Protokoll der Sitzung vom 16.09.2011

Hat das Handeln des Siemens-Konzerns noch eine gewisse ökonomische Rationalität, die man dem Konzern sicherlich nicht absprechen kann, so ist es meines Erachtens völlig unverständlich, warum die Bundesregierung überhaupt keinen Finger rührt. Auf eine Anfrage des Kieler Abgeordneten Dr. Bartels hin erklärt die Bundesregierung - zuständig sind in der Bundesregierung bekanntlich die Herren Rösler und Bahr -, es sei allein die unternehmerische Entscheidung von Siemens, sich an der Weiterentwicklung der Partikeltherapie zu beteiligen oder nicht. Sonst wurde nichts erklärt. Sonst gibt es kein Wort zu diesem Komplex. Das ist meines Erachtens ein Paradebeispiel für einen Ausverkauf nationaler Interessen. Mit Steuermitteln entwickelte Hochtechnologie wird zur Anwendung und Wertschöpfung ins Ausland exportiert. In die Röhre gucken nicht nur die deutschen Steuerzahler, in die Röhre, aber in die falsche, gucken die Patienten, die dringend auf neue Therapiechancen warten. Das ist eine Art der Ignoranz der Bundesregierung, die Bananenrepublikniveau hat.

(Beifall bei SPD und SSW)

Bei so viel Berliner Ignoranz kann man die Haltung und die Vorgehensweise der Landesregierung eigentlich kaum noch kritisieren, denn ohne den Geleitzug einer bundespolitischen Unterstützung war auch nicht zu erwarten, dass die Landesregierung mutige Schritte einleitet.

Meine Damen und Herren, bisher - ich füge nach dieser Debatte das Wort „bisher“ ein, das nicht in meinem Manuskript steht - erkenne ich nicht den Versuch, alternative Optionen für einen Betrieb

(Jürgen Weber)

der Partikeltherapie in Kiel ernsthaft zu prüfen. Noch im Ausschuss hat Minister de Jager auf die starke Verhandlungsposition des Landes verwiesen, sollte Siemens keine funktionsfähige Anlage vorweisen können. Das ist offensichtlich die Situation. Herr de Jager, trotz der angenehmen Situation, sich mit Ihnen zu streiten, muss ich sagen: Sie veröffentlichen auf Ihrer Ministeriums-Website nicht nur das Foto der lächelnden Liquidatoren dieses Projekts, sondern auch eins zu eins die Propagandatexte von Siemens-Healthcare. Das ist der Gipfel der Unverschämtheit.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass diejenigen, die die Technologie beherrschen, miteinander im Gespräch bleiben. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich darum kümmern, damit die Chancen für Kiel nicht endgültig aus der Welt geschaffen sind.

In diesem Sinne beantworten wir die Antragstellungen der anderen Fraktionen so, dass wir für den Bereich des UK S-H Bedingungen formulieren.

Zum Schluss möchte ich zum Abstimmungsverfahren sagen: Es ist okay, dass über alle Anträge einzeln abgestimmt wird. Wir werden uns bei der Abstimmung über die Anträge der anderen Fraktionen im Hinblick auf die Entwicklung im UK S-H in der Sache enthalten und unserem Antrag zustimmen, weil wir glauben, dass die Bedingungen der Wirtschaftlichkeit und der Arbeitnehmerrechte so zentral sind, dass sie eines eigenen Antrags bedürfen.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Daniel Günther das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin der Frau Abgeordneten Heinold sehr dankbar dafür, dass sie gleich zu Beginn ihrer Rede noch einmal klar dargestellt hat, dass wir hier und heute Versäumnisse der rot-grünen Vorgängerregierung nachholen müssen. Vielen Dank für diese Klarstellung.

(Beifall bei CDU und FDP - Zurufe von der SPD)

Dann muss ich wesentliche Teile meiner Rede nicht ganz so pointiert darstellen, weil mir Frau Heinold das vorweggenommen hat. In dieser Woche wurde eine ganz wesentliche Entscheidung zur Sicherung

der Zukunftsfähigkeit des Universitätsklinikums getroffen. Über Jahrzehnte hinweg wurde das UK S-H vonseiten des Landes stiefmütterlich behandelt. Das war völlig unangemessen angesichts der Bedeutung, die dieser Maximalversorger in der Krankenversorgung und Dienstleister für Forschung und Lehre besitzt.

Erst nach Eintritt der CDU in die Landesregierung wurde in einem ersten Schritt das Defizit reduziert. Insgesamt hat sich bis heute über viele Jahre ein Bilanzverlust von 130 Millionen € aufgebaut. In einem zweiten Schritt steht jetzt die Umsetzung des Masterplans Bau an. Viele haben immer den Ansatz gehabt, hier muss investiert werden, aber es ist in der Vergangenheit nie gemacht worden. Das steht jetzt an, und dafür brauchen wir private Unterstützung. Das haben wir immer offen gesagt.

