Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

(Unterbrechung: 12:18 bis 12:22 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wiedereröffnet. Ich bitte Sie, sich wieder auf die Sitzung zu konzentrieren. Ich würde gern fortfahren. Ich habe die Tagesordnungspunkte 24 und 43 zur gemeinsamen Beratung aufgerufen.

Zur Berichterstattung des Bildungssausschusses zum Antrag Bildungsfinanzierung, Drucksache 17/40, erteile ich zunächst der Vorsitzenden, Frau Abgeordneter Susanne Herold, das Wort.

Frau Präsidentin! Der Bildungsausschuss hat sich in seiner Sitzung am 3. Dezember mit dem Antrag der Grünen befasst. In dieser Ausschusssitzung haben CDU und FDP einen Änderungsantrag vorgelegt,

(Dr. Ralf Stegner)

der angenommen worden ist. Damit empfiehlt der Bildungsausschuss dem Landtag mit den Stimmen von CDU und FDP bei Enthaltung von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW die Annahme des Antrags von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Bildungsfinanzierung, Drucksache 17/40, in geänderter Fassung. Die geänderte Fassung können Sie der Drucksache 17/113 entnehmen.

Ich danke der Frau Berichterstaterin. Gibt es Wortmeldungen zum Bericht? - Das ist nicht der Fall. Ich frage, ob das Wort zur Begründung des Antrags zu a), Drucksache 17/85, gewünscht wird. - Das ist auch nicht der Fall. Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist das einstimmig so beschlossen.

Ich erteile nun Herrn Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin und - ich betone - alle Ministerpräsidenten der Länder haben sich im Herbst des vergangenen Jahres in Dresden ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Bis zum Jahr 2015 soll der Anteil der Aufwendungen für Bildung und Forschung gesamtstaatlich auf 10 % des Bruttoinlandsprodukts gesteigert werden. Gemeinsam haben wir damals einen Prozess vereinbart, an dessen Ende ein bislang einmaliger Investitionsschub für Bildung und Forschung stehen soll. Gestern nun hat die Konferenz der Ministerpräsidenten getagt. Wir haben festgestellt, dass vor und seit dem Qualifizierungsgipfel in Dresden in Bund und Ländern wesentliche bildungspolitische Schwerpunkte gesetzt worden sind und erhebliche zusätzliche Haushaltsmittel gerade durch die Länder bereitgestellt worden sind. Um es ganz klar zu sagen: Bund und Länder haben die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Konsequenzen gezogen. Bildung und Forschung haben eine neue Priorität erlangt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Der Anteil der Ausgaben für Bildung und Forschung an den Gesamthaushalten der Länder ist von 29 % im Jahr 1995 auf 34 % im Jahr 2008 gestiegen. Gesamtstaatlich beliefen sich die Ausgaben

nach Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Jahr 2006 noch auf 198 Milliarden €. Im Jahr 2009 waren es schon 226 Milliarden €. Das ist ein sattes Plus von 14 % von 2006 auf 2009. Dennoch können wir hier nicht haltmachen. Von dem 10%-Ziel im Jahr 2015 sind wir noch weit entfernt. Wir dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen. Im Gegenteil, wenn wir einen großen Satz nach vorn machen wollen, dann müssen wir unsere Anstrengungen noch intensivieren.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Das heißt, die Gesamtausgaben für Bildung und Forschung müssen von 2009 bis 2015 um rund 41 Milliarden € gesteigert werden, wenn wir das 10%-Ziel bis dahin erreichen wollen. Von den 41 Milliarden € sind bereits 28 Milliarden € an Etatsteigerungen für Forschung und Bildung vorgesehen. Wenn Bund und Länder ihre Bildungs- und Forschungshaushalte wie vorgesehen fortschreiben, wenn Wirtschaft und Private weiter ihre Beiträge leisten, dann fehlen 2015 rechnerisch noch mindestens 13 Milliarden €.

Ich habe daraufhin und auch aufgrund dieser Zahl mehrmals mit unserer Bundeskanzlerin gesprochen. Wer die Verhandlungen über die vergangenen Wochen hinweg verfolgt hat, der weiß, es geht um viel. Das ist allen Seiten bewusst. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich bei zusätzlichen Belastungen zunächst den Bund in der Pflicht sehe. Die auf Bundesebene von CDU und FDP im Koalitionsvertrag vereinbarten zusätzlichen Mittel für Bildung und Forschung sind wichtig und richtig, aber sie reichen nicht aus, wenn wir das 10%-Ziel erreichen wollen.

Wir haben eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang, und wir sind noch mitten in einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Beides hat Konsequenzen für die Ausgabenpolitik Schleswig-Holsteins. Es hat Konsequenzen für die Ausgabenpolitik aller Länder. Für Schleswig-Holstein kann ich sagen: Wir sind auf die zusätzlichen Mittel des Bundes angewiesen. Ich erinnere daran: Die Konsolidierungshilfen, die unser Land bekommt, sind Voraussetzung, um die Neuverschuldung zu reduzieren. Sie dienen nicht dazu, neue Aufgaben zu finanzieren.

