Protokoll der Sitzung vom 26.04.2012

(Beifall bei der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Hans Neve. das Wort

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten 50 Jahren hat die Lebenserwartung um elf Jahre zugenommen. Die durchschnittliche Rentenbezugszeit hat sich in dieser Zeit von zehn auf 18 Jahre fast verdoppelt. Wenn die Rente mit 67 im Jahre 2029 greift - 2029, Frau Jansen -, werden wir fünf Millionen Menschen mehr in der Rente und sechs Millionen weniger im erwerbsfähigen Alter

haben. Diese Wirklichkeit müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Meine Damen und Herren, es ist schön, wenn wir alle länger leben. Aber der demografische Wandel bedingt, dass immer weniger Menschen in die Rentenkassen einzahlen und immer mehr eine Rente beziehen.

Im Jahre 2000 - und das ist noch nicht solange her sind für einen Rentner noch 4,2 Beitragszahler aufgekommen, und das wird sich bis zum Jahre 2029 auf 2,2 reduzieren. Das ist eine dramatische Entwicklung.

Schauen wir uns noch weitere Zahlen an. Bei den 60- bis 64-Jährigen hat sich die Erwerbstätigenquote in den letzten zehn Jahren sogar verdoppelt. Die Menschen sind länger fit und leistungsfähig; auch das kann man nicht abstreiten.

Wir sind also schon heute auf einem guten Weg zu einer Rente mit 67. Bis zum Jahre 2029 ist fast ein Drittel unserer Bevölkerung über 64. Wenn dann die Rente mit 67 greift, sind deutlich mehr Menschen älter und ebenso weniger Menschen am Arbeitsmarkt. Das ist auch eine Frage der Fairness und der Gerechtigkeit gegenüber der Jugend.

Wenn wir zehn Jahre Lebenserwartung dazugewonnen haben, können wir zwei Jahre davon in Arbeit investieren. Wir werden zwar als Gesellschaft älter, aber die Älteren bleiben auch länger jung. Es ist keine Frage des Alters, sondern es ist eine Frage der Fähigkeiten und der Motivation, am Arbeitsmarkt teilnehmen zu können. Besonders unsere mittelständische Wirtschaftsstruktur in Schleswig-Holstein bietet hier viele Möglichkeiten und auch viele Chancen.

Großbritannien, Frankreich, Spanien und Dänemark haben inzwischen die Rente mit 67 eingeführt. Alle handeln in dem Wissen: Wer sich der Wirklichkeit nicht stellt, der ruiniert seine Sozialsysteme. Warum sollen ausgerechnet wir jetzt eine Rolle rückwärts machen? Nein, wir bleiben standhaft, weil wir das den jungen Menschen in unserem Land schuldig sind.

Der Antrag der LINKEN ist wirklichkeitsfremd, er ist realitätsfern. Wir lehnen den Antrag ab.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Wolfgang Baasch das Wort.

(Antje Jansen)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem 1. Januar 2012 hat die schrittweise Anhebung der Altersgrenze für die Rente von 65 auf 67 Jahre begonnen. Doch die Situation der Arbeitsmöglichkeiten für Ältere ist nach wie vor sehr schwierig. Im Frühjahr des vergangenen Jahres waren nicht mehr als 26,4 % der 60- bis 64-Jährigen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das heißt, die Möglichkeiten für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, einen Arbeitsplatz zu finden, sind immer noch zu gering. Darum bleibt die Schlussfolgerung, dass der Einstieg in die Anhebung des Renteneintrittsalters nur dann umgesetzt werden kann, wenn auch die 60- bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mindestens zu 50 % sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.

Weil die Voraussetzung für die Erhöhung damit also gegenwärtig nicht gegeben ist, plädieren wir dafür, die Erhöhung des Renteneintrittsalters auszusetzen und erst dann wieder darüber nachzudenken, wenn genügend Arbeitsplätze für Menschen über 60 Jahre vorhanden sind. Die SPD-Bundestagsfraktion will zu diesem Sachverhalt einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen, nachdem auch christdemokratische Politiker wie der bayerische Ministerpräsident Seehofer die Rente mit 67 infrage gestellt haben.

