Protokoll der Sitzung vom 19.11.2010

(Kirstin Funke)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Dr. Marret Bohn das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht für Gleichstellung, Bürgerrechte und Beteiligung. Bessere Chancen von Frauen sind zum großen Teil Erfolge grüner und rot-grüner Politik.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Schleswig-Holstein war das erste Bundesland, das mit Gisela Böhrk eine Frauenministerin hatte. Die Verankerung von Gleichstellungsbeauftragten in Schleswig-Holsteins Gemeindeordnung war und ist für uns auch weiterhin ein Meilenstein in der Geschichte der Gleichstellung.

Aber einigen Parteien waren die Gleichstellungsbeauftragten schon immer ein Dorn im Auge. Wir Grüne haben bei jedem Versuch, die Gleichstellungsbeauftragten abzuschaffen oder zu schwächen, dagegengehalten. Jetzt unternimmt das Innenministerium einen erneuten Versuch. Die Landesregierung will offenbar die Vorgaben zur verpflichtenden Bestellung von Gleichstellungsbeauftragten ändern. Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre und - das klang ja eben auch schon mal durch - der finanziellen Situation der Kommunen ist zu befürchten, dass die hauptamtliche kommunale Gleichstellungsarbeit zukünftig durch ehrenamtliche ersetzt wird oder sich völlig in Luft auflöst, wenn die finanzielle Situation, wie der Kollege das beschreibt, nicht ausreicht.

Gut funktionierende Netzwerke würden zerschlagen und Qualitätsstandards gesenkt. Der verfassungsrechtliche Auftrag der Gleichstellung und die Umsetzung der EU-Strategien des Gender Mainstreaming und Gender Budgeting wären nicht mehr gewährleistet. Ich sage Ihnen im Namen meiner Fraktion daher ganz klar: Das ist falsch, das ist kurzsichtig, und das lehnen wir Grüne ab!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Landesregierung geht aber noch weiter. Sie will auch die Kinder- und Jugendbeteiligung deutlich schwächen. Zur Erinnerung: SchleswigHolstein war mit seinem § 47 f der Gemeindeordnung und der Demokratiekampagne Vorreiter in diesem Bereich. Die verpflichtende Beteiligung von

Kindern und Jugendlichen in den Kommunen wurde bundesweit als Erfolg bewertet.

Und jetzt? Jetzt meinen Sie, dass das alles überflüssig geworden ist? - Auch das sehen wir Grünen ganz anders. Während dieser Landtagstagung - ich habe mich persönlich sehr darüber gefreut, dass es doch noch zu einem Kompromiss gekommen ist haben wir beschlossen, dass die Kinderrechte zukünftig in der Verfassung Schleswig-Holsteins verankert sein sollen. Heute wollen Sie die Kinderund Jugendbeteiligung einstampfen. Das passt doch nicht zusammen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom demografischen Wandel und von mehr Bürgerbeteiligung zu reden, nützt nichts. Sie müssen sich auch in unserem politischen Handeln wiederfinden.

Deswegen steht für mich eines ganz klar fest: Wir brauchen nicht weniger Bürgerbeteiligung, wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung, und das

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

um das auch einmal ganz klar zu sagen - nicht nur einmal im Jahr, wenn gerade „Jugend im Landtag“ ist.

Mitwirkung und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Entscheidungsprozessen sind das Fundament unserer Demokratie. Das gilt für alle politischen Ebenen. Wer Demokratie von klein auf lernt, selber ausprobiert und mitmachen darf, bleibt auch als Erwachsener aktiv. Wer in der Schule über Schulprofil, Projekte und Arbeitsgruppen entscheiden kann, bekommt Spaß an der Mitbestimmung. Wer Jugendliche fragt, welche Freizeitangebote sie sich vor Ort wünschen, erlebt Demokratie live und in Farbe. So entwickeln sich Kinder und Jugendliche zu mündigen, verantwortungsbewussten und aktiven Bürgerinnen und Bürgern. Je mehr junge Menschen wir erreichen und einbeziehen, desto besser.

Deswegen haben wir auch gemeinsam mit der SPD einen Antrag eingebracht, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Wir würden uns sehr freuen, wenn das bei der Überweisung an den Sozial- und den Innen- und Rechtsausschuss weiter diskutiert würde.

