Protokoll der Sitzung vom 23.04.2008

(Lars Harms)

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch wir als SSW unterstützen die Zielrichtung der Anträge, aber wir weisen auch deutlich darauf hin, dass diesen vielen Wünschen eine realistische Finanzierung entgegenstehen muss. Hierzu zählt dann auch ein Gesamtkonzept, aus dem hervorgeht, wie die vielen Maßnahmen, die wir uns alle wünschen, umgesetzt werden sollen. Von einem solchen Konzept ist die Landesregierung aber noch weit entfernt. Deshalb ist es nur gut, dass die Opposition immer wieder mit Anträgen den Finger in die Wunde legt. Wir sollten im Ausschuss insbesondere noch einmal über das Wie reden. Über das Ob sind wir uns - glaube ich - alle einig.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat die Frau Ministerin für Bildung und Frauen, Ute Erdsiek-Rave, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat: Neue Ausgaben im Landeshaushalt müssen sehr gut begründet werden. Das gilt ganz besonders in dieser schwierigen Haushaltslage, in der wir uns befinden. Ich meine aber, dass die Befreiung der jungen Eltern von Kita-Beiträgen aus drei Gründen auch in einer schwierigen Haushaltssituation vertretbar ist, nämlich erstens aus bildungspolitischen, zweitens aus sozialen und drittens auch aus volkswirtschaftlichen Gründen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Man könnte diese Argumentation sogar umdrehen und sagen: Gerade wegen der schwierigen Haushaltslage dieses Landes ist es geboten, dass wir stärker und am stärksten in das wichtigste Potenzial investieren, das wir in diesem Land haben: in die jungen Menschen, die Kinder, die hier leben, in deren Bildung, in deren Zukunftschancen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zurufe von der SPD: Sehr richtig!)

Deswegen sollten wir dieses Thema auch nicht in erster Linie unter dem Aspekt einer zusätzlichen Last, sondern unter dem Aspekt einer notwendigen Investition diskutieren.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Dafür gibt es in der öffentlichen Debatte in ganz Deutschland Beiträge genug. Wirtschaftsinstitute wie beispielsweise das Institut der Deutschen Wirtschaft, das IW, oder das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, ZEW, tun das schon längst. Eine aktuelle Studie des IW besagt, dass Mehrausgaben insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bildung langfristig zu Renditen von bis zu 8 % für den Staat und von bis zu 13 % für die Volkswirtschaft insgesamt führen. Ein solches volkswirtschaftlich nachhaltiges Denken sollte unsere Politik insgesamt stärker bestimmen.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Auch Gewerkschaften und Arbeitgeber haben im vergangenen Jahr in seltener Einigkeit gefordert, mit dem letzten Kita-Jahr in die Beitragsbefreiung ich betone dies - einzusteigen. Die Begründung lautete: Schon der Besuch einer Kindertageseinrichtung sei verknüpft mit der Teilhabe an Bildungschancen. Deshalb sei es unter dem Aspekt, dass Bildung ein öffentliches Gut ist und in Zukunft auch bleiben muss, nur konsequent, ihn kostenfrei zu stellen.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Peter Lehnert [CDU])

Pädagogen und Kinderpsychologen haben schon immer darauf hingewiesen, und durch die Erkenntnisse der Hirnforschung und auch durch langfristige Bildungsverlaufsstudien wissen wir besser als je zuvor: Vor dem Schuleintritt können wichtige Fortschritte erreicht werden, die sich deutlich auf den gesamten Bildungserfolg, auf die Bildungskarriere eines Kindes auswirken. Wir sehen heute die frühkindliche Bildung als die erste Station des Bildungsweges, nicht mehr als bloße Betreuung und Erziehung, sondern als Bildungseinrichtung an. Eine hohe Besuchsrate in den Kindergärten gehört zu den Erfolgsfaktoren, übrigens auch bei internationalen Bildungsvergleichen wie PISA. Das deckt sich mit einer jüngsten Studie der Bertelsmann-Stiftung, in der sogar gesagt wird, Kinder, die früh in Krippen gefördert würden, seien später deutlich häufiger an den Gymnasien zu finden. Das muss man vielleicht nicht 1:1 übertragen; aber der wichtigste Aspekt dabei ist für mich, dass dieses insbesondere auf Kinder bezogen wird, deren Eltern keinen Schulabschluss haben, oder auf Kinder mit Migrationshintergrund.

Fazit: Investitionen in frühkindliche Bildung helfen, die Vererbung gesellschaftlicher Nachteile zu verhindern und sind damit auch ein Mittel gegen

(Lars Harms)

die Spaltung unserer Gesellschaft. Dass mangelnde Bildung in erster Linie ein persönliches Schicksal ist, mögen manche so sehen. Aber letztlich kommt sie die gesamte Gesellschaft teuer zu stehen.

