Protokoll der Sitzung vom 02.09.2005

Herr Abgeordneter Harms, Sie sprechen von sexueller Selbstbestimmung ohne finanzielle Restriktionen und Sie sprechen von Gender Mainstreaming. Zwei wichtige Themen, wie ich finde. Mein Eindruck ist: Auch diese Debatte hat ihre Tücken. Das Thema Gender Mainstreaming habe ich bislang so verstanden, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass es eine sexuelle Selbstbestimmung ohne finanzielle Restriktionen schon gibt, allerdings für Männer. Vor diesem Hintergrund wäre eine geschlechtsspezifische Debatte insgesamt hilfreich.

Das Thema ist interessant, hat viele Dimensionen. Ich würde mich freuen, wenn wir im Ausschuss die Solidität dieser Anträge systematisch durchleuchteten, wenn wir die Themen sexuelle Selbstbestimmung und Verhütungsmittel auf das Thema der jungen Menschen und der ungewollten Schwangerschaften ausweiteten. Ich finde jedenfalls, das Thema ist es wert.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke der Frau Ministerin. - Mir liegen bereits zwei Wortmeldungen nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung vor. - Zunächst hat Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich fand die Debatte trotz unterschiedlicher Töne beziehungsweise unterschiedlicher Auffassungen bis zu dem Beitrag der Sozialministerin eigentlich recht angenehm.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Sozialministerin, ich will Ihnen eines sagen. Sie haben das hier schon mehrfach getan. Bisher habe ich mich dazu nicht geäußert. Heute sage ich Ihnen: Sie haben wieder - diesmal mir, meiner Fraktion - etwas unterstellt, nämlich dass wir unsere generelle Kritik an Hartz IV verarbeitet hätten. Das ist schlicht und ergreifend nicht richtig.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe gesagt, bestimmte Regelungen bedürften einer Revision. Da war im Übrigen selbst Ihre Fraktion meiner Auffassung. Ich weise das in aller Ruhe,

(Dr. Heiner Garg)

aber auch in aller Schärfe zurück. Sie behaupten schlicht und ergreifend falsche Tatsachen,

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

bauen einen Popanz auf, um sich dann hier hinzustellen und das zu korrigieren.

(Zurufe)

- Das ärgert mich einfach. Das ist ein ganz schlechter Stil. Sie wissen ganz genau: Wir hatten in diesem Haus eine Sozialministerin, mit der man Politik gestalten konnte, mit der man über Fraktionsgrenzen - -

(Zurufe)

- Nein, haben wir nicht. Ihr leistet euch im Moment eine Unsozialministerin, die biegsam und beweglich ist.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Es geht um Ver- hütungsmittel! Mach doch keinen Popanz!)

Ich hätte gern den Beitrag der Sozialministerin gehört, wenn sie Sozialministerin in einer rot-grünen Koalition gewesen wäre. Ich wette, er wäre ungefähr deckungsgleich mit dem Beitrag der Kollegin Lütkes ausgefallen. Es hätte nicht dieses Geblubbere gegeben, das wir gerade gehört haben.

(Beifall bei FDP und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat die Frau Kollegin Anne Lütkes.

Frau Präsidentin! Auch mir gibt der Beitrag der Frau Ministerin Anlass, doch noch einmal kurz etwas zu sagen. Ich habe den Eindruck, dass die Rede entweder wenig durchdacht war - der Antrag kam recht kurzfristig auf den Tisch - oder dass wir riesige Missverständnisse haben.

Erstens. Der Regelsatz für Minderverdienende, für die Empfänger nach Arbeitslosengeld II ist gerade deshalb ein Regelsatz, damit ihnen ein bestimmtes Quantum eigenständig zur Verfügung steht und nicht, damit sie gegenüber anderen Geringverdienenden besser gestellt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das ist der Grundsatz. Deshalb die grundsätzliche Erklärung: Wir brauchen einen Pauschbetrag.

Zweitens. Richtig ist, die Empfängnisverhütung für Minderjährige als ein ganz besonderes Problem zu

betrachten, pädagogisch, familienpolitisch, gesellschaftspolitisch und insbesondere frauenpolitisch. Falsch ist es zu sagen, daraus folgt konkludent, dass wir dann, wenn die Volljährigkeit erreicht ist, das Problem dem freien Lauf der Kräfte oder der eigenen Entscheidung überlassen können. Natürlich ist es eine Frage der eigenen Entscheidung. Aber es ist auch eine Verpflichtung des Staates, den Pauschbetrag so zu benennen, dass die eigene Entscheidung möglich ist und gesellschaftliche, individuelle, menschlich nicht gewollte Folgeentscheidungen getroffen werden, aufgrund derer wieder der Staatskasse zur Last gefallen wird.

