Protokoll der Sitzung vom 25.02.2010

(Unterbrechung: 13:26 bis 15:03Uhr)

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Sitzung wieder und rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

(Minister Dr. Heiner Garg)

Geeignete Sammelsysteme für nicht verwendete oder abgelaufene Arzneimittel bereitstellen

Antrag der Fraktion des SSW Drucksache 17/266

Verwertung abgelaufener oder nicht verwendeter Arzneimittel

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/309

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Flemming Meyer von der SSW-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer heute wie gewohnt seine Altmedikamente zur Entsorgung in der Apotheke abgeben will, kann durchaus auf Ablehnung stoßen. Die Abgabe beim Händler war lange Zeit selbstverständlich, liegt aber seit Juni vergangenen Jahres im Ermessen des einzelnen Apothekers. Dieser entscheidet seitdem selbst, ob er Altarzneien annehmen und auf eigene Kosten entsorgen will.

15 Jahre lang finanzierte die Wirtschaft das Abholsystem REMEDICA, indem die Apotheken als Sammelstelle dienten und die Firma Vfw die Entsorgung übernahm, selbst. Verbraucher konnten so kostenlos und sicher ihren Medikamentenabfall abgeben. Verhandlungen über ein Nachfolgemodell für die bundesweit rund 4 Millionen € teure Lösung wurden Ende 2009 ergebnislos beendet. Vereinzelte regionale Modelle mit eher geringem Zulauf ändern nur wenig daran, dass der Verbraucher immer häufiger auf seinen alten und nicht verwendeten Pillen und Tropfen sitzen bleibt.

Rein rechtlich sind Arzneimittel dem Restmüll zuzuordnen. Aber die Auffassung, dass es sich hierbei um ein äußerst sensibles Produkt handelt und eine sachgerechte Entsorgung notwendig ist, dürften alle hier teilen. Denn auch wenn die Verbrennung abgelaufener Medikamente in Müllanlagen als sicher gilt, birgt dieser Entsorgungsweg erhebliche Risiken. Der problemlose Zugang zu den abgelaufenen Medikamenten im Hausmüll ist ein alarmierendes Beispiel. Kinder können hierdurch schwer zu Schaden kommen. Auch Missbrauchs- und Vergiftungsfälle durch Suchtkranke sind bekannt und auf diesem Weg nicht auszuschließen.

Doch es gibt weitere Risiken, die mit einer Entsorgung im häuslichen Umfeld verbunden sind. Fast die Hälfte der Verbraucher gibt in Umfragen an, alte Tabletten oder flüssige Arzneimittel gelegentlich in der Toilette und im Abfluss herunterzuspülen. So gelangen zusätzliche Mengen der schwer abbaubaren Wirkstoffe in das häusliche Abwasser. Der Einfluss des Medikamentengebrauchs auf die Umwelt nimmt auch aus diesem Grund stetig zu. Forschungsergebnisse bestätigen das Vorkommen verschiedenster Humanpharmaka in Oberflächengewässern, im Grundwasser und sogar im Trinkwasser. Außerdem belegen immer mehr Daten, dass ein Teil dieser Stoffe negative und bisher kaum kalkulierbare Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt haben. Hinzu kommt, dass die demografische Entwicklung einen stetigen Arzneimittelbedarf mit sich bringt und dieses Problem noch verschärft.

Durch das Fehlen einer flächendeckenden Lösung gibt es zu diesen unsachgemäßen und schlicht gefährlichen Entsorgungswegen heute oftmals kaum eine Alternative. Die Verbraucher vermissen schlicht und einfach ein sicheres und leicht zugängliches System, um ihre Altmedikamente loszuwerden.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Ansätze einer flächendeckenden Lösung dieses Problems durch Pharmaindustrie und Apotheken sind nicht in Sicht.

Doch nicht allein die Verantwortung gegenüber den Kindern und der Umwelt macht ein schnelles Handeln notwendig. Der SSW bezieht sich in seinem Antrag ganz konkret auf die Richtlinie des Europäischen Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel. Nach dieser haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausdrücklich dazu verpflichtet, schon zum Oktober 2005 geeignete Sammelsysteme für nicht verwendete oder abgelaufene Arzneimittel bereitzustellen. Die Notwendigkeit, eine gesetzliche Lösung für dieses Problem zu finden, liegt auf der Hand. An den vielen genannten Gründen kann man sehen, dass dringend gehandelt werden muss.

Unsere Forderung an die Landesregierung ist deshalb, schnellstmöglich aktiv zu werden und auf Bundesebene und im Bundesrat auf die Schaffung geeigneter Sammelsysteme hinzuwirken. Hier sollten die Apotheken ihrer Produktverantwortung dadurch gerecht werden, dass sie weiterhin als Sammelstelle für den Verbraucher dienen. Außerdem müssen sie aktiv auf die Möglichkeit der Rückgabe hinweisen. Die Abholung und Entsor

(Vizepräsidentin Dr. Gitta Trauernicht)

gung des Medikamentenabfalls muss aus den genannten Gründen auf einem risikolosen und umweltverträglichen Weg erfolgen. Der SSW fordert daher, dass bei der Schaffung eines solchen Systems vor allem die Sicherheit der Entsorgung maßgebend ist. Halbherzige Lösungen oder eine weitere Verzögerung bringen Schäden und Gefahren mit sich, und die müssen wir auf jeden Fall vermeiden.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Dem vorliegenden Berichtsantrag können wir zustimmen. Zur weiteren Behandlung beantragen wir daher die Überweisung an den zuständigen Ausschuss.

(Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN)

Für die Fraktion der CDU spricht nun die Frau Abgeordnete Ursula Sassen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das bundesweite Rücknahmesystem für Altarzneimittel ist eingestellt. Die Begründung liegt darin, dass der Vertrag zwischen dem Apothekerverband und dem Kölner Entsorger Vfw-REMEDICA Anfang Juni letzten Jahres abgelaufen war. Für REMEDICA lohnte sich das Geschäft offensichtlich nicht mehr, nachdem im Juni 2009 eine Änderung der Verpackungsverordnung in Kraft getreten war. Das Unternehmen hatte unter anderem die Verpackungen und Beipackzettel der Medikamente wiederverwendet.

Der Apothekerverband nahm neue Verhandlungen auf, die bisher ergebnislos verlaufen sind. Die Fortsetzung des Altmedikamentenrücknahmeverfahrens wäre für die Apotheken mit zusätzlichen Kosten verbunden. Daher forderte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände, auch die Arzneimittelhersteller in die Rücknahmeverpflichtung einzubeziehen. Nicht hinnehmbar wäre ein damit einhergehender Anstieg der Arzneimittelpreise. Das muss also vermieden werden.

Eine Rücknahmeverpflichtung - das hörten wir schon - von Altmedikamenten besteht für die Apotheken nicht. Dankenswerterweise bieten viele diesen Service ihren Kunden nach wie vor an und müssen sich an regionale Entsorger wenden oder die Altmedikamente bei kommunalen Sammelstellen abgeben. Denn auch die Apotheke selbst ist nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz im Sinne des § 3 ein Abfallerzeuger und muss diese

Medikamente auf eigene Kosten einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuführen.

Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein teilte in ihrem letzten Verbrauchertelegramm mit, dass Patienten Altarzneimittel als Siedlungsabfall über den Hausmüll entsorgen könnten, dabei aber sicherzustellen ist, dass eine nachträgliche Entnahme zum Beispiel durch Kinder - nicht möglich ist. Da haben wir sowieso eine Sorgfaltspflicht. Wir müssen auch scharfe Putzmittel und Ähnliches auch für Kinder nicht erreichbar verwahren.

Die weit verbreiteten Fehleinwürfe von Arzneimittelpackungen plus Restmedikamenten in den Gelben Sack oder die Gelbe Tonne könnten ein Gefährdungspotenzial bedeuten. Auch die Entsorgung über die Toilette oder das Waschbecken ist bedenklich, da dies zu Belastungen des Klärschlamms und zu weiteren Gewässerverunreinigungen führen könnte. Daher ist Aufklärung erforderlich und eine kostenneutrale Rücknahmemöglichkeit über die Apotheken anzustreben.

In Schleswig-Holstein werden nach Angaben der Apothekerkammer circa 200.000 Packungen pro Jahr von Privatpersonen an Apotheken zurückgegeben. Die Apotheke ist im Kreislauf der Medikamentenabgabe und -rücknahme eine kompetente und verbraucherfreundliche Anlaufstelle, bei der im beiläufigen Gespräch ein guter Rat sicher nicht teuer ist und hier und da sogar den Weg zum Arzt erspart.

Den Sinn des SSW-Antrags habe ich dennoch nicht so ganz verstanden, da es in Schleswig-Holstein ebenso wie in allen anderen Bundesländern bereits geeignete Sammelsysteme laut EU-Verordnung für nicht verwendete oder abgelaufene Arzneimittel gibt, die dann, wenn sie sachgerecht entsorgt werden, in einer Abfallverbrennungsanlage landen.

Lediglich der Weg dorthin ist unterschiedlich. Hier hatte das Rücknahmesystem REMEDICA von dem Anbieter Vfw eine Lücke geschlossen, wobei alle Partner profitiert haben. Der Großteil der zu entsorgenden Medikamente kommt jedoch aus Krankenhäusern, Altersheimen und Arztpraxen. Dies wirft für uns auch die Frage auf, über welche Mengen nicht verwerteter Medikamente oder Altarzneimittel wir in Schleswig-Holstein eigentlich reden, sowohl bei Arzneimittelherstellern, Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken, Alten- und Pflegeheimen und Privathaushalten, und ob die Medikamente wirklich schadlos entsorgt werden können. - Oder gilt hier auch der Beipackzettel-Slogan: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt

(Flemming Meyer)

oder Apotheker“? Wir haben daher einen Bericht für die siebte Plenartagung angefordert.