Schleswig-Holstein hat mit seiner Kinder- und Jugendbeteiligung Maßstäbe gesetzt. Dieses hohe Gut sollten wir nicht mit Füßen treten. Es wäre fatal, jetzt eine Rolle rückwärts zu machen. Dem ange

dachten Vorschlag - soweit ich weiß, war das auch in der letzten Legislaturperiode schon einmal Thema -, einen § 47 g für Menschen mit Behinderung einzuführen, stehen wir sehr offen gegenüber und würden das gern mit den Kolleginnen und Kollegen weiter diskutieren. Den jetzt vorliegenden Vorschlag des Innenministeriums lehnen wir klar ab.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Frau Abgeordneten Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorgestern wurde in diesem Haus das Gesetzgebungsverfahren für eine Änderung der Landesverfassung zur Stärkung von Kinderrechten auf den Weg gebracht. Kollegin Sassen hat den vorgestrigen Tag als einen „Tag für Kinder“ bezeichnet. Heute müssen wir uns hier mit dem Erhalt der verpflichtenden Beteiligung von Kindern und Jugendlichen bei Planungen und Vorhaben in den Kommunen befassen, wie sie die Gemeindeordnung vorsieht. Kaum zurück im Alltag, steht ein Ernstfall für die Kinderrechte auf der Tagesordnung. Wir brauchen eine stabile demokratische Gesellschaft, und dafür brauchen wir Menschen, die sich zuständig fühlen und sich einmischen können.

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Das muss aber gelernt werden, und zwar möglichst früh. Deshalb war es richtig, in der Gemeindeordnung verpflichtend festzuschreiben, Kinder und Jugendliche bei allen politischen Vorhaben zu beteiligen, damit sie lernen, Verantwortung zu tragen und Einfluss zu nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Alle Parteien beklagten, dass sie zu wenig junge Menschen haben, die sich in der Politik engagieren. Genau deshalb sind die Beteiligungsmöglichkeit, ihr Erhalt und ihre Förderung auch notwendig. Es ist auch notwendig, die eigenen Interessen bei der Entscheidung von Familien und Bildungspolitik bis hin zur Stadt- und Verkehrsplanung zu erkennen, zu artikulieren und sich selber einzubringen.

Nur wenn Kinder und Jugendliche lernen, Politik selbst zu gestalten, werden sie auch ernst genommen. In einer demokratischen Zivilgesellschaft ist

es nicht hinnehmbar, dass sich heute noch 15-Jährige zur Beteiligung so äußern: Die Erwachsenen wollen allein bestimmen, was das Beste für uns ist, aber das wissen nur wir selbst.

Schleswig-Holstein ist neben Hamburg das einzige Bundesland, das die Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche in seine Kommunalverfassung geschrieben hat. § 47 f der Gemeindeordnung verpflichtet die Kommunen, Beteiligungsprojekte durchzuführen. Das ist auch gut so. Obwohl es aber verpflichtend ist - Herr Kalinka, da unterscheiden wir uns sehr stark von Ihren Ausführungen, dass man es den Kommunen überlässt, wenn es verpflichtend ist -, nehmen nicht alle Kommunen diese gesetzliche Verpflichtung ernst. Ich weiß selbst aus der Kommunalpolitik, dass die Verwaltung Vorlagen erstellt, in denen eine Beteiligung von Kindern und Jugendlichen nicht stattgefunden hat, weil diese Personengruppe angeblich nicht betroffen sei. Es ist ausgesprochen schade, dass es Kommunen trotz dieser Verpflichtung nicht ernst nehmen, dies umzusetzen. Praktisch sieht es leider häufig so aus, dass das Beteiligungsverfahren mit Kindern und Jugendlichen zum Beispiel von Mitarbeitern - wenn ich es in meiner Kommune sehe - der zuständigen Bauverwaltung durchgeführt wird, die natürlich keine pädagogische Ausbildung haben. Das ist ein Problem der Umsetzung. Genau da müssen wir ansetzen. Das Land muss Verantwortung dafür übernehmen, dass die Kommunen gerade auch finanziell dafür gestärkt werden, das auch umzusetzen. Wer sollte denn gerade in der Bauverwaltung solche Projekte durchführen? Ich sehe auch, dass sich andere Kreise Mühe geben und Beteiligungsverfahren entwickeln. Das ist nicht immer einfach. Denn solche Projekte kosten Geld. Deshalb und weil sie die Kommunen finanziell entlasten wollen, wollen Sie dies als Kann-Bestimmung umwandeln.

Für die Kommunen, die dies heute noch nicht verpflichtend umsetzen, müsste es Sanktionen geben. Sie lassen die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen schleifen. Das Entscheidende ist nicht das Beteiligungsverfahren an sich. Denn dies läuft einfach von selbst. Vielmehr müssen Menschen koordiniert werden. Deshalb müssen Menschen, die das koordinieren, auch besonders geschult werden, und das Land muss in die Pflicht genommen werden, damit die Kommunen nicht allein auf den Kosten sitzen bleiben. Das Land muss - wenn sie es ernst nehmen - mehr Geld hineingeben.

