Protokoll der Sitzung vom 18.11.2015

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 37. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig.

Erkrankt ist Herr Abgeordneter Dr. Kai Dolgner. Wir wünschen ihm gute Genesung.

(Beifall)

Beurlaubt ist Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug. Wegen auswärtiger dienstlicher Verpflichtungen ist Herr Minister Meyer beurlaubt. Herr Abgeordneter Wolfgang Dudda hat nach § 47 Absatz 2 der Geschäftsordnung mitgeteilt, dass er an der Teilnahme an der heutigen Sitzung des Landtags verhindert ist.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Im Alter von 96 Jahren verstarb am 10. November 2015 der Bundeskanzler a. D. und Ehrenbürger des Landes Schleswig-Holstein, Helmut Schmidt.

Helmut Schmidt gehörte der Generation an, die den Zweiten Weltkrieg und die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus noch aus eigenem Erleben kannten. Diese Erlebnisse machten ihn zu einem entschiedenen Gegner der Nazis und zu einem überzeugten Demokraten.

Bereits kurz nach dem Krieg trat Helmut Schmidt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein, der er bis zu seinem Tode angehörte. Er war Abgeordneter des Deutschen Bundestages, dort zeitweilig auch Fraktionsvorsitzender und für einige Jahre zudem Mitglied des Europäischen Parlaments. Als solcher hat er am Aufbau und an der Sicherung der Bundesrepublik Deutschland gegen die Bedrohungen des kommunistischen Machtblocks als Bundesminister der Verteidigung sowie als Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen und schließlich als Bundeskanzler entscheidend mitgewirkt. Er hat mit seiner Reform der Bundeswehr maßgeblich und nachhaltig den demokratischen Geist unserer Streitkräfte geprägt.

Helmut Schmidt hat sich in schweren Krisen stets als standhafter, mutiger und vor allem auch entscheidungsfreudiger Politiker erwiesen. Sein beherztes Handeln während der Sturmflut von 1962 ist auch den Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern unvergessen. Unserem Land war

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Helmut Schmidt nicht nur als regelmäßiger Feriengast in seinem Haus am Brahmsee verbunden. Er selbst sagte einmal über sich, dass ihn SchleswigHolstein bereits als ganz junger Mensch immer besonders anzog.

Seine Liebe und Verbundenheit zu Hamburg und zu Schleswig-Holstein und sein verdienstvolles Wirken um die Bundesrepublik Deutschland verstand Helmut Schmidt stets auch als Arbeit an einem geeinten und demokratischen Europa. Insbesondere sein Verdienst um die Fortführung und Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft waren Ausdruck dieser Haltung. In Frankreich sah Helmut Schmidt immer den wichtigsten Partner für ein freiheitlich-demokratisches Kerneuropa. Wie stark dieses nicht zuletzt auch von Helmut Schmidt geknüpfte enge Band zu unserem Nachbarn ist, dessen werden wir uns angesichts der unfassbaren Ereignisse von Paris ganz besonders bewusst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in seinen Lebensjahren war Helmut Schmidt eine wichtige Stimme, eine moralische Instanz für unser Land. Seine Positionen waren von Weitblick und Geradlinigkeit geprägt. Er wollte nicht gefallen oder bequem sein, sondern bis zuletzt einen Beitrag als kritischer und konstruktiver Staatsbürger für unser Land und Europa leisten. Sein Lebenswerk verdient unseren höchsten Respekt. Schleswig-Holstein wird sich seines Ehrenbürgers Helmut Schmidt stets in Dankbarkeit erinnern. Wir verneigen uns vor ihm. Helmut Schmidt hat seinen festen Platz im Bewusstsein der Menschen zwischen Nord- und Ostsee.

Meine Damen und Herren, am vergangenen Wochenende haben uns - erneut - zutiefst erschütternde Nachrichten aus Paris erreicht. Bislang 129 Frauen und Männer fielen dort dem blindwütigen Hass von Verbrechern zum Opfer, die die Menschheit in finstere Zeiten zurücksprengen wollen.

Die Täter von Paris und - wenige Tage zuvor - von Beirut waren islamistische Terroristen, die immer wieder von Gott reden, jedoch nur an Tod und Vernichtung glauben und die den Islam missbrauchen. Mörder, deren Terror sich nicht allein gegen Andersgläubige, gegen westliche Werte und unsere Freiheit richtet, sondern deren Hass sich auch gegen Millionen Muslime wendet. Die Lebens- und Menschenverachtung, mit der die Anhänger des sogenannten Islamischen Staates die Zivilisation zu vernichten versuchen, ist uns aus der Geschichte wohlbekannt. Wir wissen, dass sie nicht durch Zorn allein oder durch Appeasement einzudämmen ist, sondern nur - um es mit den Worten unseres Bun

despräsidenten zu sagen - mit Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft der Weltgemeinschaft.

