Protokoll der Sitzung vom 18.12.2015

Dann hat jetzt für die FDP-Fraktion der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Wolfgang Kubicki, das Wort. Das ist der älteste Antrag.

(Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug [FDP] tritt ans Rednerpult)

- Es spricht jetzt der Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr schmerzhaft, fassungslos mit ansehen zu müssen, wie das Europa ohne Grenzen, das wir noch vor Kurzem bei jeder Gelegenheit gefeiert haben, Zug um Zug zerfällt. Nationale Alleingänge allüberall im Süden und nun noch ganz oben im Norden. So sehr ich auch die angekündigten Abschottungsmaßnahmen unserer Nachbarn Dänemark und Schweden bedauere, möchte ich doch davor warnen, die Tonlage der Kritik in unangemessener Weise zu verschärfen.

(Beifall FDP, CDU und vereinzelt SPD)

Denn wir werden die vielbeschworene europäische Lösung, die erforderlich ist, nur dann erreichen können, wenn wir miteinander reden, anstatt fortwährend nur den jeweiligen anderen Gesprächspartner in Europa zu verurteilen.

(Jürgen Weber [SPD]: Sehr gut!)

Insoweit finde ich es richtig, dass sich Siegfried Matlok, der ehemalige Chefredakteur des „Nordschleswigers“, kritisch zu Formulierungen der Kollegin Birte Pauls geäußert hat, die Dänemark eine menschenverachtende Politik vorgeworfen hat. Denken Sie daran: Wir müssen mit unseren Partnern im Norden weiter über Lösungswege reden.

(Zuruf Serpil Midyatli [SPD])

Wenn sich die europäische Politik heute immer mehr in eine Summe nationaler Alleingänge auflöst, so muss man schon daran erinnern, dass letztlich die deutsche Bundesregierung mit diesen Alleingängen angefangen hat,

(Beifall FDP und PIRATEN)

nämlich durch die Entscheidung der Bundeskanzlerin vom 4. September 2015, die deutsche Grenze für Flüchtlinge zu öffnen - aus welchen nachvollziehbaren Gründen auch immer. Aber dies war der Beginn einer Entwicklung, die bis heute fatal verlaufen ist, nämlich Menschen nicht abzuweisen, die aus sicheren Herkunftsländern zu uns gekommen sind.

(Zurufe SPD)

Es war eine einseitige Aufkündigung eines geltenden europäischen Vertrags, nämlich des Dublin-IIIAbkommens. Ich stelle nur die Fakten fest, die ja Vertreter Ihrer Landesregierung auf Einwohnerversammlungen wie in Boostedt auch so den Menschen erklären. Warum Sie sich darüber aufregen, wenn man allein dieses Faktum feststellt, verstehe ich in der Tat nicht.

(Beifall FDP)

Meine Damen und Herren, die meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben diesen Alleingang Deutschlands jedenfalls nicht verstanden. Sie haben sich auch nicht angeschlossen. Die wenigen, die lange Zeit auch eine so großzügige Flüchtlingspolitik verfolgt haben, wie zum Beispiel Schweden, haben nunmehr erklärt, sie können nicht mehr. Das hat die Entwicklung mit der Abschottung der Grenzen in unserer Nachbarschaft bewirkt. Ich will einfach nur auf die Fakten hinweisen. Dazu gehört, dass sich der CDU-Änderungsantrag in einer gewissen Weise einen schlanken Fuß macht,

(Beifall FDP und vereinzelt PIRATEN)

wenn er besagt, dass die Ursache der Entwicklung, über die wir sprechen, in einer ungenügenden Kontrolle der Außengrenzen liege. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, heißt das nicht im Klartext, dass das, was wir uns selbst nicht trauen oder was wir selbst nicht machen wollen, nämlich Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen, bitte in der Zukunft lieber diejenigen EU-Mitgliedstaaten tun sollen, die an den Außengrenzen der Europäischen Union liegen? Ist das nicht eine Herangehensweise, die der Redensart „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ entspricht?

