Protokoll der Sitzung vom 21.01.2016

Herr Minister Studt, bevor ich zu Ihnen und Ihrem Bericht komme, möchte ich einen Appell an die Sozialdemokraten, aber auch an die Union dieses Hauses, richten. Wenn wir heute feststellen müssen, dass bei Meinungsumfragen in Hamburg die AfD so stark geworden ist wie die CDU und in BadenWürttemberg die AfD den Sozialdemokraten ziem

(Ministerin Anke Spoorendonk)

lich stark auf den Fersen ist, dann müssen wir uns die Frage stellen, ob wir in unserer Kommunikation nicht vielleicht doch etwas anders machen müssen als gegenwärtig.

(Beifall FDP - Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich habe damit keine Probleme, Frau von Kalben. Sie können ja gern so weitermachen. Das Problem wird nur sein, dass mit dieser Form der Kommunikation wir selbst - Sie eingeschlossen - dazu beitragen, dass die Rechten immer stärker werden. Ich komme gleich dazu.

Ich nehme gern die Anregung des Ministerpräsidenten von gestern auf, dass wir differenzieren sollten zwischen der Flüchtlingspolitik, der Integration und der Frage, wie wir mit kriminellen Tätern umgehen, und zwar egal, woher sie kommen. Der Antrag, den Sie vorgelegt haben - das will ich ausdrücklich sagen -, verquickt wieder zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Der dauernde Appell, dass man, wenn es kriminelle Ausländer gibt, nicht verallgemeinern soll, was Flüchtlingspolitik oder was auch immer angeht, trifft nicht die Empfindsamkeit der Menschen; vielmehr haben die Menschen das Gefühl, dass damit das Problem relativiert werden soll, vor dem wir stehen,

(Beifall FDP)

und die Reaktion darauf ist, dass sie sich von demokratischen Parteien abwenden. Ich bitte wirklich, einfach einmal darüber nachzudenken.

Ich finde, dass die Erklärung, dass nicht alle Flüchtlinge kriminell sind, mit einem solchen Antrag, bei dem wir uns mit der WED-Kriminalität beschäftigen, die überwiegend auf Banden zurückzuführen ist, die vom Balkan, also aus sicheren Herkunftsstaaten kommen, und mit der allgemeinen Flüchtlingspolitik überhaupt nichts zu tun hat und dass die Vermischung eher kontraproduktiv ist.

(Beifall FDP)

Herr Minister, wenn Sie die Rede, die Sie hier gehalten haben, bei Einwohnerversammlungen in Strande, in Dänischenhagen, in Heikendorf oder in Ahrensburg gehalten hätten, dann hätten die Menschen Sie aus dem Saal getragen - das kann ich Ihnen sagen -, und zwar nicht vor Freude, sondern weil sie sich veralbert vorgekommen wären. Ich empfehle Ihnen, einmal an einer solchen Versammlung teilzunehmen, damit Sie mitbekommen, welche Sorgen, welche Furcht, welche Ängste die Menschen haben, die keine Bürgerwehren wollen,

die aber auch nicht mehr erleben wollen, dass ihnen von Polizeibeamten mitgeteilt wird: Wir haben leider keine Kapazitäten, um aufzuklären. - Bei meinem stellvertretenden Landesvorsitzenden Bernd Buchholz ist das zweite Mal eingebrochen worden, nachdem er sein Haus auf polizeilichen Rat hin sicher gemacht hat. Er sagt, dass einzig Gute daran war, dass diesmal wenigstens die Spurensicherung gekommen ist, was beim ersten Mal nicht der Fall war.

Die Sorgen und Nöte, die die Menschen haben, müssen wir nicht nur ernst nehmen, sondern wir müssen auch etwas dagegen tun und dürfen nicht so tun, als seien wir auf einem guten Weg. Ich komme gleich noch dazu.

