Protokoll der Sitzung vom 23.02.2011

§ 11 regelt die Trennung von Gefangenen anderer Haftarten, insbesondere von Strafgefangenen.

Diesen Vorschriften kommt als Richtschnur für den Umgang mit Gefangenen eine ganz zentrale Bedeutung zu. Es findet Ausdruck darin, dass wir uns der Verantwortung stellen, der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Wir wissen zwar genau, dass

(Minister Emil Schmalfuß)

sich trotz der Unschuldsvermutung vor dem Strafverfahren später ein großer Anteil der Gefangenen in der Strafhaft wiederfindet, aber wir dürfen bei allem berechtigten Interesse an konsequenter Strafverfolgung nicht vergessen, dass die Untersuchungshaft für die sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen der Beschuldigten eine empfindliche Belastung darstellt und wir uns der Verpflichtung nicht entziehen dürfen, schädlichen Folgen der Freiheitsentziehung weitgehend entgegenzuwirken.

(Beifall bei CDU und FDP)

Viel zu oft liegt die eigentliche Grundursache für eine Straffälligkeit gerade darin, dass die Menschen nicht in der Lage waren, ihre persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten selbst zu beheben. Das Gesetz setzt hier an, indem es zum Beispiel in § 6 den Grundsatz der sozialen Hilfe statuiert und indem es in § 24 die Möglichkeiten von Arbeit und Bildung regelt. Wir werden sehr genau darauf achten müssen, dass diese Vorschriften auch mit Leben erfüllt werden. Es muss auch in der Haft so früh wie möglich mit sozialen Hilfestellungen angesetzt werden. Dies gilt völlig unabhängig von der Frage von Schuld und Unschuld.

Positiv bewerte ich, dass die mit der Neuregelung entstehenden höheren Personal- und Sachkosten im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel erbracht werden können und dass der Konsolidierungspfad des Landeshaushalts durch das neue Gesetz nicht gefährdet wird. Ich bin sicher, dass wir diese Fragen auch noch weiter gemeinsam im Innen- und Rechtsausschuss erörtern werden. Denn mit dem Begleitbeschluss des Landtags zum Haushalt im Dezember 2010 hatten wir ja die Erwartung verbunden, dass auch die finanziellen Auswirkungen zu einer Schließung der kleinen Justizvollzugsanstalten noch einmal genauer dargelegt werden müssen. Die Aufregung über die Presse in der letzten Woche, Herr Kollege Beran, teile ich allerdings nicht. Die Schilderung in der Einleitung des Gesetzentwurfs gibt den Kabinettsbeschluss korrekt wieder. Sicher könnten Sie fragen, ob man diese Passage auch hätte streichen können. Die Schlussfolgerungen, die Sie daraus ziehen, ziehe ich allerdings nicht. Ich fühle mich dort in den Worten bekräftigt, die der Minister zur Klarstellung gefunden hat, und ich bin sehr dankbar dafür, dass er dieses heute noch einmal klargestellt hat.

(Beifall bei der CDU)

In Anbetracht der Tatsache, dass uns hier ein sehr ausgewogener Gesetzentwurf vorliegt, sehe ich der

konstruktiven und sachgerechten Beratung im Ausschuss entgegen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Andreas Beran das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal möchte ich mich für die Gesetzesvorlage bedanken. Meine Rolle besteht sicherlich nicht darin, einen Gesetzentwurf zu bejubeln, sondern auch kritisch zu hinterfragen.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Kein Mensch darf vorverurteilt werden. Dies gilt für Minister genauso wie für den kleinen Mann auf der Straße. Wenn kein dringender Tatverdacht besteht und weder Flucht- noch Verdunkelungsgefahr drohen, darf man auch nicht verhaftet werden. Kommt jemand in Untersuchungshaft, so greift dies weit in seine Grundrechte ein. Doch auch für ihn trifft zu: Bis zu seiner Verurteilung gilt er als unschuldig, und die Haft darf ausschließlich der Verfahrenssicherung dienen. Gerade der Beginn der Haftzeit ist für viele Beschuldigte besonders belastend. Sie werden plötzlich aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen und hinter Gitter gesteckt. Das Auseinanderbrechen von Familie, der Verlust von Einkommen und finanzieller Sicherheit, Sozialprestigeverlust, gesellschaftliche Isolation und Suizidversuche sind häufige Folgen einer plötzlichen und nicht immer erwarteten Verhaftung. Immerhin 5 % der Beschuldigten werden später freigesprochen, oft, nachdem sie sich Monate - im Extremfall sogar Jahre - in Untersuchungshaft befunden haben.

Nachdem jahrzehntelang klare gesetzliche Regelungen gefordert wurden und durch die Föderalismusreform zuletzt die Länder einen Teil der Zuständigkeit erlangten, legt nun auch die schleswigholsteinische Landesregierung einen Gesetzentwurf für ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz vor. Wir hätten dieses Gesetz auch schon im September 2009 haben können. Es fiel jedoch der Diskontinuität durch das vorzeitige Beenden der Legislaturperiode zum Opfer.

