Schon lange ist klar, dass das Dublin-System gescheitert ist und dringend durch eine humane Flüchtlingspolitik ersetzt werden muss. Lange Zeit war es auch leider die Strategie unserer Bundesregierung, die Last der Aufnahme von Flüchtlingen einfach den Staaten an den Außengrenzen der EU aufzudrücken, allen voran Griechenland und Italien.
Vor diesem Hintergrund: Wir möchten als Koalition gern in der Sache abstimmen, weil die Debatte läuft und die Positionierungen jetzt vorgenommen werden müssen. Wir möchten jetzt gern ein Signal an unsere dänischen Partner senden und an alle anderen in der europäischen Flüchtlingspolitik, dass wir uns hier für eine solidarische Lösung aussprechen und gegen eine Abschottungspolitik, die auf Grenzschließung setzt.
Anders als Ihr Antrag, Frau Damerow, in dem auch viele Sachen nicht nur falsch sind - wir Grüne würden hier auch nicht sagen, dass wir uns nicht um die Außengrenzen kümmern müssten -, setzt er jedoch im Duktus einen ganz anderen Akzent, einen Akzent, der eher in dasselbe Horn bläst, auch wenn Sie das wahrscheinlich nicht so meinen, wie das, was wir hier kritisieren. Deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen und unseren beschließen. Der Dialog mit Dänemark und den anderen Staaten wird fortgesetzt. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Gespenst der Grenzkontrollen huscht über unseren Kontinent. Und in vielen Ländern Europas hat man sich längst daran gewöhnt, dass Grenzkontrollen der Vergangenheit angehören. Aber, meine Damen und Herren, dies ist nur ein subjektives Gefühl, denn Fakt ist, dass Norwegen derzeit Pass- und Visakontrollen durchführt, zumindest bis zum 26. Dezember 2015. Diese werden durch die Transporteure durchgeführt. Schweden und Dänemark haben ähnliche Maßnahmen angekündigt. Slowenien verstärkt seine Zäune und führt Kontrollen an der Grenze zu den EU- und Schengen-Mitgliedern Österreich und Kroatien durch. Ungarn hat bekanntermaßen einen massiven Zaun an seiner südlichen Grenze errichten lassen und führt Grenzkontrollen an den Grenzen zu Kroatien und Rumänien durch. Auch Griechenland, meine Damen und Herren, Spanien, Frankreich und Bulgarien haben in einigen Regionen Grenzzäune aufstellen lassen. Die Slowakei kontrolliert an allen Grenzübergängen, auch zur EU hin. Polen und Tschechien kontrollieren ihre Grenzen jetzt mehr auch zum gemeinsamen deutschen Nachbarn.
In der Bundesrepublik, meine Damen und Herren, werden Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze durchgeführt. Diese bestehen seit einigen Monaten und umfassen nicht nur den Grenzverkehr, sondern auch den österreichischen Binnenverkehr. Wer von Innsbruck und Westösterreich in die Hauptstadt Wien reisen möchte, der muss automatisch durch deutsches Bundesgebiet. Das gilt sowohl für Autobahnen als auch für den Schienenverkehr. Alternativrouten für den Autobahnverkehr sowie für den gehobenen Bahnverkehr gibt es nicht und, meine Damen und Herren und lieber Kollege Klug, hier wird auf deutschem Boden durch Schaffner kontrolliert. Das, meine Damen und Herren, ist eine Absprache zwischen dem deutschen und dem österreichischen Staat. Also auch das ist jetzt schon möglich.
Fakt ist, Grenzkontrollen sind für viele EU-Bürger wieder Alltag geworden. Bisher waren wir in Schleswig-Holstein von einer solchen Situation befreit; abgesehen von den Wochen rund um das G-7-Außenministertreffen in Lübeck.
In diesem Sommer wurde das 30-jährige Jubiläum des Schengener-Abkommens gefeiert. Für uns als SSW steht zweifelsfrei fest, dass die Freizügigkeit über europäische Grenzen hinweg eine besonders wertvolle Errungenschaft ist.
Schleswig-Holstein ist bekanntermaßen die einzige Landverbindung zu Skandinavien auf dem Gebiet der Europäischen Union. Diese Verbindung ist prägend für unser Land und spielt bei vielen Schleswig-Holsteinern eine entscheidende Rolle im Alltag. Die offenen Grenzen haben zu mehr Arbeitsplätzen geführt und die Wirtschaft positiv beeinflusst. Zudem befördert es den kulturellen Austausch, wenn Urlauber, Studierende, Schüler, Arbeitnehmer und Einkaufstouristen seit inzwischen einer ganzen Generation ungehindert die deutschdänische Grenze passieren können.