Die Sozialdemokraten, die Grünen und der SSW loben das WED-Konzept als erfolgreich im Jahr 2015. - Wenn die Steigerung der Einbruchskriminalität von 15 % aus dem Jahr 2014 auf 2015 ein Erfolg dieses Konzepts ist, dann möchte ich wissen, was dabei herauskommen soll, wenn dieses Konzept intensiviert wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon allein die Tatsache, dass wir in diesem Hohen Haus schon wieder über die Einbruchskriminalität in unserem Land reden, bezeugt das Ausmaß dieses Problems. Das eine hat der von meiner Fraktion erbetene Bericht gezeigt: Die Situation hat sich im vergangenen Jahr noch einmal dramatisch verschärft. Im Jahr 2015 erwartet der Innenminister eine Annäherung der Fallzahlen auf 8.500 Fälle. Ich glaube, Sie haben die Zahl 8.456 genannt. Sollte sich das bewahrheiten, dann haben wir in Schleswig- Holstein bei den Wohnungseinbruchdiebstählen von 2014 auf 2015 eine Steigerung von 15 %.

Diese Zahlen sind umso alarmierender, wenn man bedenkt, dass die Aufklärungsquote im ersten Halbjahr 2015 auf 8,8 % abgerutscht ist. Sie haben heute erklärt, diese Zahl würde bei unter 10 % landen, einem der niedrigsten Werte aller Zeiten. Im Kreis Stormarn lag die Aufklärungsquote im Jahr 2014 sogar nur knapp über 5 %. Das ist Platz 388 im Vergleich aller 402 Landkreise in Deutschland. Dabei ist die offizielle Aufklärungsquote sogar noch geschönt, da ein Einbruch bereits als aufgeklärt gilt, wenn ein Tatverdächtiger nur ermittelt wurde - unabhängig davon, ob er danach überführt wird. Das muss man wissen.

Laut einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen liegen die Aufklärungsquoten gemessen an der Zahl der Verurteilungen nur bei 2,6 %. Mit anderen Worten: Nicht ein

(Wolfgang Kubicki)

mal jeder 38. Einbruch wird geahndet. Das, meine Damen und Herren, ist die Lage in unserem Land. Das zu beschönigen, bringt die Menschen zur Verzweiflung. Herr Minister, wir müssen Antworten darauf geben, die nicht im Schönreden bestehen was Sie gerade getan haben.

(Beifall FDP und CDU)

Vor ungefähr einem Jahr hat der Innenminister im Rahmen der Landtagsdebatte zu dem ebenso von der FDP-Landtagsfraktion beantragten Bericht über die Entwicklung der Einbruchskriminalität noch von ersten Erfolgen des neuen Kriminalitätsbekämpfungskonzeptes für diesen Bereich gesprochen. Er bilanzierte stolz: „Das Konzept ist erfolgreich.“

Heute wissen wir: Diese Aussage lässt sich so nicht mehr halten. Das Gegenteil ist der Fall, und dafür, Herr Studt, tragen Sie die persönliche und die politische Verantwortung. Eines ist jedenfalls offensichtlich: Es besteht akuter Handlungsbedarf, denn besonders Wohnungseinbruchdiebstähle beeinträchtigen das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Sollte das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat und dessen Handlungsfähigkeit weiter schwinden, dann wird uns das allen hier auf die Füße fallen.

Ich empfehle allen männlichen Beteiligten, einmal mit ihren Ehefrauen darüber zu reden, was für ein Empfinden sie hätten, wenn in den geschützten Raum der eigenen vier Wände eingedrungen würde. Das ist ein so massiver Eingriff in die Privatsphäre, der bei einigen der Beteiligten zu einer solchen Beeinträchtigung führt, dass manche das Haus oder die Wohnung nicht mehr bewohnen und umziehen wollen aus Furcht, dass dieser private Raum von der staatlichen Macht nicht mehr geschützt werden kann. Der Landtagsdirektor hat in seinem Schreiben an den Ministerpräsident und an den Landtagspräsidenten darauf hingewiesen.

(Zurufe SPD)

- Ich empfehle auch Sozialdemokraten, die hier im Parlament sitzen und dicke Backen machen, wirklich einmal, mit den Menschen zu reden. Wenn wir, wenn Sie das nicht tun, dann werden Sie von denen einfach weggewählt.

