Sie wollen, dass diese Menschen ihren Lebensunterhalt an jeder Stelle sichern können oder dass von den Ausländerbehörden eine entsprechende Prognose gestellt werden kann. Es würde mich übrigens interessieren, wie Sie es hinkriegen wollen, dass es organisatorisch geleistet wird, die Prognosen zu erstellen und zu prüfen, ob zum Beispiel die Betroffenen die Elternabende der Kinder in den Schulen besuchen. Es würde mich auch interessieren, wie Sie die Kenntnisse über Demokratie und die bundesdeutsche Gesellschaft abprüfen wollen. All dies wollen Sie den Ausländerbehörden zumuten. Ich behaupte und würde die steile These hier in den Raum stellen, dass dies so gut wie unmöglich ist.
- Mir ist klar, dass das kein Gesetzestext ist; woher auch immer dieser Ausruf kam. Das sind aber die Stoßrichtungen und die Kriterien, die angelegt werden. Diese nehme ich erst einmal als Maßstab dafür, wie das in der Realität aussehen könnte.
- Ich habe gesagt, dass Sie sich deshalb einmal mit unserem Antrag befassen könnten. Das war meine Ausgangskritik, das haben Sie nämlich nicht getan. Ich habe gesagt, dass Sie einmal darüber nachdenken könnten, welche Anforderungen ein humanitäres Bleiberecht stellen könnte.
In den Anhörungen haben Ihnen alle Experten bescheinigt: Ein gutes Bleiberecht muss allen Menschen, die so lange, also viele Jahre, ungewiss in Deutschland leben, in den Blick nehmen. Die Diakonie hat dies in ihrer Stellungnahme auf den Punkt gebracht: Ein gutes Bleiberecht muss ohne Stichtage auskommen, die Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung realistisch gestalten, humanitäre Krisen unbedingt einbeziehen, Familien schützen und auf restriktive Ausschlussgründe verzichten. All das finde ich leider nicht in Ihrem Papier. Daher sage ich an dieser Stelle noch einmal: Beide Anträge sind mit unserer Fraktion leider nicht zu machen, so sehr wir es auch bedauern, dass der Konsens an dieser Stelle nicht zustande gekommen ist.
Vielen Dank, Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schmalfuß, ich hoffe, dass Sie auf der Integrationsministerkonferenz und in den entsprechenden Ausschüssen des Bundesrats ein sachverständigeres Verhandlungspotenzial haben als hier im Landtag.
Es ist nicht so, als wenn nicht das meiste schon gesagt worden wäre. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitiere ich aus dem Protokoll der 55. Sitzung des Schleswig-Holsteinischen Landtags, Seite 4.763:
„Deswegen muss das Prinzip gelten: Erst das Bleiberecht und dann die Integration, weil das Bleiberecht die Voraussetzung für die Integration ist und nicht deren Belohnung sein darf.“
In der Zeit nach der 55. Sitzung sind viele Hoffnungen enttäuscht worden. Besonders nach der Anhörung von Sachverständigen im Innen- und Rechtsausschuss ist es mir unbegreiflich, wie es überhaupt zu den Anträgen von CDU und SPD kommen kann. Bereits das Eckpunktepapier des Ministers enthielt so hohe Anforderungen an die Menschen, dass ein Vertreter der Kieler Ausländerbehörde uns im Ausschuss erklärt hat: Von hundert Menschen, die geduldet in Kiel leben und für die diese Regelung eigentlich zur Geltung kommen sollte, würde kein einziger Mensch die Kriterien erfüllen. Es wird deutlich, dass dies überhaupt kein Vorschlag ist. Das ist eine Ausrede. Ihr Vorschlag würde für eine verschwindend geringe Zahl nützlich sein oder sogar für niemanden zu einer Verbesserung führen.
