Protokoll der Sitzung vom 25.04.2008

5.700 Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren. Verstehe ich Sie richtig, dass Ihnen weniger Arbeitsplätze zu höheren Nominallöhnen wichtiger sind

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage, ich möchte meinen Gedankengang zu Ende bringen - als mehr Arbeitsplätze zu gegebenenfalls niedrigeren Löhnen, die dann staatlich ergänzt werden? Mir ist im Zweifel mehr Beschäftigung insgesamt lieber, gegebenenfalls aufgestockt durch staatliche Hilfen, damit diese Menschen ein würdiges Leben führen können, indem sie Arbeit und Beschäftigung haben.

(Beifall bei FDP und CDU - Wolfgang Baasch [SPD]: Das glaubst du doch selbst nicht! - Weitere Zurufe von der SPD)

Das ist der zentrale Unterschied zwischen diesen beiden Modellen.

Noch etwas, sehr verehrter Herr Kollege Stegner! Wenn Sie immer wieder darauf hinweisen, dass hier Steuersubventionen für Unternehmen bei Kombilohnmodellen rausgeschmissen werden, meinen Sie vermutlich dieselben Steuertöpfe, aus denen jetzt die ALG-II-Leistungen für die 5.700 von PIN entlassenen Mitarbeiter finanziert werden. Das sind

nämlich die gleichen Steuercents und Steuereuros, die Sie in Ihrer Rede gerade beklagt haben.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Dann ist es mir allemal lieber, die Menschen haben einen Arbeitsplatz und Beschäftigung,

(Beifall bei FDP und CDU)

anstatt dass sie staatlich finanzierte Arbeitslosigkeit von Ihnen verordnet bekommen.

Ich kann Gregor Gysi mittlerweile gut verstehen, als er die Plakate im niedersächsischen Landtagswahlkampf gesehen hat. Da haben die Sozialdemokraten plakatiert: „Gerechtigkeit kommt wieder“, und Gysi hat gefragt: „Wer hat sie denn fortgejagt?“

(Beifall bei der FDP)

Herr Stegner, ich prophezeie Ihnen eines: Wenn Sie mit dieser Politik so weitermachen, werden Sie weiterhin einer Partei Vorschub leisten, die Ihrer ehemaligen Volkspartei so das Wasser abgräbt, dass Sie in Zukunft nie mehr entscheiden können, mit wem Sie eigentlich Ihre Politik noch umsetzen wollen. Mit den Plattitüden, die Sie hier heute vorgetragen haben, helfen Sie Menschen nicht, sondern verdammen sie zur Arbeitslosigkeit. Statt dass wir uns ernsthaft über Kombilohnmodelle

(Zurufe von der SPD)

und über Einkommenssicherung unterhalten, veranstalten Sie hier einen billigen Kommunalwahlkampf. Wir werden sehen, wie nahe Sie Ihrem Ziel kommen, bei der Kommunalwahl über 30 % zu kommen.

(Zurufe von der SPD)

- Oder 35 %. - Ich sage Ihnen: Mit dieser Form von Wahlkampf stärken Sie die, die Sie überhaupt nicht haben wollen. Ich kann die Debatte, wie Sie sie führen, überhaupt nicht verstehen.

(Zuruf von der SPD: Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden! - Weitere Zurufe von der SPD)

Ein letzter Satz. Sie werden den Menschen erklären müssen, warum sie lieber staatlich finanziert zu Hause bleiben sollen, anstatt weiterhin einen ordentlichen Arbeitsplatz,

(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

im Zweifel aufgestockt etwa durch Kombilohnmodelle, zu haben. Das ist unser Modell. Ihr Modell

(Dr. Heiner Garg)

ist, die Leute zu Hause zu lassen. Ich mache mir das nicht zu eigen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Detlef Matthiessen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst einmal für die Ausarbeitung und Beantwortung der Großen Anfrage bedanken. Es ist schon merkwürdig. Dieser Liberalismus hat schon vor hundert und mehr Jahren behauptet, er beglückte die Leute durch -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wo der Sozialis- mus gelandet ist, haben wir gesehen! - Wei- tere Zurufe)

Das ist ein Wiederaufleben eines Marktradikalismus, von dem ich gedacht habe, dass es ihn gar nicht mehr gibt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Völliger Unsinn!)

1995 wurde die Öffnung des Briefmarktes in Deutschland durch die Befreiung von dem sogenannten Beförderungsvorbehalt nach dem Gesetz über das Postwesen eingeleitet. Bis dahin gab es das Monopol der Deutschen Bundespost im Briefmarkt. Nun kam die Vergabe von Lizenzen an andere Anbieter für die Beförderung von Massensendungen von einem Einzelgewicht von mehr als 250 g hinzu.

Die gesetzlichen Regelungen haben sich weiterentwickelt. Die Deutsche Post AG wurde noch lange Zeit durch eine befristete Exklusivlizenz für die Briefbeförderung vor Wettbewerb geschützt. Das galt bis zum 31. Dezember 2007. Seitdem ist der Postmarkt in Deutschland vollständig geöffnet. Das Postgesetz regelt neben den Rahmenbedingungen für die Postmärkte auch die Gewährleistung eines Universaldienstangebotes. Ein Mindestangebot muss flächendeckend in einer bestimmten Qualität und zu erschwinglichen Preisen gewährleistet werden. Ansonsten kann es schnell passieren, dass die ländlichen Räume von der Postversorgung abgekoppelt werden. Inhalt und Umfang des Universaldienstes sind in der Post-Universaldienstleistungsverordnung, die schon vom Minister genannte PUDL-Verordnung, festgelegt. Kontrolliert werden die Kriterien von der Bundesnetzagentur.

