Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Das ist eine gute Regelung, um zu verhindern, dass sich die Dinge sozusagen immer mehr aufkummulieren und Daten am Schluss herumvagabundieren.

Wir haben dann noch ein Problem, das auch der Innenminister ausgespart hat, das aber in der Auseinandersetzung zentral ist und zu dem es auch noch einen Dissens gibt. Das ist die Frage, was mit den Millionen Daten passiert, die bereits existieren. Was passiert mit denen? Wir können jetzt Vorschriften zu dem verabschieden, was in Zukunft passieren soll, aber wenn wir Dateien gefunden haben, die bereits 30 Millionen Daten - das heißt, fast jeder zweite Bürger steht drin - enthalten, wenn solche Dateien bereits existieren, muss man natürlich auch klären, was mit diesen Daten passiert. Deshalb sollten wir ein Datum setzen, bis zu dem alle Dateien auf diesen aktuellen Geseztesstand gebracht werden müssen. Danach müssen alle Daten gelöscht werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

(Karl-Martin Hentschel)

Nur dann ist zu gewährleisten, dass tatsächlich auch für die Altdaten die entsprechenden neuen gesetzlichen Regelungen gelten.

Wir müssen uns auch über andere Fragen abstimmen. Das gilt zum Beispiel für die Frage der Datenschutzbehörden. Wir hatten interessante Diskussionen in den letzten Jahren dazu, ob wir ein Unabhängiges Datenschutzzentrum brauchen, das so viel Geld kostet wie hier in Schleswig-Holstein. Diese Debatte ist mehrfach aufgekommen, insbesondere vonseiten unserer Kollegen von der Union.

Wir haben in Schleswig-Holstein die besondere Situation, dass unser Unabhängiges Datenschutzzentrum sowohl für den staatlichen Raum als auch für die Wirtschaft zuständig ist. Das ist eine besondere Konstruktion, die wir in Schleswig-Holstein in der vorletzten oder letzten Legislaturperiode eingeführt haben. Sie hat sich mittlerweile als sehr gut erwiesen, weil natürlich ein solches Datenschutzzentrum nicht nur gegenüber dem Staat eine größere Unabhängigkeit hat, sondern auch gegenüber der Wirtschaft eine größere Unabhängigkeit. Die Befürchtungen, dass dieser Datenschutz oder Herr Weichert jetzt wie wild auf die Wirtschaft losgehen und die Wirtschaft knebeln, hat sich nicht bestätigt. Genau das ist nicht passiert, sondern es wurden intelligente Wege gesucht, mit der Wirtschaft zusammenzuarbeiten und gemeinsam mit der Wirtschaft Datenschutz zu machen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich kenne es aus meiner eigenen beruflichen Tätigkeit, bei der ich auch sehr viel mit Datenschutz zu tun hatte, dass in der Firma immer eine Diskussion entstand. Es gab immer zwei unterschiedliche Auffassungen: Die einen sahen Datenschutz als Hindernis, die anderen sahen Datenschutz als Sicherheit für die Firma, für ihre Daten und auch gegenüber den Kunden als einen Qualitätsstandard. Das ist immer so gesehen worden. Diese Diskussionen gab es immer, und deswegen ist die Frage des betrieblichen Datenschutzes in Firmen, die klug operieren, auch immer eine Qualitätsfrage gewesen.

Mit dem Datenschutz-Audit, das in SchleswigHolstein geschaffen worden ist, ist den Firmen ein ganz wichtiges Instrument an die Hand gegeben worden. Die Weiterentwicklung des DatenschutzAudits oder in bestimmten Bereichen sogar die Vorschrift eines Datenschutz-Audits - darüber muss man reden - ist eine gute Möglichkeit, um Qualitätsstandards im Datenschutz, gerade im privaten Bereich, auszuweiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD sowie der Abgeordneten Manfred Rit- zek [CDU] und Anke Spoorendonk [SSW])

Wenn wir Datenschutz brauchen, benötigen wir ein umfassendes Auskunftsrecht. Die Bürger müssen dann auch die Möglichkeit haben, Informationen zu bekommen, wie sie zurzeit noch vorhanden sind. Auch das muss in Zukunft geklärt sein.

