Das ist das Ethos der Verantwortungsgemeinschaft, abseits von interessen- und lobbygesteuerter Politik.
Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitierte ich aus einer schleswig-holsteinischen Zeitung vom 26. Mai:
„Wer nicht reflexartig zugleich die persönliche Betroffenheit zum Maßstab macht oder die regionalpolitische Brille aufsetzt, sondern sich das Gesamtpaket anschaut, muss dem Papier Respekt zollen.“
„Klientelpolitik spiegelt sich in der Vorschlagsliste nicht wider - bis auf die Klientel künftiger Generationen.“
Meine Damen und Herren, wir werden mit dieser neuen Politik der Konzentration auf das Wesentliche nicht nur Vorreiter und Vorbild in der Bundesrepublik sein; wir werden auch Zeichen in unserer Gesellschaft setzen, Zeichen, die deutlich machen, dass es Wichtigeres, Höheres gibt als Individualinteressen. Ich gebe zu: Wir stehen vor einem Wendepunkt, nicht nur rein rechnerisch, indem wir zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes Ausgaben für freiwillige Leistungen in eine derartigen Umfang senken werden; nein, wir stehen auch vor einem Wendepunkt unserer Politikkultur.
Wir werden nicht, wie in der Vergangenheit häufig üblich, den Bürgerinnen und Bürgern ein Mehr an Geld und Leistungen versprechen; nein, wir versprechen ihnen ein Ende der Politik auf Pump. Denn nur so gewinnen wir die Zukunft. Und dafür bitte ich alle um Unterstützung.
Die Landesregierung hat ihre Redezeit um 23 Minuten überschritten. Ich begrüße auf der Zuschauertribüne eine weitere Gruppe vom Klaus-HarmsGymnasium in Kappeln. - Seien Sie uns herzlich willkommen!
Das Wort erteile ich jetzt dem Oppositionsführer, dem Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion, Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner.
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, es ist gut, dass Sie heute diese Regierungserklärung zu Ihrem Kürzungsprogramm abgeben. Damit legen Sie den Kurs Ihrer Regierung endlich dort dar, wo es hingehört, nämlich hier im Parlament. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren von Regierungsfraktionen, Sie hätten uns die Farce in der letzten Landtagstagung wirklich ersparen können.
Lassen Sie mich zu Beginn sagen: In der Tat ist die Lage der öffentlichen Haushalte in Deutschland dramatisch. Die größte Finanzkrise in der Ge
schichte unserer Republik, ein schwaches durchschnittliches Wirtschaftswachstum und unverantwortliche Steuersenkungen, auch schon aus rot-grünen Regierungszeiten - das will ich hier ganz deutlich sagen -,
haben diese öffentliche Verschuldung stetig steigen lassen. Dies konnten auch bereits erfolgte Sparmaßnahmen und der Ausverkauf öffentlichen Eigentums nicht fundamental ändern. Die öffentlichen Haushalte sind strukturell unterfinanziert. Wir haben ein strukturelles Haushaltsdefizit von jährlich 1,25 Milliarden €, wenn wir weder die Einnahmen noch die wirtschaftliche Entwicklung positiv verändern.
Die inzwischen auch in der Landesverfassung verankerte Schuldenbegrenzung gibt vor, bis 2020 die Nettoneuverschuldung auf null zu reduzieren. Da strukturelle Veränderungen bei den Landesausgaben Zeit brauchen, um zu Einsparungen zu führen, ist zwar durchschnittlich eine Reduzierung dieses strukturellen Defizits um 125 Millionen € pro Jahr notwendig; in späteren Jahren wird aber die stärkste Reduzierung stattfinden müssen. Zugleich ist der konjunkturellen Entwicklung Rechnung zu tragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erkenntnis, dass heftige Einschnitte in den öffentlichen Ausgaben konjunkturelle Abschwünge verstärken und verlängern, wohingegen gezielte Ausgabensteigerungen gerade in zukunftsträchtigen Feldern Konjunktureinbrüche abschwächen und verkürzen können, ist eine der Lehren, die wir aus der letzten Wirtschaftskrise ziehen sollten, was übrigens auch Amerikaner und Franzosen im Gegensatz zur Regierung Merkel-Westerwelle verstanden haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, Herr Ministerpräsident, dass man auf Dauer nicht mehr ausgeben darf, als man einnimmt. Das drastische Ungleichgewicht von Einnahmen und Ausgaben, die hohen Zinslasten, die Schuldenbegrenzung in der Landesverfassung, die Haushaltsrisiken aus der Wirtschafts- und Finanzkrise und der HSH Nordbank, die Notwendigkeit, Gestaltungsspielräume für die Zukunft zu erhalten, machen eine Haushaltskonsolidierung und einschneidende Maßnahmen dafür zwingend notwendig.