(Beifall FDP und CDU)

Die Menschen haben ein Recht darauf, von der Politik Antworten auf dieses Problem zu bekommen und nicht Erklärungen, wir sollten uns alle darüber freuen, dass ansonsten in anderen Bereichen weni

ger passiert und dass es auch Menschen gibt, die nicht kriminell werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, auch das muss ich sagen: So sehr ich verstehen kann, dass Sie Ihr innenpolitisches Profil schärfen wollen, um verloren gegangene Reputation zurückzugewinnen: Ihr Antrag erfüllt diesen Zweck in wesentlichen Teilen leider nicht. Herr Studt hat bereits darauf hingewiesen, dass eine Taskforce besteht und dass es eine intensive Zusammenarbeit mit Hamburg gibt.

Mich treibt aber etwas ganz anderes um, weil ich Zweifel habe, ob Ihr rechtsstaatliches Grundverständnis noch intakt ist. Auch wenn man die Forderung, Wohnungseinbruchdiebstahl in den Katalog der schweren Straftaten aufzunehmen, um zur Verfolgung eine Telekommunikationsüberwachung zu ermöglichen, ständig wiederholt, wird sie dadurch nicht sinnvoll.

(Vereinzelter Beifall FDP und PIRATEN)

Das ist blinder Aktionismus ohne jegliche fachliche Grundlage. Zum einen steht der in dieser Frage vor allem relevante Bandendiebstahl bereits im Katalog des § 100 a StPO, Herr Kollege Daniel Günther. Zum anderen ist auch bei einfachem Einbruchdiebstahl schon eine Verkehrsdatenabfrage möglich. Auch Ihr Argument, wenn wir keine ordentliche Aufklärungsquote haben, machen wir uns einfach Maßnahmen aus der Strafprozessordnung zu eigen, die dafür eigentlich gar nicht gedacht sind, ist in sich nicht schlüssig.

(Vereinzelter Beifall FDP, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Eine angebliche Erleichterung der Strafverfolgung macht doch die Straftat weder schwerer noch schwerer ermittelbar, und das sind die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine Aufnahme in den Anlasstatenkatalog des § 100 a StPO. Ich empfehle gelegentlich die Leküre der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wenn man als Union schon darauf Wert legt, auf der Grundlage unseres Grundgesetzes unsere Werte zu vermitteln. Das trifft die Union übrigens in gleicher Weise wie alle anderen auch.

(Zuruf Martin Habersaat [SPD])

- Herr Dolgner, das setzt voraus, dass alle schreiben können.

(Zurufe SPD)

(Wolfgang Kubicki)

- Ich fand, das war ein sehr intelligenter Einwand. Deshalb habe ich gedacht, er kommt von Ihnen. Von Herrn Habersaat bin ich das nicht gewöhnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir wirklich brauchen, das haben wir schon häufiger gefordert. Insofern freue ich mich, dass die Union das mit ihrem Antrag auch so sieht, nämlich die Erhöhung der Aufdeckungswahrscheinlichkeit durch mehr Polizisten vor Ort. Wenn die Einbrecher in einigen Landstrichen in Schleswig-Holstein damit rechnen können, dass sie bis zu 45 Minuten Zeit haben, bis die erste Polizeistreife eintrifft, dann machen wir es den Verbrechern schlicht zu leicht. Deshalb kann die Antwort auf die alarmierende Entwicklung nur sein: mehr Polizeipräsenz in der Fläche, mehr sichtbare Polizeipräsenz an den Hotspots der entsprechenden Einbruchsentwicklung.

Das lässt sich schon an einem einfachen Zahlenbeispiel nachvollziehen. Auch hier müssen wir uns fragen: Woher kommt das? In Bayern kommen auf 100.000 Einwohner 326 Polizisten. Schleswig-Holstein dagegen weist mit 2,7 Polizeibeamten auf 1.000 Einwohner die drittniedrigste Polizeipräsenz im Bundesvergleich auf. Gemessen an der Einwohnerzahl gibt Schleswig-Holstein damit im Vergleich zu allen Bundesländern mit am wenigsten für die Polizei aus: 121 € pro Einwohner im Jahr. In Bayern gab es 2014 bei einer Bevölkerungszahl von fast 13 Millionen entsprechend auch „nur“ 8.500 Einbruchsdiebstähle. In Schleswig-Holstein gab es im gleichen Jahr 7.500 Einbrüche, und das bei einer Einwohnerzahl von weniger als 3 Millionen. Man muss einfach die Relationen sehen. Noch deutlicher wird es, wenn wir nach Nordrhein-Westfalen mit 50.000 Taten bei 17 Millionen Einwohnern und nur 228 Polizisten pro 100.000 Einwohner schauen.