Natürlich ist die Einführung von Grenzkontrollen dann ein bedeutender Eingriff. Doch Schengen steht eben nicht nur für offene Grenzen, sondern das Abkommen regelt ganz genau, wie Grenzkontrollen in Ausnahmefällen zu handhaben sind. Dabei geht es im konkreten Fall nicht um permanente Maßnahmen, sondern es geht um einen kürzeren Zeitraum von 30 Tagen. Die Regierung in Kopenhagen wird diese Maßnahmen mutmaßlich zu Beginn des kommenden Jahres umsetzen, Ansagen, dass Beförderungsunternehmen in Deutschland zur Kontrolle ihrer Reisenden keine Befugnisse hätten das habe ich gerade gesagt -, sind falsch. Beförderungsunternehmen dürfen Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland nur über die deutsche Grenze befördern, sofern die Reisenden in Besitz eines Passes oder eines Aufenthaltstitels sind. So steht es im deutschen Aufenthaltsgesetz. Wer es nachlesen will: Es ist § 63.
Nach diesem Gesetz besteht auch die Möglichkeit, entsprechende Kontrollen durch Beförderungsunternehmen anzuordnen, meine Damen und Herren. Die entsprechende Durchführungsverordnung empfehle ich Ihnen ebenso zum Nachlesen. Diese Regelung wird derzeit an der deutsch-österreichischen Grenze durch die Bundesrepublik Deutschland angewandt. Sie ist also nicht nur angekündigt, sie wird auch angewandt. Wir haben also hier in unserem Land ähnliche Verhältnisse, wie sie Dänemark einführen will. Trotzdem führen solche Grenzkontrollen zu erheblichen praktischen Problemen für die betroffenen Beförderungsunternehmen und für die Menschen im Grenzland, weshalb sie natürlich vermieden werden sollten.
Was wir deshalb brauchen, ist eine europäische Lösung, meine Damen und Herren, sowohl für Grenzkontrollen als auch für die Verteilung von Flüchtlingen, die ja eigentlich als Ursprung des Ganzen gelten. Es gibt einen Ort, an dem Grenzkontrollen oder ein verbessertes Einreiseregime tatsächlich Sinn machen würde, nämlich an den Außengrenzen des Schengen-Raums. Was wir nicht brauchen, ist eine tatsächliche Auflösung des Schengen-Abkommens und die flächendeckende Wiedereinführung von Grenzkontrollen und Ähnlichem, meine Damen und Herren.
Es kann keine nationale Lösung für ein internationales Problem geben, meine Damen und Herren. Denn genau davor stehen wir. Das Letzte, was wir jetzt brauchen, sind nationale Alleingänge. Deswegen ist unser Antrag auch der richtige Antrag, der genau diesen Fokus setzt, genügend Offenheit aber auch hat, dass man sich diesem Antrag anschließen kann. Wir wollen eine europäische Lösung, sowohl was die Flüchtlingsfrage angeht als auch was die Grenzfragen angeht. Wir wollen verhindern, dass Schengen in irgendeiner Art und Weise hinten runterfällt. Wir leben davon, dass wir offene Grenzen haben, gerade bei uns im Grenzland. Wir wollen, dass es so bleibt. Das schafft auch einen guten kulturellen Austausch, das schafft aber auch Arbeitsplätze und generiert Wirtschaftswachstum. Da sollten wir als Menschen in Schleswig-Holstein uns dafür einsetzen, dass unsere Grenze offenbleibt. - Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen aus dem Parlament sehe ich nicht. Dann hat jetzt die Landesregierung das Wort. Es spricht die Europaministerin und Kulturministerin Anke Spoorendonk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Es ist das Los der Europapolitik, häufig mit scheinbar abstrakten und technischen Themen verknüpft zu sein, für die sich wenige Menschen wirklich begeistern können. Viele Bürgerinnen und Bürger - Sie wissen das - empfinden Europa oft als wenig greifbar und sind skeptisch, ob das, was an den Vorgaben und Regelungen denn immer mal wieder aus Brüssel kommt, in ihrem Leben auch
Meine Damen und Herren, die heutige Debatte aber zeigt: Europa macht einen gewaltigen Unterschied. Wir erörtern heute hier ein Thema, das nicht nur in Form von gleich mehreren Dringlichkeitsanträgen, sondern ganz konkret die Menschen in unserem Land bewegt. Die Freizügigkeit über europäische Binnengrenzen hinweg ist eine kostbare Errungenschaft. Sie hat die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger überall in Europa spürbar erhöht, und das natürlich nirgendwo mehr als in den Grenzregionen Europas.