Dabei gilt es, wachsam zu sein, denn die Terroristen des „Islamischen Staates“ greifen unsere Freiheit nicht von außen an, sondern sie beginnen ihren perfiden Weg im Inneren: Sie schüren Angst, säen Zwietracht und Misstrauen gegen Muslime. Sie tun dies in der Hoffnung, dass unsere Gesellschaft tatsächlich so dumm ist, Menschen islamischen Glaubens als potenzielle Terroristen vorzuverurteilen, sie auszugrenzen und zu benachteiligen. Sie tun dies in der Hoffnung, unter den so von unserer Gesellschaft Enttäuschten neue Anhänger zu finden.

Doch wir werden es nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft unter der Angst zerbricht. Wir stemmen uns gegen all jene, die die europäischen Werte, die Freiheit und Pluralität, Menschenwürde und Mitmenschlichkeit vernichten wollen. Dabei wissen wir die großen muslimischen Verbände an unserer Seite, denen ich voller Vertrauen zurufe: Gemeinsam sind wir stark. Gemeinsam treten wir ein für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.

Und gemeinsam stehen wir an der Seite unserer französischen Freunde. Wir sind ihnen in tiefem Schmerz verbunden, und wir trauern mit ihnen um die Toten. Wir fühlen mit den Angehörigen und allen, die Schmerz und Verzweiflung zu tragen haben, denn wir wissen: Diese Anschläge galten nicht Frankreich, sondern sie galten uns allen.

Zu Beginn dieser Tagung wollen wir uns auch an unseren früheren Abgeordnetenkollegen Waldemar Dudda erinnern, der am 26. Oktober 2015 im Alter von 90 Jahren verstorben ist.

Der gebürtige Hamburger gehörte diesem Hause von 1967 bis 1975 als Mitglied der SPD-Fraktion an. Er wirkte hier vor allem als Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Aufbau sowie als Mitglied des Wirtschaftsausschusses und des Sonderausschusses Gebietsreform.

Von 1964 bis 1988 war Waldemar Dudda Bürgermeister der Stadt Uetersen. In diesen 24 Jahren an der Spitze hat Waldemar Dudda seine Stadt Uetersen geprägt wie wohl kein anderer. Mehrere Tausend Wohneinheiten, drei Schulen, Turn- und Sporthallen, das Alten- und Pflegeheim, der städtische Kindergarten und die Feuerwache sind nur ein kleiner Teil dessen, was Uetersen der Tatkraft und Weitsicht seines langjährigen hoch geachteten und weithin geschätzten Bürgermeisters verdankt.

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(Präsident Klaus Schlie)

Für seine großen Verdienste wurde Waldemar Dudda mit dem Bundesverdienstkreuz und mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt Uetersen ausgezeichnet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wohl noch nie hat der Sitzungsbeginn des Schleswig-Holsteinischen Landtags unter so traurigen Umständen gestanden wie dieses Mal. Ich bitte Sie deshalb, einen Moment innezuhalten im Gedenken an unseren Ehrenbürger Helmut Schmidt, an die Opfer der Terroranschläge von Paris, von Beirut und auf die russische Passagiermaschine über dem Sinai sowie an den früheren Landtagsabgeordneten Waldemar Dudda.

- Sie haben sich von Ihren Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.

Auch in dem Wissen darum, wie schwer es ist, zur Tagesordnung überzugehen, müssen wir uns nun den täglichen Dingen zuwenden.

Meine Damen und Herren, Ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 3, 4, 5, 14, 18, 20, 24, 26, 31, 33 bis 36, 40, 42, 43, 44 und 54 ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte 16, 17, 29, 38, 39 und 55. Tagesordnungspunkt 50 ist erledigt.

Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 7, 10, 12 und 13 - Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung und zur Änderung kommunalrechtlicher und wahlrechtlicher Vorschriften -, 8 und 53 - Errichtung eines Sondervermögens „InfrastrukturModernisierungsProgramm“ -, 9 und 57 - Gesetzentwurf zur Stärkung der autochthonen Minderheiten und Handlungsplan Sprachenpolitik - sowie die Punkte 15 und 21 Kindertagesstätten und Tagespflege und Schaffung von Betreuungsangeboten - und die Punkte 19, 27, 41, 45, 46, 47, 48, 49, 51 und 52, Anträge zur Flüchtlingspolitik.

Wann die weiteren Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratung der 37. Tagung. Anträge zu einer Fragestunde liegen nicht vor.