Neben den Universaldienstleistungen, zu deren Erfüllung die Post AG verpflichtet ist, hat die DP AG eine freiwillige Selbstverpflichtungserklärung abgegeben. Darin wird zugesagt, bundesweit mindestens 1.200 Filialen und mindestens 108.000 Briefkästen vorzuhalten. Gleichzeitig mussten viele Bürgerinnen und Bürger in ihren Stadteilen und Wohnorten feststellen, dass alteingesessene Postfilialen geschlossen und Briefkästen abmontiert wurden.

Aus der Antwort auf die Große Anfrage geht hervor, dass in Schleswig-Holstein die postalische Grundversorgung gewährleistet ist und auch die Pflichtstandorte ihre stationären Posteinrichtungen behalten.

Die Bundesregierung hat angekündigt, einen neuen Entwurf für die Änderung der Post-Universaldienstleistungsverordnung vorzulegen. Es kann gut sein, dass die Inhalte und Umfänge der Dienstleistungen verwässert werden. Gerade ich als Sprecher des ländlichen Raumes sehe dem mit sehr gemischten Gefühlen entgegen.

In der Antwort auf die Große Anfrage wird ausgeführt, dass die GMSH für 2008 erstmals landesweit eine Ausschreibung für Brief- und Paketdienste vorbereitet. Dabei sollen die Bieter eine Erklärung unterzeichnen, dass den Mitarbeitern der gesetzlich geregelte Mindestlohn gezahlt wird. Der Mindestlohn für die Briefzusteller ist ein wichtiger Diskussionspunkt bei der Öffnung des Briefmonopols.

Neben der Deutschen Post AG gibt es neue Mitbewerber, die sich in Stellung gebracht haben, unter anderem die PIN Group, eine Gesellschaft von Medienunternehmern. Mehrheitseigner war der Springer-Konzern. Der von ver.di mit dem Arbeitgeberverband Postdienste - wichtigstes Unternehmen ist dabei die Deutsche Post AG - ausgehandelte und für allgemein verbindlich erklärte Tarifvertrag legt Mindestlöhne zwischen 8 und 9,80 € fest.

Die privaten Zustelldienste hatten im Herbst 2007 einen eigenen Unternehmensverband gegründet, den Arbeitgeberverband Neue Post und Zustelldienste. Herr Stegner hat auch erwähnt, was die Folge war. An dessen Spitze steht interessanterweise der ehemalige Chef der Bundesagentur für Arbeit, Florian Gerster, SPD. Ebenfalls neu gegründet wurde die neue Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste, abgekürzt die GNBZ. Beide neue Verbände vereinbarten einen Tarifvertrag über die Mindestlöhne für Briefzusteller in Höhe von 6,50 bis 7,50 €, also über den Daumen gepeilt um 2 € weniger als im Bereich der Deutschen Post AG.

(Dr. Heiner Garg)

Im Rahmen der Insolvenzverwaltung des Postdienstleisters PIN Group kam heraus, dass dieses Unternehmen der neuen Gewerkschaft GNBZ 133.000 € zukommen ließ, um diese zum Laufen zu bringen. In dieser Branche wird also mit ganz harten Bandagen gekämpft.

Das ist eine Sache, die wir in dem Sinn, wie Dr. Stegner das vorgetragen hat, scharf verurteilen müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Große Koalition in Berlin hat keine Kraft für eine Einigung auf einen einheitlichen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn. Die SPD erklärt zwar, wie wichtig das Thema für sie sei, aber offenbar eben nur für Wahlkämpfe. Es steht ja auch wieder einer vor der Tür. Insofern ist dieser Tagesordnungspunkt optimal gesetzt worden. Respekt, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ganz zufällig!)

In der Großen Koalition wird diese aber wegen des Mindestlohns nicht infrage gestellt. Für mich stellt sich schon die Frage:

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Er ist unter Rot- Grün ja auch nicht eingeführt worden!)

Wenn Mindestlohn kein Knackpunkt ist für die SPD, was denn sonst?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: War das einer für die Grünen bei der Agenda 2010?)

- Herr Kollege, ich komme dazu. - Für uns ist Mindestlohn eine wichtige Angelegenheit. Wie wichtig die Einführung eines Mindestlohnes ist, zeigt das Ergebnis einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation. Danach hat Deutschland im europäischen Vergleich mit 22,6 % den höchsten Anteil von Niedrigverdienern. Vor zehn Jahren waren es noch 15 %.

Niedriglohn wird so definiert: Wer weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns verdient, gilt als Geringverdiener. In Deutschland liegt die Niedriglohnschwelle bei 6,81 € im Osten und bei 9,61 € im Westen. Es gibt 1,9 Millionen Menschen in Deutschland, die weniger als 5 € brutto die Stunde verdienen. Das ist in einem reichen Land wie Deutschland eigentlich unglaublich und ist unseres Landes auch unwürdig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)