Protokoll der Sitzung vom 22.01.2016

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schleswig-Holstein klingt nach Urlaub und schönen Kühen, Glücksland zwischen den Meeren. An Industrie denkt man zunächst einmal nicht. Dabei hat der echte Norden mit der Industrieregion Unterelbe/Brunsbüttel ein echtes Schwergewicht, ein Industriegebiet von 2000 ha Fläche mit 450 ha Erweiterungsfläche. In Kombination mit Industrieund Seehäfen und dem Kanal hat es Zugang zu Hamburg, Ostsee und den Weltmeeren. Dieser Standort findet aufgrund dieser Parameter nicht so schnell seinesgleichen.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist das große Angebot an erneuerbaren Energien an der Westküste. Hier kommt die Erzeugung sehr großer Mengen Strom, vor allem aus Windenergie, zusammen mit sehr großen Energieverbrauchern aus der Industrie.

Mit dem Netzwerk Norddeutsche Energiewende 4.0 haben sich Wissenschaft und Wirtschaft mit Unterstützung der Politik zusammengeschlossen, um theoretische Modelle in der Praxis weiterzuentwickeln und anzuwenden. An dieser Stelle möchte ich die Arbeit des Wirtschaftsministeriums und des Energiewendeministeriums hervorheben und auch der vielen Akteure in Hamburg und Schleswig-Holstein.

Herr Ministerpräsident, die Landesregierung hat hier erfolgreich ein großes Stück Arbeit abgeliefert.

Gestern Abend hatten wir im Landtag den sehr gut besuchten Neujahrsempfang der erneuerbaren Energien mit BWE und ARGE Netz als Gastgeber. Passend zu dem Thema, das wir eben diskutiert haben, hat Staatssekretär Dr. Nägele dort in seinem Grußwort völlig zu Recht die Chancen für die Wirtschaft im hohen Norden durch die Energiewende betont. Und seit gestern Abend ist es kein Geheimnis mehr: Der Staatssekretär hob auch die sehr gute Zusammenarbeit beider Häuser, von Minister Meyer und Minister Habeck, hervor.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Christopher Vogt [FDP]: Sehr glaubwürdig!)

NEW 4.0 sagt von sich selber: Der Zusammenschluss von Hamburg und Schleswig-Holstein bildet eine optimale Modellregion für das vom Bundeswirtschaftsministerium ausgeschriebene Förderprogramm „Schaufenster intelligente Energie“ mit dem Schwerpunkt Wind. Mit einem rechnerischen Anteil erneuerbarer Energien von 40 % befindet sich die Region bereits heute dort, wo die Bundesrepublik gemäß Ausbaukorridor 2025 stehen soll.

Die Modellregion muss dabei Ungleichgewichte in der Erzeugung und Lastsituation beherrschen. Während in Hamburg ein großer Verbrauchsschwerpunkt liegt, in dem lediglich 3 % des Bedarfs durch erneuerbare Energien bereitgestellt werden, kann Schleswig-Holstein seinen Bedarf rein rechnerisch fast vollständig aus regenerativen Energien abdecken und wird damit immer häufiger zum Stromexporteur.

Mit zahlreichen Anbindungen über Übertragungsnetze und Offshore-Windparks sowie aufgrund der zentralen geographischen Lage zwischen den Verbrauchszentren im Süden und den Speicherkraftwerken Skandinaviens im Norden entwickelt sich die Region auch auf internationaler Ebene zu einer Energiedrehscheibe Nordeuropas.

Es ist wirklich hocherfreulich, dass sich diese Initiative im Wettbewerb um das Förderprogramm „Schaufenster intelligente Energie“ an die Spitze der Republik setzen konnte. Das ist der Beharrlichkeit und dem hohen fachlichen Niveau zu verdanken. Vielen Dank an dieser Stelle an Professor Peter Gulde vom Fraunhofer Institut ISIT in Itzehoe, der als Spiritus Rector ein wichtiger Akteur dieses Erfolges ist. Wie beeindruckt auch Berlin war, zeigt sich daran, dass das Bundesministerium die Fördersumme von 80 Millionen auf 230 Millionen € angehoben hat.

(Vizepräsident Bernd Heinemann)

Herr Minister Meyer, in der Wirtschaft spricht man ja mitunter von Hidden Champions, von sehr erfolgreichen Unternehmen, die nur wenig bekannt sind. So ein versteckter Sieger ist NEW 4.0: wenig bekannt, aber ein wichtiger Erfolg in der Arbeit der Küstenkoalition.

