Protokoll der Sitzung vom 29.01.2010

(Zurufe)

Dann kommen noch die 70 Millionen € für die beiden zusätzlichen kostenfreien Kita-Jahre dazu, das sind ja nur Halbtagsplätze, das ist noch nicht einmal ganztags. Ich habe wirklich nur ein bisschen zusammengerechnet und komme da schon auf eine Viertelmilliarde. Da frage ich: Hej, hast du mal eine

Viertelmilliarde? - Das kann doch nicht wirklich ein ernster Politikvorschlag der Linken sein!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU)

Das kann man schon gar nicht bis August umsetzen, auch wenn Kitas und Schulen systemrelevant sind, da stimme ich ja mit Ihnen überein. Für uns haben Qualitätsoffensive und Ausbau Vorrang vor weiterer Kostenfreiheit. Das ist unser Schwerpunkt. Dafür werden wir mit vielen anderen hier streiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SSW-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir halten den Inhalt des Gesetzentwurfs für gut, richtig und notwendig.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Natürlich ist es wichtig, dass Kinder in Betreuungseinrichtungen ein kostenfreies Mittagessen bekommen und dass das auch für Schülerinnen und Schüler öffentlicher Schulen gelten soll. Das ist für uns ein Selbstgänger, das sind Forderungen, die der SSW unterstützen kann. Auch wir sehen, dass es für berufstätige Eltern wichtig ist, die Betreuungszeit im dritten kostenlosen Kita-Jahr von fünf auf acht Stunden zu erhöhen.

Allerdings - liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, das kann ich Ihnen nicht ersparen muss auch ich sagen, dass wir hier leider nicht bei „Wünsch dir was“ sind, sondern dass wir uns ganz realistisch damit auseinandersetzen müssen, was geht und was nicht geht. Da kann man natürlich sagen, das sei alles eine Frage der Prioritätensetzung. So einfach kann man sich das aber doch nicht machen. Prioritätensetzung und Haushalt müssen Hand in Hand gehen. In diesem Fall ist bezeichnend, dass im vorliegenden Gesetzentwurf - ich weiß, dass ich wiederhole, aber man möge das ein bisschen unter pädagogischen Gesichtspunkten betrachten, dass Wiederholungen wichtig sind - zum Punkt „Kosten“ nichts steht.

Auch ich habe gerechnet, so ähnlich wie die Kollegin Erdmann. Ich nenne einmal ein Beispiel, dann haben Sie Vergleichsmöglichkeiten. Im Schuljahr 2009/2010 sind in den allgemein bildenden öffentli

(Anke Erdmann)

chen Schulen in Schleswig-Holstein gut 400.000 Schülerinnen und Schüler. Pro Kind soll der Schulträger 60 € pro Monat für Mittagessen erhalten. Das macht gut 24 Millionen € für die gesamte Schülerschaft in einem Monat. Bei circa zehn Schulmonaten sind das für alle Schülerinnen und Schüler 242 Millionen €. Wenn alle Schülerinnen und Schüler mindestens neun Jahre in die Schule gehen, kostet dies das Land mehr als 2 Milliarden €. - Daran hängen ganz schön viele Nullen.

(Zurufe)

Das ist sehr viel Geld für Schleswig-Holstein, und im Moment haben wir sehr wenig Geld. Wenn wir uns das leisten wollen, müssen wir uns klarmachen, worauf wir verzichten wollen. Das ist einfach so.

Für den SSW möchte ich deutlich sagen, dass dieses Geld aus unserer Sicht zwar nicht schlecht angelegt wäre, es aber im Bereich der Kindertagesstätten und Schulen einen Haufen aktueller Herauforderungen gibt, die ebenfalls und unserer Meinung nach mit höherer Priorität bewältigt werden müssten.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An erster Stelle steht für uns - besonders nach der Aktuellen Stunde am Mittwoch - die Erhaltung des kostenlosen dritten Kita-Jahres mit immerhin fünf Betreuungsstunden. Darüber hinaus steht in Schleswig-Holstein bis 2013 ein Ausbau der Kita-Plätze an, der sowohl vom Land als auch von den Kommunen einen extrem großen Einsatz erfordert. In drei Jahren soll die Anzahl der Kita-Plätze nämlich mehr als verdoppelt sein. Aus unserer Sicht ist der Ausbau der Betreuungsplätze das A und O, um die Eltern zu unterstützen.

