Protokoll der Sitzung vom 17.07.2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein ernsthaftes Problem. Wir haben nämlich eine Regierungskoalition, die zu einer der grundlegenden zukünftigen Problemstellungen keine Antwort zu bieten hat. Vielmehr haben wir eine Regierungskoalition, die in ihren Auffassungen zur Lösung des

(Lars Harms)

Problems diametral entgegengesetzte Positionen vertritt. Dieser Stillstand muss dringend aufgebrochen werden. Wir brauchen endlich einen Fahrplan des Kabinetts, wir brauchen eine abgestimmte Leitlinie zur zukünftigen Energie- und Klimapolitik dieser Landesregierung. Genau diese fordern wir heute mit unserem Antrag von Ihnen ein.

Wir wollen für die Menschen in unserem Land, aber auch für die Wirtschaft, die Frage nach der zukünftigen Energieversorgung beantwortet wissen. Die Antwort auf diese Frage wird immer wichtiger. Die zukünftige Energiepolitik muss aus Sicht meiner Fraktion bezahlbar, sicher, verfügbar und nachhaltig sein. Wenn wir der Kostenspirale bei den Energiepreisen dauerhaft entkommen und gleichzeitig eine klimaschonende, das heißt CO2-reduzierende Energiepolitik betreiben wollen, müssen wir die fossilen Energieträger Öl und Gas weitgehend substituieren. Neben den unbestritten notwendigen Einsparungen und Effizienzsteigerungen erfordert dies die Bereitstellung entsprechender klimafreundlicher Kraftwerkskapazitäten zur Stromproduktion.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Atomausstieg - der im Übrigen Bestandteil des Koalitionsvertrages von CDU und SPD in Schleswig-Holstein ist - und das Alter der konventionellen Kraftwerke sorgen dafür, dass bis zum Jahr 2030 mehr als zwei Drittel der heute verfügbaren Leistung vom Netz gehen wird. Neu hinzukommen wird nach derzeitigem Stand allerdings bei Weitem nicht die wegfallende Leistung, sodass eine ganz erhebliche Deckungslücke entstehen wird. Neue Kernkraftwerke werden nach dem heutigen Stand der Dinge in Deutschland nicht gebaut werden. Die Realisierung der geplanten Kohlekraftwerke ist derzeit mehr als fraglich. Aber auch der Bau neuer Gaskraftwerke ist wegen der steigenden Rohstoffpreise immer schwieriger geworden. Und ein dauerhafter Strombezug aus dem Ausland kann politisch keine gewollte Alternative sein. Denn Energiepolitik ist immer auch Wirtschaftspolitik. Die Energieerzeugung muss auch zukünftig einen Beitrag zum Bruttoinlandprodukt leisten.

(Beifall bei der FDP)

Kollege Wadephul, auch Energie, auch Strom aus regenerativen Energien, der hier im Land erzeugt wird, ist ein Beitrag zur Steigerung des Bruttoinlandprodukts. Es ist zunächst einmal völlig egal, aus welchen Ressourcen er erzeugt wird. Es kommt darauf an, dass er erzeugt und verkauft wird.

(Beifall bei der FDP)

Diese Dinge sind mit Sicherheit auch der Koalition bekannt; ich unterstelle das. Nur gibt es bis heute keine Lösung, wie dem begegnet werden soll. Aber wir brauchen dringend ein in der Koalition abgestimmtes Gesamtkonzept. Wir brauchen endlich eine abgestimmte Strategie für einen Energieversorgungsmix, die sowohl die Klimaziele erfüllt als auch die starken Preissteigerungen der Energieträger berücksichtigt. Die Vorarbeit wurde ja auch geleistet. So wurde im Juni 2007 das sogenannte Grünbuch „Schleswig-Holstein Energie 2020“ erstellt, und am 15. Januar 2008 wurde ein „Aktionsplan Klimaschutz“ vorgestellt. Doch vom Kabinett beschlossene Leitlinien für die zukünftige Energiepolitik des Landes Schleswig-Holstein gibt es bis heute nicht. Herr Dr. Marnette, da können Sie sich noch richtig Lorbeeren verdienen, wenn Sie diese Leitlinien künftig vorlegen. Denn wir erwarten von Ihnen, dass Sie diese Leitlinien vorlegen.

