Protokoll der Sitzung vom 07.07.2010

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Abgeordnete Heinold, Ihre Analyse ist nicht nur teilweise, sondern weitgehend beeindruckend. Ich gebe Ihnen weitgehend recht, aber ich frage mich gleichzeitig: Wo sind Ihre konkreten Vorschläge? Einen Vorschlag habe ich gehört, ich will ihn auch einbinden in das, was ich gleich sage.

Als Innenminister und Kommunalminister dieses Landes sage ich: Ja, die finanzielle Situation der schleswig-holsteinischen Kommunen ist in ihrer strukturellen Problematik bedrohlich. Das steht außer Frage. Allerdings sage ich Ihnen ganz deutlich, dass ich nicht der Überzeugung bin, dass das Einzige, was ich vernommen habe

(Astrid Damerow)

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Herr Abgeordneter Habeck, entschuldigen Sie, ich habe gerade angefangen und würde die Redezeit, die ich noch habe, gern nutzen, um ein paar Gedanken auszuführen, und will nachher gern zur Beantwortung von Zwischenfragen zur Verfügung stehen -, Steuererhöhungen sind, was ich von Ihnen gehört habe. Ich glaube nicht, dass das das Problem tatsächlich löst, vor dem wir alle, sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- als auch auf kommunaler Ebene strukturell stehen. Das ist das Einzige, was ich vernommen habe; aber Sie können es ja gern ergänzen, wenn es noch mehr gibt.

Ja, wir brauchen eine Steuerstrukturreform in erheblichem Maße. Wir müssen allerdings auch an die Aufgabenkritik ran, an die Aufgabenreduzierung, wir müssen Leistungsgesetze vermindern, auch Leistungsgesetze - das hat der Kollege Harms gesagt -, die auf Bundesebene beschlossen werden, die zum Teil auch durch europäische Vorgaben determiniert sind und Kommunen finanziell belasten. Wir müssen auch intensiv darüber miteinander reden - vielleicht auch einmal fernab von den Strukturen und Maßgaben, mit denen wir alle leben -, dass wir Finanztransfers, die in erheblichem Maße laufen, im kommunalen Raum so einsetzen können, dass sie die Probleme, die vorhanden sind, tatsächlich lösen.

Weil der Oberbürgermeister der Stadt Kiel hier ist, möchte ich, weil ich das hin und wieder schon einmal durfte, gern auf ein Beispiel verweisen, das er immer nennt. Er sagt zu Recht - eine sicherlich angenommene, aber zum großen Teil durch Berechnungen begründete Summe -: Wenn allein in den Stadtteil Gaarden der Landeshauptstadt Kiel rund 100 Millionen € per annum an Leistungen der Kommune, des Landes, des Bundes und Transferleistungen hineingegeben werden, um soziale und andere Bedürfnisse zu befriedigen, und wir keine strukturell erkennbare Verminderung der Probleme haben, sondern in einigen Bereichen sogar noch eine Verschärfung, dann läuft hier irgendwo etwas falsch. Dann geht es nicht darum, dass da zu wenig Geld hineingeht,

(Beifall bei CDU und FDP)

sondern dann geht es darum, dass die Verteilung des Geldes strukturell zu viel Bürokratie erfordert und zu wenig bei den Leuten ankommt. Deswegen müssen wir über diese Dinge nachdenken, und deswegen ist es notwendig, dass wir uns wirklich mit den Fakten beschäftigen.

Ich will jetzt nichts kleinreden, aber ich halte es für notwendig, Ihnen die neusten Zahlen zur Verschuldung unserer Gemeinden zu nennen, die neusten Zahlen der fundierten Schulden der Gemeinden und Gemeindeverbände, das ist die offizielle Statistik, die gerade veröffentlicht worden ist. Danach betragen sie im Bundesdurchschnitt pro Einwohner 1.063 €, in Schleswig-Holstein 930 € und in dem Bundesland, das mit Schleswig-Holstein vergleichbar ist und auch in allen anderen Bereichen mit Schleswig-Holstein verglichen wird, in RheinlandPfalz, 1.237 €. Noch einmal: In Schleswig-Holstein im Jahr 2010 930 € pro Einwohner fundierte Schulden der Gemeinden und Gemeindeverbände.

