaushalt zu tun. Auch dies ist eine Schwierigkeit.

Der SSW lehnt die Querfinanzierungsvorschläge in der vorgelegten Form ab, erkennt allerdings die Be

mühungen um ein seriöses und tragfähiges Finanzierungsmodell an, das die Grünen immerhin vorgelegt haben.

Das sieht bei der SPD anders aus. Die SPD legt per Pressemitteilung einen Vorschlag vor, der ganz nebenbei noch eine völlig andere Baustelle der Landesregierung schlagartig sanieren soll. Der SPDLandesvorsitzende Ralf Stegner will nämlich laut seiner Pressemitteilung die Einsparungen im Zuge der Verwaltungsstrukturreform für das Programm „Kein Kind ohne Mahlzeit“ zur Verfügung stellen. Das Fell des Bären wird also schon verkauft, obwohl er eigentlich noch brüllt.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Unabhängige Gutachter hätten Millionen an Einsparungen prognostiziert, sagt man. Es ärgert mich, dass nun die umstrittene Verwaltungsstrukturreform hinten herum schön geredet werden soll. Eine konsequente Verwaltungsreform, wie sie auch die Kollegen von den Grünen einfordern, ist noch nicht in Sicht. Tatsächlich gibt es noch keine nennenswerten Einsparungen im Zuge der Reform. Im Gegenteil. Viele neue Ämter beklagen Zusatz- und Mehrkosten. Die Gegenfinanzierung der SPD steht also auf wackligen Füßen.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Wie die Einführung eines kostenfreien dritten Kindergartenjahres finanziert werden soll, sagt die SPD erst gar nicht.

Wir können also feststellen, dass die Betriebskostenzuschüsse für die Kindergärten in Höhe von 60 Millionen € gedeckelt sind. Ein Inflationsausgleich findet nicht statt. Des Weiteren sind mit dem neuen Kindertagesstättengesetz neue Anforderungen gestellt worden, insbesondere im pädagogischen Bereich. Gegenfinanzierung: Fehlanzeige. Nun soll auch noch die Betreuung der unter Dreijährigen in Angriff genommen werden. Dies ist ein lobenswertes Ziel, das auch der SSW unterstützt. Allerdings werden in diesem Jahr nur die Investitionskosten für diese Plätze bezuschusst; mit den Betriebskosten werden die Träger in diesem Jahr allein gelassen. Auch das darf aus den gedeckelten 60 Millionen € gezahlt werden.

Die Träger der Kindertagesstätten stehen schon heute am Rande ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit und können nicht noch mehr Aufgaben ohne solide Gegenfinanzierung erfüllen.

(Lars Harms)