Das Untersuchungshaftvollzugsgesetz des Landes soll regeln, wie das Leben in der Untersuchungshaft aussieht, also wie der Haftraum ausgestattet ist, welche Rechte und Pflichten die U-Gefangenen haben, wie sie verpflegt werden, wie oft sie Besuch

(Barbara Ostmeier)

empfangen dürfen und ob sie arbeiten können. Weitere Vorschriften befassen sich mit der Sicherheit und Ordnung innerhalb der Anstalt und im Umgang mit den jungen Untersuchungsgefangenen.

Darüber hinaus ist es Aufgabe der Gerichte und Staatsanwaltschaften, solche Regelungen zu treffen, die zur Abwehr von Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr erforderlich sind, zum Beispiel das Verbot der Kontaktaufnahme mit anderen Tatbeteiligten.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung liegt uns erst einige Tage vor, sodass ich zu diesem Zeitpunkt erst auf einige, jedoch wesentliche Punkte eingehen werde. Weitere Details werden wir dann im Ausschuss nach einer Anhörung sicher noch erörtern können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn es nicht Bestandteil des Gesetzes ist, so bleibe ich dabei: Eine Aussage über die Schließung der beiden kleinen Justizvollzugsanstalten hat hier in der Drucksache nichts zu suchen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Es bestand im Parlament Einigkeit darüber, dass über eine Schließung erst entschieden wird, nachdem der Finanzausschuss diese Frage erneut, ohne Zeitdruck, beraten hat. Peinlich ist die Erklärung, es sei nur vergessen worden, einen alten Absatz aus der Vorlage zu streichen. Es handelte sich übrigens sogar um zwei Absätze.

Die Vorlage ist im Wesentlichen identisch mit dem von Justizminister Uwe Döring erarbeiteten Gesetzentwurf. Leider enthält er einige Abweichungen, die man wohl als „liberale Handschrift“ bezeichnen kann, wenn den Untersuchungsgefangenen der Arbeitslohn gekürzt oder das Taschengeld nur darlehensweise gewährt werden soll. Hierdurch wird die ohnehin schwierige finanzielle Situation der Betroffenen weiter verschärft. Das ist unsozial und aus der Sicht meiner Fraktion nicht akzeptabel.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall der Abgeord- neten Anke Spoorendonk [SSW])

Übernommen wurden auch Vorschriften, die wir bereits damals kritisch gesehen haben und die nach meiner Ansicht zu viele Regelungen enthalten, die nicht zum Vorteil der Untersuchungshäftlinge sind, jedoch aus Rücksicht auf unseren damaligen Koalitionspartner eingefügt oder beibehalten werden mussten. Diese werden unter anderem damit begründet, dass der Haushalt etwas anderes nicht hergebe. In größerem Umfang gilt das bei der vorge

schriebenen Trennung von Strafgefangenen und Untersuchungshäftlingen.

Kritisch möchte ich hervorheben, dass bei Gefangenen, bei denen die Unschuldsvermutung gilt, die Anstaltsleitungen Entscheidungen zur Sicherheit und Ordnung treffen sollen. Nach meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit sind diese zum Teil gravierenden Grundrechtseingriffe von Gerichten oder Staatsanwaltschaften zu treffen. Auch hier gilt, dass bei Häftlingen, für die die Unschuldsvermutung gilt, Eingriffe in ihre Rechte auch weiterhin einer richterlichen Kontrolle bedürfen.

Problematisch ist vor diesem Hintergrund auch die pauschale Einschränkung des Erziehungsrechts der Eltern von jugendlichen Untersuchungsgefangenen. Zur Erinnerung: Wir reden hier nicht über Strafgefangene, deren Erziehungsdefizite durch Strafurteil rechtskräftig festgestellt wurden, sondern über Jugendliche, die sich ausschließlich zur Sicherung des Verfahrens in Haft befinden. Hierdurch wird das Grundrecht der Eltern auf Erziehung aus Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz nicht automatisch außer Kraft gesetzt. Eine entsprechende Grundrechtseinschränkung sieht die gemäß Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz erforderliche Aufzählung der eingeschränkten Grundrechte in § 98 des Entwurfs nicht vor.

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht dagegen nicht einmal eine Beteiligung der Eltern bei der Gestaltung oder Anordnung von erzieherischen Maßnahmen vor. Entscheidungen sollen den Eltern lediglich mitgeteilt werden. Ich sehe hierin ein völlig falsches Verständnis von der Bedeutung der Rechte und Pflichten der Eltern und rate dringend, hier eine Änderung vorzunehmen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und der LIN- KEN)

Ich begrüße, dass der Entwurf nun endlich vorliegt. Insgesamt bleiben Bedenken, dass nicht alle Vorschriften einer rechtsstaatlichen Überprüfung standhalten werden, dass nicht allen Inhaftierten in Untersuchungshaft Arbeit angeboten werden kann, sie nur eine geringe Entlohnung erhalten sollen, die Regelung zum Taschengeld ungenügend ist. Ein weiterer Punkt: Die Einschränkungen, denen Untersuchungsgefangene unterworfen werden müssen, sollten nicht nach finanziellen und nicht nach technischen oder baulichen Voraussetzungen definiert werden.

