Protokoll der Sitzung vom 25.02.2010

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die geplanten rechtsextremen Demonstrationen in Lübeck bewegen uns vor allem aus drei Gründen.

Erstens alarmiert es uns als Demokraten, wenn inmitten unserer Städte Kundgebungen stattfinden sollen, an denen sich Menschen beteiligen, die die Werteordnung und Grundrechte in unserem Staat offensichtlich nicht achten und die das Anliegen haben, ein völlig falsches Bild unserer schwierigen deutschen Geschichte zu zeichnen.

Zweitens macht es auf uns einen starken Eindruck, dass sich vor kurzer Zeit in Dresden, wo auf rechtsextremen Kundgebungen in ganz ähnlicher Weise ein Zerrbild der deutschen Geschichte gezeichnet werden sollte, eine große Zahl von Bürgern bereit war, dagegen ein deutliches Zeichen zu setzen. Viele Menschen zeigten mit friedlichem Protest, dass sie den Rechtsextremismus und seine Verirrungen entschieden ablehnen. Sie zeigten Zivilcourage. Das ermutigt uns.

(Beifall im ganzen Haus)

Zum Dritten bereitet es uns aber wiederum auch Sorge, wenn wir wissen, dass unter den Teilnehmern der Gegenkundgebungen erfahrungsgemäß nicht nur friedliche Menschen sind, sondern dass hier auch gewaltbereite und gewaltausübende Täter die Konfrontation mit der Polizei suchen. Sie sind eine Minderheit, aber sie sind ebenfalls gefährlich, denn sie sind an Deeskalation nicht interessiert, sondern suchen aktiv die Gewalt. Extremismus und Gewalt muss von allen Demokraten mit entschlossenem Widerstand begegnet werden.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Keiner von uns Abgeordneten will es sehen, wenn wie in Lübeck geplant - auf rechtsextremen Kundgebungen den Menschen schlimme Falschdarstellungen unserer schwierigen deutschen Geschichte vermittelt werden sollen. Keiner von uns will es sehen, wenn den Menschen verführerische Parolen angeboten werden, hinter denen eine Ideologie steht, die den Menschen und seine Würde schon im Kern nicht achtet. Daher ist es wichtig, dass der Landtag seine ablehnende Haltung gegen Rechtsextremismus entschlossen und entschieden und in möglichst großer Breite zum Ausdruck bringt.

(Ulrich Schippels)

(Beifall im ganzen Haus)

Das Thema der Gewaltdemonstrationen und rechtsextremen Demonstrationen in Lübeck ist nicht neu. Wir hatten uns im vergangenen Jahr im Innen- und Rechtsausschuss des Landtages intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, dies betraf vor allem auch die hohen Aufwendungen für den Polizeieinsatz. Dieser Polizeieinsatz war leider vor allem auch deshalb nötig, weil auch mit erheblicher Gewalt aus der linksautonomen Szene zu rechnen war. Der Staat kann es aber nicht hinnehmen, dass gewaltbereite Täter aus dem einen oder dem anderen Lager ungebremst aufeinander losgehen und es zu körperlichen Auseinandersetzungen oder gar mehr kommt.

Der Rechtsstaat kann auch nicht einfach das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit beschneiden, solange von Demonstranten keine Gesetze verletzt werden. Der Rechtsstaat hat in dieser schwierigen Situation vielmehr auch die unanständigen, abstoßenden und widerwärtigen rechtsextremen Meinungen zu ertragen, und in der demokratischen Zivilgesellschaft haben gegen den Rechtsextremismus vor allem das bessere Argument und die Vernunft zu siegen - mit deutlichen und vor allem friedlichen Zeichen, wie wir sie in Dresden sehen konnten und wie wir sie uns für Lübeck wünschen.

In Überschrift des Antrags, den Sie von der LINKEN vorlegen, sprechen Sie von einem friedlichen Schleswig-Holstein, loben aber gleichzeitig im Text Blockaden. Einen ausdrücklichen Aufruf zum Verzicht auf jede Gewalt - so wie wir es in unserem Antrag formulieren - sucht man vergebens. Sie wollen also offenbar die für Lübeck angekündigten Gegendemonstrationen allesamt - und vollkommen undifferenziert - gutheißen. Und das kann man angesichts der Tatsache, dass auch in diesem Jahr wieder mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Gewalt gerechnet werden muss, einfach nicht machen.

Gewalt - egal, von welcher Seite - ist kein Mittel einer zivilisierten Gesellschaft.

(Vereinzelter Beifall)

Dies muss der Landtag unmissverständlich deutlich machen.

Meine Damen und Herren, Sie - gerade Sie von der Fraktion DIE LINKE - sehen, dass wir neben einem Aufruf zur gewaltfreien Zivilcourage unsere Aufmerksamkeit auch den beteiligten Polizeibeamten widmen und dass wir ihnen danken und unseren Respekt ausdrücken wollen. Wer die Art von De

monstrationen - auf der einen Seite ein Aufzug von Neonazis, auf der anderen Seite gegen Demonstranten und dazwischen die Polizei - sieht, der muss gesehen haben, was es für eine schwierige Aufgabe ist, die wir den Polizeibeamten jedes Mal aufs Neue abverlangen. Manchmal sogar unter Einsatz ihrer Gesundheit sollen und müssen sie sich für uns zwischen die Extremisten beider Lager stellen und gewalttätige Übergriffe verhindern.

