Protokoll der Sitzung vom 08.10.2008

(Beifall bei der SPD)

längeres gemeinsames Lernen, Ganztagsschule, bessere Ausbildungs- und Studienförderung sind unsere Antworten auf diese Ungleichheiten. Das gilt auch und gerade für die Probleme, die viele, aber keineswegs alle jungen Menschen mit Migrationshintergrund haben.

Manche Entwicklungen entziehen sich der Steuerung. Die Antwort der Landesregierung bezieht sich an mehreren Stellen auf die Untersuchung des Landjugendverbandes, auf die Jugendverbandsarbeit auf dem Lande. Der vordergründig widersprüchliche Befund dieser Untersuchung war, das zwei Drittel der auf dem Land wohnenden Jugendlichen sich dort sehr wohl fühlen, dass jedoch knapp die Hälfte gern in der Stadt wohnen würde. Bei den Jugendlichen, die in der Stadt wohnen, gibt es hingegen kaum einen Wunsch, auf das Dort zu ziehen. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass der ländliche Raum vor einer Entvölkerung steht. Ich meine, das hat eher damit zu tun, dass die Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Erwartungen an die Rahmenbedingungen ihres Lebens haben. In manchen Phasen ist die Zugänglichkeit zu den Infrastrukturen der Stadt, ihren Bildungsangeboten, ihrem Arbeitsmarkt, ihren Freizeiteinrichtungen vorrangig, in anderen Lebensphasen sind die infrastrukturellen Angebote weniger wichtig als das Milieu auf dem Land.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Jugendliche sind nicht erst dabei, Menschen zu werden, sie sind schon welche. Wir leiten daraus ab, dass sie, wo immer es geht, ihre Ansprüche selbst formulieren und ihre Rechte selbst wahrnehmen. Denn wie soll ein mündiger, entscheidungsfähiger und engagierter

Bürger oder eine Bürgerin heranwachsen, wenn er oder sie bis zum Tage der Volljährigkeit nur Verfügungsmasse von Familie und Schule ist? Wir warten mit Spannung auf die Ergebnisse des Projektes „Mitwirkung Schleswig-Holstein“, das neue Impulse für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendbeteiligung bringen wird.

Es ist in diesem Zusammenhang schade, dass die Wahlstatistik uns keine klare Auskunft darüber gibt, wie viele Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren sich im Mai an der Kommunalwahl beteiligt haben. Es ist zu erwarten, dass die Wahlbeteiligung in dieser Altersgruppe ausbaufähig ist. Aber wir alle wissen, dass dies für alle anderen Altersgruppen ebenso gilt. Persönlich bin ich der Auffassung, dass wir darüber nachdenken sollten, das Wahlrecht mit 16 Jahren auch auf die Wahlen zum Landtag, zum Bundestag und zum Europäischen Parlament auszudehnen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich halte gar nichts davon, Eltern für ihre Kinder wählen zu lassen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Beteiligung darf sich natürlich nicht darauf beschränken, dass man zur Wahl gehen darf. Wir wollen, dass sich Jugendliche engagieren. Aber zugleich schaffen wir immer wieder Rahmenbedingungen, die ihnen dies zumindest nicht leichter machen. Die Verdichtung des Unterrichts im achtjährigen Gymnasium und die Verschulung des Studiums durch die konsekutiven Abschlüsse machen es schwerer, neben der Konzentration auf Schule, Ausbildung und Studium Freiräume für ehrenamtliches Engagement zu finden.

(Beifall bei der SPD)

Trotz alledem haben wir in Schleswig-Holstein starke Strukturen der Jugendverbandsarbeit, die auch die Unterstützung erhält, die sie verdient; ich blicke hier auf die Ministerin.

Mit Recht stellt die Landesregierung fest, dass das geringe Interesse der meisten Jugendlichen an einem Engagement in einer der politischen Parteien nicht gleichbedeutend ist mit Gleichgültigkeit gegenüber der Politik. Die meisten politischen Parteien haben zu wenig Nachwuchs und sind überaltert. Ich glaube, keine Partei kann für sich in Anspruch nehmen, Formen des Arbeitens und der Kommunikation entwickelt zu haben, die für Menschen aller Altersgruppen gleichermaßen attraktiv sind. Ich bin