Wir wollen mehr Arbeitsplätze für Ältere schaffen, um die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern. Aber mit den aktuellen Kürzungen der Instrumente aktiver Arbeitsmarktpolitik, wie sie die Bundesregierung vorgenommen hat, wird dieses Vorhaben komplett unterlaufen.

Es ist notwendig, sich gerade über eine bessere Arbeitswelt im demografischen Wandel zu verständigen. Beispielhaft dafür ist der Dialog, der im Rahmen einer Kooperation der IHK zu Kiel, der Landeshauptstadt Kiel, der Christian-Albrechts-Universität und der Fachhochschule Kiel geführt wird. So will man in den kommenden Jahren mehr betriebliche Gesundheitsförderung und altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung, mehr Qualifizierung und ständige Weiterbildung bereits frühzeitig im Arbeitsleben von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei den Unternehmen und Betrieben anregen und umsetzen.

Wir müssen die Vorraussetzungen für längeres Arbeiten schaffen. Denn auch um den sich abzeichnenden Fachkräftemangel aufzufangen, brauchen

wir die älteren Beschäftigten mit ihrer Qualifikation und Erfahrung.

(Jürgen Weber [SPD]: Gerade bei Abgeord- neten sehr wichtig!)

Längeres gesundes Arbeiten setzt einen alters- und alternsgerechten Umbau der Arbeitswelt voraus. Von grundlegender Bedeutung ist dabei die betriebliche Gesundheitsförderung.

(Werner Kalinka [CDU]: Sehr gut!)

Leistungsminderung, Erkrankung, Behinderung und Erwerbsminderung müssen frühzeitig mit Förderung begegnet beziehungsweise mit einem Wiedereingliederungsmanagement begleitet werden.

Hier geschieht in den Unternehmen viel zu wenig. Nur ein Fünftel der Betriebe führt spezifische Maßnahmen zur Gesundheitsförderung durch. Hier liegen noch die Arbeitsbereiche, die dringend bearbeitet werden müssen.

Die SPD steht daher weiter für eine Alterssicherung, die lohnbezogen, gerecht, armutsfest und zukunftssicher sein muss und den Menschen auch im Alter ihre Chancen lässt.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat beginnen, wenn die Präsidentin gestattet:

„1960 kamen auf einen Rentner acht Beschäftigte, jetzt kommen auf einen Rentner 3,2 Beschäftigte, im Jahr 2030 kommen auf einen Rentner 1,9 Beschäftigte. Man kann das alles ignorieren, vernünftig ist das nicht. Wenn man ganz einfach rechnet, weiß man: Das wird Konsequenzen haben, und die Konsequenzen müssen vernünftig und generationengerecht sein.“

Dieses Zitat - viele werden es sich denken - ist von Franz Müntefering aus seiner Rede anlässlich der Verabschiedung der Rente mit 67. Weil die Menschen immer älter werden, muss der Staat immer länger Renten zahlen, die von immer weniger Arbeitnehmern finanziert werden. Aus diesem Grund halten wir Liberale die Rente mit 67 für notwendig,

um unser Rentensystem erhalten zu können. Die Rente mit 67 dient dem Wohlstand, gewährleistet die Gerechtigkeit zwischen den Generationen und stärkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

Ab diesem Jahr wird das Renteneintrittsalter schrittweise erhöht werden, bis 1929 die ersten Arbeitnehmer mit dem 67. Lebensjahr in Rente gehen können.

