Protokoll der Sitzung vom 27.01.2012

(Minister Jost de Jager)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft ist heute keine Ausnahme, sondern die traurige Realität für etwa 85 % der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ich möchte versuchen, Ihnen in meinem Redebeitrag einen kurzen Überblick über die Situation an unseren Hochschulen zu geben, denn offensichtlich hat das hier bisher kaum interessiert.

Eine Ursache für die Prekarisierung des Wissenschaftsbetriebs ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Das Sonderbefristungsrecht für die Wissenschaft wurde bereits unter Rot-Grün eingeführt und 2007 von der Großen Koalition in einem eigenen Gesetz geregelt.

(Unruhe)

Es ermöglicht eine sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen innerhalb von zwölf Jahren und auch über diese Frist hinaus, wenn es sich um drittmittelfinanzierte Forschung handelt. Einmalig ist zudem die sogenannte Tarifsperre. Das heißt, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber nichts Abweichendes regeln dürfen.

Wir als LINKE setzen uns mit unserem Antrag dafür ein, dass dieser Wahnsinn endlich ein Ende hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Das kann nur durch eine Überarbeitung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes erfolgen, so wie wir es in unserem Antrag fordern.

Seit Jahren laufen Gewerkschaften und Verbände Sturm gegen die Ausbeutungsverhältnisse im Wissenschaftsbetrieb. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf das Templiner Manifest hinweisen, das sich seit Jahren für eine Reform der Personalstrukturen und Berufswege in Hochschule und Forschung einsetzt. Es kann doch nicht sein, dass es an unseren Hochschulen kaum sichere Beschäftigungsperspektiven gibt, wenn man kein Professor ist.

In einer Kleinen Anfrage, die unsere Fraktion gestellt hat, tritt zudem der traurige Umstand zutage, dass allein an der Christian-Albrechts-Universität 53 Lehrbeauftragte im Wintersemester 2009/2010 ganz ohne Vergütung beschäftigt waren. Der Schweizer Historiker Caspar Hirschi vergleicht die Situation von angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland mit der von Günstlingen an Fürstenhöfen.

„Um sich im akademischen Betrieb zu halten, müssen sie den Ruhm ihres professora

len Patrons durch treue Dienste und wissenschaftliche Taten erhöhen.“

Es muss endlich Schluss sein mit der Ausbeutung von Lehrkräften. DIE LINKE fordert deshalb, Mindeststandards für Bezahlung, Vertragsdauer und Verlängerungsoptionen zu gewährleisten, und zwar nicht nur für Lehrkräfte, sondern für den gesamten wissenschaftlichen Mittelbau.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Quote der Teilzeitbeschäftigung stieg in den letzten Jahren enorm an. Über die Hälfte der universitär Beschäftigten arbeiten in Teilzeit. Langfristig gefährden wir durch diesen unverantwortlichen Umgang mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht nur die Qualität von Wissenschaft und Forschung. Nein, wir nehmen auch in Kauf, dass junge, gut ausgebildete Fachkräfte ihren Berufsweg außerhalb Schleswig-Holsteins und Deutschlands fortsetzen.

Die zweite maßgebliche Ursache für die Prekarisierung wissenschaftlicher Beschäftigung liegt in der Verantwortung der schleswig-holsteinischen Regierung. Die strukturelle Unterfinanzierung von Wissenschaft und Forschung hier im Land gefährdet die Existenz zahlreicher junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Hoch- und Höchstqualifizierte werden hier wie ein lästiger Titel im Haushalt behandelt. Sie sind belastet durch eine unsichere Zukunft, mangelnde Berufsperspektiven und eine enorme Beeinträchtigung der Lebenschancen. Die Stipendienflut ebenso wie die Abhängigkeit von sehr kurzen drittmittelfinanzierten Projekten müssen endlich eingegrenzt werden. Selbst die Deutsche Forschungsgemeinschaft empfiehlt, mehr auf Stellen als auf Stipendien zu setzen.

DIE LINKE fordert, endlich den Landeszuschuss angemessen zu erhöhen. Daueraufgaben müssen durch Dauerstellen besetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Stipendien sind auf die sehr wenigen Fälle zu reduzieren, in denen sie geeigneter sind als Stellen. Der Regelfall in der Promotion sollte ein Arbeitsverhältnis mit sozialer Absicherung und angemessenem Umfang an Arbeitszeit und Gehalt sein. Stipendien werden häufig als besonderer Status gesehen. Aber unbeachtet bleibt dabei, dass weder in die Arbeitslosen-, noch in die Rentenversicherung eingezahlt wird. Und obwohl die Stipendiatinnen und Stipendiaten in den gleichen Laboren und Büros stehen oder sitzen wie ihre angestellten Kolle

ginnen und Kollegen, genießen sie keinen Unfalloder Arbeitsschutz.

