Protokoll der Sitzung vom 24.04.2008

Zweitens. Herr Kollege Matthiessen, ich frage Sie hier ernsthaft des Weiteren dies - das habe ich Sie auch schon im Ausschuss gefragt -: Welche Ergebnisse erwarten Sie, wenn der Landtag Berechnungen von Landesministerien zurückweist? Ich als Abgeordneter kann diese Berechnungen zur Kenntnis nehmen; ich kann sie glauben oder nicht. Aber ich beschließe sie doch nicht, indem ich sie zurückweise. Ich habe keinen intellektuellen Zugang zu dem Antrag gefunden. Vielleicht können Sie mir im Ausschuss ja aber weiterhelfen.

Wir laufen in der aktuellen Diskussion rund um das Thema der Energieversorgung - ich finde, das hat die bisherige Debatte zum Teil auch gezeigt - auf zwei zentrale Probleme zu. Erstens: Alle wollen Strom, aber niemand will die Kraftwerke, die den Strom erzeugen. Zweitens: Alle wollen irgendwie etwas für den Umweltschutz tun, aber bitte bloß nicht vor der eigenen Haustür.

Es wird diskutiert und debattiert - in der Politik, in der Wirtschaft und in der Bevölkerung, bedauerlicherweise aber oft sehr ideologisch. Ich möchte hier nur einmal an die Wahlplakate der Kieler SPD erinnern. Auf diese Plakate hat man allen Ernstes geschrieben: Atomkraft und CO2 sind lebensgefährlich. - Wollen Sie die Photosynthese jetzt gleich mit abschaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozialdemokraten?

(Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Ich glaube, es ist der falsche Weg, sich auf diese schlichte und einfache Art und Weise Zustimmung für tagespolitisch aktuelle Themen zu sichern.

(Olaf Schulze)

Wenn der von der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 2000 vertraglich vereinbarte Atomausstieg wie vereinbart umgesetzt wird - das war ein schmerzhafter Prozess; die FDP in Schleswig-Holstein ist aber für die Umsetzung dieser Vereinbarung -,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

dann wird das letzte heute noch bestehende Kernkraftwerk 2022 abgeschaltet sein. Verschiedene Studien - das können Sie, Herr Matthiessen, bestreiten oder auch nicht - kommen zu dem Schluss, dass dadurch rund 30 % der derzeitigen Stromproduktion wegfallen werden. Diese Strommengen müssen ersetzt werden. Allein in Schleswig-Holstein fallen durch die Abschaltung der drei Kernkraftwerke rund 3.600 Megawatt Leistung weg. Wir können uns mit Sicherheit über die Größenordnung streiten. Wir können uns aber nicht darüber streiten, ob sie wegfallen oder nicht.

Die Deutsche Energie-Agentur rechnet damit, dass bereits im Jahr 2012 die Kraftwerkskapazität in Deutschland nicht mehr ausreichen wird, um den Bedarf zu decken. Ich darf noch mal daran erinnern: Schleswig-Holstein ist Stromexporteur. Die Wirtschaft in Schleswig-Holstein profitiert davon, dass Schleswig-Holstein Netto-Strom-Exporteur ist und damit die Menschen die Arbeit haben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es stellt sich automatisch die Frage, wie der Wegfall der produzierten Strommenge kompensiert werden soll. Es gibt nach meiner Ansicht drei Möglichkeiten.

Erstens. Die Umstellung der Produktion komplett auf Kraftwerke, die den derzeitigen Energiemix ohne Kernkraft darstellen. Damit würden sich die deutschen CO2-Emissionen um rund 150 Millionen t jährlich erhöhen. Einhaltung des Kyoto-Protokolls: Fehlanzeige!

Zweitens. Um das Kyoto-Protokoll einzuhalten: Reduzierung der Produktion aus Kohlekraft bei heutigem Niveau der Produktion aus regenerativer Energie. Das hat zwangsläufig einen erheblichen Anstieg der Energieimporte und damit eine erhebliche Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten zur Folge. Zudem werden die hohen technischen Standards und niedrigen Grenzwerte für Emissionen in Deutschland bei Weitem nicht erreicht.