Das muss auch so bleiben. Deshalb haben die Konsolidierungsländer gestern bei der Beschlussfassung zu Protokoll gegeben, dass die Umsetzung der vereinbarten Ziele unter einem Vorbehalt steht. Die Vorgaben aus dem Grundgesetz über die Gewährung von Konsolidierungshilfen müssen insbeson

(Susanne Herold)

dere zur gleichmäßigen Reduzierung des strukturellen Defizits erfüllbar sein.

(Beifall bei CDU und FDP)

Berlin, Bremen und das Saarland haben das gestern mit uns gemeinsam deutlich gemacht. Wir müssen eine Regelung finden, die der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse gerecht wird. Ich habe in dem Gespräch mit der Bundeskanzlerin daher aus meiner Ansicht keinen Hehl gemacht. Ich habe gesagt: Die Mehrausgaben, die zum Erreichen des 10%-Ziels notwendig sind, können von den Ländern allein mit den bislang vorhandenen Mitteln nicht geleistet werden, und von Schleswig-Holstein erst recht nicht.

Das war immer meine Position. Ich habe sie mit Nachdruck vertreten, und das hat sich gelohnt. Das Ergebnis ist: Der Bund hat angeboten, 40 % von mindestens 13 Milliarden € zu übernehmen, die noch fehlen. Das wird er - und das ist ein Riesenfortschritt - auch dauerhaft tun, nämlich über die laufende Legislaturperiode hinaus und über 2015 hinaus. Das ist deshalb wichtig, weil der Bund eigentlich keine Zusage über die Wahlperiode hinaus machen wollte.

(Beifall bei der CDU)

Diese Zusage entlastet Schleswig-Holstein enorm, wenn man das 10%-Ziel erreichen will, was alle Länder wollen, auch die SPD-geführten Länder. Selbst diese Länder haben uns jetzt einen Fortschritt attestiert. Das ist kein Sonderweg für Schleswig-Holstein. Die Zusage entlastet alle Länder. Ich habe immer großen Wert darauf gelegt: Das ist kein Sonderweg für Schleswig-Holstein. Nun sind wir auf einem für alle Länder gangbaren Weg. Damit ist viel erreicht. Der Bund ist uns in diesem Punkt sehr weit entgegengekommen.

Wir zeigen nicht nur mit dem Finger auf andere. Natürlich engagiert sich auch die Landesregierung für mehr Bildung und Forschung in Schleswig-Holstein. Ich will Ihnen drei Punkte für die Aufwertung des Bildungssektors nennen:

Erstens. Wir haben den Hochschulpakt mitgetragen. Ab 2011 werden wir für 9.700 zusätzliche Studienplätze sorgen.

Zweitens. Wir unterstützen unsere Forschungseinrichtungen bei der Exzellenzinitiative nachdrücklich. Aus den Netzwerken der Hochschulen und anderer Forschungseinrichtungen entsteht Erkenntnisgewinn, der wiederum neue Wertschöpfungsketten in Gang setzt.

Drittens. An den Schulen werden wir das zahlenmäßige Verhältnis von Lehrern zu Schülern verbessern. Ein großer Teil der demografischen Rendite wird zugunsten der Unterrichtsqualität eingesetzt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Im solidarischen Bündnis mit Bund, Ländern und Kommunen, mit der Wirtschaft und den Privaten können wir das 10%-Ziel erreichen. Das ist nach der gestrigen Verhandlung meine feste Überzeugung. Wenn es uns gelingt - ich bin nach meinen Gesprächen in Berlin sehr zuversichtlich -, bis zum Juni nächsten Jahres durch die Finanzministerkonferenz konkrete Vorschläge zur Deckung der Finanzlücke zu erarbeiten, wird sich das gestrige Gespräch im Kanzleramt als wichtiger Meilenstand auf dem Weg zur Bildungsrepublik Deutschland erwiesen haben. Das, meine Damen und Herren, sollte in unser aller Interesse sein.

(Anhaltender Beifall bei CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, nach § 52 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Landtags hat der Oppositionsführer das Recht, nach der Rede des Ministerpräsidenten das Wort zu ergreifen. - Herr Dr. Ralf Stegner, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Fortschritte für Bildung in diesem Land erzielt werden könnten, wäre das für uns alle gut, und dann würde das den Beifall aller in diesem Haus finden.

Richtig ist aber leider, dass Union und FDP die Wahlkämpfe für den Bundestag und für den Landtag damit bestritten haben, dass sie die Haushalte sanieren, die Bildung verbessern und die Bürger entlasten wollten. Ich übersetze das einmal. Das heißt: weniger einnehmen, mehr ausgeben und keine neuen Schulden machen. Das funktioniert nicht. Das haben wir ja eben diskutiert.

Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie, Herr Ministerpräsident, wenigstens zu diesem Punkt das Wort ergriffen haben. Aber man muss natürlich schon sagen: Sie sind jetzt mit der schnöden Wirklichkeit konfrontiert, dass das, was Sie versprochen haben, nicht funktioniert. Sie haben weder die Mittel noch die Konzepte, um das, was im Bildungsbereich zweifellos getan werden muss, zu bewältigen. Dazu

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

gehören - ich sage das ohne Anspruch auf Vollständigkeit - der Ausbau der Betreuungsplätze für mindestens 35 % aller unter Dreijährigen, die qualitative Verbesserung der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher und deren bessere Bezahlung, die Sicherung und der Ausbau der Unterrichtsversorgung, die Umsetzung der Schulreform, auch in ihren materiellen Konsequenzen - anstatt den Erhalt der Realschule zu propagieren, sollten Sie lieber dies tun -, die Weiterentwicklung der Lehrerbildung, die Sicherung des Lehrernachwuchses, die Schaffung neuer Studienplätze, die bessere materielle Absicherung des Studiums ohne soziale Barrieren und vieles andere mehr, was an Hochschulreformen erforderlich wäre.

Es gäbe vieles zu tun, um das Missverhältnis von Anspruch und Wirklichkeit aufzulösen. Wir wollen jedem eine Chance geben. Tatsächlich grenzen wir viele aus. 2007 haben noch immer 8,7 % der Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen.

(Zurufe von der CDU)

Wir brauchen viel mehr Menschen mit guter Qualifikation. Tatsächlich ist der Anteil jener, die das Abitur ablegen, wie jener, die studieren, viel zu gering.

(Zurufe der Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU] und Wolfgang Kubicki [FDP])

Nur 25 % der jungen Schleswig-Holsteiner gehen nach der Schule auf eine Hochschule; im OECDDurchschnitt sind es 56 %.

Wir wollen faire Chancen. Tatsächlich ist Bildung bei uns in Deutschland vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Wir wollen selbstbewusste, kritische, gut ausgebildete Geister und verfehlen doch die Bedürfnisse und Lebensrealitäten der Kinder und jungen Erwachsenen um Längen. Einige von Ihnen konnten es gestern im Bildungsausschuss wieder erleben.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Dazu gibt es von den Bildungsexperten seit Langem klar umrissene Reformvorstellungen: Wir brauchen etwa 60 Milliarden € zusätzlich, und mit diesen Mitteln sollten hauptsächlich Kinder in den unteren Einkommensschichten gefördert werden.

Ja, es gab wieder einmal einen Bildungsgipfel; aber wir sollten das nach dem Höhenlevel beurteilen. Ich gebe zu, von Nordstrand aus wirkt auch

schon ein Maulwurf eindrucksvoll. Aber das, was dabei herausgekommen ist, ist jedenfalls kein Gipfel, sondern es ist ein lächerliches Ergebnis, dass man sagt: Das, was wir eigentlich wollten, reduzieren wir deutlich, aber sagen noch nicht, wie wir es finanzieren. - Das ist das Ergebnis von gestern gewesen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Im Übrigen hat Kurt Beck, der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, gestern öffentlich gesagt, er sei extrem enttäuscht über das Ergebnis gewesen, weil die Bundeskanzlerin eben nicht bereit gewesen sei zu sagen, wie das gehen soll. Vielmehr will man das im Juni tun. Das liegt bekanntlich nach der Landtagswahl in Nordrhein Westfalen. Das ist ja auch der Grund, warum Sie die Karten nicht auf den Tisch legen wollen. Sie wollen den Leuten nicht erzählen, wo denn gespart werden soll. Ich vermute, so wie ich Schwarz-Gelb kenne, soll das wieder bei jenen geschehen, die es sich am wenigsten leisten können.

Das Thema Bildung bleibt dabei auf der Strecke, Steuergeschenke werden proklamiert. Wir können Sie uns überhaupt nicht leisten. Die Wirtschaft wird übrigens nicht eingebunden, fühlt sich nicht verpflichtet. Die Kommentare, die die deutsche Wirtschaft dazu abgegeben hat, waren negativ. Die Berechnungen sind unehrlich. Man rechnet 60 Milliarden € auf 13 Milliarden € herunter, indem man Pensionszahlungen einbezieht, indem man Raummieten und vieles andere mehr einbezieht. Kein einziger junger Mensch in Schleswig-Holstein hat etwas davon, wenn wir diese Art von Taschenspielertricks vollführen, so wie das bei diesem Bildungsgipfel der Fall gewesen ist.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zusagen taugen nichts, weil sie noch gar nichts besagen, weil niemand gesagt hat, wie das konkret möglich sein soll. Wahrscheinlich ist es so, wie es Herr Wiegard beim letzten Tagesordnungspunkt angedeutet hat, nämlich dass Sie sagen: Wenn das im Verhältnis zu diesem Wachstumsbeschleunigungsgesetz wirklich etwas bringt, dann muss man an anderer Stelle sparen. Vermutlich hat Herr Dr. Klug schon ein paar Ideen, wo das im Einzelplan 07 möglich sein kann. Das heißt, auch dann kommt am Ende für die Schülerinnen und Schüler und für Studentinnen und Studenten nicht mehr, sondern weniger dabei heraus.