Für uns in Schleswig-Holstein ist der grenzüberschreitende Alltag schon lange gelebter Alltag. Umso mehr bewegt es uns alle, wenn diese Errungenschaft, die für uns ja so selbstverständlich geworden ist, jetzt infrage gestellt wird.
Lassen Sie mich daher nochmals vorab eines deutlich und grundsätzlich sagen: Ja, wir sind als Landesregierung besorgt über die aktuellen dänischen Beschlüsse
Wir teilen nicht die Auffassung der dänischen und einiger anderer Regierungen, dass verstärkte Grenzkontrollen im Schengen-Raum ein taugliches Mittel der Flüchtlingspolitik sind.
Wir haben unsere Position und unsere Bedenken gegenüber der dänischen Regierung deutlich zum Ausdruck gebracht. Dazu hatte ich ja gestern im Europaausschuss Gelegenheit, einiges zu sagen das werde ich jetzt nicht wiederholen -, dass wir auch in den dänischen Medien unsere Botschaften und unsere Bedenken losgeworden sind. Darauf hat die Abgeordnete Birte Pauls hingewiesen. Dem ist natürlich so.
Das heißt, wir haben unsere Bedenken deutlich gemacht, haben unsere Sorgen deutlich gemacht. Aber das haben wir gekonnt - es ist wichtig, das hervorzuheben - weil wir einen äußerst offenen und vertrauenswürdigen Dialog mit unseren nördlichen Nachbarn pflegen. Unser Verhältnis zueinander ist gut und wird durch inhaltliche Differenzen nicht infrage gestellt. Das heißt, es gibt keine „Eiszeit“,
von der hin und wieder gesprochen wurde. Im Gegenteil, es zeigt sich gerade auch in dieser Situation, wie wichtig es ist, dass wir den Dialog miteinander führen und deutlich machen können: Das eine ist die Ebene, die Bundesebene Berlin, die andere Ebene ist die schleswig-holsteinische Ebene. Darum sage ich: Ja, wir haben ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis zueinander.
Frau Ministerin, ich konnte Ihren Ausführungen im Europaausschuss leider nicht folgen. Würden Sie dem Parlament und mir mitteilen, wie die Wirkung Ihrer Kommunikation in Dänemark oder die von Frau Pauls war?
Ja, das will ich gern machen, lieber Herr Kollege Kubicki. Ich hatte schon erwartet, dass Sie diese Frage stellen würden. Was wir erreicht haben ist, dass in der dänischen politischen Öffentlichkeit deutlich verstanden worden ist, dass wir es nicht mit Innenpolitik zu tun haben, sondern mit einer Politik, die Auswirkungen auf die deutsch-dänische Zusammenarbeit hat. Das hat man begriffen. Das war der Hintergrund dafür, dass ich in ganz vielen Medien danach gefragt wurde, wie Schleswig-Holstein reagiert, weil man immer wieder erlebt, dass auf der nationalen Ebene Berlin Ansprechpartner ist. Was wir mit unserem Rahmenplan zur deutsch-dänischen Zusammenarbeit erreicht haben, ist, darauf hinzuweisen, wie wichtig das deutsch-dänische Verhältnis für uns ist. Und das habe ich jetzt noch einmal allen in Erinnerung rufen können. Die Zusage, ja, ihr werdet informiert - wir können nicht erwarten, dass man sich nach uns richtet, aber dass wir informiert werden, dass wir ernst genommen werden -, das habe ich erreicht. Das will ich nicht kleinreden.
Was wir auch erreicht haben, und zwar haben wir das nicht jetzt in dieser aktuellen Situation erreicht, sondern das wurde erreicht als Ergebnis des Gesprächs zwischen Ministerpräsident Albig mit dem dänischen Regierungschef Lars Løkke Rasmussen, an dem auch ich teilgenommen habe, ist, es wird keine Grenzkontrollen wie in alten Zeiten geben. Aus diesem Gespräch ging auch hervor, ja, die dänische Regierung will auch die deutsch-dänische Zusammenarbeit weiterentwickeln. Im November hat man einen Wachstumsplan verabschiedet, der genau dieses auch zum Ausdruck bringt.
Das heißt, die dänische Regierung fühlt sich uns gegenüber verpflichtet und fühlt sich auch der deutsch-dänischen Zusammenarbeit gegenüber verpflichtet, eine Zusammenarbeit, die ja schon in ganz vielen Bereichen läuft, auf unterschiedlichen Ebenen läuft und die für Schleswig-Holstein und nicht zuletzt auch für die Grenzregion ein wichtiger Wachstumsfaktor ist.