Wir werden heute und morgen jeweils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr tagen. Am Freitag ist keine Mittagspause vorgesehen. An diesem Tag werden wir bis

13 Uhr tagen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann werden wir so verfahren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor ich jetzt in die Tagesordnung eintrete, möchte ich die Gelegenheit nutzen, dem Kollegen Olaf Schulze von dieser Stelle aus zu seiner Wahl zum Bürgermeister der Stadt Geesthacht im schönen Kreis Herzogtum Lauenburg zu gratulieren. Lieber Herr Schulze, im Namen des gesamten Hauses wünsche ich Ihnen für die vor Ihnen liegende Aufgabe alles Gute, stets eine glückliche Hand, Erfüllung und vor allem viel Erfolg; das muss man dabei haben. Wir werden uns ja nun des Öfteren sehen. - Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde zu den Terroranschlägen in Frankreich: Für ein friedliches Miteinander in Freiheit und Demokratie im Gedenken an die Opfer der Terroranschläge in Frankreich

Antrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW

Bevor ich dem Herrn Fraktionsvorsitzenden der SPD das Wort erteile, gestatten Sie mir, noch auf der Tribüne unsere Gäste von der Gemeinschaftsschule Altenholz zu begrüßen. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat deren Fraktionsvorsitzender, der Herr Abgeordnete Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Landtagspräsident hat mit seinen sehr würdigen Worten zu den Terroranschlägen am Wochenende auch die Begründung dafür geliefert, warum wir heute in einer Aktuellen Stunde darüber sprechen sollten. Denn diese Attentate galten nicht Frankreich, sie galten nicht den ganz konkret betroffenen Menschen, sondern sie galten am Ende uns allen. Wir erleben in dieser Zeit, in diesen Tagen, was dies mit uns allen macht. Das ist etwas, womit wir uns auseinandersetzen sollten.

(Präsident Klaus Schlie)

Das Erschrecken, das Entsetzen, die Trauer, das Mitgefühl und die Solidarität mit den französischen Freunden sind etwas, was uns daran erinnert, dass diese freiheitliche Gesellschaft verwundbar ist und dass es heute in Paris ist, gestern in London oder Madrid war und morgen auch in Deutschland und überall stattfinden kann. Dies sollte uns dazu veranlassen zu sagen, dass wir nicht nur um die Opfer von Gewalt und mit denen trauern, die leiden oder als Angehörige mitleiden, die das zu erdulden haben, sondern wir müssen daran erinnern, dass es keinerlei Rechtfertigung für Gewalt gibt; denn keine Religion, keine Weltanschauung, nichts rechtfertigt Gewalt.

(Beifall)

Die Taten müssen uns auch daran erinnern, dass wir uns als Demokraten, die wir in diesem Haus ja alle sind, in diesem Punkt auch einig sind und es zurückweisen, wenn Religion missbraucht wird, wenn Weltanschauungen missbraucht werden, wenn angeblich hehre Ziele missbraucht werden für etwas, das am Ende nur Gewalt gegen Menschen ist. Das soll auch dazu dienen, unsere freiheitliche Gesellschaft herauszufordern. Es soll uns dazu bringen, aus Angst auf Toleranz und Vielfalt zu verzichten, unseren Lebensstil zu verändern, unsere Offenheit aufzugeben, für Hass anfällig zu werden, unseren Rechtsstaat, unsere Pressefreiheit, unsere Religionsfreiheit, all die Werte, zu denen wir uns bekennen, infrage zu stellen. Wenn dies gelingen würde, dann wäre das der wahre Erfolg der Terroristen. Das dürfen wir niemals zulassen.

(Beifall)

Dazu gehört auch, dass wir um die perfide Wirkung solcher Anschläge auf manche wissen müssen, die zum Beispiel andere dazu ermuntern, Opfer zu Tätern zu machen. Ich erinnere daran, dass viele Menschen zu uns gekommen sind, die geflüchtet sind vor dem gleichen Terrorismus, der zu den Attentaten in Frankreich führte, Menschen, die vor Fassbomben oder vor dem Islamischen Staat davongelaufen sind, die unsere Hilfe und die unsere Unterstützung brauchen. Sie brauchen nichts weniger als pauschale Verdächtigungen oder auch nur den Zusammenhang, der leider in der politischen Debatte teilweise hergestellt wird. Uns lag daran, heute sehr deutlich zu sagen - ich bin ganz sicher, dass wir das ganz einvernehmlich in diesem Hause tun -, dass es diesen Zusammenhang nicht gibt und dass wir ihn da zurückweisen, wo er politisch hergestellt wird.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Uli König [PIRATEN])

Es bringt noch etwas anderes in Erinnerung, nämlich dass freiheitliche Gesellschaften immer wieder über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit reden müssen. Immer noch gilt, was Benjamin Franklin einmal gesagt hat: