Protokoll der Sitzung vom 24.04.2008

b) Neubau von Kohlekraftwerken in SchleswigHolstein verhindern

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1378

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/1396

Bericht und Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses Drucksache 16/1982

Ich erteile dem Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses, dem Herrn Abgeordneten Hans-Jörn Arp, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Durch Plenarbeschluss vom 11. Mai 2007 wurden die Anträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW mit der Forderung „Neubau von Kohlekraftwerken in Schleswig-Holstein verhindern“ - das sind die Drucksachen 16/1378 und 16/1396 - federführend an den Wirtschaftsausschuss und mitberatend an den Umwelt- und Agrarausschuss überwiesen. Die Ausschüsse haben sich jeweils in mehreren Sitzungen mit den Vorlagen befasst.

Nachdem der Landtag auf Empfehlung der Ausschüsse aus dem Antrag der Abgeordneten des SSW - das ist Drucksache 16/1396 - bereits in der Nummer 3 den zweiten Spiegelstrich angenommen hatte und als Ergebnis daraus resultierend in der 26. Tagung des Landtages ein Bericht der Landesregierung vorgelegt wurde, mit welchen Initiativen zur Änderung von planungsrechtlichen und gesetzlichen Grundlagen sowie mit welchen Fördermaßnahmen die Landesregierung dafür sorgen will, dass die langfristige Umstellung auf erneuerbare Energien gelingen kann, habe ich dem Hohen Haus im Namen des federführenden Wirtschaftsausschusses heute vorzuschlagen - dieses Votum wurde einstimmig gefasst -, die Nummern 1, 2 und 3 erster Spiegelstrich der Drucksache 16/1396 abzulehnen.

Zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 16/1378, sprach der federführende Wirtschaftsausschuss mit Mehrheit die Empfehlung aus, die Vorlage abzulehnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses, Drucksache 16/1982, zu folgen.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall.

Bevor wir in die Aussprache eintreten, möchte ich sehr herzlich auf unserer Besuchertribüne die Hausfrauenunion aus Erfde begrüßen. Des Weiteren darf ich sehr herzlich den früheren Staatssekretär Voigt begrüßen. - Seien Sie uns recht herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Neubau von großen Kohlekraftwerken erhöhen wir die Treibhausgasemissionen, statt sie zu senken. „Klimaschutz - Nein danke!“ ist das Motto dieser Landesregierung. Die von der Bundesregierung beschlossene Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 % bis 2020 und um 80 % bis 2050 kann nur erreicht werden, wenn keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am 21. Dezember 2006 unterzeichnete Wirtschaftsminister Austermann einen Optionsvertrag mit der SüdWestStrom GmbH. Der Landtag stimmte der Veräußerung des landeseigenen Grundstückes mit Mehrheit zu. Inzwischen wird diese Entscheidung immer deutlicher als Fehler erkannt. Diese Erkenntnis fand daher auch ihren Niederschlag in Parteitagsbeschlüssen der SPD, die hier in Landtag und Regierung die Kohlestrategie ungebrochen mitträgt. Allerdings tut sie dies mit komplizierteren Argumenten als die CDU, weil die SPD in der Koalitionsfalle sitzt.

(Minister Dr. Christian von Boetticher: Ham- burg!)

Die CDU hingegen schaltet völlig auf Durchzug. Ich fordere Sie auf: Reden Sie mit Ihren SPD-Kollegen. Revidieren Sie den Beschluss der Großen Koalition! Sie schneiden uns nämlich mit der Technik von gestern auch technologiepolitisch von den doch überdeutlich erkennbaren Wegen der Zukunft ab.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Zukunft, meine Damen und Herren, gehört nicht der Nutzung zu Ende gehender Energieressourcen. Die Zukunft gehört der physikalischen Erschließung der Sonnenkraft. Meine Damen und Herren, hören Sie nicht auf die Einflüsterungen der Energieversorger und Großkonzerne! Wenn Sie schon nicht mit uns reden wollen, wenn Sie auch nicht mit der SPD reden wollen, dann hören Sie doch wenigstens auf unsere Wissenschaftler hier im Land. Hören Sie auf den Klimaforscher Latif oder auf Professor Olav Hohmeyer, den Nobelpreisträger. Unterhalten Sie sich doch einmal mit der Seite.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, brauchen wir Kohlestrom? Ist die schnell dahergeredete Formel, ein Ausstieg aus Kohle und Atom sei nicht möglich, richtig?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Herr Matthiessen, das haben wir gerade letzte Woche einen ganzen Tag lang getan! - Wortmeldung des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten -

Nein, ich habe keine Zeit.

Brauchen wir zentrale große Kondensationskraftwerke mit schlechtem Wirkungsgrad? - Mehr als die Hälfte des eingesetzten Brennstoffes geht verloren. Das ist Technik von gestern. Auf der Hannover Messe - ich war dort letzten Dienstag - konnte man sich zahlreiche Neuentwicklungen anschauen, so beispielsweise den Lineargenerator der Firma OTAG mit einem Gesamtwirkungsgrad von über 94 %. Es kommt nur zu 6 % Energieverlust, meine Damen und Herren. Das ist Technik von heute. Das sind deutsche Firmen, die auf dem Weltmarkt agieren wollen. Sie hingegen setzen auf diese Dinosauriertechnik. Das ist für mich unbegreiflich.

