Protokoll der Sitzung vom 15.10.2015

Migration ist - auch das macht mir in der Debatte Sorge - kein Thema von drei oder sechs Wochen oder von drei Monaten. Es ist ein Thema, das uns nicht mehr loslassen wird. Europa muss sich darauf einstellen - auch das ist Realität und gehört zum Aussprechen von Realität -, dass dies nicht mehr enden wird. Wir werden erleben, dass Klimaflüchtlinge nach Europa kommen, wir werden erleben, dass es andere Kriegsgründe gibt, die andere Menschen völkerrechtlich dazu berechtigen, sich auf den Weg zu machen und ihr Leben und ihre Integrität zu schützen. Wir werden das erleben.

Wir merken, dass das, was wir seit 30 Jahren diskutieren, dass auf Ost West, Nord Süd oder Süd Nord folgt, nicht in einer intellektuellen Debatte einfach so dahergesagt war. Das hatte Gründe. Dies geschieht nun. Wir werden uns in Europa darauf einzustellen haben. Auch das gehört zur Realität. Wir werden die Bürgerinnen und Bürger darauf vorbereiten müssen, dass das so ist und dass wir als Europa darauf Antworten geben müssen.

Das Global Economic Symposium hat sich gerade in diesen Tagen damit beschäftigt und genau diesen Megatrend der Weltpolitik beschrieben, übrigens auch mit seinen Chancen für einen alternden Kontinent Europa und seinen Chancen für das alternde Deutschland. Das hilft uns nicht bei der Beantwortung der Fragen bis morgen, übermorgen oder bis Weihnachten, aber auch dies ist Realität. Wir müssen dies anerkennen und nicht nur so tun, als müssten wir nur die nächsten sechs Wochen überbrücken, dann verschwinde das Thema. Nein, es wird nicht wieder verschwinden, und wir sollten uns nichts vormachen.

Zur Wahrheit gehört, und niemand redet dies klein, dass wir an Grenzen sind, dass wir Grenzen überschreiten. Was den Wohnraum angeht: Wir können diesen Wohnraum gar nicht in vernünftiger Geschwindigkeit bauen. Wir können es nicht, niemand kann das. Das überfordert unsere Kommunen, das überfordert die Handlungsfähigkeit von Märkten.

Wir sehen bei Containern und bei Zelten und bei allem, was wir bauen und kaufen müssen: Wir müssen als Gesellschaft lernen, Kompromisse einzugehen, die wir gestern noch für unerträglich gehalten haben. Das gilt auch für mich. Vor einem Jahr hätte ich die Worte „Zelte für den Winter“ nicht in den Mund genommen, weil ich dies für falsch halte. Heute kann ich Ihnen nicht versprechen, dass es in diesem Winter nicht auch Zeltlager geben muss, weil wir gar nicht schnell genug hinterherkommen, Container bereitzustellen, weil es die auf dem Markt nicht gibt, weil ich den Kommunen nicht abverlangen kann, was nicht abzuverlangen ist, weil Wohnraum endlich ist. Wir werden möglicherweise Zeltlager haben, die ich nicht will, aber auf die ich nicht verzichten kann, wenn ich nicht möchte, dass die Menschen einfach auf dem Acker oder auf der Wiese stehen.

Ich hätte mir nicht vorstellen können zu sagen, dass ich traumatisierten jungen Flüchtlingen, bei denen es keinen Zweifel geben kann, dass sie in eine Traumabehandlung gehören, die Antwort geben muss: Ihr werdet wahrscheinlich lange auf diese euch vernünftigerweise zustehende Behandlung warten müssen, weil die Menschen, die diese leisten, gar nicht da sind, weil die Menschen, die dies leisten könnten, gar nicht ausgebildet sind.

Wir werden als Gesellschaft miteinander ertragen müssen, dass wir Defizite wahrnehmen, die wir politisch und gesellschaftlich für falsch halten, die aber dennoch ausgehalten werden müssen, übrigens auch aus dem Grund, weil es unter denjenigen, die schon hier sind, Menschen gibt, die schon lange auf eine solche Behandlung warten. Diese können nicht einfach von denen überholt werden, die dazukommen. Auch das ist Realität. Das müssen wir ansprechen, und das ist nicht durch Geld oder guten Willen, sondern nur durch ausgebildete Menschen zu verändern, und wir brauchen Zeit und Geduld, um diesen Weg zu gehen.

