Protokoll der Sitzung vom 28.01.2011

Dass es Altersteilzeit gab, aber nie eine Elternteilzeit, habe ich nie verstanden.

Schließlich der Hauptpunkt unseres Berichtsantrags: Das extreme Auseinanderdriften von Hoffnungen und Mut, das die Shell-Studie und Ihr Bericht konstatieren, ist schichtenabhängig. Mit anderen Worten: Armut wird nicht nur materiell vererbt, sondern auch psychologisch.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE] und Anke Spoorendonk [SSW])

Auch in diesem Sinn ist Kinderarmut Elternarmut. Auch in diesem Sinn brauchen wir eine gerechtere Politik und keine, die grob verallgemeinert, wie wir gestern in den Reden zum Mittelstandsgesetz gehört haben und die Einkommens- und Vermögensungleichheit in Deutschland negiert. Deshalb sind Mindestlohn und Tarifbindung notwendig. Denn mit dem Wissen, dass man von seiner Hände Arbeit leben kann, wird nicht nur die materielle Basis für ein Leben geschaffen, sondern auch Würde und Stolz verliehen. Deshalb sollten Sie Ihren Widerstand gegen den Mindestlohn aufgeben, wenn schon nicht aus sozialer, dann aus konservativer Einsicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Wir müssen den Transferleistungsdschungel lichten, und zwar nach einem Leitsatz: Jugendpolitik muss vom Kind aus gedacht werden. Das heißt negativ: nicht von der Ehe, nicht von den Eltern, nicht vom Arbeitsamt aus. Das Kind im Mittelpunkt. Um es herum müssen die Förderinstrumente neu aufgestellt werden. Der beste Vorschlag - ich kenne zumindest aus Kaffeegesprächen auch Ideen der Regierungsbank, die in diese Richtung gehen; nur Mut! - ist eine Kindergrundsicherung, die alle Leistungen, Kindergeld, Ehegattensplitting, Freibeträge und so weiter, sammelt und deutlich höher ansetzt, dann aber voll der Steuer unterwirft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der LINKEN)

Sie folgt nämlich einem Grundsatz - das ist schließlich der dritte Leitsatz -: Gleichheit. Jedes Kind und jeder Jugendliche muss dem Staat gleich viel wert sein, buchstäblich, aber auch systematisch. Die Bildungskarte könnte ein Einstieg sein, wenn sie denn ehrlich genug berechnet worden wäre. Andererseits müssen wir aufpassen, dass sie nicht zu einer diskriminierenden Zuweisung wird.

Die Akzeptanz und der Erfolg von sozialen Maßnahmen werden möglich, wenn sie ohne Stigmatisierung wirken, „passgenau“ sagen wir Politiker dann gern dazu. Passgenauigkeit wird aber auch

(Dr. Robert Habeck)

schnell zu Entmündigung, genau dem Gegenteil dessen, was der Minister eben zu Recht gefordert hat. Deshalb - und das ist die Folgerung der Studie müssen wir die Maßnahmen der Jugendpolitik insgesamt und grundsätzlich stets überprüfen. Was wir tun müssen, um die Probleme anzugehen, ist, so zu werden, wie die Jugend bereits ist: pragmatisch und unangepasst. Das bedeutet auch, die Rolle der Landespolitik nicht angepasst hinzunehmen. Sicher, wir sind nur Schleswig-Holsteiner,

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Nur? - Christopher Vogt [FDP]: Nur? - Weitere Zu- rufe)

aber - Herr von Boetticher, um im Jargon zu bleiben - wie krass wäre es, wenn sich das Land und seine Politiker als Impulsgeber verstehen würden, auf den Weg machen würden, der Republik Denkanstöße und Konzepte geben würden, die die Republik verändern würden, junger und dynamischer machen würden, pragmatischer und unangepasster!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Wo wart ihr denn die gan- ze Zeit?)