Frau Kollegin Heinold, im Jahr 2005 waren es 995 €. Ich will nur darauf hinweisen, weil Sie fragen: Was haben Sie gemacht in der Zeit, in der Sie regiert haben? - 2005 haben Sie aufgehört zu regieren. Da lagen die Schulden pro Einwohner in den Gemeinden und Gemeindeverbänden um 65 € höher als heute. Das muss man sich vor Augen führen.

Ich will das nicht kleinreden. Die strukturellen Probleme der Gemeinden sind da, und selbst bei den Kassenkrediten ist es so: Der Durchschnitt auf Bundesebene liegt bei 460 € pro Einwohner, bei uns sind es 183 € pro Einwohner. Es ist wirklich wichtig, dass man sich die Faktenlage noch einmal vor Augen führt.

Herr Dr. Stegner, ich glaube schon, dass es notwendig ist, sich tatsächlich mit dem einen oder anderen noch einmal auseinanderzusetzen, was Sie hier darzustellen versucht haben, und zwar deswegen, damit nicht der Eindruck entsteht, als würden die Dinge, die Sie hier dargestellt haben, auch nur annähernd dem entsprechen, was die Wirklichkeit abbildet. Es geht nicht darum, dass wir in irgendeiner Form, irgendjemand dieser Landesregierung oder der sie tragenden Fraktionen, der Auffassung sind, dass man zentrale Orte gegen die kleineren Gemeinden ausspielen sollte. Sie haben versucht, das zu tun,

(Beifall bei CDU und FDP)

es ist Ihnen nur nicht gelungen. Daran waren nicht nur Sie als SPD beteiligt, aber doch erheblich, daran war auch schon die Übergangsregierung mit dem damaligen Innenminister Claussen beteiligt. Was hat es denn gebracht, Hunderte von Millionen € im FAG umzuschichten von den kleineren Gemeinden hin zu den kreisfreien Städten? Das hat doch die strukturellen Probleme nicht gelöst. Die strukturellen Probleme sind doch gleich geblieben.

(Minister Klaus Schlie)

Deswegen finde ich es sehr ehrlich, Frau Kollegin Heinold, wie Sie es dargestellt haben, was Eingriffe in den Finanzausgleich angeht. Darauf werde ich gleich auch noch einmal eingehen. Das ist völlig richtig, es geht nicht darum, Herr Kollege Habeck, Klein gegen Groß oder Groß gegen Klein auszuspielen. Das haben wir nicht getan, sondern der Kollege Stegner hat versucht, es zu tun.

Es ist richtig, die strukturellen Probleme der größeren Orte sind natürlich aufgrund ihrer anderen Funktionalität ganz andere Probleme. Deswegen müssen wir uns diesen Problemen auch in besonderer Weise zuwenden. Allerdings müssen sich die großen Städte auch selber diesen Problemen zuwenden und nicht eine Haushaltspolitik betreiben, die diese Probleme völlig außer Acht lässt, und meinen, Ausgaben tätigen zu können, ohne darauf zu achten, was letztendlich nicht in der Kasse ist, und das wieder durch Schulden zu finanzieren, wie das in einer großen Stadt dieses Landes der Fall ist, deren Haushalt ich nicht genehmigen werde, jedenfalls solange er so aussieht, wie er aussieht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deswegen sage ich Ihnen, Herr Stegner, Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie denn nun wollen bei der Verwaltungsstrukturreform. Ich will jetzt nicht darauf eingehen, weil es sich nicht lohnt, wenn Sie meinen, uns vorhalten zu sollen, was wir hätten tun sollen. Sie sind doch eine Zeit lang Innenminister gewesen und haben das Ding gegen die Wand gefahren. Das ist doch das Problem gewesen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Nun stellen Sie sich hier hin und reden von Kragenämtern und sagen, die Probleme seien nicht gelöst. Das ist übrigens ein schrecklicher Begriff. Nein, Sie sind es doch gewesen, der dort flexible Lösungen verhindert hat,

(Widerspruch bei der SPD)

der verhindert hat, dass wirklich interkommunale Zusammenarbeit zwischen zentralen Orten und den umliegenden Gemeinden in partnerschaftlicher Art und Weise tatsächlich vorankommen kann. Wir werden dafür sorgen, dass das geschieht.

Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie denn nun wollen mit den von Ihnen ja erst einmal fiktional berechneten Effizienzrenditen aus dieser Verwaltungsstrukturreform, von der Sie übrigens nicht sagen, wie Sie sie durchführen wollen. Wollen Sie denn nun eine Kreisgebietsreform, oder wollen Sie keine? Wollen Sie eine Kooperation, oder was wol

len Sie eigentlich? Aber wenn Sie schon meinen, fiktional etwas berechnen zu können, dann sagen Sie uns: Soll das nun in den Landeshaushalt fließen, oder soll das in den Kommunen verbleiben? Jeder Euro Effizienzgewinn aus der Verwaltungsstrukturreform auf kommunaler Ebene ist kommunales Geld. Das ist die Aussage der Landesregierung, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei CDU und FDP)

Übrigens, nur eine Zwischenbemerkung, Herr Dr. Stegner, als ehemaliger Innenminister und Finanzminister: Die Grunderwerbsteuer ist eine Landessteuer. Gucken Sie noch einmal nach.

Ganz kurz noch ein Satz zum Thema Landesentwicklungsplan. Es ist schon ein Ding zu sagen, wir hätten dadurch ein Problem geschaffen. Das Problem, das vor drei Jahren entstanden ist, ist das Problem gewesen, dass Sie als Innenminister einen Landesentwicklungsplanentwurf vorgelegt haben, der mit 4.000 Stellungnahmen im ganzen Land zerrissen worden ist. Das ist das Problem gewesen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Allen Respekt vor dem Kollegen Hay, meinem direkten Amtsvorgänger, dafür, dass er das umgesteuert hat. Es war richtig, dass Sie diesen Unsinn beendet haben, der da gemacht worden ist. Sie haben vernünftigerweise umgesteuert. Wir mussten allerdings noch weiter nachsteuern, und wir werden auch noch weiter nachsteuern, weil wir natürlich über die kommunalisierte Regionalplanung unsere Ziele, die wir im Landtag politisch formuliert haben, auch tatsächlich umsetzen werden.

Aber ich denke schon, dass es notwendig ist, dass wir uns über diese Frage vielleicht auch noch einmal intensiver unterhalten sollten, sehr geehrter Herr Dr. Stegner, damit jedenfalls Ihre Wahrnehmung in diesem Bereich vielleicht noch etwas geschärft wird. Es ist so - daran geht doch kein Weg vorbei -, dass der wirklich problematische Fall beim Eingriff in den kommunalen Finanzausgleich, auch in der letzten Legislaturperiode, in Höhe von 120 Millionen € dauerhaft ist. Das hat niemand bestritten. Wir haben es übrigens in dieser Legislaturperiode auch ehrlicherweise gesagt, er wird dauerhaft bleiben müssen. Es wird allerdings auch keinen neuen geben. Aber wer hat denn die Kompensation verhindert? Das haben Sie doch in der Großen Koalition getan. Sie haben das doch verhindert, als wir daran gearbeitet haben, die Kommunen durch Aufgabenreduzierung so weit wie möglich zu entlasten.

(Minister Klaus Schlie)

(Zuruf von der SPD: Kita-Standards!)

- Nein, es geht nicht nur um Kita-Standards. Das ist Ihr Standardsatz. Ich kann Ihre fünf Standardpunkte aufführen. Sie können Sie auch noch einmal auf Ihren Wahlplakaten nachlesen. Das hilft uns nicht weiter. Wir brauchen eine Reduzierung von kommunalen Aufgaben. Wir brauchen eine Reduzierung von Leistungsgesetzen des Bundes. Wir brauchen eine Steuerstrukturreform. Wir brauchen ein Ergebnis in der Gemeindefinanzkommission des Bundes. Wir werden dafür sorgen, dass auch durch unsere Konzeptbörse große zukunftsfähige Städte in Schleswig-Holstein die Chance haben werden, ihre strukturellen Probleme ein Stückchen mit zu lösen, wie übrigens auch die der anderen Kommunen. Wir werden dafür sorgen, dass es übrigens um das klar zu sagen - aufgrund der Beschlüsse, die wir zur Haushaltskonsolidierung des Landes fassen werden, keinen Verschiebebahnhof zulasten der Kommunen geben wird. Das wird es in SchleswigHolstein nicht geben!