Meine Damen und Herren, der Ausweg wird extrem schwierig sein. Gefordert ist natürlich die Bundesregierung mit der Bundeskanzlerin und dem Außenminister. Hier in Schleswig-Holstein, denke ich, werden wir uns in der kommenden Woche nach der Jahreswende darauf konzentrieren müssen, nachdem wir unseren Nachbarn und Partnern gesagt haben, dass wir das alles in höchstem Maße bedauern und sehr kritisch sehen, und uns darauf beschränken müssen, die praktischen Auswirkungen auf die Menschen so gering zu halten wie irgend möglich. Das heißt, dass es für die Verwaltungen eine Art Clearingstelle geben muss. Was bringt das nun an Auswirkungen für die beispielsweise 9.000 Grenzpendler, die täglich über die deutschdänische Grenze fahren?

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Bei diesem Handwerk der konkreten Bewältigung der Auswirkungen wird die Landesregierung gefordert sein. Ich beantrage eine Überweisung der Anträge an den Europaausschuss mit dem Auftrag, mit der Landesregierung auch über die Wege zu sprechen, die nötig sind, um diese Krisenbewältigung im Interesse der Menschen in der Grenzregion hinzubekommen.

(Beifall FDP - Zuruf Birte Pauls [SPD])

Zu dem Antrag zu b) hat für die Piratenfraktion Frau Abgeordnete Angelika Beer das Wort. Danach erhält die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir PIRATEN nehmen mit Bedauern den Beschluss des dänischen Folketing zu den Grenzkontrollen zur Kenntnis.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Trotzdem lehnen wir die pauschale und einseitige Vorverurteilung Dänemarks ab. Das, was in Dänemark beschlossen wurde, wird bereits in Norwegen, vorerst begrenzt bis Ende Dezember, umgesetzt, und auch Schweden wird Anfang Januar entsprechende Maßnahmen einführen. Im Gegensatz zur FDP und den Koalitionsfraktionen sehen wir diese massive Beschädigung des Schengener Abkommens, und das ist es, allerdings differenzierter.

Mit welchem Recht üben wir Kritik an Dänemark für die Annahme einer juristischen Regelung, die es in ähnlicher Form auch bei uns in Deutschland längst gibt? - Ich spreche von § 63 Aufenthaltsgesetz. Das, was in den vergangenen Tagen mit Empörung an dem dänischen Beschluss zurückgewiesen wurde, wie zum Beispiel die Strafandrohung gegen Verkehrsunternehmer, die Pässe nicht kontrollieren, steht genauso im deutschen Gesetz, und zwar mit einer Androhung einer Strafe von bis zu 5.000 €.

(Uli König [PIRATEN]: Unerhört!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb unterscheidet sich unser Antrag. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie im Bundesrat eine In

itiative ergreift, um dafür zu sorgen, dass unser deutscher § 63 Aufenthaltsgesetz den Schengener Durchführungsordnungen entsprechend angepasst wird, denn sonst gibt es wirklich eine absolute Unglaubwürdigkeit in der Diskussion.

(Beifall PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die offenen Grenzen im Schengen-Raum sind nun seit 30 Jahren eine der wichtigsten europäischen Errungenschaften, da sind wir uns einig. In dem Irrglauben aber, Flüchtlingen unter Missachtung grundlegender Menschenrechte den Zugang ins eigene Land verschließen zu können, verletzt man bewusst den Geist der europäischen Freizügigkeit. Man schließt nicht nur für Flüchtlinge die Tür, sondern auch für die europäischen Nachbarn. Das ist nicht im Sinne von uns in Schleswig-Holstein, und es ist nicht im Sinne von Dänemark. Es ist aber auch mit Sicherheit nicht im Sinne anderer Regionen.

(Beifall Uli König [PIRATEN])

Wir alle machen uns Sorgen. Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der Europäischen Union; sieht so die europäische Freizügigkeit in diesem Jahrzehnt aus? Ist 2015 das Jahr, in dem sich immer mehr Staaten von der Idee der Europäischen Einigung verabschieden? Sorge und Kritik an den Beschlüssen zur Wiederaufnahme von Grenzkontrollen sind die eine Seite. Wir sollten aber als Ziel auch vor Augen haben, dass die Solidarität unter allen EU-Mitgliedstaaten wiederhergestellt wird,

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

denn ohne dieses Ziel zu erreichen, werden wir die aktuellen Herausforderungen nicht meistern.