Das verlangt uns allen gemeinsam viel ab. Ich habe dies sehr bewusst an vielen Stellen gesagt, und ich wiederhole das: Der Maßstab, den ich auch für meine Verwaltung für diesen Winter setze, lautet, dass die, die zu uns kommen, in diesem Winter so wenig wie möglich frieren und so wenig wie möglich hungern. Vor einem halben Jahr hätte ich diesen Satz mit Abscheu und Empörung zurückgewiesen. Jetzt sage ich Ihnen, vor Ihnen stehend als Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, weil ich dies weiß: Angesichts der Grenzen, an denen wir momentan stehen, wird es Momente geben, in denen ich mit den Mitteln, die ich habe, die die Kommu

(Ministerpräsident Torsten Albig)

nen haben, die die Ehrenamtlichen haben, die wir im Haupt- und Ehrenamt organisieren können, nicht mehr machen kann, weil wir nicht mehr haben. Mehr wird nicht gehen. Das ist immer noch viel mehr als das, was die Menschen in einer Welt zurückgelassen haben, in der es darum geht, ihr Leben zu beschützen. Wir wollen uns um sie kümmern, aber wir können nicht unendlich viel leisten, auch in diesem Winter nicht. Deshalb müssen wir das leisten, was unbedingt zu leisten ist.

Was tun wir konkret? - Wir haben mit den Kommunen vereinbart, dass die Integrationspauschale, die wir schon in unserem Flüchtlingspakt beschlossen haben, auf 1.000 € erhöht wird. Dreißig Koordinatoren helfen in den Kreisen und in den kreisfreien Städten, das Zusammenwirken aller Akteure in der Flüchtlingsarbeit zu verbessern.

Wir arbeiten intensiv an der Realisierung von neuen Wohnformen für Flüchtlinge und an der weiteren Öffnung der sozialen Wohnraumförderung für Flüchtlinge. Wir erweitern den Sprachunterricht für Kinder und Jugendliche auch auf den Nachmittag und auf die Ferien. Wir helfen den Kommunen, die Anzahl der Kitaplätze anzuheben. Wir helfen dabei, Sprachfördermaßnahmen schon in die Kitas zu bringen und Fortbildungsmaßnahmen für Traumapädagogen zu beschreiben, wissend, dass all dies lange Wege sind, die wir gehen.

Mit der Bundesagentur haben wir Profiling-Stellen vorbereitet, und wir sind dabei, sie für eine Integration in den Arbeitsmarkt einzusetzen, damit wir möglichst schnell diejenigen identifizieren, die uns hier auf dem Arbeitsmarkt Schleswig-Holstein helfen können.

Die Gesundheitskarte wurde endlich umgesetzt, wir kriegen sie. Das wird in der kommunalen Welt für Erleichterung und für Kostensenkungen sorgen.

Ich habe darüber berichtet, wir schaffen die personellen Voraussetzungen: Hunderte zusätzlicher Lehrerstellen sowohl im DaZ-Bereich als auch im ordentlichen Lehrerbetrieb werden geschaffen. Wir setzen 2016 diesen Weg fort. Das ist ein zentraler Weg, weil es an allen zentralen Schnittstellen darum geht, dass wir mit Menschen auf Menschen reagieren müssen, nicht mit politischer Rede und auch nicht mit Geld. Vielmehr müssen es immer Leute mit Ausbildungen sein, die helfen.

Man kann es uns gern vorwerfen, dass wir vor zehn Jahren nicht angefangen haben, dies vorzubereiten, aber ich gestehe ein: Wir wussten das zu dieser Zeit nicht, wir haben das Problem des Nord-Süd-Kon

flikts nicht ordentlich eingeschätzt. Vielleicht hätte man das können, wir haben das nicht.

Wir passen unsere Planungen laufend an die Realität an, auch das habe ich in der Regierungserklärung geschildert. Es ist mir aber wichtig, dies zu wiederholen, weil es auch etwas mit der Realität und dem Vorwurf der Realitätsverweigerung zu tun hat. Wir in Schleswig-Holstein waren es, die schon Anfang des Jahres eine mehr als doppelt so hohe Anzahl an Flüchtlingen wie der Bund angenommen haben. Wir waren es, die darauf gedrängt haben, dass die Verhandlungen geführt werden, die wir erst im September zum Abschluss gebracht haben.