Da nicht nur Altarzneimittel und nicht mehr benötigte Restpackungen im Müll landen, sondern auch eine große Menge ungenutzter Medikamente, appelliere ich an alle Nutzer des Gesundheitssystems, den Arzneimittelverbrauch auf das nötige Maß zu reduzieren. Das spart Geld im Gesundheitswesen und schont Ressourcen.

Wir haben einen Berichtsantrag gestellt und beantragen, den SSW-Antrag an den Ausschuss zu überweisen.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Für die Fraktion der SPD hat nun Herr Abgeordneter Bernd Heinemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den besonderen Problemen, was Kinder, was Drogenabhängige, was Umweltbelastung und Ähnliches in Verbindung mit Arzneimitteln angeht, ist viel gesagt worden. Die Risiken sind auch beschrieben worden, aber es gibt auch eine Reihe von Chancen, die in diesem Fall in der richtigen Abfallnutzung von Bedeutung sein können.

Das Thema lässt die sachgerechte und sichere Verwahrung von Giftstoffen erwarten, aber ich stehe hier als Gesundheitspolitiker und setze den Fokus naturgemäß etwas anders.

Nach wie vor ist der Gesundheitsmarkt in Deutschland führend. Besonders der Erfolg der Pharmaindustrie fällt nicht nur an den Börsen ins Gewicht. Auch die besondere Rechtslage bei uns in Deutschland, die in der Preispolitik auf den Entwicklungsstandort Rücksicht nimmt, unterstützt zumindest die Innovations- und Leistungskraft, wenn auch nicht immer die Wirkungsqualität.

Im aktuellen Berliner Koalitionsvertrag wird der Schutz der Leistungserbringer im Gesundheitswesen - besonders auch im Pharmabereich - immer wieder betont. Dazu zählen zum Beispiel auch der Schutz der Apotheken vor dem Versandhandel und die eingeräumte Preispolitik für neu entwickelte Arzneimittel. Auf weitere Einzelheiten möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Fakt ist jedoch, dass

die Arzneimittelpreise in Deutschland vergleichsweise im oberen Drittel des Weltmarktpreises liegen und dass die eingeräumten Rechte, insbesondere zur Refinanzierung der Entwicklungskosten, hier als exemplarisches Beispiel dafür dienen können.

Wieder einmal stehen wir nach Ablauf des Abholsystems REMEDICA von Vfw erstaunt vor den einzelnen Kräften des Marktes, die den Eindruck erwecken, als versuchten sie, sich um ihre Verantwortung herumzufeilschen. Der schon im Grundgesetz gebotenen Eigentumsverpflichtung, insbesondere der gut ausgestatteten pharmazeutischen Leistungserbringer, wird weniger mit Appellen und hoffnungsfrohem Stillhalten Nachdruck verliehen werden, vielmehr sind wir es, die dieser Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sind und für die wir möglichst frühzeitig den Anstoß geben müssen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt die Initiative für die dauerhafte Bereitstellung geeigneter Sammelsysteme für abgelaufene Arzneimittel durch den SSW nicht nur wegen der Sicherung der Zugänglichkeit von Giftstoffen, die hier schon einiges beigetragen hat. Wir gehen gern noch einen Schritt weiter und würden uns wünschen, dass der Verbrauch der Arzneimittel im Rahmen des zu findenden Sammelsystems auch systematische Evaluationen des Verbraucher- und Produktionsverhaltens einschließen würde. Das soll heißen: Über ein geeignetes Sammelsystem lassen sich praktisch viele Auskünfte erzielen, wie zum Beispiel welche Arzneimittel in welchem Umfang im Markt quantitativ wie produziert, verteilt und zurückgeführt werden.

An diesen Informationen könnten Krankenkassen, aber auch das staatliche Gemeinwesen und die Pharmaindustrie selbst insgesamt ein Interesse haben. Es spart viel Geld, wenn es auch am Anfang eine Investition sein mag. Über diese Erkenntnisse ließen sich doch Hinweise über die zukünftige Packungsgröße, über Nutzungsgewohnheiten und andere Marktauswirkungen erzielen. Die wiederum sind interessant.

Alles in allem geht es bei dem Sammelsystem für nicht verwendete oder abgelaufene Arzneimittel nicht nur vorrangig um ein sehr wichtiges sonderabfallpolitisches Thema, sondern auch und besonders um eine mögliche Messgröße für die Gesundheitspolitik, die zukünftig noch mehr auf Daten und

(Ursula Sassen)

Hinweise für Einsparpotenziale angewiesen sein wird.

Unklar ist noch, ob auch die pharmazeutische Industrie wie der Handel ein ausgeprägtes wirtschaftliches Interesse an geeigneten und vor allen Dingen effektiven Sammelsystemen der beschriebenen Art wirklich haben wird. Die um die Zukunft einer gesicherten Gesundheitsversorgung besorgten Bürgerinnen und Bürger haben jedenfalls ein ebenso großes Interesse an zielführenden Ergebnissen geregelter Sonderabfallentsorgung wie an der Entwicklung einer qualifizierten Versorgung mit Arzneimitteln.