direkter Demokratie im Parlamentarismus oder wollen wir eine reine repräsentative Demokratie? Ich kann Ihnen sagen, wie es superbillig geht: Man wählt nur einen Ministerpräsidenten. Das ist ja auch eine Form von repräsentativer Demokratie. Dann könnten wir ihn ja auch gleich lebenslänglich wählen. Das ist dann die billigste Form der direkten Demokratie. Aber das wollen wir sicherlich alle nicht.
Wir wollen - das gibt die Verfassung vor - eine Kontrolle und eine Kritik der Regierung. Ob wir kontrollieren können, wissen wir nicht, aber kritisieren können wir hier eine Menge. In dem Sinne müssen wir auch einmal andere Modelle andenken. Von daher stimmt die Linke der Verweisung in den Ausschuss zu. Eine Fachdiskussion darüber, ob große Lösung oder kleine Lösung, sollten wir besser im Ausschuss führen und nicht hier.
Vom Prinzip her möchten wir aber, dass unser Wahlspruch „So viel direkte Demokratie wie möglich und so viel repräsentative Demokratie wie nötig“ umgesetzt wird. Mit welchem Wahlverfahren und mit welchem Auszählverfahren, darüber sollten wir in einer Fachdiskussion entscheiden. Das sollten wir von der Politik freistellen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist, wie der Kollege Kubicki und die anderen Vorredner bereits ausgeführt haben, nicht das erste Mal, dass sich der Landtag mit den Problemen des Landeswahlgesetzes auseinandersetzt. Aber es ist das erste Mal, dass die Konsequenzen so klar in diesem Parlament zu sehen sind. Die Rechenbeispiele hatte der Kollege Kubicki damals immer sehr lebhaft vorgetragen. Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich weise darauf hin, dass wirklich das eingetreten ist, was er prophezeit hat, nämlich dass, wenn eine Partei viele Wahlkreise direkt gewinnt, es nicht nur zu einer Vergrößerung des Landtags, sondern auch zu einer Verzerrung des Wahlergebnisses kommt.
Nach der Landtagswahl am 27. September 2009 haben die CDU und die FDP gemeinsam eine Mehrheit von drei Mandaten im Landtag, obwohl sie nur 46,4 % der Zweitstimmen beziehungsweise 49 % der hier im Parlament vertretenen Zweitstimmen
Wir hätten auf dieses Bild gut verzichten können, denn die Konsequenz ist, dass das Vertrauen vieler Wählerinnen und Wähler in das Wahlrecht und in die demokratische Legitimation von Landtag und Landesregierung zerrüttet ist. Viele fragen sich nun verständlicherweise, ob es rechtens sein kann, dass man mit einer Minderheit der abgegebenen Stimmen eine Regierungsmehrheit bekommen kann. Im Moment hängt es von der eigenen parteipolitischen Präferenz der Menschen ab, ob sie dem Wahlrecht vertrauen oder nicht, und das kann eigentlich nicht sein.
Der SSW hat bereits 2004 und 2008 gemeinsam mit den Grünen und der FDP darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der Wahlkreise und die daraus folgende höhere Wahrscheinlichkeit von Überhangmandaten Probleme bereiten werden. Gewinnt, wie hier geschehen, eine Partei viele Wahlkreise direkt, dann wird immer eine Reihe von Ausgleichsmechanismen gestartet werden, damit die Mandatsverteilung im Landtag die Wählerstimmen widerspiegelt, also die Zweitstimmen.
Nein. - Diese Verteilungsregeln können immer nur eine Annäherung darstellen, da nur ganze Landtagsmandate vergeben werden, während die Wahlergebnisse in der Regel mit Kommastellen ausgewiesen werden.
Durch die Wahl der Mechanismen kann das Parlament aber dazu beitragen, dass das Zweitstimmenergebnis besser oder schlechter abgebildet und damit die Unschärfe des Proportionalverfahrens reduziert wird. Sowohl die CDU als auch die SPD sind über diese Kritik hinweg gestiegen, weil dieses Wahlsystem abwechselnd einer der großen Parteien Vorteile bietet. Sie haben die Warnungen ignoriert und insbesondere die schiefe Mandatsverteilung in Kauf genommen, die jetzt eingetreten ist.
Dabei ist das Problembewusstsein - menschlich verständlich - jeweils auf der Seite weniger ausgeprägt, die gerade davon profitiert. 2009 ist es die CDU/FDP-Koalition, die wenig Engagement entwickelt. Im Koalitionsvertrag ist zwar das Thema behandelt, aber es gibt nichts Konkretes.
