Protokoll der Sitzung vom 18.12.2015

Wenn die Beschlüsse des dänischen Folketing direkt und mittelbar Auswirkungen auf die gemeinsamen Grenzen und auf die Menschen in den Grenzregionen und ihren Alltag haben, dann dürfen wir uns schon einmal zu Wort melden. Das hat nichts mit mangelndem Respekt vor demokratisch gefassten Beschlüssen zu tun.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Es hat etwas damit zu tun, dass wir unsere Grenzregionen besonders im nördlichen Landesteil seit vielen Jahren gemeinsam denken. Die Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Studierende, für Touristen, für Handel und Dienstleistungen, für Kultur und der dadurch mögliche und täglich stattfindende Austausch ist eine hervorragende Errungenschaft, auf die wir stolz sind und die wir angesichts aktueller humanitärer Herausforderungen für ganz Europa nicht infrage stellen und erst recht nicht aufs Spiel setzen sollten.

Ohne es verteidigen zu wollen, aber schlussendlich hat Dänemark mit seinem Beschluss nichts anderes gemacht, als Deutschland nicht längst auch schon in § 63 des Aufenthaltsgesetzes geregelt, aber nicht umgesetzt hat. Dänemark reagiert auf Beschlüsse und Ankündigungen Schwedens, zum 4. Januar 2016 Passkontrollen durchzuführen, und formuliert quasi gegenüber Schweden die gleichen Befürchtungen, die wir jetzt gegenüber Dänemark formulieren. Der Unterscheid ist bloß, dass wir keine Asylgesetze und Programme haben, die ausschließlich dazu dienen, die Asylanträge auf ein Minimum zu reduzieren, wie es das neue 13-Punkte-Programm der dänischen Regierung vorsieht.

Herr Dr. Klug, wie ich Sie kenne und einschätze, bitte ich Sie herzlich, sich diese Programme einmal anzusehen. Dann würde ich gern Ihre Meinung hören, und danach können wir uns gerne zur Bewertung noch einmal zusammensetzen. Aber das, was ich dazu in meiner Pressemitteilung geschrieben habe, trifft das schon ganz genau.

Wir bekennen uns mit Dänemark zu einer gemeinsamen Region, und das ist auch gut und richtig so. Es gibt nämlich schon lange und jetzt wieder neu durch diese Landesregierung auf den Weg gebracht und unterstrichen, Wachstums- und Entwicklungspläne für die Grenzregionen. Diese wollen wir

(Angelika Beer)

beidseitig mit Leben füllen. Aber, wie gesagt: Die Beschlüsse haben Auswirkungen nicht nur auf die Flüchtlinge, sondern auch auf die Transportunternehmen, die sich südlich wie nördlich einer doch eigentlich gar nicht mehr vorhandenen Grenze und im Kopf negativ zu den Beschlüssen des Folketing geäußert haben.

Es wird zu erschwerten und verlängerten Transportwegen kommen. Als Beispiel möchte ich die mit viel Mühe entstandene Busroute von Husum nach Sønderborg nennen. Nach entsprechenden Ankündigungen müssen die Fahrgäste an der Grenze aussteigen, über die Grenze gehen und dann wieder in einen dänischen Bus einsteigen, um weiterzufahren. Das ist eine komplette Rolle rückwärts im Alltag des Grenzlandes, und das bedaure ich ausdrücklich.

(Beifall SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ein eventueller „Rückstau“ aber von geflüchteten Menschen hat dann ja noch eine ganz andere Bedeutung, besonders in diesen Zeiten. Ich erlebe das und bedanke mich jetzt schon einmal beim Kreis Schleswig-Flensburg und bei der Stadt Flensburg für ein sehr vorrausschauendes Handeln im besten humanitären Sinne.