Drittens. Um Importabhängigkeit zu verhindern und gleichzeitig das Kyoto-Protokoll zu erfüllen: Reduzierung der Produktion aus Kohlekraft und

massiver Ausbau der regenerativen Energien. Dies hat allerdings zwangsläufig eine erhebliche Energieverteuerung zur Folge, da bei heutigem Stand der Technik die Energieproduktion aus Sonne, Wind, Wasser oder Erdwärme noch um ein Vielfaches teurer ist, als die Produktion aus fossilen Energieträgern.

Es muss aus unserer Sicht - und wir machen es ein bisschen anders, als der Kollege es gerade gesagt hat: Nur dieser eine Weg ist der richtige Weg! - ein Weg gefunden werden, bei dem diese drei Varianten sinnvoll miteinander verknüpft werden. Das Ziel muss sein, eine saubere, eine umweltschonende, eine ausreichend gesicherte Energieversorgung, aber auch eine bezahlbare Energieversorgung für die Menschen in diesem Land sicherzustellen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Deswegen - und nur deswegen - halte ich es für falsch, aus rein ideologischen Gründen grundsätzlich auf den Neubau effizienterer Kohlekraftwerke in der Form wie es die Grünen heute tun, zu verzichten, erst recht dann, wenn sich durch den Neubau von Kohlekraftwerken der neuen Generation die Wirkungsgrade erhöhen und der CO2-Ausstoß deutlich reduziert wird oder wenn es durch den Einsatz von CO2-Sequestierung sogar möglich werden könnte, den CO2-Ausstoß annähernd gänzlich zu reduzieren.

Selbst eher grünenfreundliche Experten kommen zu dem Schluss, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke durchaus zu empfehlen ist. Ich empfehle Ihnen wirklich die Studie des Freiburger Ökoinstitutes, sehr geehrter Herr Kollege Matthiessen.

Ich will an dieser Stelle gar nicht Herrn Gabriel zitieren, der sagt, dass die Widerstände der Grünen gegen den Kohlestrom nur der Atomkraft Vorschub leisten, aber ich denke schon, dass ein bisschen weniger Ideologie - Herr Kollege Nabel, das gilt auch für Sie -

(Konrad Nabel [SPD]: Ich habe überhaupt nicht mit Ihnen geredet!)

- Ja, aber ich rede mit Ihnen! Ich kann doch mit Ihnen reden!

Herr Dr. Garg, Sie haben ein Mikrofon. Sie brauchen nicht zu brüllen.

- Da haben Sie recht!

(Dr. Heiner Garg)

(Zuruf Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Ich denke, ein bisschen weniger Ideologie in der Debatte täte gut. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mittlerweile kämpfen die Grünen auch gegen neue Stromleitungen zum Abfluss der aus Windenergie erzeugten Strommengen und sie kämpfen gegen Biomassekraftwerke vor ihrer eigenen Haustür. Sa- gen Sie einmal einen Satz dazu, warum Sie mittler- weile sogar dagegen zu Felde ziehen. Nach dem Motto: „Atom ist zu riskant, Kohle zu dreckig, Gas zu russisch und Öko stinkt“ werden wir leider nicht weiterkommen; der Strom kommt eben nicht aus der Steckdose, sondern muss irgend- wo auch produziert werden. Mittlerweile herrschen in Deutschland ein Investi- tions- und ein Genehmigungsstau. Einzelne Inve- stitionsvorhaben werden bereits aufgegeben, übri- gens auch bei den erneuerbaren Energien. Allein E.ON wartet in Deutschland auf die Genehmigung von rund 800 km Hochspannungsleitungen. Die Konsequenzen daraus sind fatal. Wird der Markt mangels Investitionen dermaßen eng, steigt der Strompreis automatisch an, wenn nicht neue Kraft- werke und ausreichend neue Stromtrassen entste- hen. Hinzu kommt, dass Energiepolitik eine ele- mentare Standortpolitik ist. Nicht zuletzt vor die- sem Hintergrund ist eine zukunftsgerichtete Ener- giepolitik und ein leistungsfähiger Energiestand- ort wichtig, und zwar auch wichtig, um den Wirt- schaftsstandort Schleswig-Holstein und Ar- beitsplätze zu sichern und zu erhalten, nicht nur in den Kraftwerken. Weltweit nimmt der Bedarf an moderner Energie- und Umwelttechnik rasant zu. Es eröffnen sich hier enorme Chancen, zum Beispiel mit der Erforschung und Entwicklung der CO2-Abscheidung. Sich von dieser Technologie, die in der Tat erst in der Ent- wicklung ist, so zu verabschieden, wie das der Kol- lege Matthiessen hier tut, halte ich für falsch. Ich halte diese Verabschiedungsstrategie für gefährlich. (Beifall bei FDP und CDU)

