Protokoll der Sitzung vom 19.03.2010

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich fahre fort und sage: Warum werden diese Minderheiten explizit in Artikel 5 Abs. 2 genannt? Dies erklärt sich durch die historische Besonderheit sowie durch die kulturelle und politische Entwicklung Schleswig-Holsteins. Die Hervorhebung ist daher auch nicht als verfassungsrechtlich ungerechtfertigte Bevorzugung der Dänen und Friesen zu sehen. Ich ergänze vor dem Hintergrund dieser Betrachtung gern, dass auch der Landesverband, der zurzeit etwa 5.000 in Schleswig-Holstein lebende Sinti und Roma mit deutscher Staatsangehörigkeit umfasst, jährlich mit erheblichen Landesmitteln unterstützt wird.

(Lachen des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

- Ja, das muss gesagt werden. Sie wollen es vielleicht nicht wahrhaben, aber das ist so. Schon in Art. 5 Abs. 1 wird die Freiheit des Bekenntnisses für alle nationalen Minderheiten festgeschrieben.

Mit dem von den Oppositionsparteien vorgelegten Antrag soll der Minderheitenschutz verbessert und auf die Sinti und Roma erweitert werden. Wir als FDP haben dem offen gegenübergestanden. Ob allerdings die notwendige Zweidrittelmehrheit heute hier zustande kommt, ist nicht sicher. Wir kennen das Argument, das nicht von der Hand zu wei

sen ist, nämlich dass man eine Verfassung nicht überfrachten sollte. Minderheiten sind selbstverständlich auch heute schon verfassungsrechtlich geschützt. Wenn der Kreis der explizit in die Verfassung aufgenommenen Minderheiten ständig erweitert würde, dann könnten auch andere Gruppen Bedarf anmelden, die nicht notwendigerweise nationale Minderheiten sind, aber ebenso in der Landesverfassung Erwähnung finden möchten. Daher ist die teilweise auch heute wieder geäußerte Skepsis gegenüber dieser Erweitung zumindest nachvollziehbar.

Allerdings sollten wir einen aus unserer Sicht nicht unwichtigen Aspekt nicht unter den Tisch fallen lassen. Dabei handelt es sich um die Frage, ob wir gegebenenfalls europarechtlich dazu verpflichtet sind, Sinti und Roma in unsere Landesverfassung aufzunehmen. Der ehemalige und fachlich durchaus respektierte SPD-Abgeordnete Puls hatte in seiner Rede im Jahr 2006 darauf hingewiesen, dass eine Aufnahme des Schutzes der Sinti und Roma in der Erfüllung des Rahmenüberkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten rechtlich geboten sei. Ich denke, wir werden unsere Diskussionen im Ausschuss in dieser Frage wesentlich intensiver führen müssen als bisher.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Kollegen Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Kollege Dankert, es wird eine traurige Tradition, dass ich immer dann, wenn ich nach der FDP rede, was oft vorkommt, sagen muss, dass es schwer fällt, ruhig zu bleiben. Ich hätte Ihnen, aber auch dem Kollegen Kalinka, gern empfohlen, gestern an der Veranstaltung des Flüchtlingsrats und der SPD-Fraktion teilzunehmen. Danach hätten Sie Ihre Rede wahrscheinlich umgeschrieben.

Nun zum Thema: Seit über 600 Jahren leben Sinti und Roma nicht in Schleswig-Holstein. Die Sinti und Roma gelten deswegen als nationale Minderheit und sind - gleichwertig mit den Nordfriesen und Dänen - aus der Geschichte unseres Landes nicht weg zu denken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Es gibt gegenüber den Sinti und Roma eine historische und politische Verantwortung, der wir gerecht werden müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich denke etwa an die Zigeunerverfolgung in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert. Herr von Boetticher, Sie müssten eigentlich zuhören. Sie haben doch ein Faible für Geschichtsstunden. Auch die sogenannten Eingliederungsversuche im 18. und 19. Jahrhundert sind aus heutiger Perspektive zu verurteilen. Sie sollten im Ergebnis dazu führen, dass Sinti und Roma ihre Identität aufgeben müssen. Durch den sozial niedrigen Stand, den die Sinti und Roma oftmals besaßen, wurden weitere Ressentiments auch von staatlicher Seite geschürt. Den Sinti und Roma wurde in der Geschichte sehr viel Unrecht getan. Allein deswegen sind wir in der Verpflichtung, den Schutz dieser nationalen Minderheit aufzuwerten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Wir haben gegenüber den circa 5.000 bis 7.000 in Schleswig-Holstein lebenden Sinti und Roma eine Verpflichtung, der wir nachkommen müssen. Die Zahl ist schwer zu schätzen, aber das sind die Zahlen, die von den Verbänden selbst genannt werden.

