Protokoll der Sitzung vom 08.07.2010

Ich möchte auf einige weitere Aspekte eingehen. Die Sozialdemokraten begrüßen die Gesetzesinitiative der Bundesregierung, wonach das Recht dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes angepasst werden soll. Wir denken, dass dies auch zügig geschehen muss. Wir haben im Moment Bedenken, dass es zu einer Verschleppung kommen könnte, weil sich in diesem Bereich CDU und CSU auf der einen Seite und FDP auf der anderen Seite nicht ganz einig sind. Wir hoffen, dass das schnell geklärt wird, damit die Justiz nicht alleingelassen wird. Sie haben eine entsprechende Unterstützung dringend nötig.

Eine elektronische Fußfessel kann als Ausweg statt einer Sicherungsverwahrung nicht dienen. Sie müsste, wenn man sie denn als geeignetes Instrument ansehen würde, Bestandteil des richterlichen Urteilspruches sein und kann nicht im Nachhinein als Maßnahme verhängt werden.

Um die Richter in ihrer Urteilsfindung zu unterstützen, muss jeder Sexualstraftäter von kompetenter Seite begutachtet werden. Es muss dem Gericht in jedem Fall eine Zukunftsprognose von einem Psychiater, Diplom-Psychologen oder von einem Psychotherapeuten vorliegen. Dies ist heute leider nicht die Regel, sondern eher eine seltene Ausnahme.

Die psychologischen, therapeutischen Maßnahmen müssen im Strafvollzug weiter verbessert werden. Auch nach der Haftentlassung muss es die Möglichkeit psychologischer Betreuung geben. Hier

(Barbara Ostmeier)

kann das Land Baden-Württemberg als Beispiel dienen. Mit finanzieller Unterstützung des dortigen Justizministeriums, teilweise finanziert aus Bußgeldern, gibt es dort ein recht erfolgreiches Netzwerk psychologischer Ambulanzen für die Nachbehandlung von Sexualstraftätern.

Für die Altstraftäter, die sich nicht unter Führungsaufsicht stellen lassen und sich auch nicht psychotherapeutisch behandeln lassen wollen, gibt es nur die Möglichkeit, sie zum Schutze der Bevölkerung polizeilich beobachten zu lassen. Bei allen denkbaren Maßnahmen, die heute schon genannt worden sind, muss man wissen: Eine hundertprozentige Sicherheit für die Bevölkerung kann und wird es leider nicht geben. Wir beantragen, dass der Bericht im Ausschuss weiter beraten wird.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Gerrit Koch das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich Herrn Justizminister Schmalfuß für seinen Bericht herzlich danken. Ich möchte mich auch für die bisherigen Redebeiträge bedanken, die allesamt kein Stammtischniveau haben, erstaunlicherweise selbst Ihrer nicht, Herr Kollege Fürter. Dafür danke ich aber auch recht herzlich.

(Beifall bei der FDP)

So viel als Seitenhieb. Ansonsten werden Sie feststellen: Wir haben viele Gemeinsamkeiten. Das Thema Sicherungsverwahrung ist in nachvollziehbarer Weise ein sehr sensibles. Nicht ohne Grund wurde als Maßregel der Besserung und Sicherung die Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch vorgesehen. Die Unterbringung soll die Allgemeinheit gegen das sogenannte Hangverbrechertum schützen - und das, obwohl die eigentliche Haftstrafe vom Täter schon verbüßt wurde.

Angesichts der Schwere von Straftaten, die zur Verhängung einer Sicherungsverwahrung führen können, ist deshalb auch die Besorgnis in der Bevölkerung nachvollziehbar, die mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom Dezember 2009 entstand. Unsicherheit ist spürbar, wenn die Täter - mögen es zahlenmäßig auch wenige sein - in die unkontrollierte Freiheit entlassen werden müssen. Eine zeitnahe Klarstellung der

nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung ist daher geboten und wird von CDU und FDP sowohl im Bund als auch im Land gefordert.