Deshalb bauen wir in Schleswig-Holstein die frühkindliche Bildung seit Jahren qualitativ und quantitativ aus. Frau Heinold, ich teile überhaupt nicht das Zerrbild, das Sie hier dargestellt haben. Dass es in unseren Kindergärten Qualitätsunterschiede gibt, ist klar. Das ist immer so. Aber dort geschieht genau das, wovon auch Sie gesprochen haben: Kinder werden liebevoll und kompetent erzogen und betreut. Es ist wirklich erstaunlich, in welchem Umfang sich Erzieherinnen heute fortbilden und wie der Bildungsauftrag in den Kindertagesstätten Schritt für Schritt umgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Sprachförderung mit viel Geld eingeführt und ausgebaut und entwickeln dies ständig weiter. Wir haben die verpflichtende Zusammenarbeit von Kitas und Grundschulen, die sehr gut auf den Weg gekommen ist, und wir haben das Ausbauprogramm für die Betreuung der unter Dreijährigen beschlossen.

Ich muss schon sagen: Sie bringen es einfach nicht fertig, Herr Dr. Klug und auch Frau Heinold, vielleicht auch einmal uneingeschränkt zu sagen: Das ist nicht nur ein gewaltiges finanzielles Engagement aus Berlin, sondern wir, die Landesregierung schade, dass der Finanzminister jetzt den Saal verlässt; ich wollte ihn eigentlich einbeziehen -, haben es geschafft, uns zu verständigen, über 100 Millionen € - auch Landesmittel - in diesem Bereich zu investieren. Das ist eine große Leistung. Erkennen Sie das doch einmal an!

(Beifall bei SPD und CDU)

Nein, stattdessen wird gleich wieder gebeckmessert nach dem Motto: Im Jahre 2008 kommt noch nichts. - Nein, die Bundesgelder kommen ab 2009. Wir haben für 2008 noch keinen neuen Haushalt, aber 2009 werden die Mittel pauschal an die Kommunen gegeben. Und ich glaube, wenn Sie die Kommunen fragen, so sagen die Ihnen, dass sie sehr froh sind, dass das Land in diesem Umfang einsteigt.

Ich freue mich, dass allen Beiträgen zu entnehmen war, dass Investitionen in frühkindliche Bildung von allen Seiten - auch durch deutliche Aussagen zur Schaffung eines beitragsfreien Kita-Jahres - unterstützt werden. Das ist für mich der Einstieg in mehr Gerechtigkeit bei der Teilhabe an frühkindli

cher Bildung. Wir reagieren damit auch auf die Diskussion über die durchschnittliche Höhe der Elternbeiträge in Schleswig-Holstein. Alles, was dazu gesagt worden ist, ist ja richtig. Im Vergleich zu anderen Bundesländern liegen wir da nicht gerade auf einem guten Platz. Das hat natürlich aber auch etwas mit der Finanzkraft der Kommunen zu tun. Wenn Sie sich anschauen, in welchen Kommunen, in welchen Kreisen die Elternbeiträge wie hoch und auch, wie unterschiedlich - sind, so ist das zum einen ein Abbild der Kinderfreundlichkeit der Kommunen, zum anderen aber auch ein Abbild ihrer jeweiligen Finanzkraft. Leider ist es so, dass auch in unserem Bundesland trotz Sozialstaffeln die bessergestellten Eltern stärker von den Angeboten der frühkindlichen Bildung profitieren. Hier weise ich auf den sozialen Aspekt hin. Es darf eben nicht sein, dass sich Eltern nicht leisten können, ihre Kinder in eine Kita zu geben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Nimmt man all dies ernst, sind dies eigentlich Argumente für eine beitragsfreie frühkindliche Bildung für alle Kinder von Anfang an. Wir wissen, dass diejenigen, die besonders profitieren würden, leider oft erst im letzten Jahr vor der Schule in die Kita kommen, denn dann denken die Eltern: Das ist wichtig, jetzt, kurz vor der Schule, muss mein Kind dort hin! - Dann jedoch ist vieles in der kindlichen Entwicklung oft nicht mehr aufholbar, und wir reagieren dann mit viel Geld - siehe Sprachförderung und viel Personal auf das, was eigentlich viel früher hätte geleistet werden können.