- Sie haben gerade ausgeführt, wie Sie gedenken, es zu regeln, aber so steht es nicht im Koalitionsvertrag. - Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass CDU und FDP zeitnah das Landeswahlrecht mit der Zielsetzung überarbeiten wollen, eine Überschreitung der in der Landesverfassung vorgesehenen Landtagsmandate zu vermeiden.
Diese Formulierung ist nicht nur vage, sie reduziert das Problem nach unserer Ansicht auch auf die Größe des Landtags und bezieht keine Stellung zur mehrheitsverzerrenden Wirkung. Damit gibt es keine Garantie dafür, dass die Probleme mit den Überhang- und Ausgleichsmandaten dauerhaft politisch gelöst werden.
Insofern begrüßen wir den Gesetzentwurf der Grünen ausdrücklich, der mit der Reduzierung der Wahlkreise von 40 auf 30 und der Ablösung des d’hondtschen Höchstzählverfahrens nicht nur das Anwachsen des Landtags verhindern würde, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer Verzerrung reduziert.
Entscheidend ist aber, dass mit der Streichung des § 3 Abs. 5 des Landeswahlgesetzes der Kern des Problems ebenfalls angegangen wird. In dieser Vorschrift ist eine Begrenzung der Ausgleichsmandate vorgesehen; der Kollege Kubicki hat das bereits eben sehr schön ausgeführt. Denn wenn diese Direktmandate nicht vollständig ausgeglichen werden, dann wird der Wählerwille beziehungsweise das Zweitstimmenergebnis durch diese Einschränkung im Rahmen der Sitzverteilung im Landtag nicht richtig wiedergegeben. Die Folge ist, dass Parteien mit einer Minderheit der Zweitstimmen eine Mehrheit der Mandate im Parlament erhalten können oder - anders formuliert - dass die Wählerstimmen nicht gleich viel wert sind. Nach dem jetzigen Wahlergebnis waren deshalb für ein Mandat der CDU nur 14.811 Stimmen erforderlich, während für ein SSW-Mandat 17.359 Stimmen nötig waren. Von einem gleichen Erfolgswert der Stimmen und damit von einer Gleichheit der Wahl kann daher nicht die Rede sein,
zumindest nicht solange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, diesen Effekt durch andere Verteilungsverfahren zu minimieren.
Alle Mandate sind gleich viel Wert. Deshalb dürfen Direktmandate nicht bevorzugt behandelt werden. Das hat nichts damit zu tun, dass wir die demokratische Legitimation der Direktmandate in irgendeiner Form in Zweifel ziehen, wie es uns der CDU-Fraktionsvorsitzende unterstellt hat. Aber die Zahl der Überhangmandate darf nicht dazu führen, dass die Wahl der Bevölkerung durch den Erfolgswert verzerrt wird.
Diese Verzerrung ist aber nach der Landtagswahl 2009 so gravierend, dass Mitte Oktober verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Landeswahlgesetz geäußert wurden. Während die Landesverfassung vorschreibt, dass Überhangmandate durch Ausgleichsmandate ausgeglichen werden, lässt § 3 Abs. 5 Satz 3 des Wahlgesetzes zu, dass dieser Ausgleich nur in begrenztem Umfang vorgenommen wird. Eben dies hat die Landeswahlleiterin auch getan. Deshalb möchte ich noch einmal Folgendes unterstreichen: Das Problem ist nicht in erster Linie, wie die Landeswahlleiterin und der Landeswahlausschuss entschieden haben - das war und ist durch das Wahlgesetz gedeckt -, sondern das Problem ist die gesetzliche Norm selbst, die angewendet wurde.
Durch die Frage der Verfassungsgemäßheit hat diese Diskussion eine neue Qualität bekommen. Es geht nicht mehr nur darum, ob die eine oder andere Seite mehr profitiert und ob das Gesetz besser gestaltet werden kann, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden. Es geht jetzt darum, ob das Wahlgesetz überhaupt so aussehen darf. Wir können nicht mit verfassungsrechtlichen Zweifeln am demokratischen Wahlsystem in Schleswig-Holstein leben. Wenn diese Frage nicht schnell geklärt wird, kann das Vertrauen in die demokratische Legitimation von Parlament und Regierung dauerhaft Schaden nehmen.
