Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Der Antrag Drucksache 16/2218 hat damit seine Erledigung gefunden.

Damit wäre auch dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen. Ein hier vorgelegter Änderungsantrag müsste dann nicht mehr überwiesen werden. Ich schlage vor, dass wir diesen Änderungsantrag Drucksache 16/2224 zu einem eigenständigen Antrag erklären und diesen dann an den Ausschuss überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich unterstelle, dass die Überweisung an den Finanzausschuss erfolgen soll.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich würde sagen, an den Innen- und Rechtsausschuss, Herr Präsident! - Unruhe)

- Wenn hierüber noch keine Einigung besteht, dann weise ich darauf hin, dass bei diesem Antrag natürlich auch der Wirtschaftsausschuss und andere Ausschüsse mitberatend tätig werden können.

(Heiterkeit)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz - GKWG -)

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2201

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile dem Antragsteller, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Wir hatten in der letzten Plenartagung im Juli eine Änderung des Landeswahlgesetzes vorgeschlagen. Dabei ging es um zwei Punkte. Zum einen sollte die Sitzverteilung auf die Parteien nicht mehr nach dem Verfahren nach d’Hondt vorgenommen werden, sondern durch das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers. Des Weiteren forderten wir die Streichung der Deckelung der Ausgleichsmandate. In dieser Landtagsdebatte von Juli hat sich ja

herausgestellt, dass - wenn ich es richtig verstanden habe - von allen Fraktionen vorgeschlagen worden ist, bei einer solchen Änderung auch gleich das Kommunalwahlrecht mit zu ändern, da dort ja die Probleme ursächlich aufgetaucht waren. Dies gilt auch dann, wenn der Zeitpunkt hierfür erst in fünf Jahren ist und wir daher etwas mehr Zeit haben als beim Landtagswahlrecht. Wir haben dies daher aufgegriffen und haben jetzt also auch einen Vorschlag zur Änderung des Kommunalwahlrechts eingebracht.

Hierfür gibt es im Übrigen auch noch einige aktuelle Anlässe. Ein Anlass war, dass der Deutsche Bundestag für die im nächsten Jahr stattfindenden Bundestagswahlen ebenfalls das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers eingeführt hat. Das ist neu. Baden-Württemberg hat das Gleiche getan. Wir haben jetzt übrigens auch zwei Kommunal- beziehungsweise Kreisparlamente, nämlich den Kreistag Schleswig-Flensburg und den Rat der Stadt Flensburg, die beschlossen haben, den Landtag aufzufordern, das Kommunalwahlgesetz so zu ändern, dass das Zählverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers eingeführt wird. Wir bekommen hier also auch Unterstützung von den Kommunen. Es tut sich was.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich hoffe, weitere Unterstützer werden folgen. Insofern ist Bewegung in diesem Thema, und ich denke, es ist gut, wenn wir uns jetzt damit beschäftigen und dies nun in einem Rutsch gemeinsam in Gang setzen.

Ich denke, wenn sogar die Große Koalition in Berlin in der Lage ist zu reagieren - das hängt natürlich auch mit der verfassungsrechtlichen Situation zusammen - und zu sagen, d’Hondt ist veraltet, wir wechseln jetzt zu Sainte-Laguë/Schepers über, dann könnte sich ja auch die Große Koalition in Kiel einen Ruck geben und sich in Bewegung setzen. In der letzten Sitzung hatte der Kollege Puls noch gesagt, so etwas müssten kleinere Parteien im Koalitionsvertrag aushandeln; so etwas machten die großen Fraktionen nicht, da es ihnen ja schaden würde. Es ist völlig richtig, was Sie sagen: Das jetzige Wahlsystem benachteiligt eindeutig kleine Parteien.

(Beifall bei der FDP - Günther Hildebrand [FDP]: Richtig!)