CDU und FDP stellen sich hin und sagen: Von den Menschen, die länger als sechs Jahre geduldet in Schleswig-Holstein leben, dürfen diejenigen in Deutschland bleiben, die perfekt Deutsch sprechen, die sich niemals auch nur des kleinsten Vergehens, zum Beispiel der Verletzung der Residenzpflicht oder des Schwarzfahrens mit dem Bus, zuschulden kommen lassen haben, die einen Abschluss oder ei
ne Berufsausbildung haben, die einen Job haben, der sie ernährt. Kollege Koch, so steht das in dem Antrag drin. Dort steht nicht, dass sich die Menschen bemühen müssen. Dort steht, dass sie sich wirtschaftlich erhalten müssen. Es dürfen diejenigen bleiben, die ihre Kinder optimal in der Schule integriert haben und ihre Kinder optimal dabei unterstützen. Das sind schon fast perfekte Menschen. Diese sollen dann in ihrer Freizeit auch noch ein Ehrenamt ausüben.
Kollege Koch, so, wie Sie uns das erklärt haben, steht es im Protokoll. Wir werden darauf zurückkommen. Frau Damerow hat es uns vorher aber anders erklärt. Im Antrag steht es auch anders drin. Wenn die Menschen all das erfüllen, dann sind sie perfekt genug. Ich weiß nicht, ob es Deutsche gibt, die all das erfüllen. Wenn die Menschen das erfüllen, dann werden sie von Ihnen als integriert bezeichnet. Dann haben sie sich einen befristeten Aufenthalt verdient. Wir müssen uns klar machen, worüber wir reden. Diese Menschen dürfen dann hier in Deutschland Steuern zahlen, aber wählen dürfen sie immer noch nicht. Sie konstruieren einen Idealtypus, der in der Wirklichkeit nicht vorkommt. Das hat der Sachverständige vom Kieler Ausländeramt uns im Ausschuss ganz deutlich gesagt.
Dieser Idealtypus kommt in der Wirklichkeit nicht vor, und zwar aus Gründen, die Sie selbst geschaffen haben. Ich versuche einmal, das zu übersetzen: Sie wollen, dass der Schulbesuch davon abhängig gemacht wird, dass der Schüler oder die Schülerin das Abitur hat. Sie wollen, dass man den Führerschein machen darf, wenn man zehn Jahre lang unfallfrei Auto gefahren ist. Sie wollen, dass man nur zum Arzt geht, wenn man kerngesund ist. Sonst darf man nicht hin. Genau das fordern Sie.
Sie fordern diese Deutschkenntnisse von Menschen ab, die Sie bisher explizit von den Deutsch- und Integrationskursen ausgeschlossen haben. Die Sicherung des Lebensunterhalts fordern Sie von Menschen, denen Sie bisher keinen Zugang zum Arbeitsmarkt oder - wenn überhaupt - nur einen nachrangigen Zugang zugestanden haben. Gucken Sie sich die Lage der Geduldeten in ihren Unterkünften sowie die extrem beschwerliche Anerkennung von ausländischen Berufs- und Bildungsabschlüssen an. Dann wissen Sie, dass die Menschen diese Bedingungen eigentlich überhaupt nicht erfüllen können. Die Lage, der Zustand und die Größe der Unterkünfte haben einen entscheidenden Einfluss auf die
schulischen Leistungen der Kinder. Sie können die Leistungen nicht erbringen, die sie erbringen sollen, und zwar nicht, weil sie dies selbst verschuldet hätten, sondern weil dies von uns, aus diesem Haus heraus, verschuldet worden ist.
Bei der Diskussion im Ausschuss sind Sie immer wieder vor und zurück gerudert. Der eine sagt: So, wie es dort geschrieben steht, ist es nicht gemeint. Dann sagte die andere: Doch, so ist es gemeint. Solange der Antrag in dieser Form vorliegt, muss ich davon ausgehen, dass Sie jedes Wort, das Sie in Ihrem Antrag schreiben, auch genau so meinen. Das lehnen wir grundheraus ab.
Herr Kollege Jezewski, wie erklären Sie, dass zum Beispiel im Fall Tigran nahezu alle Kriterien, die wir hier fordern, erfüllt worden sind? - Es scheint offensichtlich Menschen zu geben, die dies können, auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können.