Es ist die Pflicht aller Parteien, eine solche fatale Entwicklung im Keim zu ersticken. Deshalb haben die Grünen und der SSW das Landesverfassungsgericht im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens um eine Klärung gebeten. Weder das Parlament noch die Regierung können fünf Jahre lang mit dem Vorwurf leben, dass Schleswig-Holstein mit einer verfassungswidrigen Mehrheit regiert wird. Leider gibt es jetzt keinen anderen Weg mehr als den juristischen.
eine politische Block oder ein anderer die Macht bekommt. Es gibt auch - egal wie die Mandatsverteilung vorgenommen wird - keine politische Mehrheit für eine SPD-geführte Landesregierung. Deshalb muss diese Situation vor allem genutzt werden, um ein für alle Mal die Ungerechtigkeiten im Wahlrecht auszuräumen, die bei kommenden Wahlen zu weit größeren Spannungen und Ungerechtigkeiten führen können.
Hinzu kommt, dass sich die politische Landschaft in Deutschland im Wandel befindet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Landtag auch in Zukunft mehrere kleine und mittelgroße Parteien vertreten sind. Dies verschärft zusätzlich das grundsätzliche Problem, das durch die Begrenzung der Ausgleichsmandate entsteht. Es muss also gehandelt werden. Wir sind sicher, dass das Landesverfassungsgericht dem Landtag dabei auf die Sprünge helfen wird. Angesichts des Vertrauensverlustes, den diese Wahl mit sich gebracht hat, wäre es aber angebracht, dass das gesamte Parlament - auch ohne Nachhilfe vom Gericht - deutlich erklärt: Die möglichst genaue Umsetzung des Wählerwillens ist wichtiger als der kurzfristige parteipolitische Gewinn durch ein unscharfes Wahlgesetz.
Ich freue mich auf die Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss; es sind hier ja noch weitere Aspekte zum Landeswahlgesetz erörtert worden. Auch die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens sollten wir im Ausschuss besprechen. Außerdem ist sicherlich auch die Frage der Größe der Wahlkreise zu diskutieren. Ich kann dem Kollegen Eichstädt nur Recht geben, dass dabei auch die Repräsentation der verschiedenen Regionen hier im Landtag zu berücksichtigen ist.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern musste ich noch fragen, ob es üblich ist, Zwischenfragen zu stellen. Ich hätte besser fragen sollen, ob es üblich ist, keine Zwischenfragen zu stellen und stattdessen immer dazwischenzurufen.
Eigentlich wollten wir diese Debatte schon bei der konstituierenden Sitzung führen. Im Nachhinein freue ich mich aber, dass es nicht dazu gekommen ist, denn diese Debatte war kein Glanzstück der parlamentarischen Demokratie. Es hat mich gewundert, mit welcher Rückwärtsgewandtheit und mit welchem Eigennutz diese Debatte geführt wurde. Deswegen möchte ich noch einmal klarstellen, warum wir alle ein Interesse daran haben, eine einvernehmliche Lösung für dieses Problem zu finden.
Es gibt einen strukturellen Wandel der Demokratie. Die Großen werden kleiner. Das kann man bedauern oder sich darüber freuen – es ist jedenfalls ein Fakt. Das liegt nicht zwingend daran, dass Parteien gut oder schlecht sind, sondern daran, dass die Gesellschaft sich wandelt. Die Interessen differenzieren sich aus, und die Leute stimmen nicht mehr nach Sozialmilieus ab; möglicherweise erodieren die Sozialmilieus. Herr Eichstädt hat gesagt, dass das Selbstverständnis des Parlaments Leitlinie unseres Handelns sein sollte. Wenn das Parlament aber Spiegel der Gesellschaft ist, ist es auch aufgefordert, den Umbruch in der Gesellschaft in den Gesetzen darzustellen. Das ist die Aufgabe.
Faktisch läuft das auf zwei Möglichkeiten hinaus. Es wurde dazwischengerufen, dass es die Möglichkeit eines Mehrheitswahlrechts gibt. Man kann aber auch ein Verhältniswahlrecht einführen. Ich bekenne mich zu der jetzigen Mischform, und halte sie für eine Stärke der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Aber man muss sie ganz unemotional neu austarieren. Wir haben dazu einen schriftlichen Vorschlag gemacht. Wenn es andere Vorschläge gibt, sollten sie schriftlich eingebracht werden. Ich hoffe, dass wir bei der nächsten Lesung kein solches Kaspertheater wie in dieser Stunde haben werden.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt beim SSW und des Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE])
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da das Parlament debattieren soll, gehören Zwischenrufe - so die ständige Praxis des Deutschen
Herr Habeck, ich verwahre mich gegen Ihre Anmaßung, dass nur das, was die Grünen denken, richtig und gesellschaftlich akzeptiert und alles andere rückwärtsgewandt sei.