Protokoll der Sitzung vom 08.10.2008

Bei den meisten Jugendlichen spielt der Wunsch nach Anerkennung eine große Rolle, und zwar bedauerlicherweise selbst dann, wenn diese Anerkennung von der falschen Seite kommt. Haben Sie sich eigentlich einmal gefragt, warum Deutschland Weltmeister bei diesen Blöden Casting-Shows ist? Das hat auch etwas damit zu tun, dass Jugendliche bewusst in Kauf nehmen, sich vor einem Millionenpublikum lächerlich zu machen, weil sie dort offensichtlich eine scheinbare Anerkennung erfahren, die sie im realen Leben sonst nicht bekommen. Jugendliche wollen, dass man sie bei dem, was sie tun und wofür sie sich einsetzen, ernst nimmt. Für ihre Leistungen müssen sie Anerkennung erfahren. Ansonsten werden sie sich nämlich diejenigen zum Vorbild wählen, die ihnen scheinbar Anerkennung geben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Genauso ist es!)

Wenn Jugendliche für ihr gesellschaftliches Engagement Vorbilder brauchen, dann müssen wir Poli

(Dr. Heiner Garg)

tiker uns kritisch fragen, ob wir als Vorbild wirklich taugen.

(Beifall bei der FDP)

Wir sollten uns, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg, beispielsweise einmal ernsthaft fragen: Wie oft stehen wir eigentlich zu dem, was wir sagen, was wir versprechen, und wie setzen wir es später in der von mir angesprochenen Realität um?

Die Ludwig Erhards, die Willy Brands oder die Hans-Dietrich Genschers sind bedauerlicherweise rar geworden. Aber ein Barack Obama in den USA zeigt, dass junge Menschen keineswegs politikerverdrossen sind, wenn Politiker ihnen Hoffnung geben, wenn Politiker versuchen, sie mitzureißen und für Politik zu begeistern.

(Zurufe)

- Lieber Kollege Astrup, ich will Ihnen ein Beispiel geben. Mein Vater hat mich 1980 zum Bundestagswahlkampf - damals war Franz-Josef Strauß Kanzlerkandidat der Union - in die Winzerhalle nach Auggen mitgenommen. Am selben Abend, nach der Rede von Franz-Josef Strauß, fing ich an, mich für die FDP zu interessieren.

Es gibt ein Forum des Deutschen Bundestags für Jugendliche: www.mitmischen.de. Hier können Jugendliche mit Abgeordneten diskutieren. Ich habe mir das einmal angeguckt. Ich finde es wenig hilfreich, wenn die wenigen interessierten Fragesteller, die dieses Forum nutzen, auf ihre konkreten Fragen entweder überhaupt keine Antwort, keine klaren Antworten erhalten oder - was ich am schlimmsten finde - mit irgendwelchen Textbausteinen abgespeist werden. Dann kann sich Politik den Dialog mit jungen Menschen in der Tat sparen.

(Beifall bei der FDP)

Die nächste spannende Frage ist: Wie bekommen Politiker eigentlich eine Rückmeldung darüber, ob Jugendliche tatsächlich durch Politik erreicht werden? In der 15. Shell-Jugendstudie wird deutlich, dass das Interesse an Politik vergleichsweise niedrig und vor allem vom Bildungsniveau abhängig ist. Gemeint ist wohlgemerkt vor allem Parteienpolitik. Je höher Bildungsniveau und soziale Schicht sind, desto intensiver ist das gesellschaftliche Engagement der Jugendlichen.

Wie erreichen wir also eine scheinbar uninteressierte Mehrheit? - Meine Antwort darauf ist: vor allem über die Jugendlichen selbst, zum Beispiel in den Verbänden, aber auch in den Jugendorganisationen der Parteien. Wir erreichen sie über Veranstal

tungen wie „Jugend im Landtag“ oder über die zahlreichen Jugendorganisationen im Land.

Der zweite Schritt ist, dass beispielsweise Veranstaltungen so gestaltet werden, dass diejenigen Jugendlichen, die daran teilgenommen haben, begeistert von ihren Erfahrungen erzählen können und sie weitertragen. Das Interesse nämlich, sich gesellschaftlich einzubringen, ist bei keiner anderen Altersgruppe so hoch wie gerade bei jungen Menschen. Genau dieses Interesse muss geweckt und am Leben erhalten werden, damit sich diese jungen Menschen auch in Zukunft einbringen, um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung weiterentwickeln zu können. Denn wer, wenn nicht sie, sollten das in Zukunft tun?