Schon im Koalitionsvertrag auf Bundesebene wurde deshalb die Neufassung der Sicherungsverwahrung vereinbart. Am 24. Juni 2010 legte die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger dazu im Kabinett ein Eckpunktepapier vor. So schlägt sie unter anderem vor, die Sicherungsverwahrung auf Schwerverbrecher wie Sexual- und Gewalttäter zu beschränken. Die von Rot-Grün eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung, mit der sich auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil befasste, soll dagegen nur noch in absoluten Ausnahmefällen angeordnet werden.

Nach der Idee der Bundesjustizministerin soll es die Sicherungsverwahrung künftig nur noch dann geben, wenn sie, zumindest unter Vorbehalt, bereits im Urteil vorgesehen war. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung will Leutheusser-Schnarrenberger ausbauen. Dabei könnten sich die Richter die eigene Entscheidung über eine Sicherungsverwahrung offenhalten und müssen sie nicht bereits im Urteil treffen.

Auf der Konferenz der Justizminister wurde auch die elektronische Aufenthaltsüberwachung in die Diskussion gebracht. Der Begriff „elektronische Fußfessel“ wird dabei auch von der heutigen Antragstellerin verwendet. Meiner Ansicht nach ist es durchaus angebracht, über solche modernen Arten der Maßregelung nachzudenken und zu diskutieren. Dabei mag der Begriff „Fußfessel“ zunächst verwirren. Die betroffenen Straftäter werden eben gerade nicht gefesselt. Im Gegensatz zur geschlossenen Unterbringung in eine Anstalt gewährt die Fußfessel dem Täter die Möglichkeit, einem Leben relativer Freiheit, in verschiedenen Abstufungen, nachzugehen.

Der Eingriff in das höchste Gut des Menschen, nämlich in seine persönliche Freiheit, wird auf ein sehr geringes Maß zurückgeführt. Dennoch könnte die Fußfessel zum Beispiel gewährleisten, dass der Straftäter bestimmte Lokalitäten nicht unbemerkt aufsuchen oder auch eine gewisse Umgebung nicht verlassen kann. Zugleich könnte diese Art der Überwachung ein weiterer Schritt zur Resozialisierung der Täter sein. Ausgestattet mit einer solchen Apparatur werden soziale Kontakte außerhalb geschlossener Einrichtungen möglich. Auch die Aufnahme einer regulären Arbeit wäre denkbar. Ich möchte diese Art der elektronischen Aufenthalts

(Andreas Beran)

überwachung deshalb nicht von vornherein verteufeln.

Es ist natürlich noch eine eingehende Prüfung der technischen Möglichkeiten geboten. Soweit mir bekannt ist, gibt es ein derartiges System in Europa bislang nur in Frankreich und England. In Hessen läuft dazu ein Pilotprojekt. Österreich befindet sich auf dem Weg zur Einführung. Gewisse Mängel hängen dem System noch an. So konnte beispielsweise in Frankreich vor kurzem ein Täter trotz Fußfessel in die Nachbarwohnung einbrechen, weil sie noch im Bereich der elektronischen Erfassung lag. Er wurde aber trotzdem gefasst. Darüber hinaus ist noch eingehend zu diskutieren, für welche Straftäter solche Systeme überhaupt infrage kommen, ohne die Allgemeinheit einer speziellen Gefährdung auszusetzen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich alle Beteiligten der Brisanz des Themas bewusst sind und einen konstruktiven Austausch darüber führen. Ich danke auch den Grünen, aufgrund deren Antrag unserem Justizminister die Gelegenheit gegeben wurde, die unmittelbaren Auswirkungen der europäischen Rechtssprechung und den Diskussionsstand wiederzugeben, vor allem aber auch klarzumachen, wie ernst die Landesregierung das Thema nimmt.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Frau Abgeordneten Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Grunde genommen geht es bei dem Straßburger Urteil darum, ob ein Europäischer Gerichtshof nationales deutsches Recht aufheben kann. Das Urteil war aber auch eine generelle Kritik am deutschen Prinzip der unbegrenzten Sicherungsverwahrung, die am Ende auch darauf hinauslaufen kann, dass ein Verurteilter bis zu seinem Tod im Gefängnis bleibt.

