Protokoll der Sitzung vom 25.02.2011

Nun gibt es schon seit einigen Jahren Bestrebungen, diese Neutralität wieder aufzuheben. Das geschieht auf mehreren Ebenen. Zugangsanbieter versuchen, von Inhaltsanbietern Gebühren zu kassieren, wenn diese ihre Inhalte über deren Zugänge veröffentlichen wollen. Sie können sich einfach vorstellen: Die Webseiten Ihrer Fraktionen wären nur noch bei den Providern einsehbar, bei denen sie Gebühren bezahlen. Das heißt, wenn ich an die Telekom keine Gebühr bezahle, dann sind die Webseiten der Fraktion DIE LINKE nicht sichtbar oder aber sie werden nur mit minimaler Geschwindigkeit geladen. Das ist eines der Ziele der Abschaffung der Netzneutralität. Danach würde das Internet einfach nicht mehr so aussehen, wie es heute aussieht.

Das ist aber nur ein Aspekt.

(Unruhe)

- Frau Präsidentin, können Sie bitte dafür sorgen, dass man mich verstehen kann, dass zumindest ich mich verstehen kann?

(Zuruf)

Das ist aber nur ein Aspekt der Netzneutralität. Wenn diese nämlich abgeschafft wird, so beeinflusst das auch den Datenverkehr zwischen den großen Providern, den Internetanbietern und den sogenannten Internetknoten. Die technischen Möglichkeiten sind aber heute schon so weit, dass Länder wie China oder Libyen die Möglichkeit haben, den gesamten Internetverkehr in ihrem Bereich einzuschränken oder sogar ganz zu stoppen. Diese Techniken werden zunehmend auch bei uns eingesetzt. Wenn Sie bei YouTube Musikvideos bestimmter Künstler aufrufen, erhalten Sie eine Meldung, dass diese Videos in Ihrem Land nicht angesehen werden dürfen - und zwar unabhängig von dem Zugangsprovider, den Sie nutzen. Sie sind in dem Fall konfrontiert mit den Auswirkungen fehlender Netzneutralität oder - besser gesagt - in der Falle des Netzwerkmanagements. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich will nicht, dass die Anbieter von Inhalten den Einfluss auf deren Verbreitung verlieren. Ich halte die Sperrung solcher Videos für rechtmäßig. Ich möchte aber verhindern, dass diese Methoden zukünftig missbräuchlich genutzt werden könnten. Kurz gesagt: Ich möchte, dass jeder Nutzer die Inhalte, die der Anbieter freigegeben hat, auch empfangen kann.

Ich begrüße ausdrücklich auch den Antrag der Regierungsfraktionen. Dieser ist richtig und wichtig. Aber er hat einen anderen Schwerpunkt als der Antrag, den SPD, Grüne und wir heute eingebracht haben. Das Bekenntnis zu einem ungehinderten und freien Zugang zum Internet ist wichtig. Ebenso halte ich es für richtig, mit den Ergebnissen der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ zu arbeiten, weil diese Kommission - das sehen wir seit längerer Zeit - sehr gute Ergebnisse erbringt.

Aber auch wir als Landtag könnten einen Anteil an den Diskussionen haben, die in dieser Kommission geführt werden. Ich weiß, dass bei diesem Thema die Differenzen zwischen uns im Grunde genommen wesentlich geringer sind, als manch ein Außenstehender sich das vorstellen kann. Ich glaube, dass wir aus diesen beiden Anträgen einen machen könnten, der besser ist als das, was bisher vorliegt.

Mein Wunsch wäre es daher - und deshalb beantrage ich das -, die beiden Anträge in den zuständigen Ausschuss zu überweisen und dort weiter zu behandeln.

Mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes haben wir dabei einen ausgewiesenen und bundesweit anerkannten Fachmann, der uns bei der Beratung hilfreich zur Seite stehen kann.

(Heinz-Werner Jezewski)

Denn der einzige Grund, dass FDP und CDU unserem Antrag nicht zustimmen können, ist der, dass man den Zeitpunkt für zu früh hält. Daher halte ich die Ausschussüberweisung für die beste Möglichkeit und bitte noch einmal darum.

(Beifall bei der LINKEN und SSW)

Herr Abgeordneter Jezewski, das Präsidium und ich selber sind jederzeit bereit und auch verpflichtet, dem Redner Gehör zu verschaffen. Aber wir waren uns alle einig, dass der Geräuschpegel eigentlich deutlich unter dem war, was ein Einschreiten erfordert hätte.

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Christian von Boetticher das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal auch von uns ein klares Bekenntnis zur Netzneutralität. Lieber Kollege Voß, es bringt doch überhaupt nichts, uns das gegenseitig abzusprechen oder in Zweifel ziehen zu wollen.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Ingrid Brand-Hückstädt [FDP])

Auch wir sind für die gleichberechtigte Übertragung aller Daten im Netz und auch dafür, dass es dort keine Bevorzugung gibt. Das eint uns doch.