- Ich möchte den Herrn Minister bitten, anschließend in seiner Stellungnahme darauf einzugehen, wieso im Fall Tigran dann die Härtefallentscheidung notwendig war. Wir haben es in jeder Zeitung gelesen: Die Eltern von Tigran waren nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Das funktionierte nicht. Da fehlte etwas. Sie haben aufgeschrieben: Jedes Kriterium muss erfüllt sein.
Formulieren wir den Antrag doch um! Ich erkenne ja an, was der Kollege Koch gesagt hat. Das kommt dem, was ich denke, schon ein ganzes Stück näher.
Gucken Sie sich unseren Änderungsantrag an! Wir haben in unserem Antrag detailliert deutlich gemacht, wie eine sinnvolle Bleiberechtsregelung das Problem der Kettenduldung verhindern kann.
Auch mit dem Vorschlag des Flüchtlingsbeauftragten und sogar mit dem Vorschlag des Ministers hätten wir uns mit ganz vielen Bauchschmerzen noch irgendwie anfreunden können, wenn wir in diesem Haus einen breiten Konsens gefunden hätten; ganz einfach, um dem Minister einen starken Rückenwind für seine Verhandlungen in der Integrationsministerkonferenz zu geben. Ansonsten werden auch wir die beiden vorliegenden Anträge ablehnen.
Danke schön, Herr Präsident. - Kollege Jezewski, können Sie sich ebenso wie ich daran erinnern, dass im Fall Tigran gerade die Straffälligkeit der Eltern beziehungsweise die damaligen Aussagen, die in dem Antrag der Kollegen von der CDU und FDP vorkamen, all dies ausgelöst haben? Stimmen Sie mir zu, dass gerade dies all dies ausgelöst hat und dass dies in dem Antrag von CDU und FDP als Ausnahmeregelung explizit drinsteht?
Ich weiß nicht, ob sich die Eltern im Fall Tigran strafbar gemacht haben. Auf jeden Fall war die Rede von der Verletzung von Mitwirkungspflichten. Das ist in dem Fall als ein Verstoß gegen das Ausländerrecht zu werten, also genau das, was Sie in Ihrem Antrag ausschließen. Das ist aber der Normalfall, von dem wir ausgehen müssen. Wir könnten den Minister anschließend einmal fragen, wie viele Menschen absichtlich oder unabsichtlich gegen das Verfahren verstoßen.
In der Ausschussanhörung habe ich gefragt, wie es denn ist, wenn Menschen hierher kommen. Es kommen Menschen aus Kriegsgebieten, denen andere Leute sagen: Wenn du dahin gehst, dann musst du
dieses oder jenes sagen, sonst schicken sie dich sofort wieder nach Hause. - Die Menschen sagen das aus Angst, sofort wieder abgeschoben zu werden und machen sich damit strafbar, weil sie gegen das Ausländerrecht verstoßen. Das nutzen wir um zu sagen: Wenn du das gemacht hast, dann darfst du nicht mehr hierbleiben. Genau das müssen wir abstellen.
Ich hoffe, dass der Minister diese Position teilt, die meines Erachtens weitgehender Konsens ist. Ich weiß auch nicht, warum es plötzlich zu dieser anderen Position gekommen ist. Ich hoffe, dass der Minister diese Position in die Verhandlungen mit seinen Kollegen einbringt und dass es dabei zu einer vernünftigen Lösung kommt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um zu verstehen, warum die Bleiberechtsregelungen ein Problem sind, müssen wir uns die Geschichte anschauen. Ziel der Duldung war es, die Lebensbedingungen der geflüchteten Menschen so schlecht zu gestalten, dass diese schnell wieder nach Hause wollen. Dabei wurde völlig übersehen, dass viele dieser Menschen gar nicht zurück in ihr Heimatland können, weil es dort keine humanen Lebensbedingungen gibt. Es wurde auch übersehen, dass Krieg und Verfolgung so traumatisierend wirken, dass Lebensbedingungen noch so schlecht gestaltet sein können; alles ist besser, als zurückzugehen und mit dem Leben dafür zu zahlen.