(Vereinzelter Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, erfreulich ist ebenfalls, dass eine neue Fähre zwischen Brunsbüttel und Cuxhaven verkehrt. Damit verbinden sich zwei wichtige Wirtschaftsräume. Cuxhaven hat gerade einen großen Ansiedlungserfolg gelandet mit Siemens, Fertigung von Maschinenhäusern, Investitionen von 200 Millionen € und bis zu 1.000 neuen Arbeitsplätzen.

Im Zuge der Ausschreibung Netz West im Schienennahverkehr werden wir auch einen Schnellbus Brunsbüttel-Itzehoe im Stundentakt fahren lassen, also eine starke, schnelle, neue Linie.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Oliver Kumbartzky [FDP])

Dies wird in Brunsbüttel auch die neue Elb-LinkFähre mit anbinden. So entsteht auch für den öffentlichen Personenverkehr eine interessante Verbindung von Itzehoe und Brunsbüttel nach Cuxhaven und weiter nach Bremen.

Herr Arp, hören Sie zu: ein gutes Stück westliche Elbquerung hier sofort pragmatisch und ohne große Kosten.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich warte eigentlich immer noch darauf, dass der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion hier einmal unterstützende Worte findet.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Fahr doch mal nach acht Uhr rüber!)

Industriepolitik in Schleswig-Holstein, gute Arbeit, Produktivität, Innovation, Chancen für die Energiewende erkennen und nutzen, Ökonomie in Übereinstimmung mit ökologischen Zielen weiterentwickeln - das ist unser Ziel. Die Küstenkoalition hat diese Aufgabe neu definiert. Wir schauen nicht nur zu, wir machen aktive Industriepolitik für unser Land.

Zum Verfahren: Wir wollen beide Anträge an den Wirtschaftsausschuss überweisen. - Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Johannes Callsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben in Deutschland eine insgesamt erfreuliche gesamtwirtschaftliche Situation, auch in SchleswigHolstein, die durch die gute Situation bei uns im Mittelstand getragen wird. Gleichzeitig allerdings muss man auch sehen, dass die besonders florierende industrielle Wertschöpfung in ganz Deutschland mittlerweile an Schleswig-Holstein fast vollständig vorbeigeht. Schleswig-Holstein ist industriepolitisch zumindest ein Schwachpunkt in Deutschland. Das liegt - das sage ich ausdrücklich - nicht an der Industrie in diesem Land, sondern, Herr Meyer, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das liegt an Ihrer Industrie- und Ihrer Wirtschaftspolitik, die Sie in Schleswig-Holstein betreiben.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Wenn man sieht, dass der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung seit 2012 - das ist das Antrittsjahr Ihrer Regierung - gesunken ist, dass der Umsatz der Industrie in Schleswig-Holstein in den ersten Quartalen 2015 um 9 % zurückgegangen ist, dann sind das schon alarmierende Zahlen. Herr Minister Meyer, Sie haben nach über einem Jahr Vorbereitung im vergangenen November 2015 Ihre industriepolitischen Eckpunkte gemeinsam mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften vorgestellt. Wir haben hier darüber auch beraten. Ich muss nach wie vor sagen: Der große Wurf war das wirklich nicht. Das sagen im Übrigen auch die Betroffenen aus der Industrie selber, denn konkrete Ziele, etwa zum Weiterbau der A 20 und der westlichen Elbquerung, sucht man in diesem Papier vergeblich. Von Gerhard Stoltenberg ist der Spruch überliefert, dass er bei einem solchen deplatzierten Papier gesagt hätte: ein guter erster Entwurf.

Umso mehr geht es jetzt darum, die Eckpunkte, die Sie formuliert haben, weiterzuentwickeln, wirklich mit Taten zu erfüllen und in die Realität umzusetzen. Da hat natürlich der ChemCoast Park Brunsbüttel als Verbund der ansässigen Industriebetriebe

(Detlef Matthiessen)

an der Unterelbe eine ganz besondere Stellung mit 19 Großbetrieben, 4.300 direkt Beschäftigten, 350 Ausbildungsplätzen und über 12.500 mittelbar Beschäftigten. Das ist die Wirtschaftskraft in dieser Region.

(Wortmeldung Dr. Andreas Tietze [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich freue mich, Herr Kollege Tietze und Herr Kollege Matthiessen, dass wir uns offenbar einig sind, was die Bedeutung von Brunsbüttel angeht. Allerdings geht uns Ihr Antrag an mancher Stelle nicht weit genug und ist nicht konkret genug.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Tietze?

Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich habe mich zu Wort gemeldet. Wir waren gemeinsam auf der Tagung. Sie haben gesagt, die Betroffenen fänden das Konzept nicht gut oder hätten es abgelehnt. Sie hatten es schon ein bisschen in Ihrer Presseerklärung zu dieser Tagung angedeutet. Wahrscheinlich waren wir auf unterschiedlichen Tagungen. Ich habe eine große Übereinstimmung bei den Akteuren zu diesem Eckpunktepapier gesehen. Ich habe geradezu fast euphorisch wahrgenommen, dass sich hier auch Gewerkschaften und Unternehmer an einen Tisch setzen, dass alle an einem Strang ziehen, dass sehr deutlich gemacht worden ist, dass hier ein Impuls ausgegangen ist. Ich habe in den Kaffeepausen in den Gesprächen mit vielen Unternehmensvertreterinnen und -vertretern gerade aus Brunsbüttel gesprochen, und alle haben gesagt: eine notwendige, eine richtige Entscheidung, endlich geht es voran. Deshalb möchte ich es nicht so im Raum stehen lassen, wenn Sie sagen: Die wollen das eigentlich gar nicht, und irgendwie fanden die das gar nicht so gut. - Das spricht sich hier so leicht und locker aus, aber es entspricht einfach nicht den Tatsachen.

(Vereinzelter Beifall SPD)

Herr Kollege Dr. Tietze, wir waren in der Tat auf derselben Veranstaltung in Brunsbüttel, ich habe allerdings die Euphorie, die Sie - ich weiß nicht, wo gespürt haben, nicht gespürt.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: In der Kaffeepause!)

- Vielleicht in der Kaffeepause! Im Unterschied zu Ihnen ist es bei uns so, dass wir auch nach diesem Kongress mit den Industrievertretern in SchleswigHolstein sprechen. Da ist die Meinung relativ einhellig.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Der ChemCoast Park in Brunsbüttel erstreckt sich von Lägerdorf über Itzehoe, Glückstadt über Brunsbüttel, über Friedrichskoog bis nach Hemmingstedt und bedarf somit auch einer guten Infrastruktur zur logistischen Vernetzung. Da muss ich dann doch noch einmal auf das Thema zurückkommen, das uns eben bewegt hat, nämlich das Thema A 20. Herr Meyer, was Sie sich bei der A 20 im letzten Jahr geleistet haben, Sie als Wirtschaftsminister, Sie als Verkehrsminister, aber auch Sie als angeblich größter Fan der A 20, das ist schon wirklich eine glatte Sechs.

(Beifall CDU und Oliver Kumbartzky [FDP])

Was im Wirtschaftsausschuss sehr deutlich geworden ist, war die Tatsache, dass es eben kein Problem des Artenschutzes ist, sondern dass es ein Problem Ihres Behördenversagens ist. Sie haben mit diesem Versagen dem Industriestandort SchleswigHolstein nachhaltig geschadet.

(Vereinzelter Beifall CDU und Beifall Oliver Kumbartzky [FDP])

Deshalb auch noch einmal an dieser Stelle das Stichwort Infrastruktur: Wir brauchen den Ausbau der B 5 auf drei Spuren, auch unter Berücksichtigung der Qualität der Verkehre, weil es eben auch auf dieser Strecke um den Transport schwerer Güter geht. A 20 und westliche Elbquerung sind von elementarer Bedeutung. Das habe ich erwähnt. Nicht zuletzt braucht die Region Unterelbe eine bedarfsgerechte Modernisierung der Schieneninfrastruktur zur Stärkung des Güterverkehrs in der Region.

Die Voraussetzungen an der Unterelbe sind eigentlich hervorragend: Die geografische Lage an den Häfen an der Elbe und am Nord-Ostsee-Kanal sind ein Alleinstellungsmerkmal, Erweiterungsflächen für Ansiedlungswillige sind überall in der Unterel

(Johannes Callsen)

beregion vorhanden. Ich erwähnte ausdrücklich auch die Kooperation der Region mit dem Hamburger Hafen.

Zu erwähnen ist auch die Vision eines Technologieund Forschungsstandorts für die Großanwendungen zur Wandlung der erneuerbaren Energien von Elektrizität in Gase, gerade am Netzknoten Brunsbüttel scheint mir das zumindest nachdenkenswert.