Die 20 € mehr Kindergeld durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz helfen da überhaupt nicht weiter, und schon gar nicht den Ärmsten in unserer Gesellschaft. Deren Kinder sind es nämlich, die an erster Stelle von einer professionellen Betreuung und Förderung profitieren.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ziel unserer Politik ist die Teilhabe aller Familien, der Besserverdienenden genauso wie der Hartz-IV-Familien, am pädagogischen Angebot und am Betreuungsangebot der Kitas. Aus diesem Grund müssen wir das beitragsfreie dritte Kita-Jahr erhalten, und wir müssen außerdem die Kita-Beitragsfreiheit bei geringem Einkommen und eine einheitliche Sozialstaffel einführen.

Wenn man sich den Alltag in den schleswig-holsteinischen Kitas anguckt, steht außerdem eine stabile und solide Finanzierung ganz oben auf der Wunschliste, genauso wie die Sicherung inhaltlicher und personeller Standards, mehr Lohn für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein Ausbau der akademischen Ausbildung.

Ein ähnliches Bild an Herausforderungen ergibt sich, wenn man sich den schulischen Bereich anguckt. Nicht nur, dass wir endlich eine Schulstruktur aus einem Guss brauchen, aus Sicht des SSW stehen außerdem die Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer, eine Neuordnung der Lehrerausbildung, weniger Unterrichtsausfall, kleinere Klassen und mehr professionelle Ganztagsbetreuung ganz oben auf der Wunschliste.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum sage ich: Es gibt eine Menge Herausforderungen, vor denen wir im Bildungsbereich stehen. Andere Prioritäten zu setzen, ist aus unserer Sicht notwendig. Wir setzen auch andere Prioritäten als die Linken in ihrem Gesetzentwurf. Wir brauchen eine qualitative Betreuung. Wir brauchen eine gute Bildung für unsere Kinder. Wir brauchen natürlich auch eine warme Mahlzeit. Aber bevor wir das durchsetzen, müssen wir erst einmal das Fundament der Kinderbetreuung und der Bildung sichern. Das ist die wichtigste Aufgabe.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Abgeordneten Ellen Streitbörger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Trotz all der Asche, die jetzt schon auf unsere Häupter gerieselt ist, möchte ich noch einmal zu dem schulgesetzlichen Teil unseres Gesetzentwurfs Stellung nehmen. Es ist für mich eine ganz entsetzliche Tatsache, dass es in unserem Land Schleswig-Holstein 81.000 arme Kinder gibt. Diese Kinder sind die Opfer einer unsozialen Sozialgesetzgebung, der sogenannten Hartz-IV-Gesetze. 81.000 Kinder, das bedeutet, dass 81.000 Kinder schlechter ernährt werden, ein höheres Gesundheitsrisiko, weniger Förderung und schlechtere Bildungschancen haben als gleichaltrige Kinder aus finanziell bessergestellten Elternhäusern. Wir als Vertreterinnen und Ver

(Anke Spoorendonk)

treter dieses Landes können die Ursachen nicht beseitigen, da die Gesetzgebung dafür in der Hand des Bundes liegt. Ich sehe uns aber in der Pflicht, die Auswirkungen abzumildern. Ein erster Schritt in diese Richtung ist es, dafür zu sorgen, dass allen Kindern eine gesunde und vollwertige Mahlzeit am Tag garantiert wird.