Ich bedanke mich auch bei Ministerin Spoorendonk für die deutlichen Worte gegenüber der dänischen Regierung, die in allen Medien, der Presse und allen Publikationsorganen, die es in Dänemark gibt, Gehör gefunden haben. Dadurch ist die Haltung Schleswig-Holsteins bei unseren Nachbarn deutlich geworden. Vielen Dank dafür. Ein kurzer Draht kann eben doch helfen.

Das gilt auch für meine Partei; denn Sie sagten, Austausch hilft. Auch ich habe mich sehr kurzfristig mit dem sozialdemokratischen Kollegen Benny Engelbrecht zusammengesetzt. Das hilft, die Dinge auch unabhängig von Medienberichten beidseitig besser einschätzen zu können. Vertrauen geht eben doch nur im Dialog.

Unser Antrag ist deshalb nicht nur ein erneutes Bekenntnis zu der im Schengener Abkommen vereinbarten Freizügigkeit. Er ist auch ein deutlicher Appell für eine gemeinsame humanitäre und solidarische Flüchtlingspolitik in Europa, in der nationale Egoismen angesichts der historischen Herausforderungen einfach einmal etwas zurückstehen müssen. Denn wie ich anfangs sagte: Hinter jeder Zahl steckt ein Mensch.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, den alten und neuen Nachbarn, frohe und gesegnete Weihnachten und uns allen ein hoffentlich friedliches neues Jahr. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt die Frau Abgeordnete Astrid Damerow das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit gestern ist nun klar, dass Schweden ab 4. Januar nächsten Jahres seine Grenzkontrollen durch Übertragung der Pass- und Visakontrollen an Beförderungsunternehmen erheblich ausweiten wird. Unser Partner und Nachbar Dänemark hat in Kenntnis des schwedischen Vorhabens im Folketing ein Gesetz verabschiedet, das vergleichbare Kontrollen innerhalb seiner Grenzen möglich macht.

Unabhängig von Informationen der Europaministerin Spoorendonk in der von uns beantragten gestrigen Sitzung des Europaausschuss wurde deutlich, dass zeitgleich mit Schweden ebenso in Dänemark mit verstärkten Grenzkontrollen zu rechnen sein wird. Natürlich bedauern wir dies, belasten sie doch die Kooperationen und die Initiativen im Grenzraum Deutschland/Dänemark, die seit vielen Jahren entwickelt und auch gelebt werden, ganz deutlich. Es wird natürlich zu Belastungen von Privatpersonen und Unternehmen führen, und auch die praktische Umsetzung der gesetzlichen Regelung wird zahlreiche Fragen aufwerfen.

Die Information im gestrigen Europaausschuss hat aber auch deutlich gemacht, dass die Länder nach Inkrafttreten des Schengen-Abkommens kaum noch gültige Regelungen für länderübergreifende gemeinsame Kontrollen haben. Dies hat uns das Innenministerium sehr deutlich erklärt.

Eines will ich hier ganz klar sagen: Es geht uns nicht darum, die Maßnahmen Norwegens, Schwedens oder Dänemarks zu verurteilen. Das steht uns nicht zu, auch in Kenntnis - das ist hier angesprochen worden - unserer eigenen Rechtslage erst recht nicht, und außerdem führen auch wir an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich seit Mitte September verstärkt Grenzkontrollen durch. Dies ist abgedeckt durch die Rechtslage im Schengen

(Birte Pauls)

Abkommen und wird deshalb auch von uns nicht verurteilt.

Aber die Ursachen all dieser Maßnahmen liegen woanders. Herr Kollege Klug, ich glaube nicht, dass es bedeutet, sich einen schlanken Fuß zu machen, wenn man auf die Grundursache hinweist. So ganz schlank kann der Fuß nicht sein; denn ansonsten würde die Europäische Union nicht seit Monaten und Jahren um dieses Thema ringen.

