Protokoll der Sitzung vom 18.03.2010

Wer gefördert wird und wer nicht, darf nicht länger dem Zufall überlassen bleiben. Gute Bildungspolitik wird in Zeiten des zunehmenden Wettbewerbs um die besten Köpfe auch mehr und mehr zum Standortfaktor.

Deshalb können und werden wir es uns in Zukunft nicht leisten, auch nur auf einen qualifizierten Kopf in Schleswig-Holstein zu verzichten. Wir müssen jedes Kind seiner Begabung entsprechend fördern. Das bedeutet nicht nur, kein Kind zurückzulassen, das bedeutet auch, kein Kind aufzuhalten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- fall der Abgeordneten Ellen Streitbörger [DIE LINKE])

Deshalb hat sich die CDU mit ihrem Koalitionspartner darauf verständigt, eine gesetzliche Regelung zur Förderung hochbegabter Kinder im neuen Schulgesetz zu verankern. Diesen Schritt wertet die CDU als einen Einstieg in eine umfassende, professionelle Hochbegabtenförderung.

Unser gemeinsames Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass unsere begabten Kinder nicht mehr - wie bisher gängige Praxis - Schulen in anderen Bundesländern aufsuchen müssen, weil hier in SchleswigHolstein kein adäquates Angebot vorgehalten wird. Wir wollen, dass die Förderung Hochbegabter ganz normal in den schulischen Alltag integriert wird. Mit der Bildung von Kompetenzzentren haben wir einen Anfang gemacht. Aber auch die Etablierung landesweiter Gymnasien für Hochbegabte werden wir als CDU weiter verfolgen.

Wir machen uns auf den Weg, um Hochbegabten auch in Schleswig-Holstein eine Zukunft zu geben.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Cornelia Conrad [FDP])

Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Detlef Buder das Wort.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie sich die Zeiten doch ändern: Vor sechs Jahren hatte der Kollege Dr. Klug noch beantragt, an jeder Vorschule, jeder Grundschule und jeder weiterführenden Schule besondere Fördergruppen für besonders begabte Kinder einzurichten, die wöchentlich oder im Blockunterricht zusätzliche Bildungsangebote bereithalten sollten. Und Sie hatten damals gefordert, diese Fördergruppen zu besonderen Schulklassen für Hochbegabte umzuwandeln. Vor Ihrem Bericht, den wir eben hören durften, haben Sie neue Akzente versprochen. Die Diagnostikmodule im Rahmen der Lehrerbildung könnte man als einen neuen Akzent betrachten, wenn die Studenten nicht heute schon Diagnostik in ihrer Ausbildung hören würden.

(Heike Franzen [CDU]: Viel zu wenig!)

- Frau Kollegin, das ist - wie alles im Leben - alles zu wenig. Sie werden das gleich hören.

(Beifall des Abgeordneten Hans Müller [SPD])

Heute backt der Minister Dr. Klug kleinere Brötchen. An elf Schulen werden Kompetenzzentren für Begabtenförderung eingerichtet. Dafür gibt es 5.000 € pro Schule, zusätzliche Qualifizierungsangebote und noch eine Wundertüte mit Unterrichtsmaterial im Wert von circa 1.000 €. - Das sind möglicherweise auch neue Akzente.

Es liegt mir nun fern, das dahinter stehende Problem zu verharmlosen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode häufiger darüber gesprochen. Wir wissen, dass Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer besonderen Begabung unterfordert sind, genauso zu Schulversagern werden können wie Schülerinnen und Schüler, die dauerhaft überfordert sind. Das Problem ist in Fachkreisen nicht unbekannt. Wir wissen nicht, von wie vielen jungen Menschen wir überhaupt reden. 2008 hat die damalige Landesregierung in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der CDU auch gepasst.

§ 4 SchulG macht die bestmögliche individuelle Förderung unter Wahrung des Gleichberechtigungsgebotes zum Kernauftrag der Schule. Unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung und darauf wollten Sie vorhin anspielen - wurde darum eine große Zahl an Fördermaßnahmen geschaffen, die zum Teil schulartunabhängig und zum Teil an die jeweilige Schule gebunden durchgeführt wurden. Ich verweise hierzu nochmals auf die Beantwortung der damaligen Große Anfrage.