Wir brauchen eine Regelung bei der Abfrage von Adressdaten. Der Innenminister ist schon darauf eingegangen, und auch ich halte es für sinnvoll, was da vorgetragen worden ist. Der Staat selber ist nun nicht das Vorbild, bei dem man sagen kann: Wir haben alle Probleme gelöst, und jetzt machen wir uns an die private Wirtschaft, und der Staat ist ja toll.

(Beifall bei der SPD)

Denn die Debatten, die wir in den letzten Monaten und Jahren geführt haben, gerade auch mit unserem lieben Herrn Bundesinnenminister, waren nicht gerade von einem großen Datenschutzbewusstsein geprägt. Auch mit unserem ehemaligen schleswigholsteinischen Innenminister hatten wir ähnliche Debatten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Das Bewusstsein in der Politik, dass Datenschutz eine hohe Qualität hat, war bei den Innenministern nicht unbedingt verbreitet. Insofern freue ich mich, wenn der neue Innenminister hier klare Worte gesprochen hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich hoffe, dass diese Worte auch den Geist der gesamten Koalition widerspiegeln, und ich hoffe, dass es jetzt nicht so ist, wie wir es häufig erleben - es gibt ja immer so einen Zyklus -: Es gibt einen politischen Skandal, alle regen sich auf, alle sind sich einig, dass etwas getan werden muss. Dann läppert das alles ein bisschen vor sich hin. Das Ganze hat sich in der Regel nach acht Wochen wieder beruhigt, und dann geht man nach ein paar Änderungen wieder zur Tagesordnung über, und alles ist wieder beim Alten. Ich hoffe, dass dieser Zyklus hier nicht eintritt und dass wir alle gemeinsam diese Gelegenheit nutzen, tatsächlich etwas zu ändern und zu dem zu kommen, was der Innenminister vorgeschlagen hat: zu einer grundlegenden Revision des Datenschutzrechts.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Karl-Martin Hentschel)

Für die Abgeordneten des SSW erteile ich deren Vorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile haben sich schon viele Menschen mit dem Pech abgefunden, in die Datensätze der Callcenter geraten zu sein und penetrant mit Werbung oder obskuren Meinungsumfragen belästigt zu werden. Mit der kriminellen Nutzung von Kontodaten ist das Fass aber übergelaufen. Ganz Deutschland spricht über den Datenschutz wie seit der Volkszählung nicht mehr. Plötzlich geraten auch alltägliche Fälle von Datenmissbrauch und Datengebrauch in die Diskussion. Plötzlich besteht ein Konsens, dass dringend etwas geschehen muss.

Der öffentlichen Erregung entsprechend hat sich auch die Politik zum Handeln gezwungen gesehen. Ich finde, die Ergebnisse des Bund-Länder-Datenschutzgipfels Anfang September können sich sehen lassen. Betroffene müssen künftig der Weitergabe ihrer Daten zu Werbezwecken aktiv zustimmen. Dies ist der richtige Ansatz, um den Verbrauchern wieder die Hoheit über ihre persönlichen Daten zu geben, zumindest ab jetzt. Bei Geschäften über das Telefon oder das Internet soll eine schriftliche Bestätigung verpflichtend vorgesehen werden. Es sind jetzt überhaupt viele gute Vorschläge im Umlauf. Sowohl die Landesminister Hay und Trauernicht als auch die Bundesminister Zypries und Seehofer haben gute Vorschläge gemacht. Auch der vorliegende Antrag der Grünen enthält wertvolle Ansätze, die wir unterstützen.