Die Ursache all dieser Maßnahmen ist der seit Jahren von den EU-Mitgliedstaaten vernachlässigte Schutz unserer EU-Außengrenzen. Dieser Schutz hatte lange Zeit keine echte Prüfung erfahren. Erst durch die im Sommer stark einsetzenden Flüchtlingsströme sind die Mängel dieses Schutzes in das Bewusstsein der Staaten gerückt. Eine fast völlig unkontrollierte Einreise in den Schengen-Raum stellt - wir erleben das ja gerade - seine große Errungenschaft, nämlich die Freizügigkeit ohne Grenzkontrollen, infrage. Zwischen Januar und November 2015 haben nach Schätzungen mehr als 1,5 Millionen Menschen die Grenzen nach Europa illegal überschritten. Deshalb geht es heute in Europa darum, Schutz wiederherzustellen. Gelingt dies nicht, wird ein freizügiges Binneneuropa, wie wir es heute kennen und schätzen, der Vergangenheit angehören. Nationale Abgrenzung statt kooperatives Miteinander werden die Folge sein. Gerade dies erleben wir hier jetzt in den ersten Ansätzen.

Wir sind deshalb dankbar für die Legislativinitiative der Europäischen Kommission vom Dienstag dieser Woche. Kern der Vorschläge ist der Aufbau einer europäischen Grenzpolizei. Die Grenzschutzagentur Frontex wird neu aufgestellt und zu einer europäischen Grenzschutz- und KüstenwachtAgentur umgewandelt. Diese wird erheblich mehr Kompetenzen erhalten. Eine gute Ausstattung und deutlich mehr Personal gehören ebenfalls dazu.

Gleichzeitig müssen für die Flüchtlingsströme die sogenannten Hotspots in Griechenland und Italien zügig ausgebaut werden. Damit können schutzbedürftige Flüchtlinge bereits an unseren Außengrenzen erfasst und innerhalb der EU verteilt werden. Ich sage aber auch ganz deutlich, dass dadurch nicht schutzbedürftige Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden können.

Ziel all dieser Maßnahmen der EU wird eine dauerhafte, gerechte und vor allem solidarische Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten sein.

(Beifall CDU)

Dazu gehört im Übrigen auch - wir haben das schon mehrfach angesprochen - ein europaweit einheitliches Asylsystem. Das Gipfeltreffen der europäischen Regierungschefs gestern und heute macht Hoffnung, dass zumindest in der Frage des Schutzes der Außengrenzen eine Lösung gefunden werden kann und die Vorschläge der Kommission umgesetzt werden.

Wir werden uns alle aber noch sehr viel weiter bewegen müssen, damit wir die vor uns liegenden Herausforderungen - und dazu gehört nicht zuletzt eine echte gelebte Solidarität innerhalb der europäischen Länder - bewältigen können.

Ich bin sehr gespannt - und ich denke, es ist auch sehr aktuell -, in welcher Weise wir über unsere Anträge im Ausschuss weiter diskutieren werden. Wir alle wissen ja, die europäischen Mühlen mahlen langsam, aber stetig. Ich glaube, Geduld wird hier sehr vonnöten sein. Dafür werben wir, und dafür wirbt übrigens auch unsere Kanzlerin.

Ich freue mich auf die Ausschussberatungen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Abgeordnete Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Beschluss des dänischen Folketing vom vergangenen Freitag ist ein Schlag ins Gesicht für eine europaweite humane Flüchtlingspolitik und für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Falls der Beschluss des Folketings von der dänischen Regierung angewendet wird - die Kollegen sind darauf eingegangen, dass das aufgrund der Beschlüsse, die auch in Schweden getroffen wurden, immer wahrscheinlicher wird, dass das eintritt -, hätte das erhebliche Folgen für unseren grenzüberschreitenden Berufsverkehr. Wir werden in der grenzüberschreitenden Kooperation durch dieses Gesetz um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Das Gesetz trifft auch viele hundert Studierende, die in den deutsch-dänischen Studiengängen in Flensburg und Sønderborg studieren oder auch

(Astrid Damerow)

Schülerinnen und Schüler, die in Flensburg wohnen und in Dänemark zur Schule gehen oder in Dänemark wohnen und in Flensburg zur Schule gehen. Gerade junge Menschen, die auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sind und grenzüberschreitend leben, könnten Opfer von diesem Gesetz werden.