(Beifall PIRATEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Anlass der heutigen Debatte ist im Prinzip nur ein Teilaspekt. Die Mehrheit des Folketing distanziert sich nicht nur von dem Schengener Abkommen, sondern verfolgt insgesamt einen immer stärkeren EU-kritischen Kurs. Das fängt bei der Ablehnung einer EU-Quote für Flüchtlinge an. Hier ist Dänemark nicht allein, das macht Polen genauso. Es geht aber auch darum, dass man sich zum Beispiel bei der Bekämpfung von Terrorismus und bei der grenzübergreifenden Kriminalitätsabwehr seitens Dänemarks aus der europäischen Familie verabschiedet hat.

Aber nicht nur bei der Asyl- und Einwanderungspolitik geht Dänemark eigene nationale Wege. Protokoll 5 des EU-Vertrags enthält eine Reihe von Aus

nahmeregelungen für Dänemark, die sehr deutlich zeigen, dass die Dänen an einer Stärkung der europäischen Integration und der politischen Zusammenarbeit zurzeit nicht interessiert sind. Populistische Forderungen werden durchgesetzt, nicht nur im Wahlkampf, sondern auch danach, ohne dass man die Konsequenzen für die europäische Einigung oder die Minderheiten im grenznahen Bereich beachtet. Selbst gravierende wirtschaftliche Folgen, die wir möglicherweise ab Januar zu erwarten haben, werden nicht einmal vorher analysiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Dank an die Nordschleswiger, die sich nicht nur während des Wahlkampfs, sondern auch danach für ein solidarisches Europa ausgesprochen haben und dafür streiten. Es gibt eine starke Minderheit, die dem Folketing-Kurs der aktuellen Regierung nicht folgt.

(Vereinzelter Beifall PIRATEN)

Ich freue mich auf die Diskussion aller Anträge in den Ausschüssen. Ich hoffe, dass die Landesregierung entsprechende Initiativen ergreift. - Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Birte Pauls als Antragstellerin zu c) das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, wir sollten uns bei allen politischen Debatten und vielleicht besonders zu diesem Thema eines immer wieder bewusst machen: Hinter jeder Zahl steckt ein Mensch; ein Mensch mit seinem ganz eigenen Schicksal. Dieses Bewusstsein schafft vielleicht noch einmal mehr eine andere Sensibilität gegenüber Belastungsgrenzen; gegenüber den Belastungsgrenzen einzelner Menschen, aber eben auch gegenüber denen von Staaten und ihren Kommunen.

Die sind bedauerlicherweise unterschiedlich ausgeprägt, wie wir auch anhand der aktuellen dänischen Folketingbeschlüsse erleben müssen. Während wir in Schleswig-Holstein bei 2,8 Millionen Einwohnern und 50.000 geflüchteten Menschen, die zu uns kommen, sagen: „Wir machen das“, fühlt sich Dänemark bei 5,6 Millionen Einwohnern mit knapp 15.000 Flüchtlingen schon überfordert. Das ist keine Kritik, sondern eine Feststellung. Wir haben eigentlich auch nicht das Recht, die innerdänische Politik zu kritisieren oder uns da einzumischen,

aber Dänemark ist ja nicht nur die Insel der Glückseligen, sondern unser Nachbar in einem gemeinsamen Europa.

(Beifall Sandra Redmann [SPD])

Wenn die Beschlüsse des dänischen Folketing direkt und mittelbar Auswirkungen auf die gemeinsamen Grenzen und auf die Menschen in den Grenzregionen und ihren Alltag haben, dann dürfen wir uns schon einmal zu Wort melden. Das hat nichts mit mangelndem Respekt vor demokratisch gefassten Beschlüssen zu tun.