Die große Nachfrage nach Plätzen im Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahr, die Mitarbeit in Sportvereinen und die rege Beteiligung bei „Jugend forscht“ zeigt ganz deutlich, dass wir eine engagierte junge Generation haben.

(Beifall bei FDP, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Das Engagement in Jugendverbänden wie im Landesjugendring oder der Landjugend ist beispielhaft. Dieses Interesse muss seitens der Politik weiter unterstützt und gefördert werden.

Die Große Anfrage ist eine Bestandsaufnahme der Jugendpolitik aus Sicht von Politikern. Eine Auseinandersetzung darüber, was Jugendliche tatsächlich wollen und welche Vorstellungen sie über ihre Zukunft haben, ist sie nicht, kann sie wahrscheinlich auch gar nicht sein. In weiten Teilen ausgeklammert werden in der Großen Anfrage zur Jugend in Schleswig-Holstein Fragen, wie Jugendliche mit dem Umbruch von der Kindheit zum Erwachsenenwerden zurechtkommen.

Zentrale Frage der Pubertät ist dabei die Beschäftigung mit Sexualität und Partnerschaft. Es gibt nur weniges, das junge Menschen so sehr bewegt wie dieses Thema. Fragen in dieser Großen Anfrage zur Sexualität beschränken sich im Wesentlichen auf Schwangerschaftsverhütung und auf sexuell übertragbare Krankheiten. Daneben wird noch rollenspezifisches Verhalten und die Auseinandersetzung damit abgefragt. Die Erfahrung und Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität ist eng damit verknüpft, wie sich Jugendliche selbst in der Gesellschaft sehen. Wenn wir einmal ehrlich sind: Was hat uns eigentlich mehr bewegt als dass wir zum ersten Mal verknallt waren? Was hat uns da noch interessiert? Hat uns da wirklich noch die Schule interessiert? - Nein, hat sie vermutlich nicht.

(Dr. Heiner Garg)

Außer bei ein paar Strebern war das das Bestimmenste. Deswegen ist es auch so wichtig, diesen Abschnitt kennenzulernen oder sich wieder in Erinnerung zu rufen.

Dazu gehört auch, die Selbstzweifel von Jugendlichen an der eigenen Identität näher zu beleuchten. Denn diese haben einen unmittelbaren Bezug zu den Fragen nach Suchtverhalten, Essstörungen5 oder nach Selbstmorden. Wir wissen jetzt durch die Antwort auf die Große Anfrage, dass es im Jahr 2005 118 Fälle von Selbsttötungen in der Altergruppe der unter 45-jährigen gab. 88 Tote waren männlichen Geschlechts. Ich frage Sie: Was machen wir jetzt mit dieser Erkenntnis?

Was wir nämlich nicht kennen, sind die Motive, die vor allem junge Männer dazu gebracht haben, sich das Leben zu nehmen. Genau diese Frage ist für weitere Konsequenzen interessant. Welche Erfahrungen würden in dem Beratungsangeboten und Anlaufstellen für suizidgefährdete Jugendliche gemacht? Welche Rolle spielt heute eigentlich noch die Religion bei Jugendlichen? Hat sich die Rolle der Religion in den letzten Jahrzehnten verändert, und wenn ja, wie hat sie sich verändert? Diese Fragen sind bisher noch offen. Aber wenn wir mehr über und von Jugendlichen erfahren wollen, dann sollten wir auch Antworten auf diese Fragen finden, und zwar Antworten von denen, die Sie uns am ehesten geben können, nämlich den Jugendlichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Politik kann und muss sicherlich Rahmenbedingungen schaffen, um den Bedürfnissen von Jugendlichen gerechter zu werden. Eines können die vielen Angebote für Jugendliche in Schleswig-Holstein, auch wenn sie noch so sinnvoll sein mögen, aber niemals ersetzen: ein verständnisvolles Elternhaus, das seinem Erziehungsauftrag nachkommt und diesem gerecht wird.

(Beifall bei FDP und SSW und vereinzelt bei CDU und SPD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Monika Heinold das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ein Dankeschön an die CDU-Fraktion als Antragstellerin dafür, dass sie diese umfangreiche Anfrage gestellt hat, sodass wir über dieses Thema heute diskutieren können. Das Thema ist wichtig

genug, um sich damit ausführlich und systematisch zu befassen.

