Protokoll der Sitzung vom 19.06.2008

(Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Fraktionsvorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank an den Minister für den Bericht. Bundesweit gibt es circa 180 rechtsextremistische Organisationen. In Schleswig-Holstein dominieren die NPD und die aus den verbotenen neonationalistischen Organisationen hervorgegangenen sogenannten Freien Nationalisten.

Der Verfassungsschutz registriert 1.400 Mitglieder rechtsextremistischer Parteien und Organisationen. Erfreulich: Die Anzahl der Straftaten, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden, ist geringfügig zurückgegangen. Auch bei der Anzahl der Gewalttaten ist ein Rückgang zu verzeichnen.

Bei den Kommunalwahlen hat die NPD in Schleswig-Holstein eine herbe Niederlage erlitten - das freut mich. Nur in vier Kreisen hat sie es überhaupt geschafft, Kandidaten zur Wahl auf zu stellen. Landesweit hat sie lediglich 0,4 % der Stimmen und gerade einmal zwei Mandate erhalten.

All das ist sicherlich kein Grund zur Panik. Aber es ist auch kein Grund zur Entwarnung. Denn wenn in Pinneberg wieder einmal jüdische Hochzeiten unter Polizeischutz stattfinden müssen, weil dort mit Übergriffen zu rechnen ist, dann ist das beschämend.

(Beifall)

Ich denke, wir werden uns auch in Zukunft noch länger mit dem Thema auseinandersetzen müssen.

Wir wissen, dass die Neonazis versuchen, einerseits durch ein scheinbar biederes und bürgerliches Auftreten gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen und andererseits Jugendliche zu radikalisieren und zu begeistern, indem sie Aufmärsche veranstalten oder rassistische und antisemitische Hetze in Kommunalparlamenten und im Internet verbreiten.

Rechtsextremes Gedankengut ist aber - das wissen wir alle - weiterhin latent vorhanden. Alle einschlä

(Thomas Rother)

gigen Befragungen zeigen, dass es durchaus einen beträchtlichen Teil in der Bevölkerung gibt, der rechtsextremistisches Gedankengut hat.

Deswegen muss sich die Gesellschaft mit dieser Frage auseinandersetzen, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Es gilt, einerseits die Ebene des Rechtsstaates und andererseits die innere Zivilgesellschaft zu beachten. Ich glaube, da muss man sehr sauber trennen. Bei dem Rechtsstaat ist es klar: Kriminelle Handlungen werden durch die Polizei und die Justiz verfolgt. Was aber die Zivilgesellschaft angeht, haben wir ein vielfältiges Spektrum von Aufgaben. Schulen und Bildungseinrichtungen müssen Wissen und Argumentationsmuster vermitteln, damit junge Menschen nicht auf dumme menschenfeindliche Parolen hereinfallen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Dort, wo Nazis offen auftreten, muss dem entgegengetreten werden: Durch kriminalpräventive Räte, die sich bewährt haben, durch aktives Handeln von Schülervertretungen, Gemeinderäten, Vereinen und Kirchen, aber auch durch öffentliche Kundgebungen, um die Rechtsradikalen nicht die Straße zu überlassen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Aber im Rahmen des Rechtsstaats!)

- Natürlich! Im Rahmen des Rechtsstaates! - Rassismus und Antisemitismus in den Köpfen können nicht allein durch Repressionen bekämpft werden, sondern dies erfordert ein engagiertes Eintreten der Demokraten für eine solidarische und weltoffene Gesellschaft.

Meine Damen und Herren, der Bericht beschäftigt sich auch mit der Frage der finanziellen Ressourcen der Rechtsradikalen. Diese Ressourcen werden - von Einzelfällen abgesehen - derzeit in SchleswigHolstein als unbedeutend eingeschätzt.

Erfreulich ist, dass parteinahen Bildungseinrichtungen, für die das Parteienprivileg nach Artikel 21 des Grundgesetzes nicht gilt, staatliche Mittel nicht gewährt oder wieder entzogen werden, wenn sie verfassungsfeindliche Bildungsinhalte vermitteln.