Im Rahmen der Ausschussberatung werden wir weitere Anmerkungen und Änderungsvorschläge einbringen.

(Andreas Beran)

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Ingrid Brand-Hückstädt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind als FDP sehr froh, dass dieser Gesetzentwurf nun endlich in die Realität umgesetzt wird, denn immerhin schon seit 1971 hat sich das Bundesjustizministerium in einer Strafvollzugskommission damit befasst und für eine umfassende Regelung des Vollzugs der Untersuchungshaft ausgesprochen. Entsprechende Forderungen hatten alle Fachleute und alle Fachverbände bereits über Jahre erhoben. Nun endlich, 30 Jahre später, ist es auch in Schleswig-Holstein so weit. Man kann nur hoffen, dass andere wichtige Gesetzesvorhaben in Deutschland schneller auf den Weg gebracht werden.

(Beifall bei der FDP)

Herr Fürter, um das gleich vorweg nach Ihrer Presseerklärung von gestern, die uns gestern Abend dankenswerterweise noch zugekommen ist, zu sagen: Wir bleiben mit diesem Gesetz keinesfalls hinter den Standards anderer Bundesländer zurück.

(Beifall der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Dr. Christian von Boetticher [CDU] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Im Ge- genteil!)

Der Regelungsbedarf für die Untersuchungshaft liegt auf der Hand. Der Freiheitsentzug greift in das Grundrecht des Gefangenen ein, und es gilt dennoch die Unschuldsvermutung. Das ist ein gravierender Unterschied im Vergleich zum rechtskräftig verurteilten Strafgefangenen und muss auch in seiner Behandlung in der Justizvollzugsanstalt berücksichtigt werden. Eine Selbstverständlichkeit für einen demokratischen Rechtsstaat! Beschränkungen und Eingriffe in Grundrechte des Untersuchungsgefangenen sind deshalb zu Recht an seiner besonderen Rechtsstellung zu prüfen und nur dann zulässig, wenn sie aus Gründen des Haftzweckes oder der Sicherheit und Ordnung der Anstalt unerlässlich sind.

In der Untersuchungshaft gilt der Grundsatz der möglichst weitgehenden Annäherung an die tatsächlichen Lebensverhältnisse in Freiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat 2009 zu Recht festgestellt, dass nicht der Untersuchungsgefangene sich an die allgemeine Praxis in der Haftanstalt an

zupassen hat, sondern vielmehr der Untersuchungshaftvollzug einzelfallbezogen an den Grundrechten des als unschuldig geltenden Gefangenen auszurichten ist.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der LINKEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Bra- vo!)

Diesem Umstand wird in diesem Gesetzentwurf entsprochen.

Es ist deshalb aus Sicht der FDP sehr zu begrüßen, dass die Unschuldsvermutung im Gesetzentwurf endlich den erforderlichen Stellenwert erhält. Ebenso wird es nun mehr Möglichkeiten für Außenkontakte für die Untersuchungsgefangenen geben, und die Ausweitung des Schutzes von Berufsgeheimnisträgern, von der FDP schon lange gefordert, ist nun Bestandteil des neuen Gesetzes.

(Beifall bei der FDP)

Auch wir - da stimmen ich meinen Vorrednern zu würden es allerdings begrüßen, wenn das Arbeitsentgelt für die Untersuchungsgefangenen höher ausfallen würde. Wir sehen aus der Begründung des Gesetzentwurfs, dass das eigentlich auch die Intention des Justizministeriums gewesen ist, um der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Die im Entwurf zugrunde gelegte Bezugsgröße nach § 18 SGB IV in Höhe von 5 % trägt allein dem Umstand der Haushaltskonsolidierung Rechnung. Er verstößt allerdings, Herr Fürter, nicht gegen den Gleichstellungsgrundsatz, denn gerade diesen gibt es ja - wie ausgeführt - nicht.

Die meisten anderen Bundesländer, die an der Arbeitsgruppe zu diesem Thema beteiligt waren, haben sich ebenfalls für eine neunprozentige Vergütung im Gesetz entschieden. Auch der rechtskräftig verurteilte Strafgefangene erhält in Schleswig-Holstein 9 %. Wir sollten bei der weiteren Beratung im Ausschuss versuchen, vielleicht mithilfe des Finanzministers da noch etwas zu bewegen.

(Beifall bei FDP und der LINKEN - Wolf- gang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)