Aber bei allen Vorschlägen muss gelten: Die Zukunftschancen Schleswig-Holsteins dürfen nicht kaputtgekürzt werden.
Wir Sozialdemokraten in diesem Haus sind uns dieser enormen Herausforderung bewusst. Ich sage Ihnen aber: Es gibt in diesem Hause zwei Sorten fundamentalistischer Realitätsverweigerung beim Thema Haushaltskonsolidierung. Manche glauben, alles könne so bleiben, wie es ist, und man müsse nur an der einen oder anderen Steuerschraube drehen und die Probleme des Landes wären gelöst. Wir erinnern uns noch an die Plakate, die friedlich nebeneinanderstanden: Reichtum für alle, und Reichtum besteuern. Dies ist die Links-außen-Variante einer fundamentalistischen Realitätsverweigerung.
Die andere Seite dieses Hauses glaubt, man könne die Haushaltsprobleme des Landes Schleswig-Holstein durch Ausgabenreduzierung bewältigen. Das ist die Quintessenz aus den Vorschlägen Ihrer sogenannten Haushaltsstrukturkommission. Und dies war auch der Kern Ihrer Regierungserklärung, Herr Ministerpräsident. Das ist die Mitte-Rechts-Variante einer fundamentalistischen Realitätsverweigerung, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir glauben, dass ein realistisches Konsolidierungskonzept für Schleswig-Holstein mehrere Elemente zusammenführen muss. Ich werde Ihnen in zehn Punkten darlegen, warum Ihr Kürzungsprogramm Schleswig-Holstein nicht nur nicht aus der Krise herausführt, sondern im Gegenteil diese Krise verstärkt, und wo man ansetzen müsste, um mit einem wirklichen Konsolidierungskonzept zukunftsfähige und gerechte Lösungen für die gute Zukunft Schleswig-Holsteins zu finden, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Erstens. Ihr Kürzungsprogramm greift zu kurz. Sie wissen nicht, wie Sie die Herausforderung für Schleswig-Holstein bewältigen sollen.
Wenn die Zukunft gesichert, der soziale Frieden und die Demokratie nicht gefährdet werden sollen, muss der Kurs für die Haushaltskonsolidierung nachhaltig und gerecht sein. Um eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung wirklich erreichen zu können, müssen gleichzeitig und gleichgewichtig
einerseits die richtigen Prioritäten gesetzt werden und in Kinderbetreuung, Bildung und Klimaschutz im Interesse der Zukunft eher mehr investiert werden.
drittens müssen notwendige Strukturreformen beherzt angepackt werden; viertens müssen Einnahmeverbesserungen in erheblichem Umfang erreicht und schließlich muss fünftens eine faire Altschuldenregelung für Land und Kommunen ausgehandelt und durchgesetzt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gerecht ist der Haushaltskonsolidierungskurs nur, wenn die Maßnahmen weder eine soziale noch eine regionale Schieflage haben und wenn Sie diejenigen am stärksten belasten, die das am besten verkraften können.
Milliardensummen für die Finanzmärkte bei gleichzeitiger sozialer Kahlschlagpolitik stellen das Primat der Politik infrage und bewirken Gefahren für unsere Demokratie. Wir merken es ja auch schon, was die Menschen dazu sagen.
Zu alledem haben wir von Ihnen, Herr Ministerpräsident, heute Morgen nichts oder wenig Substanzielles gehört, nichts zu den Prioritäten, nichts zu den Posterioritäten, dazu nichts. Wann erhält das Parlament Ihre Vorlage zum Thema Einnahmeverbesserung, deren Notwendigkeit der Fraktionsvorsitzende der FDP in der Debatte zur Schuldenbremse am 28. Januar 2010 hier in diesem Haus ausdrücklich hervorgehoben hat? Wann kommt das außer in allgemeinen Betrachtungen?
Wir haben von Ihnen gar nichts gehört, was auch nur in die Nähe einer durchgreifenden Verwaltungsstrukturreform führen könnte, und Sie haben auch nichts zur dringend notwendigen Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs gesagt. Stattdessen haben Sie die alte Leier vom Heil der Privati
sierung wiederholt. Eins muss ich Ihnen sagen, das finde ich ganz besonders unehrlich: Sie loben doch tatsächlich das Ehrenamt. Da gehen wir mit, da ist der Applaus berechtigt. Aber gleichzeitig entziehen Sie den Menschen, die sich sozial, kulturell, im Sport, in Vereinen und Verbänden, engagieren, flächendeckend die finanzielle Unterstützung. Da gehen wir nicht mit.