Nun mögen einige - auch Herr Kollege Dankert, auch wenn er jetzt nicht mehr hier ist, was ich etwas befremdlich finde - sagen, dass das schön und gut sei. Sie mögen fragen: Warum schon wieder eine Verfassungsänderung? - Okay, er ist doch noch hier. Diese Verfassungsänderung ist in Wirklichkeit keine richtige Änderung, sondern es ist nur eine Ergänzung, denn der Schutz der dänischen und der friesischen Minderheit steht ja bereits in der Landesverfassung. Das begrüßen wir ausdrücklich.

Seit der Ratifizierung der Rahmenkonvention zum Schutz von nationalen Minderheiten zählen die Sinti und Roma auch rechtlich dazu. Seit der Grundgesetzänderung 1993 ist Minderheitenschutz auch und ausdrücklich Landessache. Dass die Sinti und Roma seitdem sträflich vernachlässigt wurden, kommt einem Trauerspiel gleich. Dies hat wenig mit parlamentarischen Mehrheiten zu tun, das haben Sie auch angesprochen. Selbst in guten rot-grünen Regierungszeiten haben wir es nicht geschafft, Herrn Kalinka und andere zu überzeugen, aber wir probieren es weiterhin. Fragen Sie einmal

(Jens-Uwe Dankert)

Frau Jansen, die war zu dem Zeitpunkt zeitweise sogar Landesvorsitzende der Grünen.

(Zuruf der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

- Frau Jansen, jetzt keine Geschichtsrückblicke auf die grüne Partei! Aus juristischer und eben nicht nur aus politischer Perspektive ist eine Aufnahme der Sinti und Roma in die Landesverfassung dringend geboten. Professor Dr. Dr. Rainer Hofmann und Professor Dr. Albert von Mutius kommen in einem Gutachten übereinstimmend zu dem aus juristischer Sicht eindeutigen Ergebnis.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

- Herr von Boetticher, das sollten Sie vielleicht einmal lesen. Ich verstehe von dem Thema mehr als Sie; das hat Ihre Fraktion gerade bewiesen. Aus minderheitenpolitischer Sicht ist ein weiterer Punkt interessant.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der LINKEN)

Während bei der dänischen und friesischen Minderheit das Problem ist, dass Abkommen zum Schutz der Minderheiten in Erinnerung gerufen werden müssen und dass auf konkrete politische Schritte gedrängt werden muss, verhält es sich bei den Sinti und Roma grundsätzlich anders. Die Sinti und Roma besitzen keine rechtliche Absicherung, und dies ist ein Problem.

Aber Minderheitenpolitik - das ist richtig; da gebe ich Ihnen einmal recht, Herr Dankert

(Jens-Uwe Dankert [FDP]: Danke!)

darf nicht nur auf dem Papier stehen, sie muss mit Leben gefüllt werden. Aber auch da machen Sie wenig. Projekte zur Förderung von Sinti und Roma, wie zum Beispiel zu einer verstärkten Bekanntmachung der Geschichte dieser Gruppe, müssen in der Landespolitik eine größere Rolle einnehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Dieses Thema entscheidet sich nicht an Tagespolitik. Deswegen habe ich noch die Hoffnung, das wir nach der Beratung im Ausschuss dazu kommen, dass selbst Sie sich nach diesen etwas unterirdischen Reden einen Ruck geben und dem Antrag doch zustimmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN - Werner Kalinka [CDU]: Das sind aber zwei Ordnungsrufe!)

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich dem Herrn Kollegen Ulrich Schippels.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich war einmal bei den Grünen. Das ist so eine Jugendsünde. Ich bitte da um Entschuldigung. Aber ich möchte nun zum Thema kommen.

Roma und Sinti fordern seit Jahren von den Ländern ein Diskriminierungsverbot. Durch die von uns gemeinsam vorgeschlagene Verfassungsänderung wären wir einen Schritt weiter - nicht mehr und nicht weniger. Ich gestehe, wir als Linke würden in der Landesverfassung gern auch andere Minderheiten geschützt sehen. Es geht hier aber nicht mehr und nicht weniger - um die Gleichstellung der letzten autochthonen Minderheit, die gleichgestellt werden soll - um nicht mehr und nicht weniger.