Aus Sicht der FDP-Fraktion müssen die vordersten Ziele sein, dass Schleswig-Holstein nicht abhängig wird von ausländischen Energieimporten und dass der Strom in Schleswig-Holstein für den Verbraucher bezahlbar bleibt. Dies ist unserer Auffassung nach durch einen Dreiklang von Maßnahmen zu erreichen: Erstens einem sinnvollen Mix aus konventionellen und regenerativen Energien, zweitens einer verstärkten Ausschöpfung der Energie- und Energieeffizienzpotenziale und drittens durch Wettbewerb - ich sage an der Stelle mehr Wettbewerb - im Energiesektor.

In diesem Zusammenhang wäre es völlig verkehrt, die Kernkraft isoliert herauszustellen und sie als Modell der Zukunft zu preisen. Ich glaube, wir haben gestern relativ einmütig hier gesehen, dass das mit Sicherheit nicht die Antwort auf die Zukunftsfragen sein kann. Genauso falsch ist es aus unserer Sicht zu sagen, wir legen alle unsere Kohlekraftwerke still und steigen gleichzeitig aus der Kernkraft aus. Denn dann müssten wir die Nutzung erneuerbarer Energieträger so sehr subventionieren, dass sie für die Verbraucher schlicht unbezahlbar wären.

Wir brauchen also einen breiten Energiemix, in dem die Kernenergie bereits aufgrund der derzeitigen Rechtslage lediglich eine Übergangstechnologie darstellen kann und darstellen soll. Klima- und umweltpolitisch geboten ist es allerdings, zunehmend mehr dezentrale erneuerbare Energien vornehmlich Windenergie - in Schleswig-Holstein und kleine Kraft-Wärme-Kopplungseinheiten ans Netz gehen zu lassen. Dafür sind allerdings die derzeit installierten Netze leider bei Weitem noch nicht

(Dr. Heiner Garg)

ausgelegt. Deshalb sind Investitionen in die Netze dringend erforderlich. Das wird hier in diesem Landtag bedauerlicherweise nicht das erste Mal angemahnt.

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Herr Kollege Matthiessen, wir fordern Leitlinien der Landesregierung, des Kabinetts ein. Ich hoffe, dass die Anregungen zu genau diesem Punkt, die auch in einigen Anträgen, die wir übrigens auch gemeinsam mit Ihrer Fraktion gestellt haben, enthalten sind, Eingang in diese Leitlinien finden.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man darf Sie doch mal loben, Herr Kollege!)

- Ob Sie mich loben oder nicht, das spielt keine Rolle, Kollege Matthiessen.

(Zuruf)

- Genau, das hat mir eher geschadet.

(Heiterkeit)

Allein die Netzanbindung der geplanten OffshoreWindkraftanlagen vor der Nord- und Ostseeküste erfordert dringend einen Zubau von mehr als 1.000 km Höchstspannungsleitungen. Auch der zukünftig unausweichliche europaweite Stromhandel kann nur dann funktionieren, wenn die Kuppelstellen an den Staatsgrenzen so verstärkt werden, dass der Strom von den Anbietern ohne Begrenzung zu den Verbrauchern in das jeweils andere Land fließen kann. Soll das Gesamtsystem bei heutigem Preisniveau langfristig billiger und effizienter sowie gleichzeitig eine ökologisch verantwortbare Energieversorgung europaweit mit zunehmend dezentral vernetzten Strukturen sichergestellt werden, muss in die Netze investiert werden. Hier erwarten wir klare Aussagen von der Landesregierung.

