Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

Das kann man nicht anders bewerten, meine Damen und Herren. Am Wahlabend hieß es, es sei so, wie es am Wahlabend entweder vor Ort oder - wie heißt es heute so schön? - „mit Beratung aus Kiel“ festgestellt worden sei. In den nächsten Tagen hieß es, es gebe überhaupt nichts, worüber man diskutieren müsse. Dann haben sich engagierte Kommunalpolitiker, Landtagsabgeordnete und auch der Innenund Rechtsausschuss am 4. Juni 2008 intensivst dieses Themas angenommen, und wir sind in dieser Sitzung zu aufschlussreichen Ergebnissen gekommen. Das kann man überhaupt nicht bestreiten.

Dann folgte im Juli eine Erklärung des Herrn Innenstaatssekretärs, die Sie hier zitiert haben. Die „KN“ hat dann kommentiert: Lieber sollte man mal einen Fehler eingestehen, als so zu tun, als habe man immer recht. - Dies ist eine Weisheit, die im Leben grundsätzlich nicht unklug ist.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern, meine Damen und Herren, wird dieser Aspekt in der Debatte sehr wohl angesprochen. Wir müssen und werden im Ausschuss mit dem Ziel beraten, eine klare gesetzliche Regelung zügig auf den Weg zu bringen. Der jetzige Zustand kann so nicht bestehen. Ich denke, dass wir aus dem Parlament heraus einen wirkungsvollen Beitrag dazu geleistet haben, um offen und intensiv über diese Fragen zu diskutieren. Bei diesem Thema besteht unstreitig Handlungsbedarf.

(Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls das Wort.

(Werner Kalinka)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich im Wesentlichen auf meinen Wortbeitrag in der Landtagsdebatte vom 16. Juli dieses Jahres beziehen. Damals ging es um eine Vorschrift im Wahlgesetz für den Landtag, nämlich um § 3 des Landeswahlgesetzes. Heute geht es um eine Vorschrift im Gemeinde- und Kreiswahlgesetz; § 10 soll geändert werden.

Beide Vorschriften sind nahezu wortgleich und sollen den Ausgleich sogenannter Überhangmandate regeln, zu denen es kommen kann, wenn eine Partei mehr Direktmandate erreicht, als ihr nach dem prozentualen Wahlergebnis zustehen. Beide Vorschriften sind juristisch nicht eindeutig formuliert. Sie lassen verschiedene Auslegungen zu, die in bestimmten Fällen trotz unstreitiger Stimmenzahlen für die einzelnen Parteien zu Streit über die Sitzverteilung in den gewählten Vertretungen führen können.

Bei den gerade durchgeführten Kommunalwahlen vom 25. Mai des Jahres hätten die unterschiedlichen Rechtsauffassungen in insgesamt 15 Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der konkreten Zusammensetzung der gewählten Vertretung führen können. In neun dieser insgesamt 15 Fälle ist es tatsächlich zu Einsprüchen gegen die vor Ort festgestellte Sitzverteilung gekommen. In einem dieser Fälle - Bad Segeberg - kam es auch schon zur Klage gegen das festgestellte Wahlergebnis vor dem Verwaltungsgericht Schleswig.

Das Ziel der Anträge der Grünen, für künftige Landtags- und Kommunalwahlen durch eindeutige Gesetzesformulierung Klarheit zu schaffen, habe ich für die SPD-Landtagsfraktion bereits unmittelbar nach der Kommunalwahl in der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses am 4. Juni 2008 sinngemäß mit den Worten formuliert, dass der offenbar vorliegende gesetzgeberischer Murks, der jetzt zutage getreten sei, dazu führen müsse, dass wir uns als Gesetzgeber damit beschäftigen und für Klärung sorgen, damit für die Zukunft dieser Paragraf - gemeint war § 10 des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes - eindeutig und überall im Lande so angewendet wird, wie wir es als Parlament und Gesetzgeber wollen.

In der Zielsetzung sind wir uns also mit der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einig. Über die inhaltliche Ausgestaltung der einschlägigen Vorschriften und konkrete Formulierungen sollten wir uns in gemeinsamer Beratung beider Gesetzentwürfe der Grünen in einem Rutsch, Herr

Kollege Hentschel, dann im zuständigen Fachausschuss für Inneres und Recht weiter unterhalten. Das gilt auch für das Stimmenzählverfahren.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So sehr wir den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in seiner inhaltlichen Richtung begrüßen, so sehr ist er auch dürftig. Denn es ist natürlich eine sinnvolle Änderung des Kommunalwahlrechts, die künftige Sitzvergabe in den Gemeinderäten und Kreistagen nach dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers vorzunehmen, aber es ist doch vernünftiger, das Kommunalwahlrecht insgesamt einer Reform zuzuführen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich letztes Jahr einge- reicht!)

