Protokoll der Sitzung vom 19.11.2010

Wie ist es eigentlich zu rechtfertigen, dass wir demokratisch gewählten Gemeindevertretern und Stadtvertretern, die über die Dinge betreffend ihre Gemeinschaft selbst zu entscheiden haben, weiterhin bei allen Dingen Denkvorgaben machen? Freiheit heißt, nicht unnötig zu gängeln. Wer unsere Haltung kritisiert, darf sich das nicht so einfach machen.

Lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner zu?

Sehr geehrter Herr Kollege Kalinka, können Sie mir erklären, weshalb Sie es für eine Entlastung der Kommunen halten, wenn wir diese Bestimmungen streichen? Wie kommt das mit dem zusammen, was Sie am Anfang gesagt haben, nämlich dass es gar nicht darum gehe, die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen einzuschränken? Eine Entlastung ist es doch nur, wenn das weniger wird. Vielleicht verstehe ich aber auch von der Logik her nicht, was Sie uns sagen wollen.

- Ich glaube, einen kleinen Punkt haben Sie übersprungen. Wenn wir es den Kommunen freistellen, muss jede Kommune in eigener finanzieller Verantwortung entscheiden, ob sie das will oder ob sie das nicht will. Es kann zum Beispiel sein, dass sich eine Kommune mit 9.500 Einwohnern dafür entscheidet. Dagegen ist nichts einzuwenden. Bei Haushaltsentscheidungen - Stichwort Lübeck - wird dies sicherlich eine Rolle spielen. Insoweit ist das eine ganz klare Logik.

Herr Abgeordneter Kalinka, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Habeck zu?

Gleichfalls sehr gern.

Herr Abgeordneter Kalinka, würden Sie mir zustimmen, dass Ihre Logik zur Folge hätte, dass die Kommunen die Gleichstellungsbeauftragten abschaffen müssten, um sich zu entlasten?

- Nein. Wenn zum Beispiel eine Kommune gut gewirtschaftet hat und es sich finanziell leisten kann, dann ist das doch ihre Entscheidung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir wollen nicht die verpflichtende Aufgabenwahrnehmung für Kommunen, wenn sie die finanziellen Möglichkeiten nicht als gegeben ansehen. Das ist der Kernpunkt der Auseinandersetzung.

(Beifall bei CDU und FDP)

(Werner Kalinka)

Herr Abgeordneter Kalinka, lassen Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Habeck zu?

Herr Kalinka, habe ich Sie richtig verstanden, dass sich nur die Kommunen Gleichstellung leisten können, die „well-off“ sind?

- Herr Kollege, was heißt politisch „well-off“?

Das heißt, Kommunen, die gut bei Kasse sind und gut gewirtschaftet haben, können sich Gerechtigkeit und Gleichstellung leisten. Andere Kommunen können sich das nicht leisten.

- Nein. Herr Kollege Habeck, es ist schön, dass Sie das fragen. So kann ich Ihnen das noch einmal erläutern.

Wenn eine Kommune zum Beispiel sagt, dass sie in anderen Bereichen abbauen möchte, weil ihr dies so wichtig ist, dann nimmt sie mit dieser Entscheidung eine Gewichtung im eigenen Haushalt vor. So einfach ist das.

(Beifall bei CDU und FDP)

Herr Kollege Habeck, ich möchte auch Sie um etwas bitten. Sie haben die Schuldenbremse mit beschlossen. Deshalb reite ich nicht alleine auf der Schuldenbremse herum. Ihre Fraktion hat seriöse Ansatzpunkte zur Gegenfinanzierung und zum Teil gute Vorschläge vorgelegt. Dann müssen Sie aber auch dazu bereit sein, diese Frage konkret abzuwägen. Das vermisse ich jedoch.

(Zuruf)

- Beim Wahlgesetz sind wir doch auf einem guten Wege. Beim Wahlgesetz hat sich doch gezeigt, dass es sinnvoll ist, die Dinge in Ruhe und mit Sorgfalt abzuwägen und dann zu einem vernünftigen Weg zu gelangen. Wo ist also das Problem?

(Beifall bei der CDU)

Es entspricht doch auch Ihrem Verständnis, dass jede Kommune selbst über ihre Prioritätensetzung bei diesen Fragen bestimmt.

Meine Damen und Herren, es ist doch völlig falsch, uns den Vorwurf zu machen, wir seien kinder- und jugendunfreundlich. Wer am Mittwoch miterlebt hat, wie wir nach intensiver Diskussion die Kinder

rechte in der Verfassung verankert haben, der weiß, dass wir ganz klar Position dazu bezogen haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Es geht nicht darum, dass wir nur etwas bekunden. Vielmehr haben wir auch in diesem Fall gezeigt, dass wir die Gesichtspunkte sorgfältig abgewogen haben. Unsere Fraktion hat dies gern und mit großem Engagement unterstützt. Das möchte ich an dieser Stelle besonders hervorheben. Deswegen müssen wir uns überhaupt nicht dafür rechtfertigen, dass wir die Menschen vor Ort selbst entscheiden lassen wollen. Im Gegenteil, Sie müssen sich rechtfertigen, warum Sie zentrale Vorgaben machen wollen, wo die freiheitliche Gestaltung vor Ort besser angebracht wäre.

Meine Damen und Herren, es wird keinem Kind und keinem Jugendlichen in diesem Land schlechter gehen, wenn die Kommunalpolitiker in Zukunft selbst entscheiden, wie sie in diesen Fragen für ihre Kinder vor Ort disponieren wollen.