Ein zweiter wichtiger Punkt, den die Landesregierung angehen muss, ist die Energieeinsparung. Denn das Energieeinsparen ist zumindest die direkteste Form eines nachhaltigen Ressourcenverbrauchs.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das größte Energieeinsparpotenzial gibt es bei der Wärmedämmung und beim Einsatz von energiesparenden Produkten. Gerade dabei kann die Landesregierung mit einem guten Beispiel vorangehen, nämlich in ihren eigenen Gebäuden. Bedauerlicherwei

se tut sie das bislang nicht. Aber vielleicht sagen Sie einmal etwas dazu, Herr Minister.

Energieeffizienz und Energieeinsparung bleiben derzeit weit hinter den Möglichkeiten zurück. Auch das Land und die Kommunen bekommen die steigenden Energiepreise massiv zu spüren. Heizkosten für Schulen, Kindergärten und Verwaltungsgebäude stellen genauso Probleme dar wie die Zahlung der Heizkosten für die Empfänger von Arbeitslosengeld II. Hier sind Effizienzsteigerungen durch Energieeinsparmaßnahmen dringend erforderlich.

Schließlich muss ein ausreichendes Maß an Wettbewerb im Bereich der Energieversorgung herrschen. Das heißt ein Aufbruch der Oligopole, der Monopole und der Kartelle. Aufgabe staatlichen Handelns und energiepolitischer Regelsetzung muss die Erhaltung beziehungsweise Herbeiführung wettbewerblicher Märkte sein. Die Politik muss aktiv in den Bereichen gestalten, in denen Monopole, Oligopole und Kartelle zu regulieren sind. Sie hat auch die entsprechenden Instrumente dazu, sie müsste sie nur mutig nutzen.

Leider sind staatliche Eingriffe exakt dort lange unterblieben, wo sie höchst notwendig gewesen wären, wie zum Beispiel bei der Regulierung der Netzmonopole oder der Bekämpfung des Erzeugeroligopols im Strombereich. Da hätte man mit den vorhandenen Instrumenten mutiger herangehen müssen. Stattdessen hat - das sage ich ganz deutlich - bedauerlicherweise auch die rot-grüne Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode die Marktkonzentration und die marktbeherrschende Stellung gefördert, wie zum Beispiel bei der E.ONRuhrgas-Fusion.

Herr Kollege, die zehn Minuten sind um.

Frau Präsidentin, ich komme zu meinem letzten Satz. Wir wünschen uns heute eine Abstimmung in der Sache, weil wir meinen, es ist ein klarer Arbeitsauftrag, den wir an die Landesregierung formuliert haben. Über die Zustimmung zu diesem Arbeitsauftrag würden wir uns freuen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg. - Das Wort für den zweiten Antragsteller

(Dr. Heiner Garg)

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun der Herr Abgeordnete Detlef Matthiessen.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die von der FDP aufgestellten Eckpunkte für energiepolitische Leitlinien in Schleswig-Holstein sind nicht zu kritisieren. Das sagte ich ja schon in meinem Zwischenruf, Herr Kollege Garg. Umweltverträglichkeit, Effizienz, Einsparung, Regenerativenergie, Netzsicherheit sind alles wichtige und allgemein anerkannte Grundsätze der Energiepolitik, die letztlich auch gesetzlich im Energiewirtschaftsgesetz normiert sind. Mir fehlt dabei eindeutig ein Hinweis zum Thema Netzausbau und Netzverstärkung, Herr Kollege. Minister Marnette hat in seiner gestrigen Rede deutlich auf die strategische Bedeutung der Netze hingewiesen, wie wir das von grüner Seite ebenfalls immer getan haben und auch heute tun. Wir appellieren an Sie, Herr Minister: Setzen Sie sich für eine Netzverstärkung in Schleswig-Holstein ein. Setzen Sie die Netzbetreiber auf den Pott, und setzen Sie Erdkabellösungen bei 110 KV-Leitungen durch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Schauen Sie nicht, Herr Minister, wie Ihr Vorgänger, in heimlicher Kumpanei mit E.ON tatenlos zu,

