Protokoll der Sitzung vom 16.07.2008

(Beifall bei der CDU)

Bei allen weiteren Energieträgern steht doch außer Frage, dass die Nutzung der Kernenergie -

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Kollege Matthiessen, Herr Dr. Wadephul hat das Wort.

Es steht doch außer Frage, dass die Nutzung der Kernenergie risikobehaftet ist. Wer will das denn bestreiten! Das kann doch kein vernünftig denkender Mensch bestreiten! Deshalb gibt es doch überhaupt keinen Anlass dafür, zu sagen, man sei in einer Euphorie oder man sei ein völlig unbekümmerter Anhänger der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Das ist doch niemand in Deutschland. Darüber wird doch verantwortungsvoll diskutiert.

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir müssen aber auch über die Alternativen reden. Herr Dr. Marnette hat darauf hingewiesen. Wir haben einen Wegfall von Stromproduktion zu kompensieren. Die Frage ist, wie wir diesen Wegfall kompensieren wollen. Ist es energiepolitisch, wirtschaftspolitisch oder verbraucherpolitisch besser, wenn wir an dieser Stelle CO2-produzierende Kohlekraftwerke oder Braunkohlekraftwerke einsetzen? Wollen Sie diese Alternative? Ist das völlig risikolos? - Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Die neue Koalition in der Stadt Kiel hat in Erwägung gezogen, möglicherweise ein Gaskraftwerk einzusetzen. Gibt es denn dabei überhaupt keine Risiken? Produziert ein Gaskraftwerk denn kein CO2? Bringt uns ein Gasimport nicht in eine gefährliche politische Abhängigkeit von Produzenten, die wir in Deutschland nicht wollen können?

(Beifall bei der CDU)

Deshalb meine ich, dass man diesen Fragen nicht ausweichen darf. Es gibt keinen Anlass für eine völlig kritiklose Euphorie für die Kernenergie. Das

ist völlig klar und unstreitig. Eine rationale und vernünftige Abwägung zeigt uns zum jetzigen Zeitpunkt jedoch, dass wir eine Streuung der Risiken brauchen. Wir brauchen einen Energiemix. Wir brauchen auf absehbare Zeit weiter alle Energiequellen, die uns zur Verfügung stehen. Dazu gehören fossile Energiequellen genauso wie die Kernenergie.

Lieber Herr Kollege Garg, deshalb schließe ich mich an dieser Stelle den Worten Ihres Bundesvorsitzenden Dr. Guido Westerwelle an, der an dieser Stelle gesagt hat, Deutschland sei bei der Energiepolitik der Geisterfahrer der Welt. Guido Westerwelle hat recht. Ich hoffe, er kann Sie noch überzeugen.

(Beifall bei der CDU)

Weitere zusätzliche Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Nach unserer Geschäftsordnung hat nach der Rede der Regierung jede Fraktion die Möglichkeit, einen Redner zu stellen. Deswegen schließe ich die Debatte. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Auf der Tribüne begrüße ich ganz herzlich Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrkräften des Marion-Dönhoff-Gymnasiums aus Mölln sowie Mitglieder des 7. Spezialpionierbatallions aus Husum. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich rufe Punkt 35 der Tagesordnung auf:

Auswirkungen der Flächenkonkurrenz bei der Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen

Mündlicher Bericht der Landesregierung

Das Wort hat der Minister für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Herr Dr. Christian von Boetticher.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schade, dass jetzt einige Abgeordnete den Saal verlassen; denn diese Debatte knüpft nahtlos an die vorherige Debatte an.

Es ist schön, wenn immer wieder gesagt wird, was man zur Energieproduktion nicht benutzen darf. Man darf möglichst keine Kernenergie benutzen.

(Dr. Johann Wadephul)

Man darf möglichst auch keine Kohleenergie benutzen. Wir kommen aus einer Debatte, in der wir geglaubt haben, wenn „Bio“ draufsteht, ist alles gut: Bioetharnol ist etwas Tolles. Biomasse reicht aus, um uns mit Energie zu versorgen.

Jetzt kommt ein neues Thema auf die Tagesordnung. Ich bin dankbar, dass wir heute die Gelegenheit haben, im Anschluss darüber zu reden, nämlich über die Flächenkonkurrenz. Wir stellen alle nämlich fest, dass die Fläche, die als Alternative genutzt werden soll -

(Unruhe)

Ich wäre dankbar, wenn sich die Unruhe ein bisschen legen und die ungeteilte Aufmerksamkeit dem Minister zugewandt würde.