Wir haben innerhalb von wenigen Monaten unter extremster Belastung der Menschen vor Ort und in den kleinen Kommunen - ich habe dies eben angesprochen - Erstaufnahmeplätze aus dem Boden gestampft. Weil wir dabei viele Beteiligungsformen missachten müssen, hätte ich auch dies vor einem Jahr für undenkbar gehalten. Hätte man dies gesagt, so hätte ich gesagt: Das kann so nicht gehen, man kann die Menschen nicht mit Erstaufnahmeplätzen überrollen. Wir haben das getan, weil das die einzige Möglichkeit ist, die wir im Moment haben, um den Kommunen zu helfen.

Wir werden in unserem kleinen Land 25.000 Erstaufnahmeplätze haben, um damit auch den Kommunen über den Winter und über die heute geltenden fünf Wochen hinaus einen Puffer zu geben, weil in den Kommunen kein Wohnraum ist. Ich will nicht, dass wir die letzte Turnhalle in unserem Land belegen, weil das ein falsches Signal ist. Aber 25.000 Erstaufnahmeplätze zu schaffen, ist Anerkennung von Realität, nicht Realitätsverweigerung. Ich bitte, dies im Vergleich zu anderen Dingen, die Sie sonst in der Republik sehen, zu sehen. Sie müssen dies nicht wertschätzen, aber man sollte neutral und vernünftig zur Kenntnis nehmen, was hier gerade im Bereich des Innenministeriums und von den vielen anderen, ich nenne hier die Bundeswehr als einen Partner, in den letzten Monaten geleistet wurde.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, Daniel Günther [CDU], Katja Rathje- Hoffmann [CDU] und Wolfgang Dudda [PI- RATEN])

Wir unterstützen die Kommunen bei der Schaffung von Gemeinschaftsunterkünften sowohl in den Kreisen als auch in den kreisfreien Städten. Wir bringen ein nennenswertes Wohnungsbauprogramm auf den Weg. Wir legen das Zuschussprogramm zur Herrichtung von dezentralen Unterkünften neu auf

(Ministerpräsident Torsten Albig)

und stocken es deutlich auf. Im Innenministerium gibt es eine weitere Stabsstelle als zentralen Ansprechpartner für alle Unterbringungsfragen der Kommunen. Wir stehen mit der Bauwirtschaft in intensiven Gesprächen, um schnell und in hoher Stückzahl realisierbare Bauten entwickeln zu können. Auch da müssen wir uns aus dem Gewohnten heraus bewegen. Wir können das nicht in unseren normalen Planungsrhythmen machen und auch nicht nach unseren Vorstellungen von Ästhetik, die wir bisher gehabt haben. An jeder Stelle werden wir uns bewegen. Das, was wir morgen im Bundesrat beschließen werden, wird uns baurechtlich bei jeder Regel quasi die Freiheit geben, diese auch unbeachtet zu lassen, und das werden wir miteinander auch tun müssen. Wir werden das in Schleswig-Holstein miteinander umsetzen.

Wir unterstützen die Kommunen auch mit Geld, mit viel Geld. Der Bund hat für 2015 beschlossen, neben der 1 Milliarde €, die wir schon je zur Hälfte durch die Länder und den Bund mobilisierten, eine weitere Milliarde € zu geben. An dieser Stelle habe ich eine dringende Bitte an die Kommunen: Diese Vergabe scheitert im Moment daran, dass wir von den Kommunen noch keinen Verteilschlüssel dahin gehend bekommen haben, wie wir die 1 Milliarde € jetzt verteilen. Wir wollen und möchten sie gern verteilen, aber ohne einen Verteilschlüssel kann ich das nicht. Das ist eine Aufgabe, die die kommunale Familie leisten muss. Sobald diese uns sagt, wie das Geld verteilt werden soll, geschieht das. Das Geld steht zur Verfügung.

Wir haben uns mit der Bundesregierung geeinigt, und das ist gut, weil wir endlich eine strukturelle, dauerhafte Finanzierungszusage haben, nämlich 670 € pro Asylbewerber über fünf Monate. Dieses Geld soll den Kommunen auch dort helfen, wo die Aufgaben bei den Kommunen liegen. Wir stehen im Augenblick in Gesprächen mit den Kommunen darüber, ob wir das bewährte 70 zu 30 Verhältnis an der einen oder anderen Stelle verändern können, um die Kommunen noch weiter zu entlasten, immer jedoch in der Abwägung der Frage, was wirklich hilft. Hilft es, dass ich einen Puffer durch längere Erstaufnahmen schaffe? Oder hilft Geld vor Ort, wohl sehend, dass das Geld gar nicht in Wohnungen umgesetzt werden kann, weil hier nichts ist. Das ist die zentrale Abwägung. Würde eine langgestreckte Erstaufnahmesituation den Kommunen mehr helfen? - Dann liegt die Aufgabe bei uns. Oder kriegen wir andere Lösungen hin? Am Ende wird es von Kommune zu Kommune, von Kreis zu Kreis unterschiedliche Antworten geben können.

