Protokoll der Sitzung vom 24.02.2012

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Parlamentarischen Geschäftsführer darauf verständigt haben, die Tagesordnungspunkte 35, 38, 42, 48 und 61 heute von der Tagesordnung abzusetzen und in der März-Tagung aufzurufen. Der Tagesordnungspunkt 44 wird ohne Aussprache behandelt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 44 auf:

ACTA nicht ratifizieren - Internetfreiheit und Urheberrechtsschutz vereinbaren

Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP, SSW und DIE LINKE Drucksache 17/2281 (neu) - 2. Fassung

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Das ist einstimmig so beschlossen. Damit ist der Antrag in dieser Form angenommen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 45 auf:

Menschenrecht auf medizinische Versorgung auch für Menschen ohne Papiere

Antrag der Fraktionen DIE LINKE und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/2282 (neu)

Medizinische Versorgung für Menschen ohne qualifizierten Aufenthaltsstatus in SchleswigHolstein sicherstellen

Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/2313

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion DIE LINKE Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wussten Sie schon, dass medizinische Versorgung längst nicht jedem und nicht jeder in Deutschland zugänglich ist?

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Wussten Sie schon, dass aufenthaltsrechtliche Illegalität physisch und auch psychisch besonders belastend ist?

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Wussten Sie schon, dass die Gesetzgebung an dieser Stelle krankt?

(Zurufe von der SPD: Ja!)

Als ich heute Morgen ins Landeshaus kam, sah ich an verschiedenen Orten Plakate des Medibüros Kiel aufgehängt. Ich freue mich, dass es Menschen gibt, die solidarisch sind mit denen, die sich versteckt halten müssen. Ich freue mich, dass es Menschen gibt, die solidarisch sind mit denen, die deshalb

nicht für ihre Rechte eintreten können. Und ich freue mich, dass es viele Ärztinnen und Ärzte gibt übrigens auch hier in Kiel -, die bereit sind, Menschen ohne Papiere zu behandeln, auch wenn sie dabei die Kosten selbst tragen müssen.

(Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])

Aber ich freue mich nicht darüber, dass dieses Engagement überhaupt nötig ist. Im Gegenteil, aus Sicht der Linken ist es ein Skandal, dass es in diesem Land Menschen gibt, die ihr Menschenrecht auf medizinische Versorgung nicht wahrnehmen können. Unser Antrag hat das Ziel, diesen Skandal zu beenden. DIE LINKE erinnert daran, dass Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ein unveräußerliches und unabdingbares Menschenrecht auf Gesundheit haben.

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Artikel 12 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte regelt den diskriminierungsfreien Zugang zum Gesundheitssystem. Das UN-Abkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau verpflichtet Staaten zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung anlässlich von Schwangerschaft und Geburt. Das gilt für jede Frau, wenn nötig auch unentgeltlich. In Schleswig-Holstein beinhaltet das Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst das Ziel, gleiche Gesundheitsversorgung für alle anzustreben. Gleichzeitig verpflichtet auch das Grundgesetz mit seinem Bekenntnis zu den Menschenrechten den Staat, die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung sicherzustellen. Die Einlösung dieses Rechtes wird in Schleswig-Holstein aber zivilgesellschaftlichen Initiativen und kostenlos arbeitenden Ärzten überlassen. Alle anderen schauen beschämt weg.

Meine Damen und Herren, es gibt eine rechtliche Verpflichtung, diesen Skandal endlich zu beenden. Das kann nach unserer Meinung auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Städte wie Bremen, Frankfurt und München haben eine sogenannte anonyme Sprechstunde eingerichtet. Die Hansestadt Hamburg hat kürzlich einen Fonds eingerichtet, aus dem die Behandlung von illegalisierten Menschen bezahlt werden soll. Wir schlagen vor, dass ein anonymer Krankenschein ausgegeben wir, mit dem Bedürftige freie Arztwahl haben.

(Beifall bei der LINKEN)

(Präsident Torsten Geerdts)

Wir plädieren dafür, dass in jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt eine Clearingstelle eingerichtet wird, zu der Menschen ohne Aufenthaltsstatus gehen können, wenn sie medizinische Hilfe brauchen. Diese Clearingstelle kann bei den Gesundheitsämtern der Kreise angesiedelt sein. Das hätte den Vorteil, dass Ärzte, die den Erstkontakt aufbauen, der Schweigepflicht unterliegen und die Daten der Betroffenen ohnehin nicht an das abrechnende Sozialamt weitergeben dürften. Es kann aber auch eine private Stelle sein, zum Beispiel angesiedelt bei einer Migrationsberatungsstelle. Dies hätte den Vorteil, dass die Menschen dort unter anderem auch versuchen könnten, ihren ausländerrechtlichen Status positiv zu verändern.