(Hans-Jörn Arp)

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Weshalb sollen wir von Kohle reden? - Wir leben in einem Land, in dem nur 12 % in Kraft-WärmeKopplung erzeugt wird. In Dänemark sind es 65 %. Das liegt nicht an der Physik, sondern das liegt an den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Allein der Ersatz der 30 Millionen Umwälzpumpen in Deutschland durch effiziente neue Pumpen würde dazu führen, dass man auf den Neubau von drei Kohlegroßkraftwerken verzichten könnte.

Warum reden wir eigentlich über Kohle? - Schleswig-Holstein ist schon heute Stromexporteur. Diese Position würde durch den Bau von OffshoreWindkraftanlagen ausgebaut.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die durch die Stromerzeugung bedingten CO2Emissionen in Schleswig-Holstein würden sich von heute 6,7 Millionen t auf 24,7 Millionen t mehr als verdreifachen.

Es werden nur vergleichsweise wenig Dauerarbeitsplätze entstehen. Die SüdWestStrom GmbH hat inzwischen erreicht, dass sich die Schleswiger Stadtwerke an dem geplanten Kohlekraftwerk in Brunsbüttel beteiligen. Das hat die Ratsversammlung am 14. April 2008 dort beschlossen. Mir ist allerdings nicht bekannt, ob es weitere Partner aus dem norddeutschen Raum gibt. Es ist also klar: Die große Masse des erzeugten Stroms wäre weiterhin für Süddeutschland bestimmt.

Meine Damen und Herren, die Bevölkerung in der Nähe der Großkraftwerke befürchtet erhebliche Gesundheitsgefahren und eine Schadstoffbelastung der in der Landwirtschaft genutzten Böden, weil unter anderem nicht die best verfügbare Filtertechnik vorgesehen ist.

(Minister Dr. Christian von Boetticher: Was? - Gelogen!)

Eine CO2-Abscheidung - CCS - im großtechnischen Maßstab ist nicht in Sicht. Wir wissen, Herr Umweltminister, dass die Formel stets lautet: Pro Kubikmeter sind soundsoviel Milligramm Emissionen erlaubt. - Angesichts der Menge an Kubikmetern, die ausgestoßen werden, addiert es sich hier in Kiel beispielsweise auf über 1.000 t Feinstaub und dieser wird über die Nachbarschaft dieses Kohlekraftwerks verstreut. Sie wollen eine Erzeugungsstruktur festschreiben, die auf zentrale große Einheiten setzt und den atomaren und fossilen harten

Weg fortführt. Der Feind der großen Stromkonzerne ist klar: Das sind die dezentralen Strukturen mit Kraft-Wärme-Kopplung, die erneuerbaren Energien. Jede Kilowattstunde aus erneuerbaren Energien ist eine vermiedene Kilowattstunde schmutzigen Stroms.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich zweifele auch massiv an der Wirtschaftlichkeit dieses Steinkohlepfades in die Zukunft. Kein neues Kohlekraftwerk wird die prognostizierten Volllaststunden von 6.500 im Jahr erreichen. Wegen des gesetzlich vorgeschriebenen Vorranges von Strom aus erneuerbaren Energien müssen fossile Kraftwerke heruntergefahren werden. Das nennt der Fachmann Redispatch. Dann werden Volllaststunden von unter 5.000 erreicht. So wird ein Steinkohlekraftwerk unwirtschaftlich. Aber ich prognostiziere Ihnen: Wenn die Dinger hier erst einmal stehen, werden die Lobbyisten bei der Bundesregierung Schlange stehen, um sich Privilegien zum wirtschaftlichen Betrieb ihrer Anlagen zu erschleichen.

Für die Bereitstellung von Regelstrom sind Gaskraftwerke sehr viel besser geeignet als Kohlekraftwerksblöcke. Gaskraftwerke sind sehr viel flexibler in der Leistungssteuerung.

Ab 2013 sieht die EU im Übrigen vor, dass alle CO2-Zertifikate ersteigert werden müssen. Die bisher sind verschenkt worden. Diese kostenlosen Geschenke wird es in Zukunft nicht mehr geben. Die Zeiten sind dann vorbei, in denen kostenlos zugeteilte CO2-Zertifikate in die Strompreise mit ihrem Marktwert eingerechnet werden können. Das gab einen schönen Extraprofit von circa 5 Milliarden € im Jahr. Der zukünftige Preis der CO2-Zertifikate kann leicht 70 €/t erreichen. Damit würde sich der Preis des Einsatzrohstoffes Steinkohle quasi vervierfachen.

Die Hoffnung auf ein funktionierendes CCS-System, das heißt die Abscheidung von CO2 im Prozess der Energieerzeugung und seine Lagerung, ist ein Wechsel, ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Das ist etwas, was zurzeit an Technik überschaubar und gesichert nicht zur Verfügung steht,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und schon gar nicht in den quantitativen Dimensionen, von denen wir hier reden, Herr Minister, wenn wir an die RWE-Dea-Aktivitäten zur Exploration von Feldern in Schleswig-Holstein denken, um CO2 in Schleswig-Holstein dauerhaft zu beseitigen, zu lagern. Das haut dann nicht hin. Deren Angaben bei Ihnen im Haus waren: Ab dem Jahr 2015, wenn sie

(Detlef Matthiessen)

denn erfolgreich sind, würden sie für ein 300-MWKraftwerk CO2 speichern können. Das ist weniger als ein Zehntel der in Aussicht stehenden Kohlekraftwerksneubauten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man kann auch sagen: Das Märchen von der CCSTechnik, von der Beseitigung, sauberer Kohlestrom, ist eine dreckige Lüge, ein Märchen zur Legitimation von Kohlekraftwerksneubauten.

Schleswig-Holstein hat alle Voraussetzungen, das Vorzeigeland des erneuerbaren Stroms zu werden.