(Beifall bei der LINKEN)

Was geschieht? Wird etwas gegen diese Probleme bei der Umsetzung unternommen? Werden Hilfe

(Dr. Marret Bohn)

stellungen für überforderte Kommunalverwaltungen entwickelt? - Nein, die Landesregierung will das Gesetz einfach aufweichen. So einfach machen Sie sich das. Statt § 47 f Gemeindeordnung durch die Umwandlung in eine Kann-Bestimmung vollständig der Willkür der Kommunalverwaltung zu überlassen und auf diesem Weg komplett zu verwässern, täte man besser daran, sich mehr Gedanken über die konkrete Umsetzung zu machen. Dazu müsste man den Kommunen, Gemeinden und Kreisen einen eindeutigen Gesetzestext und konkrete Ausführungsbestimmungen vorgeben.

Meine Damen und Herren von den beiden Regierungsfraktionen, stimmen Sie für den Erhalt der verpflichtenden Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, und kehren Sie nicht in Ihr vorgestriges Abstimmungsverhalten zurück! Wir brauchen die Jugendlichen, um in unserer demokratischen Gesellschaft Politik zu gestalten.

(Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Demokratie ist laut dem ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel „eine Institution, die den Zweifel, das Misstrauen und die Kritik organisiert. Das macht sie eigentlich auch so erfolgreich“.

Wer allerdings im Namen von Verwaltungsvereinfachung, Entbürokratisierung und Einsparungen Beteiligungsrechte verringert, der beschwört genau das Gegenteil herauf. Genau dies wurde auf den Regionalkonferenzen des Innenministeriums diskutiert. Es sollte in erster Linie um die Demokratisierung der Ämterstruktur gehen. Das Landesverfassungsgericht hatte entschieden, dass die Ämter und damit die Amtsordnung zu verändern sind. Die jetzige Amtsordnung ist ein Auslaufmodell, da die umfangreiche Aufgabenübertragung aus dem kommunalen Raum zu einer direkten Wahl zu den Amtsausschüssen führen muss.

Diese Gelegenheit der Diskussion wurde dann gleich genutzt, um weitere ungeliebte Themen aufzunehmen und abzuschaffen, also den Wünschen der CDU-Kommunalpolitiker endlich Raum zu geben. Es soll also gleichzeitig das ein oder andere

vermeintlich kommunalpolitische Strukturärgernis gleich mit beseitigt werden.

Voraussetzung wäre in den Augen des SSW aber auch hier, dass die neuen Strukturen demokratischer sind als die bestehenden. Das bedeutet für uns, mehr Handlungsspielräume für die Bürgerinnen und Bürger und nicht, durch Bürokratieabbau die Errungenschaften der Demokratie abzuschaffen.

Mehr Handlungsspielräume bedeutet, dass wir die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen wirklich ernst nehmen. Steife, praxisferne Versammlungen mögen zwar den Buchstaben nach der Forderung nach Beteiligung von Kindern und Jugendlichen Rechnung tragen, ein echtes Beteiligungsangebot sind sie aber nicht. Junge Menschen wollen direkt dort entscheiden, wo sie selbst betroffen sind, vielleicht bei der Gestaltung eines Spielplatzes oder dem Busfahrplan.

Das Beteiligungsprojekt „Mitwirkung“ zeigte in den drei Modellkommunen Kropp, Elmshorn und Flensburg, dass es so gehen kann. Es ist mit den Worten des Landesjugendrings sinnvoller, mehr Energie in die verbesserte Umsetzung zu investieren, statt hier einfach über die Abschaffung dieser Beteiligungsrechte zu diskutieren.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Hier wäre auch der Innenminister gefragt gewesen, Überzeugungsarbeit zu leisten. Dieser hat nämlich gerade bei dieser Diskussion keine Kinder und Jugendlichen eingebunden. Das zeigt deutlich, dass die Teilhabe aller an dieser Diskussion nicht stattfindet. Keine Teilhabe, keine Transparenz, und Demokratie wird zurückgeschraubt.

(Beifall bei SSW und der LINKEN sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu dem weiteren Antrag: Gleichstellungspolitik ist aus der Sicht des SSW inzwischen ein etabliertes Instrument, um Geschlechtergerechtigkeit auch im kommunalen Umfeld herbeizuführen. Davon profitieren Frauen und Männer. Diese Arbeit benötigt allerdings unbedingt ein professionelles Gerüst: Dies sind die hauptamtlichen Gleichstellungsbeauftragten.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Darum werden wir den vorliegenden Antrag unterstützen.