Deswegen schlagen wir natürlich die Änderungen auch vor. Ich meine aber, das Thema hat auch eine verfassungsrechtliche Komponente, und deswegen möchte ich noch einmal aus dem Urteil des

Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2008 zitieren:

„Aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. Alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben.“

Ich finde, das sind ganz klare Worte, die das Bundesverfassungsgericht hier gefunden hat. Das bedeutet, dass das, was wir zurzeit hier haben, dass nämlich die für kleinere Parteien abgegebenen Wählerstimmen deutlich weniger Gewicht haben als die Stimmen für große Parteien, weil nach dem d’Hondt-Verfahren die Schranken relativ hoch liegen, bevor die ersten Sitze errungen werden können, nicht kompatibel mit der Aussage des Bundesverfassungsgerichts ist. Ich warne die Große Koalition auch davor, noch einmal in eine rechtliche Auseinandersetzung zu gehen. Vielmehr schlage ich vor, dass wir im Ausschuss konsensual hierüber beraten und dass wir das, was jetzt mittlerweile die Mehrzahl der Bundesländer sowie auch der Bund machen, auch in Schleswig-Holstein übernehmen und zum Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers wechseln.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Was die Beurteilung nach mathematischen Kriterien angeht, so kann ich nur sagen: Es gibt keinen Disput darüber, dass alle Mathematiker sich einig sind, dass das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers das mathematisch korrekte Verfahren ist.

(Günther Hildebrand [FDP]: Richtig!)

Das Hare-Niemeyer-Verfahren liefert fast immer die gleichen Ergebnisse - dieses Verfahren wäre ja die Alternative -, es führt jedoch in ganz seltenen Sonderfällen zu einem Paradoxon, das ich jetzt nicht erläutern will, weil das relativ kompliziert wäre. Nur so viel: Es kann passieren, dass eine Partei dadurch, dass sie bei einer Wahl mehr Stimmen bekommt als eine andere, anschließend weniger Sitze hat. Dieses Paradoxon, das in seltenen Fällen auftreten kann, wird durch das Verfahren nach SainteLaguë/Schepers vermieden. Deswegen ist dies das mathematisch korrekte Verfahren. Auch hier kommt es nicht immer zu einer hundertprozentigen Abbildung des Wählerwillens; das ist nie möglich. Wenn man dies erreichen wollte, müsste man ebenso viele Menschen im Parlament haben, wie es

Wähler gibt. Aber dieses Verfahren liefert doch die bestmögliche Annäherung. Und genau darum geht es ja.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zu der Frage der Ausgleichsmandate kann ich, das muss ich sagen, nur den Kopf schütteln. Der Herr Innenminister - leider ist er gerade nicht hier - erklärte am 24. Juli 2008:

„Das Innenministerium wird nicht gegen Beschlüsse einzelner Vertretungen zur Gültigkeit der Kommunalwahlen vom 25. Mai 2008 klagen, sofern darin eine höhere Mandatszahl festgelegt wurde, als sie nach der Rechtsauffassung des Innenministeriums möglich ist.“

Ich finde, das ist ein absurdes Schreiben. Das hat dazu geführt, dass wir in Schleswig-Holstein die Situation haben, dass in einigen Gemeinden und Kreisen Gemeindevertreter Sitze bekommen haben, während andere bei einem vergleichbaren Wahlergebnis keine Sitze bekommen haben. Das heißt, die Frage, wie viele Gemeindevertreter in dem jeweiligen Gremium sitzen, entscheiden nicht mehr das Recht und der Gesetzgeber, sondern die Mehrheit im Gemeinderat. Das kann doch nicht Wirklichkeit sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Herr Kollege Hentschel, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Nur noch ein letzter Satz, Herr Präsident: Ich finde, das muss dringend geändert werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Für die Fraktion der CDU hat der Herr Abgeordnete Werner Kalinka das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wieder einmal geht es um die Ausgestaltung des Wahlrechts; Herr Kollege Hentschel hat die zwei konkre

(Karl-Martin Hentschel)

ten Punkte genannt. Ich möchte der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dafür danken, dass sie die beantragten Wahlrechtsänderungen sowohl für das Landes- als auch für das Gemeinde- und Kreiswahlrecht inhaltsgleich umzusetzen gedenkt. Ich glaube, es ist richtig, diese Diskussion hier zu führen.