Insofern hat es uns schon ein wenig verwundert, warum die Grünen gerade nach den Erkenntnissen der letzten Kommunalwahl nicht einfach ihren alten Gesetzentwurf - allerdings handwerklich verbessert - zum Kommunalwahlrecht mitsamt des Kumulierens und Panaschierens eingebracht haben. So wird doch wieder nur ein Gesetz an ein oder zwei Stellen leicht verändert.

Im Übrigen greift der Gesetzentwurf auch an anderer Stelle zu kurz. Wenn wir die Sitzverteilung in den Gemeindevertretungen und Kreistagen künftig nach Sainte-Laguë/Schepers vornehmen, frage ich mich, wie dann die Besetzung der Ausschüsse erfolgt. Soll diese - wie es auch nach Ihrem Gesetzentwurf weiterhin vorgesehen ist - immer noch nach d’Hondt erfolgen? - Das wäre ein wesentlicher Systembruch.

Insofern sollten wir uns eher darüber Gedanken machen, ob es derzeit nicht angebrachter erscheint, Änderungen der Gemeinde- und Kreisordnungen vorzunehmen. Denn Ausschussneubesetzungen, Ausschussumbesetzungen und -nachbesetzungen finden in den Gemeinden und Kreisen öfter statt. Die nächste Kommunalwahl ist hingegen erst 2013. So gibt es in der Gemeindeordnung zunächst dringendere Dinge abzuarbeiten, wie sich nach den letzten Kommunalwahlen gezeigt hat.

Wir haben dazu bereits Vorschläge ausgearbeitet und werden diese zur Oktober-Tagung in dieses Haus einbringen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, der zweite Punkt, der im Gesetzentwurf der Grünen aufgearbeitet wird, ist die Frage, wie viele weitere Sitze nach einer Kommunalwahl und vorliegenden Überhangmandaten als Ausgleichsmandate verteilt werden dürfen. Die Grünen greifen damit die Debatte um den Streit über die Auslegung des geltenden Gesetzestextes auf.

Kurz zur Erinnerung: Das Innenministerium hat bei der Sitzvergabe entgegen der geltenden Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass nur so viele Ausgleichsmandate verteilt werden dürfen, wie Überhangmandate nach einer Wahl entstanden sind. Die Rechtsprechung sagt hierzu klar, dass nach dem Kommunalwahlrecht die doppelte Anzahl der entstandenen Überhangmandate als Ausgleichsmandate vergeben werden können.

Herr Kollege Kalinka, Sie haben gesagt, dass Sie gegen den dritten Weg sind, nämlich dass die Sitze nach dem Verhältnis der Stimmen zu verteilen sind. Das ist klar, weil Sie durch diese Regelung überhaupt nicht dazugewinnen können, sondern immer einen Vorteil haben. Damit werden Sie der Sache insgesamt nicht gerecht. Die Rechtsprechung sagt ganz klar, wie das zu handhaben ist.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kalinka?

Ja, bitte schön.

Herr Hildebrand, bestätigen Sie mir, dass ich nicht dagegen gesprochen habe, sondern gesagt habe, das sei problematisch und erörterungsbedürftig? Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.

- Vielen Dank, Herr Kollege. Heute wurde schon einmal gesagt, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Insofern hoffe ich jetzt auf die Ausschussberatungen und Ihre Einsicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Zahl der Ausgleichmandate! Wir alle haben diesen Streit verfolgt und zur Kenntnis nehmen dürfen, dass das Innenministerium als Kommunalauf

sicht nun alle Interpretationen duldet. Wenn eine Kommune also nicht der Auffassung der Kommunalaufsicht folgt, dann wird nicht eingeschritten. Das mag eine pragmatische Lösung sein. Rechtsstaatlich ist sie nicht minder bedenklich, und sie führt auch nicht zu einer endgültigen Klärung.

(Beifall bei der FDP)

Klärung bringt hier die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Lösung, die die Grenze für die Vergabe weiterer Ausgleichsmandate erst dort setzt, bis die dem Wahlergebnis entsprechende verhältnismäßige Sitzverteilung erfolgt ist. Das ist so weit in Ordnung. Aber auch hier drängt die Zeit nicht mehr. In den Kreisen und Kommunen haben die Wahlprüfungsausschüsse inzwischen getagt und die Ergebnisse der Sitzverteilung bereits bestätigt. Auch hier: Die nächste Wahl ist erst 2013.