Wenn der Sachverhalt allerdings so einfach wäre und man das alles nur dadurch gewährleisten könnte, dass man Ihre Punkte verabschiedet, dann wäre es schön. Dann hätten wir gar keine Enquetekommission im Bundestag und vor allem keine Unterarbeitsgruppe gebraucht. Aber die Erkenntnis ist doch eine andere. Wir wissen, dass wir bei wachsenden Datenmengen und gleichzeitig technischen Kapazitätsgrenzen Lösungen brauchen. Die Lösungen sind nicht einfach. Sie sind technisch kompliziert. Weil man das erkannt hat, ist das ein ganz wichtiger Punkt der Enquetekommission des Bundestages, die am 4. März 2010 eingesetzt wurde. Es gibt extra dafür eine Untergruppe „Netzneutralität“. Jetzt kommt das Besondere: Diese Unterarbeitsgruppe „Netzneutralität“ will ihr Zwischenergebnis zu diesem Punkt vor Ostern in diesem Jahr bekanntgeben. Die haben etliche Sitzungen mit Expertenanhörungen hinter sich, alles Anhörungen, an denen wir in der Regel - bitte belehren Sie mich eines Besseren -, aber nicht unmittelbar teilgenommen haben. Wir warten jedenfalls mit großer Spannung auf die

sen Zwischenbericht und wollen gern das, was uns dieser Zwischenbericht sagt, verwenden können, um es dann an geeigneter Stelle auch vorzutragen und einfließen zu lassen.

Das ist der einzige Grund, warum wir gesagt haben: Nun wartet doch bitte diesen Zwischenbericht ab. Dieser Bericht muss aufgearbeitet werden, dann können wir uns gern im Innen- und Rechtsausschuss wieder zusammensetzen und das mit Ihren Vorschlägen, die Sie gemacht haben, in Übereinstimmung bringen und vielleicht eine gemeinsame Position entwickeln.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Bei- fall der Abgeordneten Ingrid Brand-Hück- städt [FDP])

Ich will nur noch zwei oder drei Dinge nennen, die für uns wichtig sind. Es geht einmal darum, vor allen Dingen auch zur internationalen Harmonisierung und Standardisierung zu kommen. Denn eines haben wir doch aus ganz vielen Gesetzen gelernt: Das Netz lässt sich nicht mit nationalen Gesetzen regeln, oder nur sehr bedingt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Darum ist die Intention richtig, uns auch auf europäischer Ebene einzubringen. Die Intention teile ich, gerade vor diesem Hintergrund. Aber es muss dann auch sorgsam und sauber geschehen und nicht einfach mit ein paar - ich sage einmal - Allgemeinplätzen, die man auflistet. Wir brauchen einen wirksamen Wettbewerb zwischen den Netzbetreibern. Auch wir als Union sind gegen inhaltliche Kontrolle durch die Netzbetreiber. Wir haben jetzt im Bund bei der Frage der Bekämpfung der Kinderpornographie Ausnahmen gemacht. Wir gucken sehr genau drauf, ob es etwas bringt und ob wirklich wirkungsvoll ist, was wir beschlossen haben. Das wird man sich im Detail angucken müssen. Wir haben heute schon eine Priorisierung von Dienstgruppen in der sogenannten Deep Packet Inspection, mit denen heute schon Spitzenlasten abgefedert werden. Da ist für uns wichtig: Wenn es das gibt und geben muss, dann darf es dort wenigstens keine Priorisierung innerhalb der Qualitätsklassen geben. Und es muss eine Transparenz gegenüber den Endkunden und Diensteanbietern geben.

(Beifall des Abgeordneten Heinz-Werner Je- zewski [DIE LINKE])

Auch das gehört heute zur Wahrheit dazu, dass man erkennt, was es gibt, analysiert und fragt, wie in dem Bereich zumindest Transparenz hergestellt werden kann. Sie sehen also: Es ist eine Menge an

(Heinz-Werner Jezewski)

Detailfragen damit verbunden, die man nicht mit Ihren Anforderungspunkten in Ihrem Antrag allein abarbeiten kann.

Darum meine herzliche Bitte: Unterstützen Sie den Antrag, dass wir die Fachkommissionsergebnisse und den Zwischenbericht abwarten, vernünftig im Innenausschuss auswerten und Ihre Punkte dazu angucken. Dann kommen wir am Ende vielleicht zu einem gemeinsamen Antrag.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Ingrid Brand-Hückstädt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie wichtig das Internet für die Freiheit und Meinungsbildung ist, sehen wir gerade im Norden Afrikas. Über das Internet verabreden sich Millionen von Freiheit suchenden Bürgern zu Demonstrationen gegen ihre Diktatoren und verändern ihr Land.

Wir sehen: Für eine demokratische Gesellschaft ist ein freier Zugang aller Bürger zum Internet mittlerweile lebenswichtig. Umso wichtiger ist, dass auch wirklich jeder Bürger freien und ungehinderten Zugang zum Internet hat. Darüber sind wir uns alle einig. Aber was unter freiem Zugang wirklich zu verstehen ist, bedarf der Definition und Klärung, und da hört unsere Einigkeit möglicherweise auf. Denn was ist mit Netzneutralität eigentlich gemeint?

Liebe SPD, Grüne und Linke, in Ihrem Antrag gehen Sie offenbar davon aus, dass die Definition klar ist. Das ist sie aber nicht. Wie viele Fragen zu diesem Thema offen sind, wie viele kontroverse Diskussionen gerade geführt werden, wie viele Themenbereiche davon berührt werden und dass eine gesetzliche Verankerung vielleicht gar nicht der Weisheit letzter Schluss ist, wurde eben schon von Herrn von Boetticher eindrucksvoll aufgezeigt. Worüber reden wir eigentlich?

(Unruhe)

Das bisherige Schema des Internets könnte in der Tat ins Wanken geraten. Bisher läuft es so: Ein Datensatz, Bild, Text oder Sprache, wird in Teile zerlegt, bekommt eine Adresse und wird zu seinem Bestimmungsort verschickt. Eine bestimmte Route wird vorher nicht festgelegt. Die Daten kommen an Kreuzungen und werden nach dem Prinzip first in,

first out weitertransportiert, wer zuerst kommt, kommt als Erster weiter. Schaltet sich eine Kreuzung aus, finden die Daten automatisch die nächste für den Weitertransport.

Dieses System funktioniert allerdings nur, solange wir Überkapazitäten im Netz haben. Gibt es zu viele Daten und zu wenig Transportwege, kann es in Zukunft zum Stau auf der Datenbahn kommen. Das ist für private E-Mails vielleicht nicht tragisch, aber was ist bei Videokonferenzen, Videotelefonie oder Videoübertragungen zum Beispiel von chirurgischen Eingriffen? Zeitgleich in guter Qualität und ohne Störungen wäre da schon angebracht.

Daraus ergibt sich zunächst die grundsätzliche Frage, ob Anbieter die übertragenen Datenpakete im Netz alle gleichberechtigt transportieren müssen oder eventuell nach definierten Kriterien mit Prioritäten transportieren dürfen. Die nächste Frage: Dürfen dabei andere Datenpakete blockiert werden? Ist es diskriminierend, wenn derjenige, der mehr Geld für schnelleren Transport seiner Daten bezahlt, auch schneller durchkommt? Oder sind Differenzierungen, die sich aus der Kapazität des Netzes oder auch aus rechtlichen Bedingungen ergeben, zu akzeptieren? Wenn ja, welche Informationspflichten hat dann der Anbieter, und wer ist dafür eigentlich zuständig?

Das Internet gehört für viele mittlerweile zur Daseinsvorsorge wie Wasser und Strom, und allen ist klar, dass diese Versorgung zu bezahlen ist, nur wie, in welcher Höhe und wann, wer daran verdienen darf und wer nicht, das ist zurzeit alles offen.

Netzneutralität bedeutet für uns als FDP zunächst nur netzbezogenes Diskriminierungsverbot, das heißt, alle Menschen sind gleich, und jedem, wirklich jedem ist der Zugang zum Netz zu gewähren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Aber es wird aus unserer Sicht auch darüber nachzudenken sein, ob unterschiedliche Preisgestaltungen für Internetzugänge mit unterschiedlichen Bandbreiten, unterschiedlichen Inhalten und unterschiedlichen Übertragungszeiten wirklich Abweichungen vom Grundsatz der Neutralität sind. Schließlich kommt auch niemand auf die Idee, die Neutralität des Postzugangs zu bestreiten, nur weil jemand bereit ist, für einen Eilbrief mehr zu bezahlen als für eine normale Zustellung.

Entscheidend wird in Zukunft sein, dass Transparenz für den Verbraucher besteht. Ob eine Handlungspflicht für den Staat besteht, weil große deut

(Dr. Christian von Boetticher)

sche Provider wie die Deutsche Telekom und Vodafone angekündigt haben, die Netzneutralität einzuschränken, prüft unter anderem derzeit die Enquetekommission des Deutschen Bundestags. Sie wird in diesem Frühjahr nach zahlreichen Anhörungen auch zur Netzneutralität einen ersten Zwischenbericht abgeben. Auf dieser Basis sollten wir dann im Innen- und Rechtsausschuss beraten, welche weiteren Schritte zu gehen sind. Wir als FDP werden kritisch begutachten, ob überhaupt Handlungsbedarf besteht.

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Dolgner zu?

Ich bin gleich fertig, und dann dürfen Sie Ihren Dreiminutenbeitrag leisten.

Sowohl das Telekommunikations- als auch das Kartellrecht sind in diesem Bereich bisher wirksame Instrumente. Wo schon etwas ist, muss man nicht etwas Neues schaffen. Das gilt auch für das Internet.

Stimmen Sie unserem Antrag zu! Wir können über alles reden, was in Ihrem Antrag steht, denn das Thema ist in der Tat diskussionswürdig.