Wir haben den Polizeibeamten dafür, dass sie auch gegen ihre eigene Auffassung den Rechtsstaat gegenüber rechtsextremen Gewalttätern schützen müssen, zu danken.

(Vereinzelter Beifall)

Ich freue mich, dass sich CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW zu einem gemeinsamen Antrag gefunden haben und ihn hier zur Abstimmung stellen.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Er ist so formuliert, dass es keinen Grund gibt, ihn abzulehnen.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die SPD-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Serpil Midyatli das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des SSW wollen wir unsere Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Engagements der demokratischen Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen. Leider sah sich die Fraktion DIE LINKE außerstande, diesen Antrag zu unterstützen, was ich bedauere.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir nicht!)

Ich muss vielleicht dazu sagen - Herr Kalinka hat das gerade auch schon gesagt -: Es war wirklich nicht besonders schwierig, sich gerade in dieser Thematik einig zu werden. Sie haben es noch nicht einmal in Erwägung gezogen, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ich habe mehrfach versucht, Sie anzurufen und Mails geschickt. Ich finde es sehr schade, das das nicht geklappt hat, dass wir hier zu

(Werner Kalinka)

sammen in dieser wichtigen Thematik einen gemeinsamen Antrag stellen.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Jedes Frühjahr marschieren Rechtsextreme, Neonazis und Skinheads aus ganz Norddeutschland durch Lübeck. Ganz offen zeigen sie ihre rechtsextreme Gesinnung und werben für ihre menschenverachtenden Ziele, ihre Ideologie. Wir SchleswigHolsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner sind uns unserer historischen Verantwortung für die Wahrung von Demokratie und Freiheit bewusst.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Fremdenhass, Antisemitismus und die Verherrlichung des Krieges haben keinen Platz in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei SPD, SSW, vereinzelt bei der FDP sowie Beifall des Abgeordneten Heinz- Werner Jezewski [DIE LINKE])

Besonders widerlich ist, dass Nazis das Gedenken an die Opfer der Kriegspolitik ihrer historischen Vorbilder von der NSDAP dazu missbrauchen, dieses gespenstische Schauspiel in Lübeck und anderen Städten in Deutschland zu inszenieren. Der Luftangriff auf Lübeck am Palmsonntag 1942 war nichts anderes als das Ergebnis des Leids und des Unrechts, das die nationalsozialistische Gewaltherrschaft über die Völker Europas gebracht hat. Ein von den geistigen Nachfolgern dieser Verbrecher veranstalteter „Trauermarsch“ ist eine Verhöhnung der 320 Männer, Frauen und Kinder, die bei diesem Angriff starben, und des Leids ihrer Angehörigen, von denen viele heute noch leben.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Ich finde dies unerträglich, und ich hoffe sehr, dass sich viele Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner am 27. März 2010 in Lübeck versammeln, um friedlich gegen die Nazis zu demonstrieren und dem braunen Spuk - genau wie in Dresden - ein Ende bereiten.

Ich persönlich habe oft Ausgrenzung erfahren. Auch Familienangehörige sind Opfer von rechtsextremer Gewalt geworden. Seit 1993 starben aufgrund rechter Gewalt nach offizieller Zählung mehr als 140 Menschen. Mir machen Neonazi-Aufmärsche Angst - nicht zuletzt, weil ich zwei kleine Kinder habe. Aber nicht nur die öffentlich zur Schau gestellte Gesinnung, sondern auch der Alltagsrassismus müssen weiterhin bekämpft werden.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Thoroe zu?

Teilen Sie die Ansicht des Kollegen Kalinka, dass Blockaden zu Gewalt zu zählen sind?

- Es geht hier nicht darum, Unterschiede in dieser wichtigen Thematik herauszufinden. Dann hätten wir es nicht geschafft, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren.

(Anhaltender Beifall bei SPD, CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Mein letzter Satz: Daher ist es wichtig, präventive Programme gegen Rassismus fortzuführen. Alle Bürgerinnen und Bürger haben das gleiche Recht auf Akzeptanz und Toleranz.

(Beifall im ganzen Haus)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Gerrit Koch das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Nacht vom 28. zum 29. März 1942 bombardierte die englische Royal Air Force die Hansestadt Lübeck. Vor allen Dingen über der historischen Altstadt meiner Heimatstadt ging ein unermesslicher Bombenhagel nieder. Circa 320 Bürgerinnen und Bürger verloren in dieser Nacht ihr Leben.

Der Bombenangriff war der Vergeltungsschlag der Engländer für den deutschen Angriff auf die Stadt Coventry. Am 14. November 1940 waren dort 568 Menschen gestorben, und 80 % der Gebäude der Stadt wurden zerstört.

Der Lübecker Pastor Karl Friedrich Stellbrink sprach am folgenden Sonntag auf der Kanzel davon, dass Gott in diesem Feuerhagel mit mächtiger Stimme gesprochen habe. Diese klaren Worte musste er mit seinem Leben bezahlen. Die Nazis richteten ihn und weitere Geistliche im November 1942 hin.