Ließe man diese Technologie zu, ließe man sie sich entwickeln, böte sie mit Sicherheit eine Chance, insbesondere dann, wenn man gegen die Kernkraft zu Felde zieht, lieber Kollege Hentschel. Aber auch hier - das bedaure ich außerordentlich - schreien Vertreter Ihrer Partei vor Ort auf. So hat der Kreisverband der Grünen in Ostholstein beschlossen, die Ausweisung von CO2-Lagerstätten im Gebiet Ostholstein mit allen Mitteln zu verhindern. Ich sage Ihnen in allem Ernst, Herr Kollege Matthiessen:

Wenn man immer nur verhindern will und dann auch noch bei der technischen Entwicklung von Umweltentlastungsmaßnahmen auf die Bremse tritt, dann wird man irgendwann unglaubwürdig.

(Beifall bei FDP und CDU - Zuruf der Abge- ordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wollen sicheren, sauberen Strom. Ich sage das noch einmal: Wir wollen aber auch bezahlbaren Strom. Strom muss für die Menschen und für die Unternehmen in diesem Land bezahlbar bleiben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir wollen, dass Schleswig-Holstein von unsicheren Stromimporten so unabhängig wie möglich bleibt. Wir wollen vermeiden, dass Wertschöpfung und Arbeitsplätze verlagert werden. Man kann nicht nur fragen, wie viele Menschen in den einzelnen Kraftwerken arbeiten, sondern man muss fragen, was alles an wirtschaftlichem Potenzial daran hängt, dass Schleswig-Holstein nach wie vor Stromexporteur ist. Wir stehen für einen ausgewogenen Energiemix. Dieser führt zu einer Reduzierung der Abhängigkeit von einzelnen Energieträgern, Energielieferanten oder Lieferländern. Ebenso halten sich dann die Auswirkungen von regionalen oder sektoralen Versorgungsengpässen und von Preisschwankungen eher in Grenzen.

Ich würde mich freuen, wenn wir im Ausschuss über den von mir erwähnten Antrag der Grünen noch einmal reden, vielleicht verstehe ich ihn dann. Ich würde mich aber vor allem freuen, wenn wir wirklich bei der Energiedebatte ein bisschen weniger Ideologie und ein bisschen mehr Verstand walten lassen und mit so pauschalen Geschichten, wie die die SPD Kiel leider gerade im Wahlkampf einführt, ein für alle Mal Schluss machen. Denn an der Energieversorgung hängen wir buchstäblich alle.

(Beifall bei FDP, CDU und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg. - Das Wort für den SSW im Landtag hat nun Herr Abgeordneter Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der häufig geführten Klimadebatten ist immer wieder deutlich geworden, dass das Problem der zukünftigen Energieversorgung gelöst werden muss. Wir können die Probleme aber

(Dr. Heiner Garg)

auch nicht unabhängig voneinander betrachten, sie müssen zusammen gelöst werden. Hier liegt auch die große Herausforderung. Auf der einen Seite haben wir eine weltweit steigende Energienachfrage, bei der wir die Versorgungssicherheit zu bezahlbaren Preisen gewährleisten müssen und auf der anderen Seite haben wir das Klimaproblem, das maßgeblich auf CO2-Emissionen zurückzuführen ist.