Weder Zusatzkurse noch die Möglichkeit, eine Jahrgangsstufe zu überspringen - die auch der Minister eben genannt hat - sind etwas Neues. Auch die Kooperation mit Hochschulen, Schülerakademien und im Einzelfall Frühstudien sowie die Teilnahme an Mathematik-Olympiaden, an ,,Jugend forscht“ und anderen bundesweiten Wettbewerben für Schülerinnen und Schüler mit Sonderbegabung gehören zum Standardrepertoire der Förderung besonders begabter Kinder und Jugendlicher. Das hat es in der Vergangenheit auch schon gegeben, und das ist in der Vergangenheit auch durch die damalige Landesregierung und das Bildungsministerium gefördert worden.

Insofern haben wir mit Ihren Kompetenzzentren eigentlich überhaupt keine Probleme. Wir hätten aber dann Probleme, wenn die Perspektive des Bildungsministeriums darin bestehen sollte, eigenständige Hochbegabtenklassen oder sogar eigene Schulen für Kinder und Jugendliche mit besonderen Begabungen einzurichten.

(Beifall bei der LINKEN, SSW und verein- zelt bei der SPD)

Das wäre und ist pädagogisch falsch, und bildungsökonomisch ist es eine Geldverschwendung.

Die wichtigste Förderung ist nach unserer Überzeugung der binnendifferenzierte Unterricht. Der ist nicht nur von selbst zu erreichen. Natürlich müssen die Lehrerinnen und Lehrer in der Aus- und Fortbildung nicht nur in die Lage versetzt werden, Hochbegabungen zu diagnostizieren, sondern sie müssen auch in die Lage versetzt werden, damit pädagogisch umzugehen.

In einem solchen Unterricht liegen große Chancen für die weitere Entwicklung der Schule - weg vom lehrerzentrierten Frontalunterricht. Viele Pädagogen sind davon überzeugt, dass Klassenkameraden viel effizientere Lehrer sind als diejenigen, die vor der Klasse herumstehen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Hochbegabte Schülerinnen und Schüler müssen Spielräume haben, um ihre Kompetenzen zu zeigen und für ihre Mitschüler nutzbar zu machen. Zugleich aber müssen sie soziale Kompetenz lernen, wann es richtig ist, sozusagen Führungsaufgaben wahrzunehmen, und wann es richtig ist, sich zurückzunehmen, um die anderen nicht an die Wand zu spielen.

Wir sind davon überzeugt, dass die in der Vergangenheit bereits unternommenen Anstrengungen in

der Ausbildung der angehenden Lehrer fortgesetzt und verstärkt werden müssen. Wir sind davon überzeugt, dass es sicherlich pädagogisch sehr wertvoll ist, diesen Bericht im Ausschuss zu diskutieren.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Cornelia Conrad das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein guter Tag für Schüler und Schülerinnen und Eltern in Schleswig-Holstein. Ich freue mich, dass es Minister Dr. Klug gelungen ist, ein überzeugendes Konzept zur Hochbegabtenförderung vorzulegen.

Meine Damen und Herren, einmal vorweggesagt: Auch wenn wir heute von Hochbegabung sprechen, eigentlich geht es doch vor allem darum, allen Kindern und Jugendlichen Freude am Lernen, am Experimentieren und am produktiven Dialog mit anderen zu vermitteln.

(Beifall der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Es liegt mir in diesem Zusammenhang wirklich am Herzen, dass wir uns hier nicht in ideologische Grabenkämpfe verstricken. Es geht hier nicht um eine vermeintliche Elitendebatte. Genauso ernsthaft, wie wir heute über Hochbegabte sprechen, werden wir morgen über Schulabbrecher sprechen müssen und darüber, wie wir es schaffen, ihre Zahl spürbar zu verringern. Jeder Schüler und jede Schülerin hat ein Anrecht auf individuelle Förderung.

Ich möchte Sie an dieser Stelle mit den einschlägigen Untersuchungen zur Begabtenförderung verschonen. Deren Ergebnisse wurden schon häufiger hier im Plenarsaal vorgetragen.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Buder [SPD])

Gleich, welches Schulsystem wir präferieren, steht doch fest: Es gibt Hochbegabung. Es fehlt jedoch bislang an Schulen und Kindertageseinrichtungen am nötigen Expertenwissen, Begabungen rechtzeitig zu erkennen und angemessen zu fördern. Hochbegabtenförderung bietet in diesem Zusammenhang auch finanziell schlechter gestellten Eltern ganz neue Möglichkeiten, ihre Kinder zu unterstützen.