(Beifall der Abgeordneten Hartmut Hamerich [CDU] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wenn wir feststellen, dass die Fläche, die wir haben, endlich ist, dass wir sie entweder für eine Nahrungsmittelproduktion oder für einen intensiven Naturschutz oder für nachwachsende Rohstoffe und Biomasse einsetzen können, stellen wir fest, dass das, worüber wir eben diskutiert haben, Konsequenzen hat. Diesen Konsequenzen muss man sich stellen. Da darf man nicht so tun, als sei das eine einfache Diskussion. Wer Kohle und Kernenergie nicht will, muss sich über die Konsequenzen für die Fläche und die Flächenkonkurrenz bewusst sein.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin froh, dass das Thema jetzt auf der Tagesordnung steht. FAO, Weltbank, G8-Gipfel, kaum eine Institution, die sich jetzt nicht diesem Thema gewidmet hat. Ich darf aber auch sagen, dass unser Ministerpräsident Peter Harry Carstensen einer der ersten war, die sich in diesem Jahr schon früh diesem Thema gestellt und es auf die Tagesordnung der Bundespolitik gehoben haben. Ich danke an dieser Stelle auch Claus Ehlers und der CDU-Fraktion, dass sie sich kürzlich im Rahmen des Fördeforums dem Thema „Wie viel Bioenergie verträgt die Welternährung?“ gestellt haben.

Eines vorweg: Hunger und Armut sind auf der Welt nicht neu. Hunger und Armut gab es auch schon,

als wir in Europa Butterberge und Milchseen gehabt haben, sind also nicht unmittelbar Ausfluss von Unterproduktion auf der Welt. Aber wir müssen feststellen, dass die Weltbevölkerung wächst. Wir werden 2050 rund 9,5 Milliarden Menschen auf der Welt haben. Ob dann noch ausreichend Nahrungsmittel da sind, wird sich zeigen, zumal es auch ein rasantes Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern, in China und in Indien, gibt. Hinzu kommt der steigende Wohlstand dort, der mehr Veredelung und damit mehr Fleischkonsum mit sich bringt, der einen höheren Bedarf an Energie und Futtermitteln zur Folge hat. Gleichzeitig explodieren die Rohölpreise. Biotreibstoffe und die energetische Nutzung von Biomasse erreichen die Schwelle zu einer wirtschaftlichen Nutzung und konkurrieren damit auch wirtschaftlich mit der Nahrungsmittelproduktion.

All das sind auch Folgewirkungen unserer Energiekrise. Ich glaube, man kann die eine Diskussion nicht ohne die andere führen. Wir stellen heute schon fest, dass die Auswirkungen auf der Welt höchst unterschiedlich sind. Ich werde gleich noch etwas dazu sagen.

Zunächst möchte ich etwas zu den Auswirkungen auf dem Agrarmarkt in Europa sagen. Rund 71 % der Landesfläche in Schleswig-Holstein befinden sich im agrarischen Wettbewerb. Dort greifen die Mittel der Märkte. Dieser Weg war gewollt. Er ist konsequent gegangen worden. Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, dass es Frau Künast und den Grünen mit dem Weg in den Markt gar nicht schnell genug gehen konnte: Weg mit den Subventionen, Öffnung für Drittländer. Das war immer ihre Prämisse. Daran muss man heute wieder einmal erinnern.

Immer noch ist der Grad an Selbstversorgung in Deutschland mit Getreide, Milch und Zucker bei weit über 100 %. Das heißt, von Nutzungsdruck auf die Nahrungsmittelproduktion kann zumindest bei uns - das muss man sicherlich regional sehen noch nicht gesprochen werden.

Wir haben in Schleswig-Holstein ein unterschiedliches Bild. Eine Konkurrenz ergibt sich dort, wo bisher Maisfläche für Futtermittelproduktion angebaut worden ist, die jetzt in Biomasseanlagen geht. Das betrifft in der Masse vor allen Dingen die Bereiche des Mittelrückens, das betrifft SchleswigFlensburg, das betrifft Nordfriesland. Dort haben wir in der Tat steigende Pachtpreise gehabt. Dort haben wir auch höhere Flächenerwerbspreise gehabt. Aber noch einmal deutlich: regional begrenzt!

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

Im Übrigen bleibt festzustellen, dass natürlich auch in den anderen landwirtschaftlichen Gegenden, in denen diese Konkurrenz nicht unmittelbar spürbar ist, heute höhere Gebote bei Pacht und bei Kauf im Umlauf sind. Das liegt am Ende einfach an der erhöhten Nachfrage, daran, dass die Agrarrohstoffe in ihren Preisen gestiegen sind.