(Zuruf von der SPD: Oh!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, und dann reicht es ja auch,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und LINKEN)

dass man die Dinge bezogen auf den Kollegen Stegner ausbreitet. Wenn Sie sich die Gemeinde Elisabeth-Sophien-Koog ausgesucht haben, dann haben Sie ja wahrscheinlich irgendetwas im Hintergrund und meinen, da müssten Sie jemanden besonders angucken. Recherchieren Sie einfach nur besser! Es sieht folgendermaßen aus: Der negative freie Finanzspielraum von 10.000 €, den Sie erwähnt haben, ist Ihnen nur deswegen ins Auge gefallen, weil Sie vergessen haben, dass in der Statistik die Rücklagen nicht ausgewiesen sind. Der Schuldenstand der Gemeinde ist null. Die Rücklagen Ende 2009 betragen 398.234 €. Das sind 9.300 € pro Einwohner, allerdings nicht Schulden, sondern Guthaben, Herr Stegner.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die haben natürlich ihren Fehlbetrag damit ausgeglichen. Übrigens haben die auch noch einen Fahrradweg mit Zuschüssen, aber ansonsten mit einem Eigenanteil aus eigener Kasse bezahlt. Das ist das, was wir in Schleswig-Holstein auch erreichen müssen. Wir müssen die Dinge wieder aus eigener Kasse zahlen können. Deswegen muss der Landeshaushalt konsolidiert werden. Deswegen müssen auch

die kommunalen Haushalte konsolidiert werden. Deswegen ist der Weg, den wir politisch gehen, richtig.

Ich muss Ihnen sagen, Herr Dr. Stegner: Es ist wirklich traurig, dass Sie alles das, was Sie eigentlich aus Ihrer Regierungszeit wissen müssten, völlig vergessen haben. Was schlimmer wäre: Sie haben es damals wahrscheinlich auch nicht gewusst.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich!

Herr Minister, nach Ihrer Rede hätte ich eigentlich ganz viele Fragen. Eine wäre, was Sie bei der Verwaltungsstrukturreform wollen. Aber die schenke ich mir alle. Ich frage Sie nur zu Ihrer Eingangsfrage, was ist denn Ihre Antwort auf die Frage, die Sie an Frau Heinold gerichtet haben? Als das Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschlossen wurde, was ja schon ein halbes Jahr her ist, wurde den Kommunen zugesagt, die 60 Millionen Steuerausfälle würden kompensiert werden. Ich frage Sie: Welche Kompensationen sind bis jetzt geflossen, welche stehen zu erwarten, und wann sind sie zu erwarten?

- Herr Abgeordneter Habeck, ich habe Ihnen die vier Punkte genannt, die notwendig sind, damit wir gemeinsam diesen Weg auch im Interesse der Kommunen gehen können. Wir brauchen eine Steuerstrukturreform auf Bundesebene, die auch die Auswirkungen auf den kommunalen Bereich und auf den Landesbereich mit umfasst. Da ist nach meiner Kenntnis eine intensive Diskussion auf Bundesebene im Gange. Wir brauchen eine ganz klare und eindeutige Erklärung auch der Kommission zu den Kommunalfinanzen auf Bundesebene, dass wir zu strukturellen Veränderungen kommen, die eine Einnahmekonsistenz für die Kommunen herbeiführen, aber auch dafür sorgen, dass Leistungsgesetze vom Bund mit den finanziellen Wirkungen nicht auf die Kommunen übertragen werden, dass letztendlich das ist unsere Forderung als Land - der Konnexitätsgrundsatz auch dort angewandt wird.

(Zurufe)

(Minister Klaus Schlie)

Und wir müssen dafür sorgen, dass alles das, was vereinbart worden ist, was die Vertreter unserer Regierung in Berlin vereinbart haben, im Laufe dieses Jahres auch Wirklichkeit wird.