Lassen Sie mich anhand einiger Zahlen die Problematik darstellen. Im Jahr 2009 sind rund 651.000 Kinder zur Welt gekommen. 20 Jahre später, 2029, wenn die Rente mit 67 voll zur Geltung kommen würde, würden rund 3,5 Millionen Menschen in den Ruhestand gehen - ein Problem, das innovativer Lösungen bedarf. Denn das ist auch uns Liberalen bewusst: Nicht jeden Beruf können alle Menschen bis in das hohe Alter ausüben.

Die FDP engagiert sich daher für eine generationengerechte Rentenpolitik, die den Erfordernissen der älter werdenden Gesellschaft entspricht. Wir treten deshalb für eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben auf der Basis einer freien Entscheidung ein. Das Konzept eines flexiblen Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglicht es Älteren, die Arbeitszeit bei Bedarf ab dem 60. Lebensjahr zu reduzieren. Gleichzeitig erhalten sie die Möglichkeit, unbegrenzt hinzuzuverdienen.

Die FDP-Bundestagsfraktion kämpft für die Flexibilisierung des Renteneintritts schon seit Jahren. Ziel ist der gleitende Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand auf der Basis einer eigenen, freien Entscheidung. Die Verbesserung der Zuverdienstmöglichkeiten für Rentner spielt dabei eine zentrale Rolle. Wir haben erreicht: Wer vorzeitig in Rente geht, hat jetzt deutlich höhere Hinzuverdienstgrenzen, die sogenannte Kombirente. Ein schrittweiser Übergang in die Rente wird so möglich.

Als der damalige Arbeitsminister Müntefering die Rente mit 67 durchsetzte, hatte die Große Koalition festgeschrieben, dass die Entwicklung der Beschäftigung Älterer beobachtet und gegebenenfalls gefördert werden soll. Niemand konnte damals erwarten, dass sich der Arbeitsmarkt für Ältere, und zwar sowohl hinsichtlich der Erwerbstätigkeit allgemein als auch mit Blick auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Besonderen, derart günstig entwickelt, wie dies in den letzten Jahren dann tatsächlich der Fall gewesen ist.

Der Anteil der Erwerbstätigen in der Gruppe der 60- bis unter 65-Jährigen ist seit dem Jahr 2000 von unter 20 % auf über 40 % in 2011 gestiegen. Der

Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ist von 10,9 % im Jahr 2000 auf 26,4 % im Jahr 2011 angewachsen. Das ist eine wirklich beachtliche Entwicklung.

Wenn nun Teile der SPD behaupten, das sei nicht genug, um auch zukünftig noch zum eigenen Projekt „Rente mit 67“ stehen zu können, ist das, ehrlich gesagt, mehr als fadenscheinig. Auch die Forderung, Kollege Baasch, dass mindestens 50 % der 60- bis 65-Jährigen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein müssten, legt die Messlatte falsch auf. Denn selbstverständlich ist auch in dieser Altersgruppe eine große Zahl von Menschen beschäftigt, vielleicht nicht sozialversicherungspflichtig, aber gleichwohl beispielsweise als Beamte, Selbstständige oder Soldaten noch erwerbstätig und erzielt ein Einkommen.

Ich möchte mit einem Zitat schließen, wenn Sie genehmigen:

„Die Antwort auf den mathematischen Druck der Demografie kann nicht die ersatzlose Suspendierung der Rente mit 67 sein.“

Dieses Zitat stammt von Peer Steinbrück, seines Zeichens selbst designierter Kanzlerkandidat der SPD. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wir lehnen den Antrag ab und halten an der Beschlussempfehlung des Ausschusses fest.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rente mit 67 ist kein einfaches Thema. Das musste auch ich feststellen, als wir unseren Antrag in der Fraktion besprochen haben.

Die Angst vor Altersarmut hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Diese Angst sollten wir alle ernst nehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die Rente mit 67 nicht einfach nur eine Rentenkürzung durch die Hintertür werden soll, dann muss sie auch inhaltlich ausgestaltet werden. So wie jetzt geplant wird sie nicht funktionieren. Wir müssen die Rente generationengerecht und armutsfest ausgestalten.

(Anita Klahn)