Protokoll der Sitzung vom 24.02.2011

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Frau Präsidentin, könnten Sie bitte dem Kollegen Kubicki mitteilen, dass ich im Moment Redezeit habe und nicht er.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das gilt nicht für Zwischen- rufe!)

Kommen wir zum Sozialminister. Den schändlichen Raubbau an den Sozialstrukturen dieses Landes schiebt er grundsätzlich auf die Haushaltsnot und damit auf den Finanzminister. Wer aber als Sozialminister nicht einmal in der Lage ist, den wirklich Benachteiligten in diesem Land beizustehen, wer den Blinden das Blindengeld streicht, der sollte sich schämen, diesen Titel zu führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bezeichnend auch, dass dieser Sozialminister und stellvertretende Ministerpräsident an der Diskussion nicht teilnimmt.

Da vergisst man beinahe den - zu allem Unglück auch gelungenen - Versuch, die Streichung der Beitragsfreiheit des dritten Kita-Jahres binnen einer Woche durch das Gesetzgebungsverfahren zu peitschen. Man muss schon lange suchen, bis man einen ähnlich dreisten Fall von Missachtung dieses Parlaments findet.

(Beifall bei der LINKEN)

Seien wir ehrlich: Dieser Minister wäre ohne das Urteil des Landesverfassungsgerichtes nicht einmal in den eigenen Reihen zu halten gewesen.

Aber einer hat eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen: der Finanzminister. Auch er nicht anwesend. Operation Schuldenbremse geglückt, Patient SchleswigHolstein klinisch tot. Zumindest im sozialen und kulturellen Bereich. Schülerbeförderung, Blindengeld, Kulturentwicklung, Kita auch für die Kinder von Menschen mit geringem Einkommen, Resozialisierung von Strafgefangenen, menschenwürdige Behandlung von Untersuchungsgefangenen - alles Opfer des Finanzministers. Kommunen, die mittlerweile nicht einmal mehr auf dem Zahnfleisch gehen können, weil auch das schon blutig ist - Opfer des Finanzministers. Einnahmeverbesserungen? - Fehlanzeige!

Seien wir ehrlich: Ohne das Urteil des Landesverfassungsgerichtes würden wir uns kaum noch an den Namen dieses Ministers erinnern. So sieht diese Regierungspolitik aus.

(Beifall bei der LINKEN - Tobias Koch [CDU]: Wie heißen Sie eigentlich?)

Aber es gibt in Schleswig-Holstein einen schönen Spruch, der sagt: Der Fisch stinkt immer vom Kopf her. Auch in dieser Landesregierung ist es nicht anders.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das gilt nur für den Kommunismus!)

Politische Führung wäre Aufgabe des Ministerpräsidenten. Und politische Führung muss eindeutig mehr sein als das ständig wiederholte Mantra: „Wir müssen sparen, sparen, sparen.“

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Vision für Schleswig-Holstein finde ich bei diesem Ministerpräsidenten nicht. Nicht einmal ein Ziel finde ich - außer dem, den Landeshaushalt zu sanieren.

(Heinz-Werner Jezewski)

Mit dem ständigen Anspruch, den kommenden Generationen zu dienen, werden der kommenden Generation die Kita-Plätze gestrichen, werden der kommenden Generation Bildungschancen verbaut, wird der kommenden Generation das Erbe durch Privatisierungen gefleddert, wird der kommenden Generation Milliarden Jahre lang strahlender Atommüll aufgebürdet, wird der kommenden Generation durch anhaltende CO2-Emissionen aus schmutzigen Kohlekraftwerken die Luft zum Atmen genommen. Hauptsache, der Landeshaushalt ist saniert.

Seien wir ehrlich: Wer all dies zu verantworten hat, mit oder ohne Urteil des Landesverfassungsgerichts, ist für dieses Land nicht mehr tragbar.

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Herr Ministerpräsident, ziehen Sie die Konsequenzen Ihrer verfehlten Politik!

(Beifall bei der LINKEN, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Fraktionsvorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Da wir den Tiefpunkt erreicht haben, kann es jetzt nur besser werden!)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind mittlerweile einiges von Schwarz-Gelb gewohnt. Dies gilt nicht zuletzt in der Bildungspolitik. Trotzdem werden vielen am 4. Februar die Gesichtszüge entglitten sein. An jenem Morgen konnten wir in der „Dithmarscher Landeszeitung“ lesen, dass das Bildungsministerium eilig einen Erlassentwurf zurückgezogen hat, der eine ärztliche Untersuchung für Schulkinder vorsah, die G 9 wählen. Sie sollten durch ein ärztliches Attest dokumentieren - ich zitiere -, „dass der psychische oder physische Gesundheitszustand des Kindes eine längere Lernzeit notwendig macht“.