Wir sollten daher vielleicht noch einmal gründlicher an die Aufarbeitung und Änderung des Kommunalwahlrechts und der Gemeinde-, Amts- und Kreisordnung gehen und nicht in Form von punktuellen Schnellschüssen. Hier ist eine handwerkliche und inhaltlich systematische Arbeit gefordert. Das Ergebnis von Gesetzentwürfen ist wichtiger als der Absender.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden in den weiteren Beratungen hierzu ergänzende Vorschläge unterbreiten und insgesamt zur Gemeindeordnung und Kreisordnung in der Oktober-Tagung, wie angekündigt, einen Gesetzentwurf einbringen.

(Beifall bei der FDP)

Für die Abgeordneten des SSW hat die Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demokratische Wahlgesetze sind nichts, was durch Gott oder eine andere höhere Instanz der Gerechtigkeit geschaffen wird. Wahlrecht wird von Menschen gemacht, und zwar von Menschen, die unmittelbar davon betroffen sind. Das kann auch nicht anders sein. Dies aber gemahnt auch zur Sensibilität. Denn ein zu stark von Parteiinteressen geprägtes Wahlrecht wirkt im Ergebnis willkürlich oder gar manipulierend und kann den Glauben in die Gerechtigkeit demokratischer Wahlen schädigen. Das

(Günther Hildebrand)

oberste Ziel eines Wahlgesetzes muss es daher bleiben, die Stimmen der Wählerinnen und Wähler so präzise wie nun einmal möglich in eine Mandatsverteilung zu übersetzen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Dazu kann der vorliegende Gesetzentwurf beitragen.

Durch die von den Grünen vorgeschlagene Mandatsverteilung nach Sainte-Laguë/Schepers wird die Stimmabgabe der Wählerinnen und Wähler besser abgebildet als durch das bisher angewandte d’Hondtsche Zählverfahren, das wegen seiner verzerrenden Wirkung in vielen Wahlgesetzen wieder abgeschafft wurde. Dieser Vorschlag findet also unsere Zustimmung.

Wahlrecht sollte so klar wie möglich gestaltet sein und eindeutig wirken. Vor diesem Hintergrund ist es sehr bedenklich, dass sich nach der Kommunalwahl im Mai 2008 zwei unterschiedliche Auslegungen des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes verbreitet haben. Die einen gehen davon aus, dass bei der Berechnung der maximalen Anzahl der Ausgleichsmandate die Überhangmandate mitgerechnet werden dürfen. Die anderen meinen, dass die im Gesetz genannten „weiteren Sitze“ eben nicht die überhängenden Mehrsitze umfassen. Ich muss gestehen, dass mir beim Lesen des Gesetzestextes letztere Auslegung richtiger erscheint.

Aber wir sind nun einmal in der Situation, dass das Innenministerium für die Wahl 2008 de facto auch die zweite Lesart anerkannt hat, indem es auf eine Klage verzichtet. Im besten Fall ist dies Ausdruck von Pragmatismus, der den Kommunen Arbeitsruhe geben will. Im schlimmsten Fall ist dies das Eingeständnis, dass das Wahlgesetz schlampig gestrickt wurde. Unter allen Umständen bedeutet dies aber, dass die Mandate in den Kommunen nach zweierlei Maß verteilt werden. Das ist alles andere als Rechtsklarheit.

(Beifall beim SSW)

Deshalb begrüßen wir, dass die Grünen zumindest auf eine schnelle gesetzliche Klärung drängen. Den Weg, die Begrenzung der Zahl der weiteren Sitze auf das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze ersatzlos zu streichen, halten wir für praktikabel. Zwar wird die Kommunalvertretung bei vielen Überhangmandaten größer, dafür spiegelt sie aber besser die Stimmverteilung und damit den Wählerwillen wider.

Der SSW meint, dass in diesem Zusammenhang nochmals zur Sprache kommen muss, wie der Ge

setzgeber eine ebenso gerechte Verteilung der Sitze in den Gremien der Kommunalvertretungen sichern kann. Auch in diesem Bereich muss es Regeln geben, die kommunaler Willkür entgegenwirken. Ich halte es immer noch - ich glaube, ich habe es bereits in der letzten Debatte angesprochen - für eine deutliche Verfälschung des Wählerwillens. Ich habe das Verteilungsverfahren für Ausschüsse und Gremien am Beispiel Husum genannt, wo der SSW praktisch aus den Ausschüssen herausgedrängt wurde. Er ist dort mit 10,5 % der Stimmen nur in zwei Ausschüssen vertreten. Wenn die FDP und die Grünen trotz 4,3 % beziehungsweise 2,8 % weniger Stimmen jeder für sich mehr Ausschusssitze erlangen konnten als der SSW, und wenn die CDU mit rund dreimal so vielen Stimmen wie der SSW zwölfmal so viele Sitze in den Ausschüssen hat, dann ist der Wurm darin.