Ebenso notwendig wie strengere Spielregeln und härtere Sanktionen ist aber eine bessere Kontrolle. Denn natürlich können wir beim Verbraucherschutz nicht auf das schlechte Gewissen von CallcenterMitarbeitern bauen. Der Bund der Kriminalbeamten zum Beispiel hat ebenso wie Datenschützer den Einsatz von Datenschutzfahndern gefordert. Sie sollen analog zu den Steuerfahndern nach Sündern suchen und mehr Kontrollmöglichkeiten bekommen. Diese Idee muss ebenso weiterverfolgt werden. Wer sie von vornherein aus Ressourcengründen ablehnt, verkennt die Dimension der Probleme, vor denen wir heute stehen.

Wir hoffen, dass die Ergebnisse des Gipfels nicht nur ein Medienspektakel waren und von der Bundesregierung tatsächlich umgesetzt werden. Die angekündigten und vorgeschlagenen Änderungen des

Bundesgesetzes allein werden aber nicht ausreichen, um den Erfordernissen eines modernen Datenschutzes gerecht zu werden. Unsere Gesellschaft steht vor einem Problem, das viel größer ist als Callcenter und Datenhandel. Es geht ganz allgemein um die Frage, wie persönliche Daten genutzt und geschützt werden. Die Fortschritte in der Anwendung von Kommunikations- und Informationstechnologien fordern ständig neue Antworten. Hier hinken die Gesetzgeber und die Exekutive deutlich hinterher. Das sehen nicht nur die Experten so, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger selbst. Laut Eurobarometer vom Februar 2008 - also noch deutlich vor den Skandalen, über die wir heute reden haben 86 % der deutschen Verbraucher kein Vertrauen in die Praxis des Datenschutzes. Es gibt also eindeutig etwas nachzuholen.

Natürlich wäre es blauäugig zu glauben, dass wir dieser Probleme allein durch staatliche Kontrolle und Sanktionen Herr werden könnten. Staatliche Stellen können häufig nur die Rolle des Wächters, Aufklärers und Warners übernehmen. Das zeigt schon die aktuelle Diskussion um die Speicherung von Nutzerdaten durch Google-Programme. Dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bleibt nur die Empfehlung, den Google-Internetbrowser nicht zu nutzen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen selbst zu der Erkenntnis gelangen, dass der unbefangene Umgang mit der Informationstechnologie schlimme Folgen haben kann.

Am Ende ist es die Verantwortung jedes Einzelnen, verantwortungsvoller mit seinen persönlichen Daten umzugehen. Denn es geht ja nicht nur darum, dass sich übel meinende Zeitgenossen Daten erschleichen, dass sie gute Abgeordnetennamen bei eBay missbrauchen oder dass sie ihre ungeliebten Nachbarn, Lehrer oder Ex-Partner im Internet verleumden und zur Schau stellen. Heute ist es normal geworden, dass sich Menschen selbst - im übertragenen Sinne wie auch buchstäblich - im Internet ausziehen. Jugendliche stellen unwiderruflich persönliche Informationen ins Netz, die ihnen bei einer späteren Bewerbung zum Verhängnis werden können. Erwachsene Menschen geben unbefangen ihre persönlichen Daten preis, um an irgendein Gratisangebot zu kommen. Kaum einem Internetnutzer ist bewusst, wo er überall persönliche Spuren hinterlässt.

Nur wenn dieses Bewusstsein geschärft wird, sind unsere Bürgerinnen und Bürger für das Leben in der modernen Datenzeit gewappnet. Dafür brauchen wir mehr denn je einen ausgeprägten Daten

schutz, der nicht nur eine Wächterfunktion hat, sondern auch aufklärt. Dabei gehören zum Datenschutz Einrichtungen und Beauftragte genauso wie eine entsprechende Medienpädagogik als fester Bestandteil der Allgemeinbildung.

Trotzdem: Der Staat kann mehr tun als aufklären. Datenschutz gilt nicht nur für den Umgang der Wirtschaft mit Verbrauchern, sondern auch im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern. Bund und Länder können selbst Vorbild sein. Den Bürgern wird Datenenthaltsamkeit als die beste Vorbeugung gepredigt. Diese Mäßigung täte auch dem Staat selbst gut. In den letzten Jahren hat er aber das Gegenteil vorgelebt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CDU und die SPD haben nicht erst seit 2001 beim Datenschutz grandios versagt. Sie haben viel zu wenig für den Schutz der Privatsphäre unternommen.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie haben sogar Datenschützer diskreditiert und so zum Gegenteil eines verschärften Problembewusstseins beigetragen.