Aber auch auf Fehmarn kann es zu massiven Veränderungen im Fährverkehr kommen. Scandlines hat ja bereits angekündigt, dass sie den Fährverkehr reduzieren wollen, sollte dieses Gesetz zur Umsetzung kommen. Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund nicht nur die Verkehrsbetriebe, sondern auch die IHK Flensburg diese Beschlüsse kritisiert. Leider hat aber eine deutliche Mehrheit im Folketing im Eilverfahren dieses Gesetz ohne wirklichen Dialog mit der schleswig-holsteinischen und deutschen Seite beschlossen. Wer die Debatte dort verfolgt hat, wird feststellen, dass auf Nachfragen von Oppositionsabgeordneten deutlich geworden ist, dass dieses Gesetz ohne Amtshilfe unserer Polizei praktisch nicht umgesetzt werden kann. Ich bin unserem Innenministerium sehr dankbar dafür, dass es gestern im Europaausschuss deutlich gemacht hat, dass Amtshilfe für dänisches Recht in Deutschland gar nicht möglich ist.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Zuständig ist aber die Bundespolizei!)

- Dazu komme ich noch, Herr Kollege.

Unsere Landesregierung zeigt eine klare Haltung gegen diese Abschottungspolitik, und dafür danken wir vor allem unserer Europaministerin Anke Spoorendonk, die unverzüglich Kontakt zur dänischen Regierung aufgenommen hat.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ein ähnliches Engagement - jetzt komme ich auch zu dem Zwischenruf aus der FDP-Fraktion - würde ich mir von der Bundesregierung und vom Bundesinnenminister de Maiziére wünschen, der, so die dänische Regierung, auf Anfrage im dänischen Folketing schon etwas länger von diesen Plänen wusste. Uns ist bisher komplett schleierhaft, wie er sich dazu positioniert. Wir haben deswegen gemeinsam mit unserem Bundestagskollegen, Konstantin von Notz und Luise Amtsberg, eine Anfrage an das Bundesinnenministerium formuliert. Ich bin auf die Antwort sehr gespannt.

Es geht in der Debatte allerdings natürlich nicht nur um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, es geht um viel grundsätzlichere Auseinandersetzun

gen. Auch das haben Kollegen bereits angesprochen. Es geht nämlich um eine in Europa total verfehlte Flüchtlingspolitik. Dänemark will mit dem Gesetz auf die mögliche Grenzschließung Schwedens reagieren und schiebt die Mitverantwortung für geflüchtete Menschen gen Süden. So kann es aber keine Lösung in der Flüchtlingspolitik geben, denn wir brauchen eine europäische, eine gemeinsame Lösung. Jeder Staat muss dem gerecht werden, und das gilt auch für Dänemark, die ähnlich wie andere da erheblichen Nachholbedarf haben.

Es ist aus unserer Sicht ein Skandal, dass die EU angesichts dieser seit dem Zweiten Weltkrieg nicht dagewesenen Flüchtlingssituation keine gemeinsamen europäischen Antworten findet. Ich bin sehr gespannt - Frau Damerow ist auf die Beschlüsse und Debatten in Brüssel in diesen Tagen eingegangen -, ob es jetzt wirklich ein Durchbruch sein kann. Ich bleibe daher eher skeptisch, es wäre aber zu begrüßen, wenn sich die Staatschefs auf europäischer Ebene da weiter bewegen.

Schon lange ist klar, dass das Dublin-System gescheitert ist und dringend durch eine humane Flüchtlingspolitik ersetzt werden muss. Lange Zeit war es auch leider die Strategie unserer Bundesregierung, die Last der Aufnahme von Flüchtlingen einfach den Staaten an den Außengrenzen der EU aufzudrücken, allen voran Griechenland und Italien.