Roma und Sinti sind in unserem Land in der Vergangenheit und immer wieder Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt gewesen. Ich behaupte, dass auch heute noch in vielen Köpfen eine Menge Vorurteile herumgeistern. Ich möchte einmal ein paar Jahre zurückblicken. Beispielsweise Meyers Konversations-Lexikon 1976. Ich zitiere mit Erlaubnis: „Planendes Wirtschaften und fortgesetzte abhängige Arbeit sind der Natur des Z. jedoch fremd.“ - Einmal von der diffamierenden Bezeichnung von Roma und Sinti in diesem Zitat abgesehen - hier wird einer ethnischen Gruppe soziales Verhalten beziehungsweise oftmals auch abweichendes soziales Verhalten zugeschrieben.

Lexika sind so etwas wie das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft. Schauen Sie einmal im Brockhaus nach! Bis Anfang der 90er-Jahre war es dort ähnlich formuliert.

1956 sprach der Bundesgerichtshof in seinem Grundsatzurteil von sogenannten asozialen Eigenschaften - ich zitiere noch einmal mit Erlaubnis -, „die auch schon früher Anlass gegeben hatten, die Angehörigen dieses Volkes besonderen Beschränkungen zu unterwerfen“.

Oskar Rose beklagte sich 1979 stellvertretend für die Roma zu Recht - das ist das letzte Zitat -: „Faschisten wie Demokraten benannten uns schon immer nach Eigenschaften, die sie selbst erfanden.“

Das alles ist auch kein Problem des letzten Jahrhunderts. So kam es zum Beispiel 2005 zu Verstößen gegen den Pressekodex. Es sind nämlich in Berich

(Rasmus Andresen)

ten über Beschuldigte Hinweise auf die ethnische Zugehörigkeit zu unterlassen. Ich verweise hier auf die entsprechende Drucksache aus der letzten Legislaturperiode.

Im Rahmen der Polizeiarbeit gibt es immer noch das berühmt-berüchtigte Kürzel „MEM“ für mobile ethnische Minderheit. Hier wird trotz aller Wortklauberei an den alten Ressentiments zumindest angeknüpft.

Schätzungen gehen von ungefähr 5.000 Sinti und Roma aus, die in Schleswig-Holstein leben. Ein Teil von ihnen ist seit Langem in diesem Bundesland ansässig und hat auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Im Faschismus sind von den rund circa 40.000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma über 25.000 ermordet worden. Sie fielen dem Rassenwahn der Nationalsozialisten und dem Völkermord zum Opfer.

Auch etwa 400 schleswig-holsteinische Roma und Sinti kehrten aus den Lagern der Nationalsozialisten nicht zurück. Die, die überlebt hatten, mussten nicht nur um ihre Angehörigen trauern, sie mussten nicht nur auf ihr vertrautes soziales Umfeld der Großfamilie, die ja vernichtet worden war, verzichten, sie waren und sind - um es einfach auszudrücken, entwurzelt. Und dann sahen und sehen sie sich immer noch Stigmatisierungen und Vorurteilen ausgesetzt. Sie sahen sich übrigens nach 1945 in den Amtsstuben auch mit denjenigen konfrontiert, die sie vor 1945 diskriminiert hatten.

Stigmatisierung und Vorurteile, das gilt übrigens auch für Roma-Flüchtlinge zum Beispiel aus dem Kosovo. Das zwischen Deutschland und dem Kosovo im letzten Jahr vereinbarte Abschiebeabkommen betrifft auch Menschen, die seit mehr als zehn Jahren in Deutschland leben. Darunter sind Kinder, die hier geboren sind und deren Heimat Deutschland ist. In dieser Woche ist nach meinen Informationen auch ein Roma-Flüchtling aus SchleswigHolstein abgeschoben worden. Wir fordern einen Abschiebestopp.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber ich komme zurück zum Antrag. Ich denke, dass es 70 Jahre nach den Greueltaten der Nationalsozialisten an der Zeit ist - ich finde sogar, es ist überfällig -, dieser gebeutelten autochthonen Minderheit in Schleswig-Holstein endlich den gleichen Status in der Landesverfassung zukommen zu lassen, wie ihn jetzt schon die Dänen und die Friesen zu Recht haben. Das sage ich in dem Bewusstsein, dass durchaus auch in Schleswig-Holstein jetzt einige gute Projekte zur Förderung der Sinti und Ro

ma auf den Weg gebracht worden sind, auch durch die damalige rot-grüne Landesregierung.

Die Aufnahme der Minderheit in die Landesverfassung ist ein Symbol, ist ein Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung, für Solidarität und Menschenliebe. Es wäre, wie ich finde, auch die richtige Antwort an die Unbelehrbaren, die am nächsten Wochenende, also am 27. März, durch Lübeck marschieren wollen.