Drittens. Ich habe Ihre Bemerkung nicht ganz verstanden, ob es bei Sozialhilfeempfängern - um den alten Wortgebrauch zu benutzen - besonders geboten ist, Empfängnisverhütung zu betreiben. Entweder habe ich Sie falsch verstanden oder in Ihren Worten kommt eine Grundhaltung zum Vorschein, die ich nicht verstanden haben will. Da bitte ich noch einmal um Klarstellung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Viertens. Geschlechtgerechtigkeit. Wir sind uns in der Vergangenheit einig gewesen. Frauenpolitisch hatten wir eigentlich nie einen Dissens. Frauenpolitik bedeutet in diesem Fall gerade, dass wir nicht nur an die Verantwortlichkeit der Männer appellieren, sondern dass sie eingeklagt wird, dass sie erwartet wird, dass aber auch den Männern die finanzielle Basis gegeben wird - und sei es nur durch einen kleinen Pauschbetrag.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte versuchen, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass wir alle wieder ein bisschen näher aneinander rücken. Eines möchte ich erstens klarstellen - das hat Heiner Garg eben auch schon einmal angesprochen -: Unser Antrag - ich glaube, der Antrag der Grünen und die Stellungnahme der FDP sind genauso zu sehen - ist nicht als ein Vehikel gewesen, um Hartz-IV-Kritik zu äußern. Das kriege ich auch anders und viel schärfer auf die Reihe. Man konnte das meinem Redebeitrag wohl auch entnehmen. Für den stehe ich jetzt hier. Ich habe gesagt,

(Lars Harms)

dass man über das eine oder andere streiten kann. Ich habe gesagt, dass das für beide gilt, was mit Hartz IV beschlossen wird. Wir können uns gern später darüber streiten. Das habe ich auch gesagt. Hier handelt es sich um ein konkretes Problem, das einen anderen Hintergrund hat,

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nämlich die Frage der Gerechtigkeit im Zusammenhang mit der Verhütung - Männer, Frauen -, wie wir das gebacken kriegen. Deswegen haben wir den Antrag auch so eng gefasst.

Zweitens. Frau Ministerin, Sie haben vorhin Folgendes gesagt - korrigieren Sie mich, wenn ich Sie nicht richtig verstanden habe -: Wir versuchten, Kinderreichtum in die Nähe von Hartz IV zu rücken. So habe ich das verstanden. Glauben Sie mir persönlich, dass ich das nie tun würde. Das würde ich schon aus eigener Erfahrung heraus nicht tun. Kinderreichtum hat wenig mit Hartz IV zu tun. Heiner weiß, was ich meine.

Drittens. Wir haben unseren Antrag natürlich sehr allgemein formuliert. Wir haben einen Lösungsweg gezeigt, indem wir gesagt haben, man könnte es im Rahmen der Sozialleistungen pauschal kostenlos zur Verfügung stellen. Die Grünen wählen einen anderen Weg, indem sie sagen, sie wollten das einrechnen. Mir ist piepenhagen, welchen Weg wir gehen; Hauptsache, wir gehen im Interesse der Personen, die davon betroffen sind, einen Weg.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sollten wir im Ausschuss hinkriegen. So habe ich Sie verstanden, nämlich dass Sie gesagt haben: Lasst uns noch einmal darüber reden, nämlich erstens über das eine Problem und zweitens über weitere Probleme, die sich möglicherweise im Rahmen der Umsetzung von Hartz IV ergeben haben. Wir sollten im Ausschuss beraten, ob wir als Land SchleswigHolstein in den Beratungen, die nach dem 18. September, nach der Bundestagswahl, anstehen, mit konkreten Vorschlägen kommen, wie wir die Probleme des Alltages, die mit Hartz IV verbunden sind, aus dem Wege räumen können. Ich denke, wenn wir diesen Weg gehen, dann ist das okay. Alle anderen Hartz-IV-Debatten können wir an anderer Stelle führen.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem weiteren Beitrag hat Ministerin Dr. Trauernicht-Jordan das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rede jetzt etwas langsamer, weil ich zugestehe, dass ich gerade etwas temporeich war und dadurch offensichtlich einige Missverständnisse ausgelöst habe. Aber die Rede wird ja nachgelesen werden können, und wir haben auch im Ausschuss Gelegenheit, noch einmal darüber zu sprechen.

Um das noch einmal klarzumachen: Worum geht es Ihnen? Um ein gut gemeintes Anliegen - das habe ich deutlich gesagt -, nämlich letztlich um die kostenfreie Abgabe von Empfängnisverhütungsmitteln. Ich würde sagen: für alle. Aber die Anträge fokussieren es auf bestimmte Zielgruppen, nämlich auf Sozialhilfe- und auf ALG-II-Empfänger. Mein Wunschanliegen ginge also noch weiter: Verhütungsmittel für alle.

Wenn Sie diese Ziele verfolgen, stellt sich die Frage nach der Ausgangssituation. Hierbei muss man, finde ich, zwei Dinge berücksichtigen.

Bei den Sozialhilfeempfängern haben wir eine Pauschalierung und diese Pauschalierung sieht im Bereich des Eckregelsatzes Gesundheitspflege vor. Innerhalb dieser Gesundheitspflege ist auch das Thema Empfängnisverhütung angesiedelt. Nun kann man mit Fug und Recht darüber streiten, ob der Warenkorb umfassend genug ist, ob der Regelsatz ausreicht.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Antrag!)

Darüber kann man streiten, aber das ist eine andere Debatte. Fakt ist aber, dass das Thema der Empfängnisverhütungsmittel jetzt schon für Sozialhilfeempfänger in den Eckregelsätzen enthalten ist. Darauf wollte ich aufmerksam machen.

Ein anderes - und deswegen HARTZ IV -: Wenn Sie HARTZ IV und das Thema ALG-II-Empfänger und Empfängnisverhütung debattieren, dann müssen Sie doch als erstes positiv feststellen, dass ALG-IIEmpfänger erstmalig in dieser Form krankenkassenversichert sind. Das heißt, dass sie Anspruch auf die gleiche Leistung haben wie jeder andere Mensch auch. Sie haben Anspruch auf kostenlose Empfängnisverhütungsmittel bis zum Alter von 20 Jahren.