Ich danke Ihnen sehr für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass die Argumente ein Stück weit bei Ihnen angekommen sind.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Kirstin Funke das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge der Opposition mit der Aufforderung zum Erhalt der hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten und der kommunalen Jugendbeteiligung weisen lediglich auf ihre derzeitige inhaltliche Positionierung zur Reform der Kommunalverfassung hin. Dies ist aber zurzeit noch Zukunftsmusik. Nichts, was hier mit den Anträgen gefordert wird, entspricht einer aktuellen Antragslage, weder seitens der Regierung noch seitens einer der Fraktionen im Parlament. Von daher müssen Sie sich hier schon einmal fragen lassen, was Sie eigentlich mit Ihren Anträgen bezwecken.

Sehr geehrte Damen und Herren, wenn Sie auf das Eckpunktepapier des Innenministeriums anspielen, so ist dies nach Aussage des Innenministeriums eine Sammlung von Vorschlägen, die derzeit ohnehin in der kommunalen Familie besprochen werden.

(Zuruf von der SPD: Niemand hat die Ab- sicht, eine Mauer zu bauen!)

Die FDP-Fraktion hat die vielfältigen Vorschläge zur Kenntnis genommen, und wir werden sie in aller Ruhe innerhalb der Regierungskoalition beraten.

Insbesondere der gedankliche Vorstoß, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gemäß § 47 f Gemeindeordnung möglicherweise zu streichen, führte zu einigem Aufsehen, wie auch hier zu sehen war. Ich will es ganz klarstellen: Aus unserer Sicht besteht in diesem Bereich überhaupt kein Handlungsbedarf. Wir stehen zu den Beteiligungsrechten und halten die Teilhabemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen für wichtig. Unsere Programmatik ist da bekannt.

Vielmehr könnten wir uns vorstellen - ich füge das an, weil das Innenministerium die offene Diskussion angestoßen hat -, einen neuen § 47 g in die Gemeindeordnung aufzunehmen, in dem eine angemessene Beteiligung von Menschen mit Behinderung bei gemeindlichen Planungen und Vorhaben sichergestellt wird.

(Beifall bei SPD und SSW)

Sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, zu Ihrer Forderung, eine kommunale hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte bei einer abgesenkten Einwohnerzahl pro Verwaltungseinheit zu bestellen, möchte ich Ihnen mit folgenden Überlegungen für eine zukünftige Diskussion einer Kommunalverfassungsreform antworten.

Ein Absenken der Einwohnerzahlgrenze halten wir, die FDP-Fraktion, wie auch in der Vergangenheit nicht für nötig. Andere Bundesländer wie beispielsweise Niedersachsen kommen mit nur einer hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten im Landkreis, den kreisfreien Städten und großen Städten wie Göttingen oder Hannover aus. Diese Kommunen haben deutlich mehr Einwohner, als es in Schleswig-Holstein für hauptamtliche kommunale Gleichstellungsbeauftragte bedarf. Das Bestellen einer hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten ist dort jedoch den anderen Gemeinden durchaus freigestellt.

Genau das ist der Punkt: Wir als FDP-Fraktion haben nie die Stellung der Gleichstellungsbeauftragten infrage gestellt. Wir fordern jedoch gleichzeitig, und das schon seit Langem, die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Für uns als Fraktion heißt es zukünftig aber auch, dass nicht alles beim alten bleiben muss. Die Stellung und die Aufgabenbeschreibung einer Gleichstellungsbeauftragten

müssen überprüft und heutigen Gegebenheiten angepasst werden. Dabei ist uns bewusst - dies stellen wir auch nicht in Zweifel -, dass eine Gleichstellung von Mann und Frau in der Gesellschaft und im Arbeitsleben noch nicht erreicht ist. Somit besitzt das Thema immer noch Aktualität, und eine Gleichstellungsbeauftragte hat ihre Existenzberechtigung noch nicht eingebüßt.

Es geht mir bei der zukünftigen Diskussion auch darum, feststellen zu lassen, ob die derzeitige Gesetzesregelung mit ihrem Wortlaut noch der europäischen Anti-Diskriminierungsregelung entspricht. Denn der Gesetzeswortlaut spricht nach wie vor von einer ausschließlich weiblichen Gleichstellungsbeauftragten.

In diesem Zusammenhang sollte auch der Frage nachgegangen werden, ob die derzeitige ureigenste Aufgabe der Gleichstellungsbeauftragten, nämlich die Frauenförderung, in unserer sich wandelnden Gesellschaft noch zeitgemäß ist. Sollten wir nicht vielmehr die Tätigkeit der Gleichstellungsbeauftragten auf Grundlage des Diversity-Managements ausweiten? Dieser beinhaltet ebenfalls den Gleichstellungsansatz von Mann und Frau.

Darüber hinaus greift er in seinem ganzheitlichen Ansatz auch andere Gruppen auf, die einer Diskriminierung aufgrund äußerlicher oder anderer subjektiver Merkmale unterliegen könnten, beispielsweise aufgrund des Alters, einer Behinderung, sexueller Orientierung oder Religion. Dieser Ansatz hat nicht nur die einzelnen Gruppen im Fokus. Er will vielmehr eine produktive Gesamtatmosphäre erreichen, um soziale Diskriminierungen von einzelnen Gruppen zu verhindern und die Chancengleichheit zu verbessern. Dies wird in zahlreichen international agierenden Firmen bereits seit Längerem erfolgreich umgesetzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, anstatt jeden Punkt einzeln herauszugreifen, erscheint es uns sinnvoller, eine Debatte über die Gesamtreform der Kommunalverfassung zu führen. Eine Reform ist zwischen den Regierungsfraktionen im Koalitionsvertrag vereinbart. Wir schlagen daher vor, beide Anträge federführend an den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss zu verweisen.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Kirstin Funke)