Das von Minister Dr. Klug vorgelegte Konzept schließt eine bis dato vorhandene Lücke. Seit diesem Jahr können wir diesen Eltern sagen: Ihr Kind ist gut an allgemeinbildenden Schulen und in Kindertageseinrichtungen aufgehoben. Ein Quantensprung in der Bildungspolitik unseres Landes.

Im Fokus stehen elf Kompetenzzentren für Hochbegabtenförderung und außerdem ein umfassendes Fortbildungsangebot für Lehrer, Erzieher sowie für die modulare Aufbereitung des Themas in Form von Pflichtveranstaltungen während des Vorbereitungsdienstes.

Außerdem fördert das Ministerium auch weiterhin die Teilnahme an Wettbewerben wie „Jugend forscht“ und an Initiativen wie „Stadt der jungen Forscher“. Wer viel leisten kann und will, wird die entsprechende Unterstützung erhalten. Ob JuniorAkademie oder Enrichment, bislang fiel trotz institutioneller Förderung stets ein Eigenanteil an. Ich kenne Alleinerziehende, die ihren Kindern derartige Angebote nur unter größter Mühe ermöglichen konnten. Aber damit ist jetzt Schluss.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das große Interesse vieler Schulen, Kompetenzzentrum zu sein, hat gezeigt, dass Dr. Klug mit dieser Initiative offensichtlich den Nerv der Zeit getroffen hat. Ich bin daher davon überzeugt, dass sich die Erfahrungen und Erkenntnisse aus diesem Exzellenzprojekt langfristig auch auf das Lernniveau der gesamten Schullandschaft positiv auswirken werden.

Meine Damen und Herren, es gab eine Zeit, da wirkte das Thema Hochbegabung auf die Vertreter der SPD wie ein rotes Tuch. Nachzulesen beispielhaft im Sitzungsprotokoll des Bildungsausschusses vom 21. September 2000. Dort heißt es - ich zitiere -:

„Auf eine Frage des Abgeordneten Dr. Klug bekräftigt Ministerin Erdsiek-Rave noch einmal den Standpunkt der Landesregierung, dass man gerade vor dem Hintergrund der flächendeckend im Land angebotenen Verkürzung der Gymnasialschulzeit spezielle Klassen für Hochbegabte nicht für erforderlich halte.“

(Heike Franzen [CDU]: Tut sie heute noch nicht!)

Wie ich Ihrer Rede, lieber Kollege Buder, entnehmen kann, scheint in Ihrer Fraktion die Phobie vor der Hochbegabung gewichen zu sein. Die Hochbegabtenförderung erhält in der Bildungspolitik nun

(Detlef Buder)

endlich den Rang, der ihr zusteht. Alles in allem also eine rundum gelungene Sache. Vielen Dank, Herr Minister.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Anke Erdmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Herold! Wer gefördert wird und wer nicht, das soll nicht dem Zufall überlassen werden. Das stimmt. Meines Erachtens sind förderschwache Jugendliche und Hochbegabte zwei Seiten einer Medaille, denn das sind die Jugendlichen, die in unserem gleichgeschalteten Klassensystem ganz oft durch das Raster Hauptschule, Realschule und Gymnasium fallen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Julia aus Kiel war elf Jahre alt, als sie sich entschlossen hat, nach St. Afra auf ein HochbegabtenGymnasium zu gehen. Sie musste sich mit elf Jahren entscheiden: Schule oder Familie? Es ist gut, wenn wir im Bereich der Hochbegabtenförderung nachlegen. Ich freue mich, wenn ich sehe, wie weit wir inzwischen in Bezug auf das Vier-Säulen-Konzept gekommen sind, das die Gesellschaft für das hochbegabten Kind 2008 von uns eingefordert hat.

Die erste Säule war damals die sogenannte Netzwerkschule. Ich sehe jetzt, dass die elf Kompetenzzentren, die entstehen sollen, genau diesem Punkt entsprechen. Der Ansatz der Schülerpaten gefällt mir gut. Die Schülerinnen in ihrem Anderssein zu vernetzen und den Erfahrungsschatz dieser Jugendlichen hineinzunehmen, wenn es um die Konzepte geht, finde ich in Ordnung.