Mit anderen Worten: Die Jugendlichen sind fitter als wir und auch fitter als Sie, Herr von Boetticher.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Ansichten, ihre Haltung und ihre Bedürfnisse sind weiter als die Politik, die wir derzeit umsetzen. Im Interesse der Jugendlichen müssen wir uns mit der Bereitschaft, alles infrage zu stellen, mit dem Anspruch, wirklich nachhaltig zu planen, und mit der Erkenntnis, dass die Jugendlichen nur eine Chance haben, wenn wir unseren jetzigen Lebensstil und die gewohnten Mechanismen, die dazu geführt haben, infrage stellen, auf den Weg machen und auch unsere Politik ändern, statt uns selbst zu beweihräuchern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Mark-Oliver Potzahr das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Jugendliche auf der Zuschauertribüne! Über Ihre Generation reden wir heute.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Und an den Fern- sehschirmen!)

- Und an den Fernsehschirmen! - Lassen Sie mich zuerst einmal Dank an das Ministerium und an Sie, Herr Dr. Garg, für Ihren Bericht, und an das Team um Professor Hurrelmann für die Erstellung der 16. Shell Jugendstudie 2010 und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, die sehr zeitnah mit dem Berichtsantrag auf das Erscheinen der Shell-Studie reagiert haben, sagen. Da Sie nicht immer so positiv auf Initiativen der Mineralölindustrie reagieren, hoffe ich, mit diesem Lob eine bestärkende Wirkung zu erzielen.

(Beifall bei CDU und FDP - Zuruf des Abge- ordneten Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Stand die 15. Jugendstudie 2006 noch unter dem Titel: „Eine pragmatische Generation unter Druck“, heißt es 2010 deutlich positiver: „Eine pragmatische Generation behauptet sich“. Die Studie verschweigt die Herausforderungen nicht, macht aber vor allem eine optimistische, zupackende Haltung einer sehr großen Mehrheit der jungen Generation deutlich. Es muss schon besorgt machen, in welch hohem Maß das Ergebnis dieser Studie Überraschung auslöste. Demnach scheint es, dass durch die Konzentration der öffentlichen Diskussion auf Kinderarmut, Jugendkriminalität, Kindeswohlgefährdung und Bildungsdefizite der Blick dafür verloren geht, dass wir es nicht mit einer Problemgeneration zu tun haben, sondern mit einer Generation mit großen Chancen und Perspektiven, die anpacken kann und will und die optimistisch und engagiert in die Zukunft geht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deswegen nehme ich den in der Jugendstudie enthaltenen Vorwurf sehr ernst, dass Jugendpolitik häufig mit Jugendhilfe gleichgesetzt wird. Jugendpolitik muss aber bedarfsgerecht Angebote für die ganze junge Generation machen, damit wir nicht nur Probleme und Risiken abmildern, sondern auch Chancen und Perspektiven erweitern.

Bleiben wir bei den guten Nachrichten der Studie! Junge Menschen wollen sich sozial, ökologisch und politisch engagieren. Sie wollen sich beteiligen, wollen mitbestimmen, ernst genommen werden und sind dafür sogar bereit, eigenes Verhalten zu ändern und Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen. Dieses Engagement fremdelt aber weiterhin mit politischen Partei- und Vereinsstrukturen. Der reflexhafte Ansatz, dies mit einer Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre zu beantworten, geht an der Her

(Dr. Robert Habeck)

ausforderung meilenweit vorbei. Es wäre aus meiner Sicht nicht einmal als symbolische Entscheidung hilfreich.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Sehr hoffnungsfroh stimmt mich ein weiteres Ergebnis: Die junge Generation weiß um die Herausforderung des demografischen Wandels, der dieser Generation sehr viel abverlangen wird. Umso wichtiger ist es, dass es keine Anzeichen für den so häufig heraufbeschworenen Krieg der Generationen gibt. Da ist sie wieder, die erfreulich pragmatische Generation, die dieses Problem im Dialog mit der älteren Generation und mit gegenseitigem Verständnis und Respekt lösen wird.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Zumindest gibt es zu dieser Hoffnung jetzt wissenschaftlich fundierte Berechnungen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn auch in dieser Studie von einer weiter aufgehenden Schere zwischen Arm und Reich gesprochen wird, liegt dies an den 10 bis 20 % Jugendlichen aus sozial schwierigen Verhältnissen, deren Chancen sich nicht verbessert haben, die schlechtere Bildungschancen haben, dadurch schlechtere berufliche Perspektiven, und bei denen viele problematische Verhaltensweisen auftauchen. Dieses Thema ist in der Politik seit Längerem angekommen, in vielfältigen Diskussionen sowie auch im aktiven politischen Handeln.

