Protokoll der Sitzung vom 29.06.2011

Wir haben weiß Gott nicht alle Mittel ausgeschöpft. Ich kann an dieser Stelle sagen: Wir Grünen haben in den vergangenen Jahren in allen Gremien unserer Partei diskutiert, abgewogen und analysiert, zuletzt während der vergangenen Fraktionssitzungen hier im Landtag. Ich möchte an dieser Stelle meinen Kolleginnen und Kollegen für die konstruktiven und ehrlichen Debatten danken.

Die Entscheidung fiel uns nicht leicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und LINKE, ich bit

(Luise Amtsberg)

te Sie auch im Anschluss an diese Debatte um einen fairen Umgang. Ich weiß, dass die Position, die Sie vertreten, von vielen von uns mehr als nachempfunden werden kann. Sie hatte bei uns in der Diskussion einen großen Stellenwert, und es gab viele Argumente dafür. Es ist extrem schwierig, diese Entscheidung zu treffen, denn keiner von uns kann sich auf Erfahrungswerte berufen. Keiner von uns weiß, was das Richtige ist. Niemand von uns hat eine Garantie dafür, mit welchem Weg wir Probleme verschärfen oder tatsächlich lösen können. Das ist schlicht nicht vorherzusehen.

Deshalb ist es mir wichtig, noch einmal zu betonen, dass wir alle hier das gleiche Ziel haben. Wir wollen keine Nazis - weder im Parlament noch auf der Straße. Wir wollen auch keine Nazigedanken. Wir wollen keine rechtsextremen Gedanken in den Köpfen der Menschen. Dass der vorgeschlagene Weg zu diesem Ziel möglicherweise unterschiedlich ist, sollte uns nicht davon ablenken, dass wir am Ende das gleiche Ziel haben. Ich denke, das ist das Mindestmaß an Akzeptanz, das dieses Haus hier leisten kann; vor allem vor dem Hintergrund, dass wir in Schleswig-Holstein und in Deutschland einen demokratischen Auftrag zu erfüllen haben.

An einer Stelle gebe ich Ihnen recht: Ein Verbot würde die NPD schwächen. Es würde sie dazu zwingen, im Zweifel neue Organisationsformen zu finden. Genau aus dieser Situation heraus sind in der Vergangenheit die Kameradschaften und die autonomen Gruppen entstanden. Das ist die Ursache dafür. Wir würden die rechte Szene also kurzfristig schwächen. Auf der anderen Seite würden wir uns, der Politik und der Gesellschaft, eine zeitweilige Atempause gönnen. Liebe LINKE und liebe SPD, ich frage Sie: Ist es das, was Sie wollen? Wollen Sie eine zeitweilige Atempause? Sollten wir das wirklich wollen? - Ich sage Nein. Die Position meiner Fraktion ist an dieser Stelle klar. Wir wollen keine Atempause, nicht eine Sekunde lang. Wir wollen jeden Tag nutzen, um aufkeimenden oder fest verankerten Rassismus in all seiner Hässlichkeit jeden Tag aufs Neue zu bekämpfen.

(Zuruf der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

- Das habe ich nicht gesagt, und das weißt du auch.

Wenn uns das gelingt, dann können wir an dieser Stelle vielleicht eine Atempause machen. Den Weg dahin haben wir aufgezeigt. Wir setzen auf Beratungsprogramme, auf einen öffentlichen Dialog, auf das Bewusstmachen dieser Probleme und nicht auf Verbote.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion des SSW hat die Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz ermöglicht nach Artikel 21 Abs. 2, dass verfassungswidrige Parteien verboten werden. Dabei geht es nicht einfach um verfassungsfeindliche Äußerungen, Pamphlete oder Reden, sondern es geht darum, dass Parteien planvoll das Funktionieren unserer demokratischen Grundordnung beseitigen wollen. Hintergrund dieser hohen verfassungsrechtlichen Hürde eines Parteienverbots ist die Vorstellung, dass eine starke, gefestigte Demokratie um ihre Werte ringt, und zwar mit möglichst vielen. Es geht ausdrücklich nicht um Denkverbote. In diese Richtung läuft aber nicht zuletzt der vorliegende Antrag der Fraktion DIE LINKE, weil dort rechtes Gedankengut quasi durch Verbot abgeschafft werden soll. Dieses Vorhaben ist zum Scheitern verurteilt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Verbotsverfahren mögen ein Ausweis demokratischer Aktivität sein und ein Beleg dafür, dass man etwas getan hat. Probleme werden damit aber nicht gelöst. Rassistische und volksverhetzende Aussagen sind bereits heutzutage verboten. Aus genau diesem Grund werden die braunen Parteien vom Verfassungsschutz beobachtet. Deren Funktionäre werden bei strafrechtlichen Taten von der Polizei verhaftet. Die Regelungen, die es gibt, werden überwiegend konsequent angewendet und führen regelmäßig zu Verhaftungen und Strafen.