Abschließend möchte ich auch noch einmal die Familienfreundlichkeit unserer Hochschulen hinweisen. Bisher ist nicht viel passiert, einmal abgesehen von Lippenbekenntnissen.

Es muss sich etwas ändern. Wissenschaft als Beschäftigungsverhältnis darf nicht länger in der Prekarisierung versinken. DIE LINKE kämpft für gute Arbeit - auch in der Wissenschaft.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Daniel Günther.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für den Beitrag meines Vorredners. Die Schilderung, wie wir sie gerade eben von den Zuständen an unseren Hochschulen gehört haben und die fast den Eindruck macht, als würden unsere wissenschaftlichen Kräfte alle verwahrlosen und in Armut leben, weise ich wirklich mit aller Entschiedenheit zurück.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Ich finde es wichtig, dass wir uns mit dem Thema auseinandersetzen. Wer sollte auch etwas gegen die Überschrift Ihres Antrags „Gute Arbeit in der Wissenschaft - Verlässliche berufliche Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses in Schleswig-Holstein sicherstellen“ haben? Dagegen kann niemand etwas haben. Das unterstützen wir ausdrücklich.

Was Sie dann aber aufstellen, ist im Prinzip ein einziger Wunschkatalog. Ich darf auf den ersten Punkt hinweisen, in dem Sie einfordern, dass wir als Landtag heute die Landesregierung auffordern, mehr Geld für die Grundfinanzierung der Hochschulen zur Verfügung zu stellen. Ich darf Sie daran erinnern, dass dafür immer noch der Landtag selbst zuständig ist. Die Forderung ist sehr schön gegenüber der Regierung zu erheben, aber dann müssen wir ja diese zusätzlichen Mittel zur Verfügung stellen. Deswegen macht der Antrag in diesem Punkt allein schon aufgrund der Formulierung keinen Sinn.

Ich darf aber auch darauf hinweisen - Sie können sich da auch gern die Zahlen anschauen -, dass in

den letzten drei Jahren - 2009 bis 2011 - die durch den Schleswig-Holsteinischen Landtag für die Hochschulen zur Verfügung gestellten Mittel um 5 Millionen € gestiegen sind. Das mag für Sie nicht dramatisch viel sein. Das ist eine Steigerung um 2,1 %. Aber der Antrag erweckt ja den Eindruck, als wäre massiv in diesen Bereich gespart worden. Das Gegenteil ist der Fall. Hochschulpolitik genießt unter dieser Regierungskoalition eine besondere Priorität.

Ich will nicht bestreiten, dass wir mit einigen Forderungen durchaus konform gehen. Ich glaube, es ist wichtig, dass auch vonseiten des Ministeriums weiterhin Gespräche mit den Hochschulen geführt werden und dass wir verstärkt mit nicht ganz so kurz befristeten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten. Ich glaube, es ist wichtig, dass man, um guten wissenschaftlichen Nachwuchs hier in Schleswig-Holstein zu halten, diesem auch eine Perspektive bietet. Da sind wir mit Ihnen absolut d’accord. Ich meine nur, dass wir das so machen sollten, dass wir die Hochschulautonomie auch in diesen Bereich nicht aushebeln.

Ich darf vielleicht auch nach der Rede, die Sie, Herr Thoroe, gehalten haben, nachfragen, was Sie denn in diesen Bereichen eigentlich wirklich erwarten. Sie lehnen Promotionsstipendien ab, weil Sie sagen, da gebe es eine gewisse Abhängigkeit, und fordern ein, dass das alles sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse sein sollen. Dann reden Sie aber hier in einem zu Tränen rührenden Vortrag, wie schlimm es ist, dass das alles Teilzeitverhältnisse sind. Da Frage ich mich: Wie stellen Sie sich das denn vor? Die dürfen kein Stipendium bekommen, die sollen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein, das dürfen aber keine Teilzeitverhältnisse sein. Wann sollen die denn dann bitte noch an ihrer Promotion arbeiten, wenn die alle in Vollzeit beschäftigt sind? Sie Sollten vielleicht einmal erläutern, was Ihre konkrete Vorstellung eigentlich in diesem Bereich ist.

(Beifall bei der CDU)

Da Sie zum Schluss relativ themenfremd auch das Thema Familienfreundlichkeit einfach noch einmal hinten angedockt haben, damit es der Vollständigkeit halber auch in diesem Antrag noch Erwähnung findet, darf ich darauf hinweisen, dass wir uns hier in diesem Hohen Hause mit diesem Thema auch schon häufig auseinandergesetzt haben.