Meine Damen und Herren, nun aber haben wir die aktuelle Situation, dass mit den dänischen Beschlüssen Beförderungsunternehmen dazu verpflichtet werden können, Pässe und Identifikationspapiere zu kontrollieren. Wir gehen davon aus, dass diese Maßnahmen natürlich zu einer empfindlichen Einschränkung der Mobilität von Arbeitnehmern, Schülerinnen und Schülern, Azubis und Studierenden führen könnten. Wir reden hier - auch das ist schon aus der Debatte hervorgegangen - von über 40 Fahrten täglich, und wir reden davon, dass knapp 9.000 Personen jährlich von Schleswig-Holstein nach Dänemark pendeln und noch einmal 1.200 Personen in der Gegenrichtung. Wenn die Dänischen Staatsbahnen und Scandlines ihre Ankündigung wahrmachen sollten, könnte es weitere spürbare Auswirkungen auf die Mobilität, auf die wirtschaftliche Entwicklung und auch auf den Tourismus in unserer Grenzregion geben.
Dies alles habe ich der dänischen Integrationsministerin Inger Støjberg in unseren beiden Telefonaten deutlich gemacht. Ich habe ihr die Argumente der Landesregierung auch noch einmal schriftlich gegeben, und zwar vor der dritten Behandlung des dänischen Parlaments zu diesem Gesetzentwurf. Sie hat in den Telefonaten gesagt, dass Schleswig-Holstein künftig besser informiert werden wird. Ich sage „künftig“, weil die Anfänge etwas holperig waren. Gleichzeitig habe ich in den Telefonaten gefragt, wie man sich die praktische Umsetzung eines solchen Vorhabens vorstellt. Die Ministerin antwortete
mir darauf, dass genau dies noch zu überprüfen sei, und - so ihre Worte - es sei eine Notfallregelung, die notwendig sei, um auf die Entwicklungen in Norwegen und insbesondere in Schweden reagieren zu können.
Das heißt, wir gehen davon aus - ich werde jetzt auf die schwedische Regelung nicht weiter eingehen -, dass wir Anfang Januar eine Situation mit verschärften Grenzkontrollen vorfinden werden. Ich kann hinzufügen, dass aus der Öresundregion verlautbart wurde, dass der sogenannte Öresundzug am Flughafen anhalten wird - das macht er sowieso -, aber die Reisenden müssen dann aussteigen, Pass oder Identifikationspapiere zeigen, und dann können sie wieder in den Zug einsteigen. Alle rechnen damit, dass es dann eine Verspätung von ungefähr einer Stunde geben wird. Die Diskussionen laufen da im Moment sehr intensiv. Auch die öffentlichen Diskussionen laufen sehr kontrovers.
Wir haben mehrfach angesprochen, dass die steigenden Flüchtlingszahlen unsere Gesellschaften vor eine Vielzahl von Herausforderungen stellen. Meine feste Überzeugung ist auch, dass wir eine europäische Lösung brauchen - ganz klar. Aber gerade der EU-Gipfel, der am Dienstag begann, aus dem die Beschlussfassung zu Frontex hervorgeht, macht deutlich, wie schwierig die Umsetzung einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik sein wird. Das wissen wir bereits, weil aus der Ansage, dass 160.000 Flüchtlinge innerhalb des europäischen Raumes umverteilt werden müssen, noch nichts geworden ist. Auch bei den Hotspots steht man noch an den Anfängen.
Man kommt bei der Sicherung der europäischen Außengrenzen anscheinend weiter. Ich glaube, es ist notwendig, diese Grenzen zu sichern, aber man könnte natürlich auch fragen, warum man sich dort einigen kann, wenn man die anderen Aspekte dieser Fragestellung nicht gemeinsam miteinander umsetzen will. Das soll heißen: Wir müssen weiterhin eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik fordern.
Als letzte Anmerkung ein Zitat des UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, dort heißt es in dem aktuellen Bericht: „Weltweit mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht.“ 2015 wird also wahrscheinlich alle bisherigen Rekorde übertreffen. In einem globalen Kontext bedeutet dies, dass ein Mensch von 122 gezwungen wurde, sein Haus zu verlassen. So sieht die Wirklichkeit im Moment aus. Darum ist es notwendig, bei jeder Gelegenheit Solidarität, Mitgefühl und Mitmenschlichkeit einzufordern. - Vielen Dank.
Die Landesregierung hat die vereinbarte Redezeit um 5 Minuten überzogen. Wird davon Gebrauch gemacht? - Ja. Frau Abgeordnete Beer von der Piratenfraktion hat das Wort.