Das Gedankengut, von dem diese Parteien - vor allem die NPD - leben, ist damit noch lange nicht ausgerottet. Das wissen wir. Ich denke, dass wir bei allen Bürgergesprächen oder Podiumsdiskussionen mit offen ausländerfeindlichen Haltungen konfrontiert worden sind. Das nimmt nicht ab, sondern erlebt gegenwärtig eine nie gedachte Blüte. Demokratieforscher registrieren in Deutschland derzeit einen besorgniserregenden Anstieg von rassistischen und antidemokratischen Haltungen. Das hat unter anderem die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer jüngsten Untersuchung mit dem Titel „Die Mitte in der Krise“ zweifelsfrei festgestellt.

Viele Menschen sind durch die Folgen der Wirtschaftskrise nachhaltig erschüttert und haben

(Luise Amtsberg)

Angst vor sozialem Abstieg. Jeder fünfte Befragte könnte sich daher vorstellen, dass die Volksgemeinschaft von einem starken Führer zum Wohle aller gelenkt wird. Ausländer, Migranten und alles, was diffus als nicht deutsch empfunden wird, hat nach Meinung der Befragten außen vor zu bleiben; in der irrigen Annahme, dass es dann „uns“, von der Ebert-Stiftung vorsorglich in Anführungszeichen gesetzt, besser geht.

Diese Abwendung von einem demokratischen Konsens erscheint mir besorgniserregend. Gegen diese Einstellungen helfen aber weder Skandalisierungen noch Parteienverbote. Das Problem liegt tiefer. Bislang hat die Politik neben Überwachung, Solidaritätsbekundungen und einzelnen Projekten immer noch zu wenig auf die Beine gestellt. Daher sage ich: Auch ohne die NPD als politischen Kontrahenten zu akzeptieren oder zu legitimieren, müssen sich die demokratischen Kräfte viel stärker mit den vielen Erwachsenen auseinandersetzen, die für das Gedankengut der rechten Rattenfänger offen sind.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der SSW spricht sich daher erneut gegen ein NPDVerbotsverfahren aus, das eine Lösung des Problems lediglich vorgaukeln würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keinen Demokratiesockel, auf dem wir uns ausruhen können. Demokratie ist ein ständiger Prozess, der immer wieder neu gelebt werden muss. Demokratie ist, mit anderen Worten und völlig banal formuliert, harte Arbeit, die nicht nur hier im Parlament stattfindet, sondern überall in unserer Gesellschaft.

Das Ziel muss sein - natürlich muss dies unser Ziel sein -, den Nazis keinen Raum für die Verbreitung ihres menschenverachtenden Gedankenguts zu geben. Das erreichen wir aber nur, wenn wir begreifen, dass ein NPD-Verbot nur unserer Demokratie als System nutzt; dadurch stärken wir nur unseren Staat. Das ist auch wichtig, aber das reicht nicht. Wir müssen unsere demokratische Gesellschaft stärken, und unsere demokratische Gesellschaft lebt nun mal vom Engagement eines jeden von uns. Wir sind alle gefragt, gegen rechte Gedanken und gegen die NPD vorzugehen.

(Beifall beim SSW)

Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der Kürze der Zeit jetzt nicht auf alle Argumente eingehen; das können wir auch später noch machen. Aber doch ein, zwei Anmerkungen seien mir gestattet.

