Protokoll der Sitzung vom 18.03.2010

Die erste Säule war damals die sogenannte Netzwerkschule. Ich sehe jetzt, dass die elf Kompetenzzentren, die entstehen sollen, genau diesem Punkt entsprechen. Der Ansatz der Schülerpaten gefällt mir gut. Die Schülerinnen in ihrem Anderssein zu vernetzen und den Erfahrungsschatz dieser Jugendlichen hineinzunehmen, wenn es um die Konzepte geht, finde ich in Ordnung.

Allerdings kommt der Berichtsantrag ein bisschen zu früh. Sie haben es beschrieben, die Ergebnisse der Kompetenzzentren kommen viel später. Ich wundere mich schon, dass meine Kolleginnen von CDU und FDP einen mündlichen Bericht anfordern, dann aber eine geschriebene Rede mitbringen und sozusagen alles erzählen, was sie glauben zu wissen. Das ist eine kleine Farce.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweiter Punkt sind die Förderprogramme im Umfeld der Schule - Herr Minister Klug ist darauf eingegangen -, Wettbewerbe und auch EnrichmentProgramme. Wir wissen, dass es darum geht, wie

Hochbegabung nun an den Schulen gelebt wird. Wenn man sich mit den Eltern und Jugendlichen unterhält, gibt es da noch einen großen Nachholbedarf. Das funktioniert oft nicht, die Qualität stimmt nicht, die Kontinuität stimmt nicht. Es gibt falsche Teilnehmer und Teilnehmerinnen, weil die Diagnostik nicht stimmt - darauf hat der Minister hingewiesen -, und teilweise wird die Teilnahme an Enrichment-Programmen und Wettbewerben sogar als Disziplinierungsmaßnahme genutzt. Man sagt: Wenn du dein Verhalten besserst, wenn du dich am Unterricht besser beteiligst, dann darfst du auch an einem Wettbewerb teilnehmen. Das ist natürlich überhaupt nicht im Sinne des Erfinders. Deswegen ist es gut, auf den Bereich Hochbegabung stärker einzugehen. Aber, wie gesagt, es kommt darauf an: Wie wird es an den Schulen gelebt!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die dritte Säule, die die Gesellschaft für das hochbegabte Kind vorschlägt - Frau Conrad, das geht in Ihre Richtung - ist die Säule der Binnendifferenzierung, die von den Eltern ganz stark gefordert wird. Das steht allerdings bei Ihnen nicht besonders hoch im Kurs.

Herr Minister Klug, Sie, und auch Ihre Kollegin Frau Herold sprechen sich hier für Landesgymnasien aus. Es geht um Extralerngruppen. Da sind wir wieder bei der Güteklassenpädagogik:

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Güteklasse A, Gewichtsklasse 4, abgepackt in Deutschland. Aber Schülerinnen und Schüler sind keine Eier, die man vergleichen kann; man kann sie auch nicht in verschiedene Kartons packen. Es geht darum, dass man mit der Binnendifferenzierung wirklich Ernst macht.

Wenn es Ihnen wirklich darum ginge, die Haltung an den Schulen zu verändern, dann würden sie sagen: okay, binnendifferenzierter Unterricht, jahrgangsübergreifender Unterricht. Das kann Ihnen eigentlich nicht scheißegal, Entschuldigung, das kann Ihnen nicht egal sein. Da muss man sagen: Darauf legen wir ein Augenmerk!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Julia ist inzwischen 14 Jahre alt, sie ist nun zurück in Kiel, und sie langweilt sich an ihrer Schule ganz gewaltig, obwohl es ein Enrichment-Programm gibt. Woran liegt das? Sie hat sich für die Familie entschieden, aber die Lehrerinnen und Lehrer an der Schule begegnen ihr mit dem Gefühl: Na ja, Julia, du kommst ja sowieso durch, um dich kümmern wir uns nicht.