Ich denke, vielen hier in unserer Runde ist es weder bewusst noch vorstellbar, wie schlecht Kinder aus armen Familien tatsächlich ernährt werden. Gesunde vollwertige Ernährung ist mit dem Hartz-IVRegelsatz für Kinder von 250 bis 270 € im Monat gar nicht durchführbar. Die Gesundheitsrisiken, die daraus erwachsen, sind enorm.

Unser Gesetzentwurf bezieht sich allerdings auf alle Schülerinnen und Schüler an öffentlichen Schulen. Damit wären auch Schülerinnen und Schüler zu versorgen, deren Eltern die Unterstützung gar nicht nötig hätten, weil sie über die Mittel verfügten, ihre Kinder gesund zu ernähren. Wer sich in der Schullandschaft auskennt, weiß aber, dass gerade Schülerinnen und Schülern aus finanziell bessergestellten Elternhäusern häufig Geld statt einer gesunden Mahlzeit zur Verfügung steht und dass dieses Geld fast genauso häufig bei Fast-FoodKetten landet. Selbst Kioske und Mensen an Schulen bieten minderwertige Snacks und ungesunde Getränke an.

Der zweite Grund dafür, dass alle Schülerinnen und Schüler zu versorgen sind und sich nicht nur auf die armen beschränkt werden soll, liegt darin, dass man nur dann auf einen entwürdigenden Armutsnachweis verzichten kann. Nur dann können wir uns darauf verlassen, dass Kinder nicht hungern müssen, weil es ihren Eltern zu peinlich ist, einen Antrag zu stellen und damit ihre Armut zu belegen.

Ich appelliere deshalb an Sie: Unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf, und sorgen Sie dafür, dass Schleswig-Holsteins Schülerinnen und Schüler gesund ernährt werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Kollegen Ulrich Schippels das Wort.

(Lachen bei und Zurufe von der CDU)

Keine Fraktionssitzung hier, richtig! Asche sollte auf unser Haupt rieseln. Aber ich möchte es ein

bisschen zurückrieseln lassen. Ich bin schon froh, Frau Erdmann, dass Sie in Ihrer Rechnung nur auf 250 Millionen € kommen, während die CDU auf eine Höhe von 350 Millionen € kommt,

(Zurufe von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

weil die CDU nicht daran gedacht hat, dass Kinder tatsächlich auch so etwas wie Ferien haben. Ich finde es schon sehr gut, dass zumindest das bei den Grünen anders gesehen wird.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das sind doch reale Zahlen!)

Was ich allerdings bei den Grünen vermisse, ist ein ganzheitlicher Ansatz. Haben Sie schon einmal ausgerechnet, welche Folgekosten die Fehlernährung von Kindern in ärmeren Familien für die Gesellschaft nach sich zieht? Nein, haben Sie offensichtlich nicht. Dann kämen Sie locker auf einen sehr hohen Millionenbetrag, der tatsächlich eingerechnet werden muss.

Herr Kollege Schippels, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Erdmann?

Da wir gerade bei Rechenbeispielen sind, Herr Schippels, haben Sie einmal - ich weiß nicht, ob Sie überhaupt gerechnet haben - ausgerechnet, was es pro Kopf bedeuten würde, wenn ich sage, ich habe eine Viertelmilliarde Euro und verteile diese auf die Jugendlichen - ich streite nicht ab, dass Kinderarmut ein Problem ist; da sind wir uns alle einig - und nehme an, 20 % - das ist relativ hoch gegriffen - sind Schülerinnen und Schüler und Kita-Kinder, die dieser Hilfe bedürfen?

Nein.

(Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Machen Sie es einmal! Das wäre ziel- gerichtete Politik!)

- Das war eine Frage und meine Antwort darauf! Ich bitte Sie, berechnen Sie auch die Kosten der jetzigen Situation ein, die Gesundheitskosten, aber auch die sozialen Kosten. Bitte berechnen Sie ein, was es bedeutet, wenn Kinder aus ärmeren Familien eben nicht das erste und zweite Kindergartenjahr

(Ellen Streitbörger)

frei haben, nicht in den Kindergarten gehen können und nicht entsprechend gefördert werden!