(Sandra Redmann)

auch nicht davon überzeugt, dass es zu den von uns gewünschten Resultaten führt, wenn Jugendorganisationen politischer Parteien Freibier ausschenken, wie bei uns zur Kommunalwahl in Bad Schwartau. Wir haben jedoch gute Erfahrungen mit Programmen wie dem Girls’ Day gemacht, die es jungen Menschen ermöglichen, einen kurzen Einblick in den Betrieb Landtag zu nehmen. Natürlich wird nicht jeder sofort begeistert Mitglied der jeweiligen Partei, aber der eine oder die andere hält nicht nur Kontakt, sondern findet auch den Weg zu einer Mitarbeit. Das setzt aber voraus, dass beide Seiten bereit sind, sich zu verändern. Wenn jemand zu einer Gruppe neu hinzu stößt, verändert sich die Gruppe dadurch und muss auch bereit sein, sich zu verändern, ebenso wie derjenige, der neu hinzukommt, akzeptieren muss, dass auch er oder sie sich selbst bis zu einem gewissen Grade ändern muss. Menschen zu integrieren, insbesondere junge Menschen zu integrieren, bedeutet eben auch, sie ernst zu nehmen und eigene Macht abzugeben.

Wer aber für sich keine Zukunftsperspektive mehr sieht, wird auch nicht mehr bereit sein, sich zu engagieren. Für uns steht daher weiterhin im Mittelpunkt, dass möglichst jeder Jugendliche einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung erhalten muss

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dass der Kampf gegen die Kinderarmut höchste Priorität haben muss. Bund, Land und Kommunen müssen mit dem Skandal Schluss machen, dass Kinder an der Mittagsverpflegung aus Kostengründen nicht teilnehmen können.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte den Hinweis auf die Finanzlage absolut für einen vorgeschobenen Grund. Mit Finanzen kann man alles totreden.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben auch Geld für andere Sachen. Dass wir uns das heutzutage immer noch leisten, kann ich nicht nachvollziehen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

- Sie kommen ja gleich dran, Herr Dr. Garg.

Ich möchte der fragestellenden Fraktion und all denen, die sowohl bei de arbeit an der Großen Anfrage als auch bei ihrer Beantwortung mitgewirkt haben, für diese Arbeit danken.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Ergebnis lässt sich gut arbeiten, und wir müssen daran arbeiten. Noch mehr will ich denen danken, die sich täglich haupt- und besonders ehrenamtlich in der Jugendarbeit in all ihren Formen, auch und gerade in der Jugendverbandsarbeit, engagieren.

Ich rege an, den Bericht federführend an den Sozialausschuss und mitberatend an alle Fachausschüsse zu überweisen. Ich hoffe, er wird dort nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern es wird dort auch wirklich mal ernsthaft diskutiert.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Kollegin Redmann, ich dachte eigentlich, dass wir in Ausschüssen immer ernsthaft diskutieren. Insbesondere in Ausschüssen, an denen Sie auch teilnehmen, fand ich die Diskussion bisher immer ernsthaft.

(Zuruf: Oh!)

Insofern hat mich der letzte Satz etwas gewundert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was können und müssen wir tun, damit Jugendliche selbstbewusste und kritische Staatsbürger werden können? Kommt Jugendpolitik eigentlich bei denen an, für die wir sie machen wollen? Welche konkreten Ansprüche haben Jugendliche eigentlich an die Politik, und was erwarten sie von Politik? Können wir überhaupt so viel tun, wie wir glauben? Wen bräuchten wir eigentlich als Verbündete für unsere Jugendpolitik?

Die wichtigste Erkenntnis aus der Antwort auf diese Große Anfrage ist für mich: Politik sollte nicht so tun, als ob sie alle Probleme, die Jugendliche heute haben, lösen kann. Was sie aber kann, ist, einen Rahmen zu schaffen, in den diejenigen mit einbezogen werden müssen, die mit Jugendlichen zu tun haben, also Eltern, Lehrer und Ausbilder beispielsweise.

Was Politik tun muss, ist, die Teilhabe von Jugendlichen an unserer Gesellschaft unabhängig

(Sandra Redmann)

vom sozialen Status zu sichern. Das ist Aufgabe der Politik.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

In diesem Zusammenhang: Teilhabe, Startchancengleichheit hat sehr viel mit Bildungspolitik zu tun. Ich will ohne jede Schärfe sagen: Es ist völlig unakzeptabel, dass in Schleswig-Holstein nach wie vor fast 10 % aller Schulabgänger ohne einen Schulabschluss die Schule verlassen.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