Auch soll diesen Einrichtungen keine steuerliche Gemeinnützigkeit gewährt werden. Das ist beruhigend. Erschreckend ist allerdings, dass es ein umsatzträchtiges Geschäft mit dem Verkauf von Bekleidung, Musik und Literatur gibt. Gerade über diese Materialien erreichen die Rechten junge und noch unerfahrene Menschen und gewinnen sie für ihre Zwecke. Die Tendenz der Nazis, über die Ver

teilung von kostenlosen Musik-CDs den Einstieg in das rechte Milieu schon bei Schülern zu befördern, ist nicht zu akzeptieren. Deswegen ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus gerade in der Jugendarbeit von besonderer Bedeutung. Deshalb gilt es, ein friedliches und demokratisches Miteinander aller Kulturen in den Schulen zu lehren, aber auch zu praktizieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, viele theoretische Vorträge und auch viele Vorträge, die wir im Landtag halten, sind relativ nutzlos, wenn kein demokratisches Zusammenleben praktiziert und geübt wird. Nur dann macht es einen Sinn. Wenn man es selbst praktiziert und zum Beispiel entsprechende Veranstaltungen organisiert, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen betreffen, wie wir sie im Landtag hatten, ist dies viel wichtiger als Sonntagsreden zu halten.

Gerade wir als Politiker stehen in der Pflicht, bei solchen Veranstaltungen Flagge für Demokratie und gegen Fremdenfeindlichkeit zu zeigen. Ich wünsche mir, dass es auch in Zukunft so geschieht, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Wir können zufrieden damit sein, dass es gelungen ist, dass sich der Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein nicht verbreitet, sondern im Moment eher rückläufig ist. Damit können wir sehr zufrieden sein. Wir sollten bei der Frage weiterhin wachsam bleiben.

(Beifall im ganzen Haus)

Für die Gruppe des SSW erteile ich der Frau Vorsitzenden Anke Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz Bildern von rechten Schlägern sagt der vorliegende Bericht klar und deutlich, dass die NPD keineswegs den großen Widerhall in der Bevölkerung findet, wie sie es der Öffentlichkeit gegenüber weißmachen möchte. Seit der Kommunalwahl ist die NPD aber im Herzogtum Lauenburg mit Kay Oelke und in Kiel durch Hermann Guttsche vertreten. Beide haben bereits kurz nach der Wahl mit wüsten Beschimpfungen der sogenannten Blockoder Altparteien versucht, auf sich aufmerksam zu machen. Dennoch rate ich den Demokraten zur Gelassenheit. Wir sollten diesen Schreihälsen keinen Raum geben.

(Karl-Martin Hentschel)

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Eine Ansammlung von sieben Nazis, wie jüngst vor dem Kieler Rathaus, kann wohl kaum als ernst zu nehmende Demonstration durchgehen. Sie ist eine Provokation, mit der man unaufgeregt umgehen sollte. Die rechten Trupps inszenieren sich gern als Volksmasse. Es gelingt ihnen aber nicht, flächendeckend in Schleswig-Holstein in Erscheinung zu treten, weil ihnen die Mitglieder und die Unterstützung fehlen. Trotzdem möchte ich sagen, es gibt natürlich keinen Grund zur Entwarnung oder zur Verniedlichung. Wir sollten aber daran festhalten, dass das, was wir jetzt in Kiel erlebt haben, wirklich kein Grund zur Besorgnis ist.

Der Bericht zeigt, dass die rechtsextremistisch motivierten Delikte in vielen Kreisen zurückgegangen sind, so in Herzogtum Lauenburg, in Plön, in Pinneberg und auch in Rendsburg-Eckernförde. Andererseits verdoppelte sich die Zahl in Flensburg. Ich glaube, dass das uneinheitliche Lagebild, das uns der Innenminister zeigt, mit unterschiedlichen lokalen Strukturen zusammenhängt. Es gibt im Land einige braune Zirkel, die trotz begrenzter Ressourcen kraftvoll in Erscheinung zu treten wissen. In anderen Landstrichen gibt es lebendige Projekte, die jedem rechtsradikalen Gedankengut den Boden entziehen. Der SSW möchte den Innenminister ausdrücklich dafür loben, dass er das Parlament nicht mit Patentrezepten abspeist, sondern offen zugibt, dass er die Gründe für das uneinheitliche Lagebild nicht kennt.

Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der Bericht klar und deutlich zu verstehen gibt, wie die Landesregierung mit rechtsextremistischen Bildungseinrichtungen umgeht oder gedenkt umzugehen. Es ist aber richtig, im Ausschuss noch einmal zu hinterfragen, wie das im Detail gemacht werden kann. Es ist wichtig, daran festzuhalten, dass die existierenden Gesetze konsequent angewendet und umgesetzt werden müssen und wir keine neuen Gesetze benötigen. Der Rechtsstaat ist stark genug, um mit den vorhandenen Gesetzen zu arbeiten.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Menschenverachtendes Gedankengut, die Verherrlichung des Krieges und die Leugnung des Völkermordes sind natürlich keine Bagatellvergehen. Die Polizei in unserem Land verfolgt die Delikte und ist damit Teil einer starken demokratischen Bewegung. Volksverhetzung und das Verwenden verfas

sungswidriger Symbole machen denn auch das Gros der Delikte aus, von denen hier die Rede ist. Schlimmer als diese Symbole sind aber die Parolen, die drohen, in die Köpfe zu sickern. Die NPD versucht immer wieder, die demokratischen Organe zu diskreditieren und die Politiker als korrupt zu diffamieren. Das Gerede vom Parlament als „Quasselbude“ war einer der Argumente der NSDAP, die ihr vor 75 Jahren die Wähler zutrieb. Darum sage ich noch einmal vor dem Hintergrund der Kommunalwahl: Wenn Wahlverlierer gleich mit der Demokratie hadern, weil Bürger gegen sie gestimmt haben, dann geben diese Politiker nach meinem Dafürhalten ein Signal, das sich instrumentalisieren lässt. Wenn Wahlkämpfer ihre Gegner pauschal als faul oder käuflich verunglimpfen, dann nähren sie eine politikfeindliche Haltung, die in eine Ablehnung der Demokratie münden kann.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Die Geschichte führt uns die schlimmen Konsequenzen dieses Verhaltens vor Augen. Die Weimarer Republik ging nicht an Mangel an Demokratie zugrunde, sondern weil ihr die Demokraten fehlten. Darum ist eine Demokratie, die immer wieder neu erlebt und erstritten wird, die beste Garantie dafür, dass der Rechtsextremismus eine Randerscheinung bleibt. Lebendige Demokratie lebt von Beteiligungsrechten. Dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass sie auf kommunaler Ebene kaum etwas bewegen können, belegt die niedrige Wahlbeteiligung. Darum sage ich: Demokratie ist keine Sache von Showveranstaltungen oder Feiertagen. Es ist die Gestaltung der Gesellschaft durch alle.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Je attraktiver die Beteiligungsmöglichkeiten sind, desto weniger Chancen haben rechtsextreme Gruppierungen. Das sollte eigentlich die Konklusion oder das Fazit dieses Berichtes sein.

(Beifall bei SSW, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/2096, an den Innen- und Rechtsausschuss federführend und an den Finanzausschuss mitberatend zu überweisen. Wer so be

(Anke Spoorendonk)

schließen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen! - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen worden.

Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 23 auf:

Flexible Eingangsphase der Grundschule

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/2075

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/2126

Bericht und Beschlussempfehlung des Bildungsausschusses Drucksache 16/2121

Ich erteile der Berichterstatterin des Bildungsausschusses, der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg, das Wort.

Danke schön, Herr Landtagspräsident. - Der Landtag hat in seiner letzten Tagung im Mai über den Antrag der FDP „Flexible Eingangsphase der Grundschule“ debattiert und ihn zur weiteren Beratung an den Bildungsausschuss überwiesen.