(Cornelia Conrad)

Da muss natürlich an der Haltung stark gearbeitet werden. Es ist gut, wenn wir uns um die 2 % Hochbegabte mit einer anderen Haltung kümmern. Es ist gut, wenn wir uns um die 20 % Risikoschülerinnen und -schüler kümmern und genauer hinschauen. Das ist beides angesagt. Wenn die Hochbegabtendebatte dazu einen Beitrag leistet, dann würde mich das freuen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Ellen Streitbörger das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da ich vor meinem Leben als Abgeordnete seit den 70erJahren im schleswig-holsteinischen Schuldienst tätig war, habe ich im Laufe der Jahre so ziemlich alles mitgekriegt, was sich zum Thema Förderung ganz allgemein gesprochen - in der Schule getan hat, von den Sonderschulen über Förderschulen zu Förderzentren, vom zusätzlichen Förderunterricht zur Integration. Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte habe ich miterlebt und auch mitgestaltet. Ob Legasthenie oder Diskalkulie, wir Lehrerinnen und Lehrer haben uns bemüht, alle Schwächen oder Defizite auszugleichen.

Erstaunlich bei alledem ist nur, dass seit Jahrzehnten der Fokus auf die Schülerinnen und Schüler gerichtet war, die Schwächen in unterschiedlichen Bereichen zeigen. Dabei sollte die optimale Entfaltung des Begabungspotenzials das Grundrecht aller Kinder sein.

Wenn wir davon ausgehen, dass in der Bevölkerung Begabung entsprechend einer Normalverteilungskurve vorhanden ist, dann müssen genauso viele Kinder hochbegabt wie schwächer begabt sein. Nur hat sich erst in den letzten Jahren im Bildungsministerium die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch hochbegabte Kinder ein Recht auf eine Förderung ihrer besonderen Begabung haben. Daher begrüße ich es, dass sich Frau Herold und Frau Conrad jetzt dieses Themas angenommen haben. Was in den Jahren vorher gelaufen ist, kann ich ja nicht beurteilen. Ich bedanke mich auch beim Herrn Minister für seinen Bericht.

Es ist richtig, dass das Prinzip der individuellen Förderung auch die Förderung hochbegabter Kinder umfassen muss, denn jedes Kind hat das

Recht, seinen Begabungen entsprechend gefördert zu werden.

(Unruhe)

Nun darf aber die praktische Umsetzung dieses richtigen Ansatzes nicht in die falsche Richtung gehen. Hochbegabtenklassen oder gar Hochbegabtenschulen haben den unangenehmen Beigeschmack einer ausschließlichen Eliteförderung. Außerdem hätten Hochbegabtenklassen zur Konsequenz - genau wie Frau Erdmann es gerade geschildert hat -, dass die betroffenen Schülerinnen und Schüler aus ihrem familiären Umfeld herausgelöst würden, und besonders bei recht jungen Kindern kann das niemand wollen.

(Unruhe)

Es bleibt also nur die Forderung nach inklusivem Lernen. Die Lernbedürfnisse hochbegabter Kinder müssen im normalen Schulalltag Berücksichtigung finden. Schwächer Begabte, normal Begabte und hochbegabte Kinder lernen gemeinsam, und jeder wird individuell entsprechend seiner Fähigkeiten gefördert.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe)

Das entspricht den Forderungen von fortschrittlicher Pädagogik. Das Aussortieren von Menschen dagegen - nach welchen Kriterien auch immer verletzt die Menschenwürde und ist damit inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe)

Ich bitte um etwas mehr Ruhe bei den persönlichen Gesprächen, die hier geführt werden.

Es gibt viele Möglichkeiten, durch besondere Aufgabenstellung auch für hochbegabte Schülerinnen und Schüler das Lernen in der Regelschule attraktiv und motivierend zu gestalten.

Wenn zusätzlich zur individuellen Förderung im Unterricht außerunterrichtliche Angebote wie Kurse oder Arbeitsgruppen kommen, die in Thematik, Intensität und Arbeitsweise über die üblichen Unterrichtsangebote hinausgehen, ist das nur zu befürworten.