Es gab diverse Kleine Anfragen, über die wir hier gesprochen haben. Diese Anfragen haben ergeben, dass zu einem erheblichen Teil die Hochschulen in

(Björn Thoroe)

unserem Land campusnahe Kindertagesstättenbetreuung anbieten. Im Moment wird konkret auch in Heide wahrscheinlich die nächste FH dazukommen, die das für ihre Studierenden bietet. Ich glaube, dass wir in diesem Bereich in den letzten Jahren gut vorangekommen sind.

Wir werden das Thema, denke ich, im Ausschuss weiter beraten und würden einer entsprechenden Überweisung dieses Antrags an den Fachausschuss zustimmen.

(Vereinzelter Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Martin Habersaat.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor der Wahl ist sie da: die Versuchung, Wahlprogramme und Flugblätter in Parlamentsanträge umzulayouten. Schon die Überschrift des vorliegenden Antrags würde sich auf einem Plakat in Hochschulvierteln gut machen. Nun fordern sie - der Kollege Günther hat das schon gesagt - den Landtag auf, die Landesregierung aufzufordern, die schöne neue Welt an den Hochschulen zu schaffen. Da sind wenige Gedanken dabei, die andere nicht schon vorher gehabt hätten.

Ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Forderung ist die Höhe der Grundfinanzierung Hochschulen. Was diese Grundfinanzierung und den Weg dahin angeht, hat Herr Günther auch schon den entscheidenden Hinweis geliefert. Damit Ihnen die Arbeit hier in den verbleibenden drei Monaten leichter fällt, verrate ich Ihnen auch den zugehörigen Artikel der Landesverfassung. Es ist Artikel 50. Da steht wie in jeder Landesverfassung und auch im Grundgesetz, dass das Parlament und nicht die Regierung der Haushaltsgeber ist.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Das ist klein- lich!)

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Kleinlich!)

- Kleinlich, sagen Sie, Frau Jansen. Das erzählen wir Ihnen seit zwei Jahren bei jedem Ihrer Anträge, und nicht einmal das können Sie in Ihre Anträge aufnehmen, Frau Jansen.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der LIN- KEN)

Wir haben hier über die Sache verschiedentlich diskutiert, wir haben über die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses im Zusammenhang mit der Antwort auf unsere Große Anfrage zu Promotion und Habilitation erst vor wenigen Monaten gesprochen. Herr Thoroe hat damals in seinem Redebeitrag auf die soziale Lage von Privatdozenten und auf die prekäre Beschäftigung an den Hochschulen hingewiesen. Da gibt es reale Probleme, gar keine Frage, ja.

Das Problem, das wir da haben, ist, dass Wissenschaftlerstellen an den Hochschulen nun einmal in erster Linie dazu dienen, wissenschaftlichen Nachwuchs zu qualifizieren. Sie sind deshalb per se gar nicht auf eine Dauerbesetzung angelegt, das können sie auch gar nicht sein. Das vom Bundestag 2007 beschlossene Wissenschaftszeitvertragsgesetz regelt einiges besser als im Vorfeld. Da gibt es jetzt die Zwölfjahresregelung und die Möglichkeit, mit Drittmittelprojekten noch länger beschäftigt zu werden. Das ist schon erheblich besser als die Unsitte davor, dass Beschäftigte auf den Tag genau fünf Jahre nach Beginn ihrer Tätigkeit entlassen werden mussten.

Für eine funktionierende Hochschule gibt es natürlich auch den Bedarf an dauerhaftem wissenschaftlichen Personal unterhalb der Professur. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass jede unbefristete Besetzung einer Wissenschaftlerstelle zulasten der Qualifikationsmöglichkeiten von bis zu 20 Nachwuchswissenschaftlern geht.

Befristungsketten bei Drittmittelverträgen können nun wiederum nichts mit der Grundfinanzierung der Hochschule zu tun haben, sonst müssten wir hier ja nicht über Drittmittel sprechen. Die Ursachen solcher Befristungsketten können tatsächlich in einem besonders trickreichen Verhalten des Hochschullehrers liegen. Häufig ist es in der Realität aber so, dass an den Hochschulen verbleibende Projektmittel aus diversen Projekten und kleinere Projekte zusammengezogen werden, gerade um Mitarbeitern eine Perspektive zu bieten. Da passiert also in der Praxis genau das Gegenteil von dem, was Sie vermuten. Bei den Landesstellen achten normalerweise die Personalräte sehr darauf, dass bei Promotionen zunächst Zweijahresverträge gemacht werden. Ich habe mir am Montag einmal die Stellenausschreibungen der CAU durchgesehen. Da waren alle Promotionsstellen auf zwei Jahre ausgeschrieben, eine DFG-Stelle sogar auf drei Jahre.

Um wirklich an Problemlösungen zu arbeiten, schlage ich vor, dass wir einmal gemeinsam dem Gedanken eines eigenen Wissenschaftstarifs nä