Ursprünglich hatten wir 700 Millionen € kalkuliert. Es gab noch höhere Schätzungen. Jetzt werden 500 Millionen € in den nächsten Jahren in die Bausubstanz investiert werden.

Bereits 2009 hat die Landesregierung festgestellt, dass eine relevante Beteiligung des Landes an den Baumaßnahmen des UK S-H nicht möglich ist und wir stattdessen privates Kapital benötigen. Aber bei dem jetzt festgelegten Modell muss allen Beteiligten klar sein, dass die ursprünglich veranschlagte Summe ein Stück weit reduziert werden muss, damit wir auch zu entsprechend ausgeglichenen Jahresabschlüssen kommen und um das Defizit, das in den letzten Jahren aufgebaut worden ist, wirklich nachhaltig zu reduzieren.

Wir legen Wert darauf, dass folgende Aspekte erfüllt werden: Sicherung von Forschung und Lehre für die Universitäten in Kiel und Lübeck, Erhaltung der Qualität und Quantität des Angebots des UK S-H als alleiniger Maximalversorger in Schleswig-Holstein, Entlastung für den Landeshaushalt und Sicherung der Arbeitsplätze an den Hochschulen und am UK S-H. Das sind für uns die ganz wichtigen Kriterien, die in Zukunft eingehalten werden müssen.

Bis zur Einleitung des Vergabeverfahrens und auch bis zum Beginn der Zusammenarbeit mit den privaten Investoren darf es keinen Investitionsstau geben. Ich lege sehr viel Wert darauf, dass hier nicht der Eindruck erweckt wird, das Verfahren dauere unglaublich lange, und es werde erst ab dem Jahr 2014 investiert werden. Es wird auch in den nächsten Jahren weiter investiert werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

(Jürgen Weber)

Es ist auch in den vergangenen Jahren unter CDU und FDP investiert worden. Sie wissen das doch alle miteinander, dass das getan worden ist, gerade in dieser Legislaturperiode, weil wir uns ja häufig genug zur Schlüsselübergabe von neuen fertigen Gebäudetrakten beim UK S-H miteinander getroffen haben.

Von daher begrüßen wir die Absicht, dass die Landesregierung bis zum Jahr 2013 allein in die Struktur der Krankenversorgung etwa 30 Millionen € an den beiden Campi Lübeck und Kiel investieren wird. Hinzu kommt, dass wir in den nächsten Jahren - daran sieht man, was das für eine Mammutaufgabe ist, die wir da schultern müssen - mit insgesamt 160 Millionen € in die Gebäudesubstanz für Forschung und Lehre als Land selbst einsteigen müssen. Das muss ja auch jedem klar gewesen sein, auch als wir über unterschiedliche Formen diskutiert haben, über Privatisierung, über alles andere, diese Kosten hätte uns ohnehin nie jemand von der Hand gehalten, sondern das ist originäre Aufgabe des Landes. Das müssen wir in den nächsten Jahren leisten; das wird ein großer Kraftakt. Wir sollten dankbar sein, dass wir für die 340 Millionen €, die in die Substanz der Krankenversorgung investiert werden, entsprechende Unterstützung von privaten Trägern bekommen.

In diesem Zusammenhang ist es - das kann man ohne Einwände sagen; da bin ich auch ganz bei Ihnen - natürlich bedauerlich, dass das Protonentherapiezentrum nicht in der Form kommt, wie wir uns alle das miteinander gewünscht haben. Ich frage mich aber bei dem, was Sie gerade vorgetragen haben: Was ist eigentlich der genaue Vorwurf, den Sie jetzt der Landesregierung machen?

(Beifall bei CDU und FDP - Zuruf des Abge- ordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Herr Stegner - vielen Dank, dass Sie jetzt dazwischengerufen haben; das passte ganz gut -, der Sie hier im Landtag immer die großen Reden darüber schwingen, dass sich die Privaten die Gewinne in die eigenen Taschen wirtschaften und für Verluste die öffentliche Hand antreten darf: Hier hat die Landesregierung in einem Vertrag ausgeschlossen, dass die Risiken das Land trägt. Das müssen die Privaten in diesem Falle tragen. Jetzt machen Sie hier der Landesregierung den Vorwurf, dass es einen solchen Vertrag gegeben hat. Das ist doch schizophren!

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn wir nicht einen so klugen und tatkräftigen Minister hätten, der nicht immer nur von sozialer

Verantwortung redet, sondern in diesem Bereich auch solche klugen Verträge gemacht hat, dann stünden wir heute vor einem Scherbenhaufen, vor dem wir immer wieder bei den Versäumnissen stehen, die Sie in der Vergangenheit bei anderen öffentlichen Instituten gemacht haben.