Ich bin sicher, dass die Schulen, die jetzt als Kompetenzzentren für die Begabtenförderung ihre Arbeit aufgenommen haben, in den nächsten Jahren viele Ideen und Konzepte entwickeln werden. An

(Anke Erdmann)

schließend ist dann aber auch das IQSH gefordert, das dafür sorgen muss, dass durch qualifizierte Fortbildungsveranstaltungen die Konzepte der Kompetenzzentren an die Lehrkräfte aller Schularten weitergegeben werden. Die Konzepte werden dann hoffentlich in den nächsten Jahren dazu beitragen, dass nach den Jahrzehnten der Förderung der schwächer begabten Kinder auch die Hochbegabten an ihrer Regelschule die Förderung erfahren, die ihrer Begabung gerecht wird.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion des SSW hat Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben § 4 Abs. 1 des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes, der allen Kindern ein Recht auf eine Ausbildung nach ihren Begabungen und Fähigkeiten garantiert, gibt es hier im Land eine Vielzahl an Fördermöglichkeiten für Kinder mit besonderen Begabungen. Der Schulpsychologische Dienst, die Beratungsstelle MIND an der Kieler Universität, die Beratungsbroschüre des Bildungsministeriums, Informationsveranstaltungen, Enrichment-Programme, Teilnahme an Wettbewerben, binnendifferenzierender Unterricht, Klassenüberspringen oder Frühstudium - das sind einige und noch längst nicht alle Möglichkeiten im Land, Eltern zu beraten und Kinder mit besonderen Begabungen zu fördern.

Viele Eltern sind der Meinung, dass ihre Kinder hochbegabt sind, weil sie sich im Unterricht langweilen. Langeweile ist aber erst einmal ein Zeichen schlechten Unterrichts.

(Vereinzelter Beifall)

Auch andere Kinder langweilen sich. Wir sprechen hier also nicht über Kinder, die sich langweilen, per se Verhaltensstörungen zeigen oder soziale Schwierigkeiten haben.

(Vereinzelter Beifall)

Frau Spoorendonk, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Herold zu?

Frau Kollegin Spoorendonk, ist Ihnen bekannt, dass Kinder mit besonderer Begabung nichts mit hochbegabten Kindern zu tun haben? Das ist eine völlig andere Definition von Kindern, die sich hierhinter verbergen.

- Liebe Frau Kollegin, das ist mir durchaus bekannt. Ich benutze das Wort „Hochbegabung“ und die Formulierung „Kinder mit besonderer Begabung“, um ein bisschen abzuwechseln, stilistisch ist das - finde ich - notwendig.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Susanne He- rold [CDU]: Gut, dann nehme ich das so hin, weise aber noch einmal darauf hin, dass es Unterschiede gibt!)

Wir sprechen hier auch nicht von Kindern, die nur hervorragende Noten haben. Liebe Kollegin Herold, wir sprechen von Kindern, die ein besonderes Potenzial haben und damit in unserer Gesellschaft manchmal sehr heftig anecken, wenn dieser Reichtum nicht entdeckt und gefördert wird. Und wir sprechen von Kindern, deren besondere Begabung als solche nicht erkannt und angemessen gefordert wird und die wegen dieser Unterforderung oder Fehlbewertung dauerhafte Anpassungsprobleme haben.

Für den SSW möchte ich klar sagen, dass für diese Kinder in unseren öffentlichen Schulen und in unserer Gesellschaft Raum sein muss. Dazu gehört, dass Eltern Beratungsmöglichkeiten brauchen, dass die Lehrkräfte in den Schulen wissen, wie sie Kinder mit besonderen Begabungen fördern können, und dass vor allem die Kinder selbst Angebote erhalten, um ihr Potenzial zu entwickeln.

Bisher sah das Begabtenförderungskonzept des Landes ausdrücklich eine integrative und keine exklusive Förderung dieser Kinder vor.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)