DIE LINKE tritt letztlich dafür ein - beziehungsweise sie wollte eigentlich dafür eintreten -, dass die Krankenscheine zu 100 % aus Landesmitteln finanziert werden. Es war uns jedoch wichtiger, zunächst einmal eine möglichst breite Unterstützung für die gesamte Problematik und auch eine Unterstützung unseres Antrages zu erreichen. Deshalb ist der Antrag so, wie er jetzt vorliegt. Wir hoffen darauf, dass auch die kommunalen Landesverbände den Handlungsbedarf einsehen.

Eine weitere Forderung von uns ist übrigens die Abschaffung des sogenannten Übermittlungsparagrafen, § 87 des Aufenthaltsgesetzes. Das ist nämlich die Ursache dieser humanitären Misere. § 87 Aufenthaltsgesetz gehört abgeschafft oder geändert.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wussten Sie übrigens schon, dass 83 % der Deutschen dafür sind, dass alle eine Gesundheitsversorgung bekommen? Wenn wir alle diesem Grundsatz zustimmen - oder zumindest 83 % in diesem Haus -, können wir gemeinsam auch einen Weg finden, dass Menschen ohne Papiere in SchleswigHolstein medizinisch versorgt werden. Mit dieser Hoffnung beantrage ich die Überweisung unseres gemeinsamen Antrages in den Innen- und Rechtsausschuss.

Ein letzter Satz sei mir gestattet. Das ist ein Zitat von Elie Wiesel, Auschwitzüberlebender und Friedensnobelpreisträger. Er sagt:

„Ihr sollt wissen, dass kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht, aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?“

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesundheit ist etwas, worum sich viele Menschen erst kümmern, wenn es zu spät ist. Deswegen kann ich nur zu Prävention und zu rechtzeitiger medizinischer Behandlung raten.

Der Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung ist aus Sicht meiner Fraktion ein Menschenrecht. Wie aber sieht die Realität aus? - Sie sieht leider anders aus. Während wir hier Diskussionen im Landtag führen, gibt es in Kiel-Gaarden und an anderen Orten Menschen, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben; auch dann nicht, wenn sie direkt neben einer Arztpraxis wohnen. Diese Menschen haben keine Papiere und fallen deshalb durch die Maschen unseres sonst so guten sozialen Netzes. Die Türen der Arztpraxen bleiben für sie verschlossen. Das ist in einem reichen Land wie unserem ein Skandal. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das würden wir gern zusammen mit Ihnen ändern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir Grüne wollen, dass alle Menschen eine gute medizinische Versorgung bekommen, und zwar unabhängig von ihrer Hautfarbe und unabhängig davon, ob sie Papiere haben oder nicht. Deshalb fordern wir gemeinsam mit den Linken den anonymen Krankenschein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für zum Teil schwer traumatisierte Menschen dürfen die Türen von Arztpraxen nicht verschlossen bleiben. Für uns Grüne steht fest: Wir wollen die Augen hier nicht verschließen. Wir wollen diese Türen öffnen. Eines ist dabei ganz wichtig. Die ärztliche Schweigepflicht muss bei der Abrechnung mit dem Sozialamt geändert werden. Sonst bringen wir die behandelnden Ärztinnen und Ärzte in einen massiven Gewissenskonflikt. Das hat der Deutsche Ärztetag in seinem Beschluss auch gefordert. Dies unterstützen wir, und wir bitten Sie, dies mit zu unterstützen.

(Ulrich Schippels)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Schwangere darf Angst haben, abgeschoben zu werden, wenn sie eine Vorsorgeuntersuchung für sich und ihr ungeborenes Kind in Anspruch nehmen möchte. Können Sie sich vorstellen, welche Ängste Menschen ohne Papiere haben, wenn sie sich in medizinische Behandlung begeben müssen? - Die jetzige Situation ist einfach unerträglich und muss auch aus humanitären Gründen geändert werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Der Kollege hat es gerade eben angesprochen: Dass es einen Bedarf gibt, zeigt uns die Arbeit des Medibüros hier in Kiel. Bei einem Besuch haben meine Kollegin Luise Amtsberg und ich uns das Konzept erklären lassen. Ich kann nur sagen, das Konzept hat uns überzeugt. Wir alle können froh sein, dass im Medibüro so gute und engagierte Arbeit geleistet wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, der Bedarf ist eindeutig da. Wir alle stehen in der Verantwortung, dass für diesen Bedarf eine Lösung gefunden wird. Für uns Grüne steht fest: Gesundheit ist ein Menschenrecht. Dazu bekennen wir uns in unserem Antrag. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Sozialausschuss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Kollegin Astrid Damerow das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor einem Jahr haben wir im Rahmen einer Veranstaltung hier im Landeshaus anlässlich der Vorstellung der Studie der Diakonie zu den Problemen, denen sich Menschen mit einem illegalen Aufenthaltsstatus ausgesetzt sehen, auseinandergesetzt. Auch dort war die Gesundheitsvorsorge bereits ein Thema. Dort wurde deutlich, dass der Themenbereich äußerst problematisch ist, und zwar über den Bereich der Gesundheitsfürsorge hinaus.

Der vorliegende Antrag zeigt die Problematik auf, aber er wirft für uns ebenso viele Fragen auf. Eine