Ein zweites Dankeschön an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Regierung für die Beantwortung der Fragen und für das Zusammenstellen der Zahlen. - Genau bei diesem „Zusammenstellen von Zahlen“ fängt die Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Großen Anfrage an.

Was kann eine solche Große Anfrage überhaupt an neuen Erkenntnissen bringen? Welche Handlungsmöglichkeiten zeichnen sich in dem 100-SeitenWerk ab? Vieles, was wir in der Antwort der Landesregierung finden, ist nicht neu. Zusammengestellt wurden Ergebnisse der Shell-Studie, der JIMund der KIM-Studie, des Kinder- und Jugendgesundheitsberichts und anderer Studien, Dokumente, die schon vielfach diskutiert wurden und deren Inhalt meist bekannt ist. Hier einige Beispiele:

Es ist bekannt, dass Bildungschancen ungerecht verteilt sind und dass Kinder, die nicht von Anfang an optimal gefördert werden, anschließend Probleme haben, einen Schulabschluss zu erreichen und einen Ausbildungs- und einen Arbeitsplatz zu erhalten.

Es ist bekannt, dass der Medienkonsum stetig steigt und dass der Umgang mit den neuen Medien auch negative Auswirkungen auf die Jugendlichen haben kann und hat.

Es ist bekannt, dass die Fehlernährung von Kindern und Jugendlichen verstärkt zu Übergewicht und Gesundheitsproblemen führt.

(Einige Abgeordnete unterhalten sich an der Regierungsbank mit Ministerpräsident Peter Harry Carstensen und Ministern)

- Es wäre nett, fänden die Koalitionsgespräche, so spannend sie auch sein mögen, vor der Tür statt.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist bekannt, dass der Umgang mit Drogen, Nikotin und Alkohol - Stichwort „Komatrinken“ - besorgniserregend ist, insbesondere, wenn die Kinder schon mit elf Jahren einsteigen.

Es ist bekannt, dass zirka 10 % aller Jugendlichen die Schule ohne Ausbildungsplatz verlassen, und es ist bekannt, dass Betriebe Lehrstellen nicht besetzen, weil ihnen die Qualifikation der jungen Menschen nicht reicht, und dass hiervon überwiegend Migrantinnen und Migranten betroffen sind.

(Dr. Heiner Garg)

Es ist bekannt, dass seit Jahren geschlechtsspezifische Angebote in der Mädchenarbeit gefördert werden. Dennoch wird die offene Jugendarbeit von männlichen Jugendlichen dominiert.

Aber auch die positiven Aussagen des Berichts sind nicht neu: Jugendliche sind nicht politikverdrossen, sondern sie haben keine Lust auf die von den Erwachsenen vorgegebenen Strukturen, und das ist ihr gutes Recht.

Jugendliche engagieren sich gern, vor allem projektbezogen. Sie sind in Vereinen und Verbänden aktiv und übernehmen Verantwortung in ihrem direkten Umfeld.

Gerade Jugendliche auf dem Land fühlen sich meist wohl, obwohl die Freizeitangebote dort deutlich geringer sind als in der Stadt.

Jugendliche sind in der Regel interessiert und engagiert. Sie nehmen an Wettbewerben, Freizeitangeboten, Beteiligungsangeboten in Schulen und in Vereinen teil.

Neue Erkenntnisse habe ich durch das Lesen der Antworten auf die Große Anfrage kaum gewonnen. Umso mehr stellt sich die Frage: Was nun? Sind Landtag und Landesregierung tatsächlich bereit, Konsequenzen aus der Großen Anfrage zu ziehen, oder bleibt alles beim Alten, nach dem Motto: „Schön, dass wir einmal darüber gesprochen haben“?

Herr Wadephul, Sie haben heute als Fraktionsvorsitzender der CDU großspurig angekündigt: Hier wollen wir - also die CDU-Fraktion - einen neuen Schwerpunkt setzen. - Schön. Ihr zweiter Satz lautete: Wir müssen die Antworten in Ruhe auswerten. - Insoweit habe ich natürlich die Befürchtung, dass nicht viel passiert. Meine Fraktion sieht Handlungsbedarf.

Wenn wir wissen, dass ein Drittel aller Kinder nicht in Sportvereinen aktiv sind, dann müssen wir uns überlegen, wie wir sie in den Vereinssport integrieren können.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das habe ich auch gesagt!)

- Sie haben gelobt, dass zwei Drittel Mitglied in einem Sportverein sind. Ich habe es etwas anders formuliert.