Frau Amtsberg, dieses Fass aufzumachen bedeutet, entweder ist man für das Verbot der NPD und hätte dieses Problem damit erledigt, oder man ist nicht gegen das Verbot der NPD; dann kann man gegen diese kämpfen. Das, finde ich, ist jenseits von Gut und Böse.

Ich habe in meinem Redebeitrag deutlich gemacht zumindest habe ich das versucht -, dass ein Verbot der NPD nicht die braunen Gedanken aus den Köpfen bringt, sondern dass man zusätzlich auch noch andere Maßnahmen ergreifen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist nur ein strukturelles Mittel und, wie ich finde, ein wichtiges Mittel, um gegen diese braune Pest anzugehen. Das ist das eine.

Ich kann mich auch an die Unterstützung von Demonstrationen erinnern, bei denen ich auch Ihren Namen gefunden habe, als es um das Verbot der NPD ging. Das ist aber bereits eine andere Geschichte. Vielleicht hat sich das jetzt ja auch geändert. Vielleicht irre ich mich aber auch.

Ich möchte noch auf eine zweite Sache eingehen, Frau Brand-Hückstädt, Antisemitismus-Vorwurf. Ich persönlich habe sehr lange - leider kann ich es zurzeit nicht mehr - unter anderem Stadtrundgänge auf den Spuren der jüdischen Geschichte in Kiel gemacht, um auch Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen genau das zu zeigen, was damals ab 1933 geschehen ist. Ich bin wirklich jemand, der in der Gesellschaft sehr stark darauf hinarbeitet, dass wir dies niemals vergessen und dass wir daraus auch immer unsere Lehren ziehen.

Das bedeutet aber nicht, bei aller Vorsicht mit unserer historischen Geschichte, dass man Israel nicht kritisieren kann. Ich glaube, gerade die FDP hat doch diese Debatte im Jahre 2002 gehabt.

Erinnern Sie sich an Jürgen Möllemann, erinnern Sie sich an die Affäre Karski, erinnern Sie sich an die Bundestagswahl 2002 mit dem Flugblatt von Jürgen Möllemann! Ehrlich gesagt, Jürgen Möllemanns Spuren führen ja auch nach Schleswig-Holstein; er hatte auch Verbindungen in den Landesverband der hiesigen FDP. Insofern sollten wir uns alle mit dem nötigen Ernst nicht gegenseitig etwas

(Anke Spoorendonk)

vorwerfen, sondern wirklich beim Thema bleiben. In diesem Sinne möchte ich noch einmal darauf hinwirken, die NPD nicht zu verharmlosen; denn wenn man wegguckt - auch das hat die Geschichte gezeigt -, dann kommt das eher nur der NPD zugute.

(Zuruf von der FDP)

- Wir sollen nicht weggucken? - Doch, es wurde umgekehrt von Ihnen formuliert. Sie haben gesagt, wir werten die NPD dadurch auf, dass wir sie thematisieren. Ich denke nicht, dass wir sie aufwerten, sondern dass es notwendig ist, solche Tendenzen immer wieder zu diskutieren und darauf hinzuweisen und wirklich dafür zu sorgen, dass so etwas, was wir zwischen 1933 und 1945 erlebt haben, niemals wieder hier im Land passiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich das Wort dem Herrn Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzenden Dr. Ralf Stegner von der SPDFraktion.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich gern auf die durch Ton und viele Argumente durchaus sehr bedenkenswerte Rede der Frau Kollegin Amtsberg zurückkommen will.

Das, was Sie an notwendigen Aktivitäten zur Bekämpfung von Rechtsextremismus vorgetragen haben, wird von uns vollständig geteilt. Es ist mitnichten als Alternative zu verstehen zu dem, was ich hier vorgetragen habe, sondern das tun wir, das beantragen wir überall. Darüber gibt es überhaupt keinen Dissens. Ich glaube übrigens auch, dass es darüber nicht einmal in diesem Haus irgendeinen Dissens geben dürfte, auch wenn ich darüber befremdet bin, dass die Bundesregierung Mittel zusammenstreicht für just diese Programme, die wir doch eigentlich gemeinsam unterstützen sollten.