Wir müssen aber feststellen, dass die standörtlichen und strukturellen Gegebenheiten unserer Betriebe weiterhin eine effiziente und wirtschaftlich lohnende Flächenbewirtschaftung ermöglichen. Die steigenden Lebensmittelpreise haben eine Menge Ursachen. Es gibt - wie das in der Energiewirtschaft immer so ist - komplexe Zusammenhänge, die man nicht einfach simplifizieren darf. Ich nehme das Ergebnis einer Arbeitsgruppe, die bei der Bundeskanzlerin getagt und die ihre Ergebnisse veröffentlicht hat. Danach werden die steigenden Lebensmittelpreise nur zu einem sehr geringen Teil von einer stärkeren energetischen Nutzung von Biomasse auf der Welt verursacht, sondern sind vor allen Dingen der steigenden Bevölkerung, der Änderung der Ernährungsgewohnheiten auch in Asien geschuldet. Gleichzeitig gab es in den letzten beiden Jahren Missernten in wichtigen Erzeugerländern, sinkende weltweite Lagerbestände, Spekulationen an den Rohstoffmärkten und steigende Rohölpreise. Ich nenne Ihnen als Beispiel einmal die MahlweizenNotierung für 2007: im Mai 150 €/t, am 10. August 220 €/t, am 5. September 283 €/t und am 20. Dezember 253 €/t. Daran sehen Sie die gewaltigen Sprünge, die es international an den Lebensmittelmärkten gegeben hat. Dies ist nicht allein Marktentwicklung, da ist auch ein gehöriges Stück Spekulantentum dabei.

Eines aber ist richtig: Wir werden uns an schwankende Weltmarktpreise in Deutschland auch in der Landwirtschaft gewöhnen müssen. Auch da darf ich sagen: Hier gibt es eine Entkopplung - Verantwortung: Frau Künast -, die Preise schwanken. Das haben sie auf den Weltmärkten immer getan. Langfristig gibt es eine Entwicklung, bei der wir sicherlich beobachten müssen, ob landwirtschaftliche Produktion und Produktionssteigerung durch Technik mit dem Produktionsflächenverlust auf der Welt werden einhergehen können.

Zukunft heißt also für uns mehr Markt. Der Gleitflug, der von Frau Künast für 2013 eingeleitet worden ist, bedeutet, dass 2013 eine einheitliche Flächenprämie gezahlt wird. Das heißt, am Ende werden wir uns mehr Markt stellen müssen. Die Milchquote soll 2015 abgeschafft werden. Auch das ist eine langjährige Forderung der Grünen.

Ich teile die Ansicht, die die Europäische Union heute hat, dass wir nach wie vor, auch über 2013 hinaus, eine Unterstützung der Landwirtschaft brauchen, weil dort Bedeutendes für das Gemeinwohl geleistet wird. Ich nenne nur die hohen Anforderungen an Verbraucherschutz, Umweltschutz, Tierschutz - alles Auflagen, die wir im Rest der Welt nicht haben, die wir wollen, die wir am Ende aber auch ein Stück weit unterstützen müssen.

Lassen Sie noch einmal zusammenfassen. Durch die Nachfragezunahme sowohl bei den Nahrungsmitteln als auch bei den nachwachsenden Rohstoffen beziehungsweise bei der Bioenergie können Nutzungs- und Flächenkonkurrenz nicht ausgeschlossen werden. Regional haben wir sie. In Deutschland und in Europa als Ganzes besteht aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine bedenkliche Flächenkonkurrenz zwischen Lebensmittelproduktion, Umweltschutzerfordernissen und der Erzeugung von nachwachsenden Rohstoffen. Auch außerhalb Europas gibt es Möglichkeiten, Bioenergieträger unter Vermeidung von Flächenkonkurrenz nachhaltig zu erzeugen. Es sei auch noch einmal daran erinnert, dass die Frage, ob in Brasilien Bioethanol erzeugt wird, nur zu einem ganz kleinen Teil von den europäischen Gewohnheiten abhängt. Da entscheidet man sich pur nach dem Dollarpreis pro Barrel Rohöl. Wenn der eine gewisse Marke übersteigt, wird gnadenlos in die Ethanolproduktion gegangen.

Wir haben einiges getan, um die Flächenkonkurrenz zu mildern. Wir haben uns sowohl in der UMK als auch im Bundesrat für folgende Punkte erfolgreich eingesetzt:

Erstens. Abschaffung der obligatorischen Flächenstilllegung.

Zweitens. Vorrang soll die energetische Nutzung von biogenen Reststoffen haben. Im Rahmen der Novellierung des EEG habe ich mich deshalb für die Einführung eines Güllebonus bei der Vergütung von Strom aus Biogasanlagen eingesetzt. Auch sollte meiner Auffassung nach die gesetzlichen Regelungen des EEG eine Vergütung von Strom, der mithilfe hochwertiger Reststoffe aus der Tierkörperbeseitigung erzeugt wird, ermöglicht werden. Auch das würde den Druck ein Stück nehmen.

Drittens. Sofern nicht auf Reststoffe zurückgegriffen wird, sollte für die energetische Nutzung vorrangig Biomasse verwendet werden, die in der EU nachhaltig erzeugt wird. Für Importe aus Drittländern hat die UMK die Bundesregierung gebeten,

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

sich für die Etablierung eines internationalen Zertifizierungssystems einzusetzen.

Viertens. Die künftige Bioenergieförderung sollte sich auf Bioenergielinien mit besonders niedrigen CO2-Vermeidungskosten und hohen CO2-Vermeidungsleistungen konzentrieren.