Zu den beiden Punkten! Über die Frage des Sitzverteilungsverfahrens gibt es schon seit Jahren unterschiedliche Meinungen. Dies führt in der Regel dazu, dass die kleineren Parteien das ihnen vorteilhafter erscheinende Verfahren im Rahmen von Koalitionsvereinbarungen durchsetzen. Die CDU-Landtagsfraktion befürwortet nach wie vor die Beibehaltung des Verfahrens nach d’Hondt, und ich denke, dass auch die Diskussion um die Fünfprozentklausel in diesem Zusammenhang gesehen werden muss. Diese geht in eine bestimmte Richtung, die auch hier Eingang gefunden hat.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben Sie auch schon ver- fassungsrechtliche Probleme gehabt!)

- Herr Kollege Hentschel, wir haben zügig gehandelt. Zügiger konnte man gar nicht handeln. Das möchte ich zu diesem Thema ausdrücklich sagen.

Auch Sie bekommen es nicht hin, das Wahlverfahren im Detail mit Gerechtigkeit gleichzusetzen. Denn sonst kämen wir nicht zum nächsten Punkt, über den wir gleich zu sprechen haben. Also, ein Wahlverfahren beinhaltet nie eine hundertprozentige Gerechtigkeit; das haben Sie eben auch schon dargelegt. Insofern muss man dies relativieren.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: So ist es!)

Hinsichtlich der Zahl von Ausgleichsmandaten für erzielte Überhangmandate gibt es inzwischen drei mögliche Varianten:

Erstens. Die Zahl der Ausgleichsmandate darf die Zahl der Überhangmandate nicht übersteigen.

Zweitens. Die Zahl der Ausgleichsmandate darf höchstens doppelt so hoch sein wie die Zahl der Überhangmandate.

Drittens. Die Zahl der Ausgleichsmandate wird der Höhe nach überhaupt nicht begrenzt und deren Zahl könnte daher mehr als das Doppelte der Überhangmandate ausmachen. - Diese Variante, die Sie bevorzugen - Sie haben es dargelegt -, hält die CDULandtagsfraktion für eher problematisch, da damit ein unkontrolliertes Ansteigen der Sitze verbunden sein könnte. Allerdings werden wir darüber im Ausschuss sprechen, und wie Sie uns und auch

mich kennen, Herr Kollege Hentschel, sind dies keine leeren Worte.

Sie haben recht: Beim Wahlrecht besteht - das ist auch unsere Auffassung - beim Thema Ausgleichsmandate Handlungsbedarf - je schneller, desto besser. Es ist ein untragbarer Zustand, dass wir eine ungleiche Handhabung in Schleswig-Holstein haben.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch hierzu etwas sagen, damit unsere Position klar ist, Herr Kollege Hentschel. Das Innenministerium hat Anlass, in diesem Punkt selbstkritisch nachzudenken.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das kann man nicht anders bewerten, meine Damen und Herren. Am Wahlabend hieß es, es sei so, wie es am Wahlabend entweder vor Ort oder - wie heißt es heute so schön? - „mit Beratung aus Kiel“ festgestellt worden sei. In den nächsten Tagen hieß es, es gebe überhaupt nichts, worüber man diskutieren müsse. Dann haben sich engagierte Kommunalpolitiker, Landtagsabgeordnete und auch der Innenund Rechtsausschuss am 4. Juni 2008 intensivst dieses Themas angenommen, und wir sind in dieser Sitzung zu aufschlussreichen Ergebnissen gekommen. Das kann man überhaupt nicht bestreiten.