Wir haben am 30. September 2015 eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Land und Kommunen zum Thema Finanzierung eingesetzt. Dort werden diese Fragen geklärt, wir werden dies bis Anfang November 2015 umgesetzt haben.

Wir werden ein großes Wohnraumförderungsprogramm aufsetzen, das das Ziel hat, 20.000 zusätzliche Wohnungen zu schaffen. Dieses Programm hat ein Gesamtinvestitionsfördervolumen von 1,5 Milliarden €. Dahinter steckt viel positive Wertschöpfung, aber eben auch viel Herausforderung für die Veränderung von Städten in unserem Land.

Für kurzfristige Unterkünfte werden wir 50 Millionen € zur Verfügung stellen, um damit 10.000 Flüchtlingen auch kurzfristig Wohnraum zu geben. Für die Ausstattung dezentraler kommunaler Unterkünfte werden wir eine Erhöhung der Summe auf 6 Millionen € vornehmen.

Wir werden einen Typenkatalog für Bauten auflegen, die nicht dem bisherigen Regelwerk entsprechen. Ich freue mich, dass wir für all dies extrem positive Rückmeldungen aus der kommunalen Familie bekommen. Es wird gesagt, dass dies Hilfen seien, die in ihrer Realität ganz konkret helfen.

Ich höre immer wieder - auch als Vorwurf -, wir würden die Kommunen alleinlassen bei der Frage, welche exakten Zahlen diese denn zu bewältigen hätten. Wer auch immer mir dies vorwerfen mag, der möge sich dann doch an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wenden oder an das Innenministerium des Bundes.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Denn mehr kann ich nicht tun, als mit den Zahlen umzugehen, die ich von dort bekomme. Ich bekomme Zahlen, die nie richtig sind, die von meinem Innenministerium immer wieder korrigiert werden müssen. Wir sind immer präziser gewesen. Aber wir tun das immer auf der Basis der Zahlen, die uns vorgegeben worden sind. Die Menschen fliehen ja nicht nach Schleswig-Holstein, sondern nach Deutschland. Sie werden in Deutschland verteilt. Sie stehen bei uns vor der Tür, und wir müssen dann mit ihnen umgehen. Bei uns stehen sie übrigens ebenso wie bei den Kollegen in Bayern oftmals ohne jede Voranmeldung vor der Tür. Wir erreichen es als eines der wenigen Länder, dass wir die Menschen etwa fünf Wochen bei uns in der Erstaufnahme haben, bevor sie dann in die dezentrale Verteilung der Kommunen weitergehen. Dafür gibt es eine zehntägige Vorankündigung. Es gibt viele Länder in Deutschland, in denen das nicht der

(Ministerpräsident Torsten Albig)

Fall ist und die über Nacht Zuweisungen an die Kommunen machen. Für uns ist es wichtig, dies anders zu machen.

Das aber kann ich nicht bei Erstaufnahmen einhalten; ich habe es eben schon geschildert. Aber wenn wir bei den Verteilungen in ganz Deutschland so verführen, wie wir das hier in Schleswig-Holstein machen, dann wären wir schon einen ganzen Schritt weiter, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Verbindliche Zahlen bis zum Jahresende zu nennen oder darüber hinaus, ist immer verkehrt, egal, wie du es machst. Ich habe auch in den letzten Gesprächsrunden mit den Kommunen beschrieben, dass wir dann, wenn wir die Zahl von 400 am Tag, die wir heute erleben, einfach hochrechnen, auf eine Größenordnung von mehr als 50.000 Flüchtlingen kommen werden. Ob das dann auch wirklich der Fall sein wird oder ob die Zahl noch weiter ansteigt, kann ich Ihnen nicht sagen. Das kann Ihnen im Augenblick niemand sagen. Am berufensten wäre dafür ein Außenministerium, das beobachtet, wie die Lage ist. Aber niemand kann das vernünftig sagen, weder für Deutschland noch für Europa. Deswegen können wir uns immer nur auf dieser unsicheren Zahlenbasis bewegen und darauf planen. Auch das ist Realität und nicht Realitätsverweigerung, meine Damen und Herren.