Man hätte dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, als bürokratische Realsatire einstufen können, wenn es nicht so gewesen wäre, dass dieser Erlassentwurf auch über die Schreibtische der Ministeriumsleitung gegangen ist.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Eingeständnis von Dr. Klug, er habe den umstrittenen Anhörungsentwurf abgezeichnet, wirft natürlich die Frage auf, ob der Minister, sein Staatssekretär oder deren Mitarbeiter die erforderlichen Kulturtechniken beherrschen, derer es bedarf, um sich den Inhalt eines Textes zu erschließen. Es ist schon bemerkenswert, dass sie nicht in der Lage waren, einen Erlass korrekt und gewissenhaft zu lesen, der eine der sensibelsten Fragen der Landespolitik betraf.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Dies lässt nur den Schluss zu, dass so mancher in seinem Job überfordert ist.

Zum anderen wird hier aber zu Recht die Frage nach den Führungsqualifikationen gestellt, denn dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin dem leidenschaftlichen G-9-Fan Klug eine Diskriminierung von G-9-Anwärtern in den Erlass schreibt, offenbart auch die Schwäche der Hausspitze. Das hat der Herr Kollege Kubicki bestätigt, indem er dem Ministerium unterstellt, die fünfte Kolonne der SPD zu sein. Einmal davon abgesehen, dass andere diese Bildungsministerialbürokratie anders erleben, hat der FDP-Fraktionsvorsitzende damit vor allem dem Minister und seinem Staatssekretär ein Armutszeugnis ausgestellt.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Denn es ist wahrlich kein Bild der Führungsstärke, das die Landesregierung in den letzten Wochen geboten hat. Dies gilt nicht nur für Dr. Ekkehard Klug, der sich von eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorführen lässt und wichtige Papiere abzeichnet, ohne sie zu lesen beziehungsweise zu verstehen.

(Heiterkeit bei SPD und der LINKEN)

Es gilt ebenso für den Ministerpräsidenten, der zuletzt nicht verhindern konnte, dass die CDU auf FDP-Minister schießt und der Landesvorsitzende der FDP die CDU-Landwirtschaftsministerin aufs Korn nimmt.

Die Verfassung der CDU-FDP-Koalition hat mich in den letzten Wochen teilweise an die Agonie der Großen Koalition erinnert.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Denn genauso wie damals zeichnet sich das Bild ab, dass der Ministerpräsident seine Mannschaft einfach gewähren lässt, solange ihm keiner persön

(Heinz-Werner Jezewski)

lich auf die Füße tritt. Sobald aber ein Sturm aufzieht, duckt sich der Schönwettermensch Carstensen erst einmal weg und stellt sich erst dann den politischen Naturgewalten, wenn das Vakuum ein Machtwort förmlich aus ihm heraussaugt.

(Heiterkeit und Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Mit Peter Harry Carstensens präsidialem und jovialem Führungsstil kann man sicherlich sehr gut einen Agrarausschuss leiten. An der Spitze eines Bundeslandes ist so ein Führungsstil aber fehl am Platz.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

In allen großen politischen Krisen der letzten Jahre - von der HSH-Nordbank-Affäre bis zum verkorksten Schulgesetz - ist der Ministerpräsident nicht oder allenfalls viel zu spät präsent gewesen. Dies wird jetzt noch schlimmer werden, wo er zwar Christian von Boetticher die Kapitänsmütze aufgesetzt hat, aber das Ruder vor der Landtagswahl nicht aus der Hand geben will. Dass die CDU beim aktuellen Zustand der Koalition Angst davor hat, dass Herr Kollege von Boetticher bei einer Abstimmung das Schicksal von Heide Simonis erleidet, ist verständlich. Dass Schleswig-Holstein damit im machtpolitischen Bermudadreieck zwischen Carstensen, von Boetticher und Kubicki strandet, ist aber eine vermeidbare Katastrophe.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

So weit, so gut - oder eher: So weit, so schlecht. Wir teilen, wenig überraschend, die Analyse, dass die Landesregierung Probleme in der politischen Führung hat, dass die Interessen Schleswig-Holsteins besser wahrgenommen werden könnten und dass wir schnelle Neuwahlen brauchen. Allerdings sollte Oppositionspolitik ebenso wenig wie Regierungshandeln von Rückenmarkreflexen gesteuert sein.

Deshalb müssen wir unser textanalytisches Verständnis auch auf diesen Antrag anwenden, und da kommt man ohne großen Aufwand zum Schluss, dass diese Initiative für die Politik in SchleswigHolstein annähernd bedeutungslos ist. Denn er ändert natürlich nichts an den konkreten Problemen, die diese Landesregierung liegen lässt oder auch erst verursacht hat.

(Zuruf von der CDU: Soll er ja auch nicht!)

Der Antrag stellt keine Alternative dar. Es mag sein, dass der eine Minister oder die andere Ministerin überfordert ist oder dass die Führungsqualitäten des Ministerpräsidenten auch nach knapp sechs Jahren im Amt nicht die notwendige Reife haben. Diese Erkenntnis allein hilft aber nicht zum Beispiel den Schülerinnen und Schülern, den Lehrkräften, Eltern und Schulträgern in diesem Land, die mit konkreten Problemen kämpfen. Das zeigt ja schon der Plan Christian von Boettichers, den jetzigen unausgereiften Zustand des Schulwesens mit all seinen Problemen in Beton zu gießen.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das steht überhaupt nicht zur Debatte!)