- Frau Ministerin Erdsiek-Rave, ich habe gesagt: Ich sage das ohne Schärfe. - Ich freue mich, wenn die Zahl gesunken ist. Ich bleibe dabei: Es ist ein Skandal, dass fast 10 % der Schulabgänger in Schleswig-Holstein die Schule ohne Abschluss verlassen müssen. Ich erwarte den Ergeiz der Landesregierung, den sie bei dem Programm „Kein Kind ohne Mahlzeit“ zu Recht an den Tag legt, ich erwarte denselben Ergeiz wie beim Programm „Kein Kind ohne Ferienfreizeit“ in Zukunft bei einem Programm „Kein Kind ohne Schulabschluss“.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jugendliche müssen in die Lage versetzt werden, sich in der Welt, in der sie leben, behaupten zu können, um zu bestehen. Dabei hat sich diese Welt, in der sie sich behaupten müssen, in den letzten drei Jahrzehnten radikal verändert. Sie müssen - im Gegensatz zu den vorherigen Generationen - lernen, zwischen einer realen und vielen virtuellen Welten zu unterscheiden. Jugendliche müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln können, dass die Flucht in die virtuelle Welt keine Problemlösung sein kann.

Damit ihnen diese Unterscheidung zwischen Spaß und Spiel und den Anforderungen des realen Lebens gelingt, brauchen Jugendliche Werte und Vorbilder. Jugendliche müssen lernen können, mit Autorität und Autoritätspersonen zurechtzukommen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Hört, hört!)

Sie müssen Konflikte aushalten, und sie müssen Konflikte lösen können. Sie müssen darauf vorbereitet werden, in der Realität zu bestehen - eine Realität übrigens, die nach wie vor viel spannender ist als die virtuelle, weil es in der Realität keine Reaktion auf Knopfdruck gibt. Deshalb steht Politik in der Pflicht, nicht nur für eine ordentliche Bil

dungspolitik zu sorgen, sondern auch dafür, dass Jugendlichen Werte vermittelt werden können.

Dabei ist es nicht Aufgabe und kann gar nicht Aufgabe von Politik sein, Jugendliche zu erziehen. Eltern, Lehrer und Ausbilder aber müssen in die Lage versetzt werden, dass sie Jugendliche darauf vorbereiten, in der Realität zu bestehen, damit sie selbstbewusste, kritische Demokraten werden, die sich für ihre Zukunft interessieren und einsetzen. Dazu müssen Jugendlichen neben den Grundfertigkeiten wie Verantwortungsbewusstsein, Respekt vor anderen Menschen, Toleranz gegenüber anders Aussehenden, anders Denkenden und anders Lebenden auch lernen, selbstbewusst mit den Möglichkeiten umzugehen, die ihnen Medien bieten, ohne den Blick für die reale Welt zu verlieren. Andernfalls erreichen Jugendliche einen Punkt, in dem sie sich zu Recht fragen, warum sie sich eigentlich für andere Menschen einsetzen sollen, wenn sie sich in einer virtuellen Parallelwelt, in der es offenbar nur Gleichgesinnte gibt, immer wieder neu erschaffen können.

Warum sollten sich junge Menschen mühsam mit anderen jungen Menschen auseinandersetzen und für oder gegen eine Sache streiten, wenn sie sich jederzeit durch Tastendruck eine Welt erschaffen können, die ihnen gerade passt? Schlimmer noch ist es, wenn sich Jugendliche beispielsweise frustriert von dieser Gesellschaft abwenden, weil wir ihnen nicht klar machen, dass sie einen Platz in dieser Gesellschaft haben, wenn sich Jugendliche in extremistische Vereinigungen oder Sekten flüchten.

Bei den meisten Jugendlichen spielt der Wunsch nach Anerkennung eine große Rolle, und zwar bedauerlicherweise selbst dann, wenn diese Anerkennung von der falschen Seite kommt. Haben Sie sich eigentlich einmal gefragt, warum Deutschland Weltmeister bei diesen Blöden Casting-Shows ist? Das hat auch etwas damit zu tun, dass Jugendliche bewusst in Kauf nehmen, sich vor einem Millionenpublikum lächerlich zu machen, weil sie dort offensichtlich eine scheinbare Anerkennung erfahren, die sie im realen Leben sonst nicht bekommen. Jugendliche wollen, dass man sie bei dem, was sie tun und wofür sie sich einsetzen, ernst nimmt. Für ihre Leistungen müssen sie Anerkennung erfahren. Ansonsten werden sie sich nämlich diejenigen zum Vorbild wählen, die ihnen scheinbar Anerkennung geben.