Was nach deutscher Rechtsauffassung dem präventiven Schutz der Gesellschaft dient, haben die europäischen Richter als die härteste Maßnahme bezeichnet, die man anwenden kann. Gleichzeitig bemängelten sie, dass Deutschland derzeit keine ausreichende psychologische Betreuung für solche Häftlinge biete. Nicht die Sicherungsverwahrung an sich war für die EU-Richter das Problem, sondern

die in Deutschland hausgemachte Umsetzung, meine Damen und Herren.

Ganz nebenbei war der Spruch auch noch eine Urteilskritik, denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte war vor allem der Ansicht, dass die deutsche Justiz die Gefährlichkeit des Klägers für den Fall seiner Freilassung nicht ausreichend begründet hat.

Wenn wir uns anschauen, wie das Gesetz entstanden ist, nach dem in Deutschland Straftäter in Sicherheitsverwahrung genommen werden können, verstehen wir, warum der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte solche Kritik äußert. Am 1. Januar 1934 setzten die Nationalsozialisten das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher über Maßregeln der Sicherung und Besserung, besser bekannt als Gewohnheitsverbrechergesetz, in Kraft. Dieses Gesetz begründete, da nach der Befreiung kaum modifiziert in bundesdeutsches Recht übernommen, die Zweispurigkeit des deutschen Strafrechtes und ist bis heute für die Grundlage der Sicherungsverwahrung in Deutschland verantwortlich.

Wir sollten uns einmal klarmachen, was passiert, wenn heute ein Gericht im Nachhinein erkennt, dass ein Straftäter gefährlich ist. Da ist dann jemand durch die Maßnahmen des Strafvollzuges erst gefährlich geworden. Die Ausbildung für eine Karriere als Schwerverbrecher - das wird heute kaum noch bestritten - erfolgt in aller Regel in den Strafanstalten.

In einem modernen Recht ist nicht nur die Sicherungsverwahrung ein Anachronismus, auch die elektronische Fußfessel, über die hier auch diskutiert wurde, deren Sinnhaftigkeit von einigen bezweifelt wurde, von anderen gut befunden, zur totalen Überwachung eines verurteilten Straftäters ist für die LINKE unvereinbar mit dem Schutz der Menschenwürde.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht hier vielmehr darum, die Ursachen kriminellen Verhaltens zu bekämpfen und ähnlich dem Strafvollzug das System der Bewährungshilfe auf ihre eigene gesetzliche Aufgabe auszurichten, nämlich die Resozialisierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Was unseres Erachtens geschehen muss, bis dieses Ziel erreicht ist, ist Folgendes: erstens eine möglichst große Sicherheit der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern; zweitens die Sicherstellung der Menschenrechte bei diesen Straftätern.

(Gerrit Koch)

Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es nach unserer Ansicht einer besseren Abgrenzung der Sicherheitsverwahrung gegen den normalen Strafvollzug. So kann es bei gesteigerter Sicherheit nach außen künftig mehr dringend benötigte Freiräume nach innen geben. Weiterhin sollten auch die ewig Gestrigen langsam aufhören, den Strafvollzug als Rache oder als Wegsperren zum Schutz der Bevölkerung zu betrachten.

Strafvollzug hat in der Hauptsache die Aufgabe der Resozialisierung. Therapeutische Angebote, sozialpädagogische Maßnahmen und Anleitung von verurteilten Straftätern zu eigenverantwortlichem Handeln in Übereinstimmung mit den Regeln der Gemeinschaft bringen mehr als immer härtere Strafen, die aus Klein- und Gelegenheitskriminellen erst wirkliche Straftäter machen.