(Beifall beim SSW - Widerspruch bei der CDU)

dass der Strom neuer Windenergieanlagen durch Zwangsabschaltungen nicht ins Netz eingespeist werden kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die FDP ist in ihrem Antrag der Auffassung, dass diese Leitlinien auf den Ausführungen und Zielsetzungen des Grünbuchs „Schleswig-Holstein Energie 2020“ aufbauen sollten. Das können wir nicht mittragen. Die Aussagen und Schlussfolgerungen des Grünbuchs von Ex-Minister Austermann sind nicht akzeptabel. Die richtigen Aussagen zur Zukunft der Windenergie erfahren eine vollkommene Konterkarierung mit den Aussagen zu neuen Kohlekraftwerken in Brunsbüttel und Kiel. Insgesamt rechnet das Wirtschaftsministerium mit fünf neuen Steinkohleblöcken mit zusammen 3,6 GW. Das ist mehr Stromkapazität als die drei AKWs in Schleswig-Holstein zusammen produzieren. Eine katastrophale CO2-Bilanz wäre die Folge. Damit wäre jegli

che Klimaschutzpolitik in Schleswig-Holstein gescheitert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies haben wir mehrfach hier in diesem Hohen Haus festgestellt; das hat die Landesregierung selber in der Beantwortung meiner Kleinen Anfragen bestätigt.

Umweltminister von Boetticher hat in einer Diskussionsrunde in der Haseldorfer Marsch erklärt, er sei gegen Kohlekraftwerke, weil sie langfristig die CO2-Bilanz kaputtmachten, so die „Barmstedter Zeitung“ vom 5. Juli 2008 - das ist ja noch nicht so lange her. Die Einflussmöglichkeiten der Politik seien aber leider gering. Rechtlich sei es nicht möglich, Genehmigungsverfahren aufzuhalten. Ich finde, hier macht es sich der Umweltminister dieser Landesregierung zu einfach.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Landesregierung steht dem Neubau von Kohlekraftwerken ja nicht neutral gegenüber, sondern sie unterstützt das politisch, übrigens auch mithilfe der SPD, denn die ist ja auch an der Regierung beteiligt, obwohl sie das in dieser Frage häufig vergessen will. Aber nicht nur das. Bezüglich der Planungen in Brunsbüttel hat die Landesregierung dem Investor ein landeseigenes Grundstück verkauft mit dem erklärten Ziel, dort ein Kohlekraftwerk zu errichten. Wo ist also da der geringe Einfluss der Landespolitik?

Nun passt es gut, dass der Stadtrat von Konstanz mit großer Mehrheit gegen eine Beteiligung seiner Stadtwerke am Kohlekraftwerksprojekt der SüdWestStrom in Brunsbüttel gestimmt hat. Wir können nur hoffen, dass weitere Stadträte so entscheiden. Aus Kiel erreicht uns die erfreuliche Botschaft, dass sich die neue Kooperation aus Grünen und SPD darauf geeinigt hat, in Kiel kein neues Kohlekraftwerk zu bauen, sondern auf eine dezentrale Energieerzeugung zu setzen. Im Übrigen ist es kein Geheimnis, dass neue Kohlekraftwerke keineswegs kostengünstigen Strom erzeugen werden. Die Anlagenpreise sind sehr stark gestiegen, ebenso wie die Weltmarktpreise für Kohle. Ab 2013 sollen gemäß EU-Beschluss die CO2-Zertifikate zu 100 % versteigert werden, so dass dann die Preise pro Tonne CO2 eher bei 70 € denn bei 30 € liegen werden.

Und nicht zu vergessen: Kohlekraftwerke müssen zurückgefahren werden, um die vorrangige Aufnahme von Strom aus erneuerbaren Energien im Netz sicherzustellen. Dazu kommt die neue Vorran

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)