Wenn diese Gründe zutreffen - und ich möchte den sehen, der dies bestreitet -, dann muss man über dieses eine Jahr hinausdenken, um zu nachhaltigen Effekten für die Familien und die gesamte Gesellschaft zu kommen. Ich meine, wer A sagt, muss auch B sagen. Mindestens muss er sagen, wann B kommen soll.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das alles gehört in den sehr sorgfältigen Kontext von Beratungen zum Landeshaushalt 2009/2010 und einer darüber hinausgehenden Planung. Frau Heinold, Sie wissen doch, wie Haushaltsberatungen ablaufen. Haben Sie im Ernst geglaubt, dass ich mich, bevor wir überhaupt Eckwerte zur Haushaltsberatung haben, hier heute hinstelle und Ihnen sage, wie das finanziert werden soll, wo umgeschichtet werden soll?

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie können uns schon einmal das Rechnen erleichtern; das versuchen Sie ja auch und haben sich schon Gedanken über die Finanzierung gemacht. Natürlich ist jeder Anstoß dazu begrüßens- und prüfenswert. Ihren Vorschlag, junge Familien beim Hausbau nun mit höheren Grunderwerbssteuern zu belasten, finde ich allerdings geradezu kontraproduktiv zu den Zielen, die wir gemeinsam anstreben.

(Zurufe der Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Es ist noch nicht so lange her, dass Sie an Haushaltsberatungen mitgewirkt haben. Sie wissen, wie schwierig es ist, neue große Posten in den Haushalt einzustellen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen versprechen wir auch nicht vor der Kommunalwahl Dinge, die wir nachher nicht halten können!)

Herr Hentschel, Sie sind nicht dran!

Herr Hentschel, Sie haben, wenn ich das richtig verstehe, hier ein Versprechen abgegeben. Die Koalition hat das auch getan, und Sie können sicher sein, wir werden gemeinsam eine Lösung finden.

Einen Punkt will ich noch ansprechen, weil er mir auch wichtig ist. Ich finde, die Sozialministerin hat hier eine wirklich kreative, fast geniale Lösung zum Einstieg gefunden.

(Beifall bei SPD und FDP - Manfred Ritzek [CDU]: Na, na!)

- Ja, das muss man doch einmal sagen dürfen. Das ist die Landesinitiative „Kein Kind ohne Mahlzeit“, bei der auch die Wohlfahrtsverbände mit ins Boot gestiegen sind, weil sie das richtig finden. Wenn Kindertageseinrichtungen ein Mittagessen anbieten, können bedürftige Familien auf Antrag einen Zuschuss bekommen. Das wird, glaube ich, sehr unbürokratisch gehandhabt. Inzwischen sind bereits über 1.000 Anträge für Kinder gestellt. Das ist nichts - oder was?

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Natürlich! Das haben wir ange- mahnt!)

Kurzfristig können viele Familien damit erreicht werden, bevor wir eine gesetzliche oder eine andere Lösung finden. Die ersten bezuschussten Mahlzeiten werden in den nächsten Tagen ausgegeben.

Ich finde es auch nicht sehr seriös, dass die FDP jetzt wieder mit Argumenten kommt, die schon längst widerlegt sind.

Das lässt sich also vor Ort sehr gut regeln. Das gehört übrigens auch zum Auftrag der Kommunen. Es gehört zum Auftrag der Kommunen - das wird hier gelegentlich vergessen -, eine Versorgung mit Kita-Plätzen sowohl qualitativ als auch von der Nachfrage her am Bedarf auszurichten. Ein Eingriff des Landes, beispielsweise durch die Vorschrift, von fünf Stunden auszugehen, würde natürlich sofort Konnexitätsforderungen nach sich ziehen. Deswegen wollen wir dies bei der Einführung des beitragsfreien Kita-Jahres von vornherein umgehen. Wir gehen von einer fünfstündigen Betreuungszeit aus.

(Beifall bei SPD und SSW)

Ich appelliere von dieser Stelle aus noch einmal auch an die kommunalen Vertreter. Sie müssen sich wirklich bereitfinden, sich mit uns an einen Tisch zu setzen und erneut über landesweite Reglungen bei den Sozialstaffeln zu reden. Es ist nicht so, Herr Dr. Klug, dass das in der Vergangenheit nicht versucht worden wäre. Aber eine Bereitschaft dazu bestand natürlich nur nach dem Motto: Das, was wir bisher an Sozialstaffeln zu viel/zu wenig hatten, muss dann ausgeglichen werden, und zwar durch das Land! So geht es natürlich nicht. Es muss eine Verständigung geben. Wir sind bereit, diesen Prozess zu moderieren und durch Beratung zu begleiten. Es ist nicht das erste Mal, dass wir dies versuchen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließen sagen: Wir reden heute über eine in höchstem Maße nachhaltige und sinnvolle Investition, und Sie können sicher sein: Es wird eine gute, auch finanzpolitisch machbare Lösung dafür geben. Da bin ich mir absolut sicher.