(Beifall bei der LINKEN)

In Verbindung mit wesentlich verbesserten Therapieangeboten für Straftäter sowohl im Normal- als auch im Maßregelvollzug als auch nach der Entlassung ist dies ein Weg, der das Problem so lange lösen könnte, bis wir endlich dahin kommen, dass Strafvollzug das ist, was er eigentlich sein soll: Ein Angebot an die Straftäter, nicht mehr straffällig zu werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Fürter, herzlichen Dank für den Berichtsantrag, und Ihnen herzlichen Dank für den Bericht.

Zur Sicherungsverwahrung kannte ich die Diskussion sonst immer etwas anders. Denn nach dem Bekanntwerden eines schlimmen Verbrechens haben wir immer wieder den Dreiklang von öffentlicher Betroffenheit, Unsicherheit und dem Ruf der Scharfmacher nach härteren Strafen erlebt. Während Betroffenheit und Unsicherheit bald schon durch andere Neuigkeiten überlagert werden, ist die Spirale der Strafverschärfungsforderungen nachhaltig und gefährlich.

Genau hier ist die Forderung nach nachträglicher Sicherungsverwahrung einzuordnen. Sie soll zwar Stimmungen beruhigen, die Politiker und Medien vorher selbst geschürt haben, aber in der Sache

bringt sie lediglich eine Scheinsicherheit. Absolute Sicherheit gibt es nämlich nicht. Wer dies den Leuten vorgaukelt, auch mithilfe der nachträglichen Sicherungsverwahrung, schafft selbst immer neue Sicherheitsbedürfnisse.

Darum spricht sich der SSW dafür aus, die nachträgliche Sicherungsverwahrung abzuschaffen. Abgesehen von der fatalen Wirkung auf das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger hat sie als Instrument unter Beachtung aller rechtlichen Rahmenbedingung keinen sinnvollen Anwendungsbereich. Denn Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung eine Tat begehen, kommen in die Forensik, nicht in die Sicherungsverwahrung. Wir reden aber - und genau darüber urteilte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im letzten Jahr - über voll schuldfähige Menschen. Bei diesem Personenkreis kann sich das Gericht, das die Haftstrafe verhängt, bereits in seinem Urteil die Sicherungsverwahrung vorbehalten, falls die Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt des Urteils nicht zweifelsfrei festzustellen ist. Das ist richtig und gut so.

Die Sicherungsverwahrung ist im deutschen Strafrecht eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung. Sie soll dazu dienen, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Im Gegensatz zu der normalen Strafhaft knüpft die Sicherungsverwahrung jedoch einzig an die Gefährlichkeit des Straftäters für die Allgemeinheit an. Diese Gefährlichkeit muss im Wege einer Prognose festgestellt werden und sich zuvor auch in einer besonders schweren Straftat geäußert haben. Ich lege sehr viel Wert darauf, dass das Gericht, das die Tat beurteilt, auch die Möglichkeit hat, über die Sicherungsverwahrung zu entscheiden.

Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung bedeutet auch, dass immer erst ein Gericht nachträglich über ein, sage ich mal, Verhalten im Strafvollzug entscheidet. Das kann es ja eigentlich nicht sein. Es wird nämlich die Freiheit entzogen, und zwar einzig zum Schutz der Allgemeinheit vor diesem Menschen. Deshalb müssen wir hier auch sehr, sehr hohe Anforderungen stellen, bevor so entschieden wird. Dieses nachträglich anzuordnen, bedeutet keine Klarheit, weder für den Täter noch für die Gesellschaft. Auch die Möglichkeit der Resozialisierung geht verloren, wenn der Täter nicht weiß, wie lange er einsitzen wird und was noch weiter passieren kann. Das ist gerade das Problem bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung.

Was soll dann die elektronische Fußfessel? Schuldfähigen Tätern eine Fußfessel anzulegen, er

(Antje Jansen)