Der Bericht der Landesregierung nennt viele Initiativen, die als Modellprojekte und als Ziele dieser Landesregierung bereits wichtige Wege weisen, um auch diese sozial Benachteiligten mitzunehmen. Ich sage als Antwort auf Herrn Habeck und präventiv in Richtung der gesamten Opposition: Tun Sie bitte nicht so, als ob die Sorge um den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Zukunftsperspektiven für Benachteiligte nur bei den Parteien links der Mitte beheimatet seien!

(Beifall bei CDU und FDP)

Diese Koalition aus CDU und FDP arbeitet sehr ernsthaft daran, die Defizite zu schließen. Wie ernst wir als CDU dies nehmen, wird unter anderem deutlich am Leitantrag des letzten Bundesparteitags. Dort beschlossen wir einen Antrag: „Faire Chancen - für jedes Kind!“

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Wie ist das mit dem Schulgesetz?)

Darin ist ein Katalog von Maßnahmen enthalten, der nötig ist, damit dieser Gesellschaft kein junger Mensch verloren geht oder - mit anderen, positiveren Worten - dass jeder junge Mensch die Chance auf persönlichen und beruflichen Erfolg erhält, so er denn auch eigene Anstrengungen leistet.

(Beifall bei der CDU - Rolf Fischer [SPD]: Dann fangen Sie an!)

Auch wenn es ein Bundesantrag war, hat er Bedeutung für Schleswig-Holstein. Denn die Shell Jugendstudie macht gerade deutlich, dass nur ein integrierter Politikansatz Abhilfe schaffen kann. Bildungspolitik, Jugendpolitik, Familien- und Arbeitsmarktpolitik in Kommunen, Land und Bund müssen abgestimmt am Abbau von Benachteiligungen arbeiten.

Unsere Schwerpunkte sind dabei Frühhilfen und Frühförderung. Dabei wird die Kinderbetreuung für unter Dreijährige weiter ausgebaut, sollen potenzielle Lernschwierigkeiten von Kindern früh erkannt und diese Kinder besonders gefördert werden. Ein weiteres Mittel der Kinderfrühförderung ist das Kinderschutzgesetz des Landes, das wir evaluieren und gegebenenfalls weiterentwickeln werden. Ich begrüße ausdrücklich, dass auch im Bund nun an einem Kinderschutzgesetz gearbeitet wird.

(Beifall bei CDU und FDP)

Kein Kind ohne Abschluss. Unsere Anstrengungen im Bildungsbereich sind auch darauf ausgerichtet, kein Kind zu verlieren.

(Glocke der Präsidentin)

Auch wenn Sie von der Opposition das nicht glauben wollen: Diesem Ziel dient auch das am Mittwoch verabschiedete Schulgesetz.

(Beifall bei CDU und FDP - Widerspruch bei der SPD)

Nach der Schule darf die Förderung nicht aufhören. Hierzu gibt es noch auszubauende Förderstrukturen. Ich nenne nur die schon genannten Stichworte Handlungskonzept „Schule & Arbeitswelt“ und die gute Arbeit der Jugendaufbauwerke in unserem Land.

Ich will Ihnen aber auch nicht ersparen, darauf hinzuweisen, dass auch Hartz IV ein wichtiger Baustein war, um Jugendliche ohne Ausbildungsplatz und Arbeitsplatz nicht einfach in die Sozialhilfe abzuschieben, sondern dem Prinzip von Fordern und Fördern zuzuführen.

(Mark-Oliver Potzahr)