Ich will aber noch ein Zweites sagen. Die Position, die ich hier vorgetragen habe, ist auch die Position, die die SPD bundesweit vertritt, die SPD, die mittlerweile 150 Jahre alt ist und die ihre eigenen Erfahrungen auch in der Parlamentsgeschichte gemacht hat mit Mut im Parlament auch gegenüber anderen. Wenn wir in Europa erleben, dass es inzwischen überall in erschreckender Weise offen auftretende faschistische Parteien in Parlamenten

gibt, Neonazis und wie sie alle heißen mögen, und wenn wir erleben, dass Rechtsextremismus und Rechtspopulismus immer mehr hoffähig werden, dann kann man das beklagen. Aber ich glaube, man kann auch sagen, es wird in Deutschland immer etwas Anderes sein, in einem Land mit unserer Geschichte, wenn bei uns von Parlamentsbänken wie in Sachsen, wie in Mecklenburg-Vorpommern solche Dinge vorgetragen werden und wenn wir in der Haushaltsnotlage, die wir haben, Mittel für Sozialverbände und Opferverbände und andere Verbände kürzen, aber mit Steuermitteln finanzieren, dass dieser rechtsextreme Spuk dann auch noch Parteien in Parlamente führt. Das ist dann ein Punkt, der meiner Meinung nach beendet werden sollte und der nichts mit Meinungsfreiheit zu tun hat.

(Beifall bei der SPD)

Ich füge eines hinzu - auch das bitte ich zu bedenken -: Ich habe hier nicht gesagt, wir sollten jetzt eben mal einen Antrag stellen. Antragsberechtigt für ein Parteienverbot sind entweder der Bundestag, der Bundesrat oder die Bundesregierung. Der letzte Antrag kam übrigens von einer rot-grünen Regierung, Frau Kollegin Amtsberg. Jedenfalls die drei genannten Institutionen sind antragsberechtigt. Man sollte dies nur tun, wenn ein Antrag Aussicht auf Erfolg hat und man das Verfahren so gestaltet, dass man auch gewinnt.

Ich glaube nicht, dass das in Hektik und sofort zu geschehen hat. Aber wenn ich an diejenigen gerade auch in Teilen der neuen Bundesländer denke, die es auch haben hinnehmen müssen, dass unter Berufung darauf, dass es solche Parteien und Übergriffe gibt, wodurch in Deutschland mehr Menschen zu schaden kommen als durch jede andere Aktivität im politischen Bereich, auch im linksextremen politischen Bereich, dann finde ich schon, dass wir nicht mit dem Tenor reden sollten: Na ja, ihr wollt ja ein Parteienverbot, aber in Wirklichkeit müsste man etwas anderes tun. Für mich ist das lediglich ein Mittel in der Kette. Wir haben uns das sehr gut überlegt. Ich kann nur sagen, Nazis gehören nicht in deutsche Parlamente, und wenn die verboten wären, wäre noch längst nicht alles erledigt. Es wäre aber ein großer Schritt in die Öffentlichkeit, dass dies nicht mehr geschieht.

(Beifall bei der SPD)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Günther Hildebrand von der FDP-Fraktion das Wort.

(Ulrich Schippels)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir nur ein Wort zu Ihnen, Herr Schippels, zum Stichwort Antisemitismus. Sie sprachen da den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Jürgen Möllemann an. Ich will gar nicht erwähnen, was der im Einzelnen gesagt oder gemacht hat. Sie hatten dann aber auch zum Ausdruck gebracht, dass Jürgen Möllemann persönliche Beziehungen zur FDP Schleswig-Holsteins gehabt habe. Insoweit muss ich ehrlich sagen, dass ich hier überhaupt keinen Zusammenhang sehe und dies auch gar nicht verstehe. Zu einer solchen Äußerung fällt mir nun wirklich nichts mehr ein. Was wollen Sie denn damit sagen?

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir hier auf diesem Niveau diskutieren und das möglicherweise als Unterstellung oder Anspielung ins Spiel bringen, dann geht das meines Erachtens völlig am Thema vorbei. So etwas sollten wir hier lassen.