Auch hier müssen wir uns fragen: Was ist in anderen Ländern eigentlich die Ursache dafür, dass dort deutlich weniger eingebrochen wird als in Schleswig-Holstein? Die Lage kann nicht der Grund sein, weil wir abgesehen von Dänemark, südlich der Elbe und Mecklenburg-Vorpommern kaum Außengrenzen haben. Links und rechts ist Wasser. Die Frage der Fluchtgeschwindigkeit kann dabei also keine so große Rolle spielen.

Das zeigt nur allzu klar: Das Konzept „Mehr Polizei in der Fläche“ scheint offenbar zu wirken, und, was mindestens genauso entscheidend ist, es führt zu einem besseren Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung.

(Beifall FDP und Daniel Günther [CDU])

Die Menschen empfinden die Polizei nämlich nicht als bedrohlich oder fordern eine stärkere Kontrolle der Polizei. Wenn den Bürgerinnen und Bürger etwas Sorgen bereitet, dann sind das die unzulängliche Präsenz der Polizei auf den Straßen sowie der zunehmende Rückzug aus der Fläche. Die in vielen Orten entstehenden Bürgerwehren sind deshalb nicht auf ein Versagen der Polizei zurückzuführen. Bürgerwehren bilden sich, weil die Politik versagt hat. Die Schlussfolgerung ist offensichtlich: Mehr Vertrauensbildung erreichen wir nicht durch mehr Kontrolle, sondern durch eine personelle Stärkung der Polizei, und zwar sehr zügig und sehr zeitnah.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können auf bestimmte Dinge schlicht und ergreifend verzichten. Der Bundesvorsitzende der FDP, Christian Lindner, hat es in Nordrhein-Westfalen gesagt: Vielleicht verzichten wir einmal auf den Tag des Blitzmarathons, der Hunderttausende von Polizeistunden frisst. Vielleicht verzichten wir auch einmal darauf, Polizei für nicht polizeirelevante Aufgaben einzusetzen und setzen für diese andere Bedienstete des Polizeidienstes ein, damit wir wieder mehr Polizeipräsenz auf den Straßen unseres Landes haben und damit der Probleme Herr werden können.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Ein Letztes, und das ist mir wirklich ein Anliegen, weil Sie, Herr Minister, erklärt haben, es gebe keine Vertuschung oder keine falschen Erklärungen. Ich kann mich daran erinnern, dass Sie noch im Oktober letzten Jahres erklärt haben, es gebe keinen Hinweis darauf, dass es bei Einbruchdiebstählen eine spezielle Ausländerkriminalität gibt. Jetzt, vor ein paar Tagen, haben Sie der schleswig-holsteinischen Öffentlichkeit mitgeteilt, dass 90 % der Täter Ausländer seien. Nur wenn wir dieses Problem identifizieren und uns konsequent um diese Tätergruppe kümmern, haben wir eine Chance, das Problem zu bewältigen.

Noch einmal: Die Verbindung zu Flüchtlingen ist völlig irrelevant, weil die Haupttätergruppen, die wir haben, keine Flüchtlinge sind, sondern Kriminelle aus den Balkanstaaten, die sich gelegentlich auch unser Asylrecht zunutze machen, um hier tätig werden zu können. Darauf müssen wir eingehen und diese Tätergruppen identifizieren und stellen. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, wir dürfen über Ausländerkriminalität in Deutschland nicht reden, weil es ansonsten zu einer Verquickung mit Flüchtlingsfragen kommen wird. Das wird dem Problem nicht mehr gerecht. - Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Wolfgang Kubicki)

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)