Noch einmal: Wir wissen, dass viele gerade der kleineren Kommunen an der Grenze dessen sind, was sie im Augenblick leisten können. Umso mehr erkenne ich an, was deren Bürgermeisterinnen und Bürgermeister Großartiges leisten, auch in der Mobilisierung von Ehrenamt und von Bereitschaft vor Ort.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und PIRATEN)

Sie machen sich jeden Tag auf den Weg, um immer wieder neuen Wohnraum zu suchen und immer wieder nach neuen Lösungen zu suchen, um immer wieder zu werben. Ohne diese Menschen wäre all das nicht leistbar. Sie verdienen unsere Unterstützung und nicht die öffentliche Organisation von Gefühlen, die ihnen dann am Ende eher im Weg stehen, als dass sie ihnen helfen würden, auch in ihrer Mobilisierung vor Ort.

Gestatten Sie mir noch ein Wort zu dem, was auch heute und morgen in der Debatte ein Thema sein wird. Dies betrifft die Frage: Wie geht dieses Land eigentlich mit Abschiebungen um? Müssen wir

nicht viel schneller diejenigen, die kein Bleiberecht haben, wieder nach Hause bringen?

Es gibt keinen Streit zwischen uns darüber, dass diejenigen, die kein Bleiberecht haben, auch wieder zurückgeführt werden. Es gibt keinen Dissens; dies muss so sein. Einen Dissens gibt es aber darüber, dass es mir nichts nützt, wenn mir populistische Einwände, populistische Bilder von Flüchtlings-TV oder Abschiebe-TV oder anderer Unfug entgegengehalten wird, wohl wissend, dass das mit der Realität von Abschiebung nichts zu tun hat, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Abschiebehinderungsgründe sind keine, die bestehen, weil einer von uns dort sitzt und sagt: „Heute habe ich mal keine Lust abzuschieben, weil ich in einem so schön sozialdemokratisch und grün geführten Land zu Hause bin.“ Nein, die Abschiebehinderungsgründe sind welche, die vor deutschen Verwaltungsgerichten durchgesetzt werden, auf die es aufgrund deutscher Gesetze Rechtsansprüche gibt, nicht aber, weil irgendwelche Leute von uns sagen: „Dazu habe ich politisch keine Lust.“

Ich finde, wir sollten solche Debatten auch nicht so führen, als würden die Menschen glauben, das sei der Schlüssel. Das ist schon einmal gar nicht der Schlüssel für diejenigen, die gerade kommen. Noch einmal, damit auch die Zahl deutlich wird: Von 100 Flüchtlingen, die kommen, kommen im Augenblick sieben aus den Westbalkanländern, bei denen also fraglich ist, ob sie eine Bleibeperspektive haben. 93 haben erkennbar eine Bürgerkriegsflüchtlingsbleibeperspektive. Was soll denn eine Debatte, die so tut, als wären Transitzonen die Antwort für diejenigen, die aus Syrien kommen? Das ist doch Unfug, meine Damen und Herren!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Wolfgang Kubicki [FDP])

Denen, die glauben, dass sie mit dieser Realitätsbeschreibung Menschen wieder aus ihrer Resignation zurückholen können, sage ich: Es nützt nichts, wenn man sagt: „Endlich tut der Staat etwas.“ Durch so einen Satz werden all die bitter enttäuscht werden, die jetzt glauben: Oh, da haben welche einen Weg gefunden; oh, jetzt kommen alle Syrer in Transitzonen hinein! Wissen Sie, was mit syrischen Flüchtlingen in Transitzonen passiert? Die kommen dann noch schneller nach Deutschland, weil sie einen völkerrechtlichen Anspruch haben, nach Deutschland zu kommen. Sie werden selbst Ihre Klientel bitter enttäuschen. Führen Sie doch

(Ministerpräsident Torsten Albig)

keine realitätsfremden Debatten über Worte, die Ihnen nicht helfen, die uns nicht helfen, die die Menschen nur verwirren und durcheinanderbringen! Seien wir doch so ehrlich, in der Realität, in der wir leben, zu beschreiben, was geht und was nicht geht. Sie haben alle meine Unterstützung, ebenso wie die Frau Bundeskanzlerin, wenn es darum geht, in Europa Solidarität zu organisieren.