(Beifall bei CDU und FDP - Zuruf der Abge- ordneten Dr. Gitta Trauernicht [SPD])

- Vielen Dank, Frau Trauernicht, für das Kompliment, dass ich jung bin. - Wir müssen realistisch sagen, dass die gefundene Lösung das Land Schleswig-Holstein nicht von Haftungsrisiken entbindet. Das sollten wir auch im weiteren Verfahren offen miteinander diskutieren. Ich bin bei den Sozialdemokraten gar nicht überrascht, dass jetzt in den Anträgen so deutlich geschrieben wird, dass bei einem solchen Modell Risiken entstehen. Das ist bei wirtschaftlicher Betätigung so - das müssen Sie mal zur Kenntnis nehmen -, dass es Risiken gibt. Aber das, was Sie in der Vergangenheit gemacht haben, dass man vielleicht keine Risiken gespürt hat, sondern immer schön der Steuerzahler dafür aufkommen musste, kann doch an der Stelle keine Lösung für die Zukunft sein.

Wir sind davon überzeugt, dass diese Lösung aufgehen wird. Das ist ein Vertrauensvorschuss, den wir dem Vorstand des UK S-H und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geben. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Modell klappen kann, dass dieses Modell in Zukunft dafür sorgen kann, dass wir ausgeglichene Jahresabschlüsse kriegen, dass diese Investitionen getätigt werden können. Wir wissen, dass das ein Vertrauensvorschuss ist, aber wir halten diese Lösung für eine gute. Eine andere Alternative wäre in der Tat, über Privatisierung zu reden. Aber das wollen Sie ja offenkundig auch nicht.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Das wollen Sie aber genau!)

- Haben Sie unseren Antrag gelesen, Frau Jansen? Das sollten Sie vielleicht mal tun. Wenn Sie Gesetzentwürfe schon nicht lesen, sollten Sie zumindest die Anträge lesen, über die heute abgestimmten wird.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich halte mich zu den Anträgen, die ansonsten vorliegen, ein Stück weit zurück, zumindest in Bezug auf den SSW. Ich kann mir aber die Bemerkung nicht verkneifen, lieber Lars Harms, dass ich es schon interessant finde, dass Sie hier im Juli vor Kenntnisnahme der ganzen Fakten und Unterlagen

(Daniel Günther)

einen Antrag einbringen, dass wir schon im Juli für ein bestimmtes Modell votieren sollen beziehungsweise ein Modell ausschließen sollen, jetzt aber, nach zwei Monaten, wo Sie die Fakten kennen, Sie den Antrag stellen, dass wir heute bitte keine Entscheidung treffen sollten, sondern das weiter nach hinten verschieben sollen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, Sie haben weiter das Wort. Das Klingeln sollte nur dazu dienen, Ihnen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Ich dachte schon, ich müsste zur Ordnung gerufen werden. - Die Faktenkenntnis, die Sie in den letzten zwei Monaten erhalten haben, scheint ja eher dazu geführt zu haben, dass Sie Ihre eigene Entscheidungsfähigkeit ein bisschen in Zweifel gezogen haben. Das kann man ja auch ein bisschen positiv werten. Vielleicht kommen Sie ja auch noch zu der Überlegung, unserem Antrag zuzustimmen. Dafür würde ich werben.

Ich will an der Stelle auch ausdrücklich sagen, dass wir uns mit der FDP darauf verständigt haben, den Grünen - auch nach der Rede von Frau Heinold - in einem Punkt entgegenzukommen, nämlich dass wir in den vorliegenden Antrag - Frau Präsidentin, die Formulierung werden wir Ihnen gleich geben - vor dem letzten Satz den Satz einfügen: „Der Schleswig-Holsteinische Landtag spricht sich dafür aus, dass die Investitionsbank mit ihrem Know-how das Verfahren begleitet.“

(Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir würden uns freuen, wenn es auf dieser Grundlage vielleicht eine breite Mehrheit hier im Landtag für diese wichtige Entscheidung für die Zukunft des UK S-H, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. Dazu möchte ich Sie herzlich auffordern.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Katharina Loedige.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben an dieser Stelle schon

vielfach über die Zukunft, die Gegenwart und die Vergangenheit des Universitätsklinikums gestritten. Ich glaube aber, wir waren uns selten in einer Frage so einig wie jetzt heute und hier. Wir können die Zukunft des UK S-H nur gestalten, wenn wir alle gesicherten Erkenntnisse, alle vorhandenen Daten zusammenfügen und schnell politische Schlüsse ziehen.

(Beifall bei der FDP)