Was wir also brauchen, ist eine nationale Strategie zur Steigerung der Energieeffizienz, Verbesserung der Energieeinsparung und der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien. Nur so können wir langfristig die Energienachfrage in den Griff bekommen und die Klimaschutzziele erreichen.

Was hier aber so leicht über die Lippen geht, lässt sich in der Tat nur schwer umsetzen. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir heute unseren Strombedarf gänzlich aus regenerativen Energieformen decken können. Aber so ist es leider nicht. Von der Landesregierung liegt uns zwar vor, dass Schleswig-Holstein ab 2020 seinen Strombedarf aus regenerativen Energieformen nicht nur decken kann, sondern auch Strom aus erneuerbaren Energien exportieren wird - so die Prognose der Landesregierung.

Die Energieversorgung darf aber nicht nur aus Sicht Schleswig-Holsteins betrachtet werden. Es handelt sich hierbei um eine nationale Aufgabe. Daher gilt es, die Zeit zu überbrücken, bis wir nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit die Stromversorgung komplett aus regenerativen Energien gewährleisten können.

Wann wir soweit sind und wann dies bundesweit möglich sein wird, wird davon abhängen, wie schnell und effektiv die Energieeinsparpotenziale gehoben werden können und wie zügig der Ausbau der erneuerbaren Energien vorangebracht wird.

Angesichts dieser Herausforderungen werden immer wieder Stimmen laut, die Atomenergie neu zu beleben und den Atomausstieg auszusetzen. Damit ließe sich in der Tat die Energieversorgung sichern und das Klimaproblem zwar nicht lösen, aber doch mildern. Wir würden also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das kann man politisch so sehen. Aber hier sage ich ganz deutlich, dass dies der falsche Weg ist, denn dieser Weg ist mit unabsehbaren Risiken behaftet, die wir nicht kontrollieren können. Er erzeugt ein gefährliches Abfallproblem für viele nachfolgende Generationen darstellt. Daher wird es mit dem SSW keinen Weg aus dem Atomausstieg geben. Wer sich also für die scheinbar einfache Lösung - Verlängerung der Laufzeit

der Atomkraftwerke - ausspricht, verschließt die Augen vor den Gefahren dieser Energieform und handelt verantwortungslos.

(Beifall beim SSW)

Darüber hinaus haben die Pannenserien bei deutschen Atommeilern längst gezeigt, dass diese Technologie nicht sicher ist. Daher müssen sie so schnell wie möglich abgeschaltet werden. Am Atomausstiegstermin darf auf keinen Fall gerüttelt werden. 2020 muss der letzte Meiler in Deutschland vom Netz genommen sein. Ein Hinauszögern über 2020 hinaus darf es nicht geben.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Um die Probleme der Energieversorgung und des Klimawandels bewältigen zu können, müssen die eingeschlagenen Wege kontinuierlich weitergegangen und stärker als bisher vorangebracht werden. Also müssen Energieeinsparpotentiale genutzt, die Energieeffizienz gesteigert und der Anteil an erneuerbaren Energien muss kontinuierlich erhöht werden. Dies ist die Antwort, um die Emission der Treibhausgase zu reduzieren. Doch wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass dies nicht von heute auf morgen zu machen ist.

Der heutigen Debatte liegen mehrere Anträge zugrunde, unter anderem auch ein Antrag des SSW vom Mai letzten Jahres. An der Haltung des SSW hat sich bezüglich unseres Antrags nichts geändert. Für uns bleibt bestehen, dass wir langfristig eine dezentrale Versorgung durch erneuerbare Energien brauchen. Hierfür ist es notwendig, das Stromnetz, das heute noch zentral ausgerichtet ist, umzustrukturieren und so umzubauen, dass die dezentralen Energieträger erschlossen werden können und der Strom eingespeist und weitergeleitet werden kann. Erzeugung, Verteilung und Verbrauch werden somit zu einer dezentralen Versorgungseinheit.