(Widerspruch des Abgeordneten Dr. Johann Wadephul [CDU])

Datenschutz ist nicht nur Verbraucherschutz, er ist auch ein Bürgerrecht. Die Frage der Bürgerrechte wurde aber in den Hintergrund gerückt, um den staatlichen Blick in die Privatsphäre der Bürger zu erweitern.

Zugegeben, man kann einwenden, dass es bei der staatlichen Datensammlung nicht um profane wirtschaftliche Interessen geht, dass das Interesse des Staates die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ist. Aber auch staatliche Organisationen entwickeln ein Innenleben, bei dem nicht immer die Interessen der Bürger Vorfahrt haben. Deshalb hat die Politik die Verantwortung, beständig zu fragen, ob Maßnahmen der Kontrolle wirklich angemessen und erforderlich sind.

Kurz: Der Staat selbst muss auch verantwortungsvoller mit den Daten der Bürger umgehen.

(Beifall bei SSW, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Erst dann können wir erwarten, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Menschen den Wert der informationellen Selbstbestimmung erkennen und sozusagen eine persönliche Datenschutzstrategie ent

wickeln. Voraussetzung für beides ist ein starker Datenschutz, der die Politik berät, der Wirtschaft und Behörden beaufsichtigt, der technische Lösungen entwickelt und der dazu beiträgt, persönliche Datenschutzstrategien über das Bildungswesen und andere Informationskanäle zu kommunizieren.

Leider sind nicht alle politischen Kräfte in der Vergangenheit der Meinung gewesen, dass wir einen starken Datenschutz benötigen. Ich kann es der Union nicht ersparen, sondern muss es hier einmal sagen: Es wäre in der Vergangenheit manches anders gewesen, hätte man zum Beispiel eindeutig zu einem Unabhängigen Datenschutzzentrum gestanden. Wäre es zum Beispiel nach der Union oder auch nach dem Landesrechnungshof gegangen, dann hätten wir heute in Schleswig-Holstein keinen so gut ausgeprägten, kompetenten und renommierten Datenschutz.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Schleswig-Holstein hat eine Vorreiterrolle, wenn es darum geht, die Daten der Bürger zu schützen und den Datenschutz in die private Wirtschaft zu tragen. Diese besondere Stärke, das „Datenschutz-Cluster Kiel“, muss weiter gestärkt werden. Es wäre schön, wenn sich nun alle klar zum ULD und zu seiner Stärkung im Interesse der Verbraucher und der Bürger bekennen würden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Modernisierung des gesamten Datenschutzrechts. 2001 sollten drei Experten der Bundesregierung ihre Vorschläge für eine Modernisierung dieses Datenschutzrechts vorlegen. Schon damals herrschte die Erkenntnis vor, dass das bestehende Recht nicht mehr zeitgemäß war. Nach dem 11. September 2001 hatte die Politik aber verständlicherweise erst einmal andere Prioritäten. Leider hat dies dazu geführt, dass die Fragen des Datenschutzes sieben Jahre lang völlig in den Schatten gestellt wurden. Es ist daher höchste Zeit, dass die Politik die alten Pläne wieder aufgreift und weiterentwickelt, um unsere Gesellschaft und unsere Bürger umfassend für die neuen Zeiten zu rüsten.

Für den SSW hat der Schutz der Verbraucher dabei erste Priorität. Denn es gibt keinen berechtigten Anspruch der Wirtschaft auf Konsumentendaten, aber es gibt ein Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Schutz vor ungebetener Werbung und auf Privatsphäre.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

(Anke Spoorendonk)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Der Antrag Drucksache 16/2218 hat damit seine Erledigung gefunden.